Hospitalität: Christliche Spiritualität in der Krankenpflege

Imago Hominis (2013); 20(3): 217-224
Robert Buder, Dominik Hartig

Zusammenfassung

Schon in der Antike wie im Judentum stellte Gastfreundschaft einen hohen Wert dar. In Leben und Lehre Jesu Christi und seiner Kirche ist die Zuwendung zum Kranken und Armen das Kriterium glaubwürdiger Nachfolge. Dementsprechend wurden Werke der Nächstenliebe und Barmherzigkeit organisiert, zum Beispiel als Krankenhäuser, Behinderteneinrichtungen oder Altenheime. Der Orden der Barmherzigen Brüder versucht, in seinen Einrichtungen Hospitalität – verstanden als christliche Gastfreundschaft – zu etablieren und zu fördern. Im täglichen Arbeiten zeigt sich das in zahllosen Gesten und Worten, wodurch dem Dienst eine besondere Qualität verliehen wird. Hospitalität muss dazu auf institutioneller Ebene ermöglicht und auf individueller Ebene gelebt werden im Sinne einer persönlichen Begegnung mit dem Hilfesuchenden.

Schlüsselwörter: Hospitalität, Barmherzigkeit, Heiliger Johannes von Gott

Abstract

In ancient times as well as in Judaism, hospitality represented a high value. In Christianity, the care for the sick and poor is the criterion for an authentic imitation of Christ. Hospitals, facilities for handicapped persons, retirement homes etc. – they all are works of mercy. The Brothers of St. John of God try to motivate all co-workers in its institutions to live Christian hospitality in daily work. In a spiritual sense, hospitality can give a special quality even to routine work. There is necessity for an institutional support for the individual initiative to meet those who are requiring help. In German “Hospitalität – Hospitality” is a strange term and needs a special explanation for understanding.

Keywords: Hospitality, Mercy, Saint John of God


Wer Schwerkranke behandelt und betreut, wird sehr bald mit ihren tiefsten Nöten und Sehnsüchten konfrontiert. Aufgrund dieser besonderen Nähe zum Menschen kann die Arbeit am Krankenbett eine große Herausforderung darstellen. Die tiefen Begegnungen sind jedoch vor allem eine Bereicherung; ein Privileg, wie es sonst nur den allernächsten Verwandten zuteil wird. Deshalb benötigen Ärzte und Krankenpflegepersonen mehr als eine profunde professionelle Ausbildung: „Berufliche Kompetenz ist eine erste, grundlegende Notwendigkeit, aber sie allein genügt nicht. Es geht ja um Menschen, und Menschen brauchen immer mehr als eine bloß technisch richtige Behandlung. Sie brauchen Menschlichkeit. Sie brauchen die Zuwendung des Herzens. Für alle, die in den karitativen Organisationen der Kirche tätig sind, muss es kennzeichnend sein, dass sie nicht bloß auf gekonnte Weise das jetzt Anstehende tun, sondern sich dem Andern mit dem Herzen zuwenden, so dass dieser ihre menschliche Güte zu spüren bekommt.“1

Das Leid gehört zum menschlichen Leben, auch wenn manchmal der Eindruck erweckt wird, es ließe sich aus der Welt schaffen.2 Diese harte Wahrheit ist für die Betroffenen schmerzlich. Anders betrachtet lässt sich auch sagen, dass eine Welt ohne Kranke um vieles ärmer wäre. „Denn sie wäre ärmer an gelebter Mitmenschlichkeit, ärmer an selbstloser, ja mitunter heroischer Liebe.“3

Auf den Spuren des Ordensgründers, des hl. Johannes von Gott (1495 – 1550), bemühen sich die Barmherzigen Brüder und viele ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darum, der Mitmenschlichkeit ein Gesicht zu geben. Der „Geist der Hospitalität“, den sie in ihren Einrichtungen verbreiten, soll überall Einzug halten – vor allem überall dort, wo es Personen gibt, „die Hunger und Durst leiden; denen Kleider, Medikamente und Unterkunft fehlen; die von Drangsalen und Krankheit heimgesucht werden“.4

Hospitalität ist eine menschliche Grunderfahrung

Hospitalität leitet sich vom lateinischen „hospes“ (= Gast) ab und bedeutet übersetzt „Gastfreundschaft“.5 Damit ist eine menschliche Grunderfahrung ausgesagt, mit der jede und jeder etwas anfangen kann: Wir alle sind Gastgeber und Gast zugleich. Als Menschen mit Stärken und Schwächen sind wir einerseits immer auf die Hilfe unserer Mitmenschen angewiesen, auf Annahme und Aufnahme, andererseits aber sind wir selbst es, die den anderen beistehen. Im Laufe des Lebens sind wir immer zunächst „Gast“, am Beginn ganz auf Hilfe, Angenommensein und Pflege Angewiesene, oft auch wiederum am Ende des Lebens. Dazwischen dürfen wir der sein, der sich anderen zuwendet, der gibt, der geben kann. Als Gastgeber im ursprünglichsten Sinn stellt sich die Frage: Wie gehe ich mit meinen Gästen um? Wie bewirte ich sie, wie kümmere ich mich um ihre Bedürfnisse? Raum geben und Zeit schenken, das sind zwei Grundvoraussetzungen, um Gastfreundschaft pflegen zu können.

Die Aufnahme von Kranken stellt eine besondere Form von Gastfreundschaft dar. Hospitalität im Gesundheitswesen muss – bei aller nötigen Wirtschaftlichkeit – mehr und anders sein als die professionelle und kommerzielle Gastfreundschaft des Gastwirtes oder Hoteliers. Das ist eine dauernde Herausforderung, gerade angesichts der immer kürzeren Verweildauer im Krankenhaus. Ein „Mehr an Zuwendung“ muss möglich sein und trägt in vielen Fällen ganz wesentlich mit bei zur Genesung. Nicht umsonst heißt es, dass ein Lächeln bzw. ein aufmunterndes Wort die „beste Medizin“ ist.

Wie weit Hospitalität als menschliche Grunderfahrung geht, wird an einem Gedanken deutlich, der dem Theologen Romano Guardini zugeschrieben wird: „Dies ist aller Gastfreundschaft tiefster Sinn: dass ein Mensch dem anderen Rat gibt auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause.“ Ganz in diesem Sinn trug die Festschrift eines Krankenhauses der Barmherzigen Brüder auch den Titel: „Herberge am Weg“.6

Die spirituelle Dimension von Hospitalität: Gebot und Verheißung

Mit dem Wort vom „ewigen Zuhause“ wird die spirituelle Dimension von Hospitalität angesprochen, wie sie im „Buch der Bücher“, der Bibel, an verschiedenen Stellen beschrieben wird. Aber schon bei den alten Griechen war die Ausübung der Gastfreundschaft ein Gebot der Stunde und ein wichtiger Gradmesser dafür, wie zivilisiert eine Gesellschaft ist.7 „In der Begegnung von Kulturen (…) kommt der Gastfreundschaft eine entscheidende Rolle zu. (…) Der Gastgeber übernimmt die Schutzverpflichtung, indem der Gast formal zum Mitglied seiner Familie wird. Erzählungen von unerkannten Göttern, die die Gerechtigkeit der Menschen darin prüften, ob sie Fremde oder Bettler freundlich aufnehmen, schaffen eine Norm, wo das positive Recht nicht ausreicht.“8 Sätze und Einstellungen, die vielleicht auch im staatlichen Umgang mit Fremden und Asylanten bedenkenswert wären.

Im Alten Testament wird das Volk Israel immer wieder dazu angehalten, den Fremden aufzunehmen. Im Buch Levitikus wird es dabei an die eigenen harten Erfahrungen in der Fremde erinnert: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“9

Dass Hospitalität keine schöne Theorie ist, sondern konkretes Tun im Hier und Jetzt, wird klar, wenn man die Erzählung von der Begegnung Abrahams mit den drei Männern – ein Bild für Gott – bei den Eichen von Mamre in Genesis 18,1-33 liest. Hier wird geschildert, mit welcher Herzlichkeit und Fürsorge sich Abraham um seine Gäste kümmert: Als er sie sieht, springt er auf, läuft ihnen entgegen, um sie zum Bleiben zu bewegen, damit sie ein wenig ausruhen und sich verwöhnen lassen. Seine gute Tat wird hier ebenfalls mit einer Verheißung belohnt: Die Männer kündigen ihm an, dass seine Frau Sarah in einem Jahr einen Sohn bekommen wird – den lang ersehnten! Mit Blick auf diese Bibelstelle schreibt der Apostel Paulus: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“10

Das Beispiel des barmherzigen Samariters

Das Modell der Hospitalität, an dem der hl. Johannes von Gott Maß genommen hat, ist Jesus Christus. Deshalb heißt es in einem wichtigen Dokument der Barmherzigen Brüder auch: „Wer die Wege der Hospitalität beschreiten will, muss sich mit ihm konfrontieren.“11 Deshalb wird in den deutschsprachigen Ordensprovinzen der Barmherzigen Brüder der (in angelsächsischen oder frankophonen Provinzen unmissverständliche) Begriff „Hospitalität“ mit „Christliche Gastfreundschaft“ übersetzt: Gastfreundschaft, angereichert mit Jesus-Qualität.

Im Neuen Testament gibt es zahlreiche Stellen, in denen die Einstellung Jesu zu den kranken und bedürftigen Personen zum Ausdruck gebracht wird: „Er nimmt innigst am existenziellen Erleben des Kranken und seiner Angehörigen teil.12 Weder widerspricht er, noch kritisiert er seinen Wunsch nach Heilung. Oft ergreift er als erster die Initiative.13 Er verneint jeden Zusammenhang zwischen individueller Sünde und aktueller Krankheit.14 Er heilt den ganzen Menschen.“15

Das bekannte Gleichnis vom Barmherzigen Samariter16 ist für unzählige Personen zu einer „praktischen Anleitung zur Hospitalität“17 geworden. Die unmissverständliche Aufforderung Jesu, angesichts der Not des anderen nicht untätig zu bleiben, sondern zu handeln, hat sie im guten Sinn des Wortes „erschüttert“ und veranlasst, die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen und sich ganz für andere einzusetzen. Sie sind es, die die Hauptrolle in der noch lange nicht abgeschlossenen Geschichte der christlichen Nächstenliebe spielen – und einer von ihnen ist Johannes von Gott.

Mitleiden ist mehr als Mitleid

Auch wenn mit dem barmherzigen Samariter zunächst Christus selbst gemeint ist, steht diese herausragende Gestalt für jeden Menschen, „der vor dem Leiden eines Mitmenschen, was auch immer es sein mag, innehält“.18 Wer „für das Leiden des anderen empfänglich ist“, hat also die besten Voraussetzungen. Allerdings muss er nach dem ersten Schritt – dem Mit-Leiden – auch noch den zweiten gehen: den der Hingabe. Denn zu einem barmherzigen Samariter wird nur „der zu dieser Selbsthingabe fähige Mensch“.

Barmherzigkeit, Offenheit für fremdes Leid, Mitleiden wird auch vielfach in der Literatur artikuliert, so zum Beispiel bei Stefan Zweig: „Es gibt eben zweierlei Mitleid: Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der persönlichen Ergriffenheit von einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt – das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitleidend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dieses Letzte hinaus.“19

Johannes von Gott macht sich verantwortlich

Den Grundgedanken der Hospitalität fasste Johannes von Gott im Jahr 1539 während der leidvollen Zeit seiner eigenen „Krankenhausbehandlung“: „Und wenn er sah, wie die anderen Kranken, die zusammen mit ihm als Geisteskranke eingeschlossen waren, gezüchtigt wurden, sprach er: ‚Jesus Christus möge mir die Zeit schenken und die Gnade gewähren, dass ich ein Hospital habe, in dem ich die armen Menschen, die verlassen und der Vernunft beraubt sind, sammeln kann, um ihnen zu dienen, wie ich es wünsche.‘“20

Gemeint ist mit diesem Gedanken der Hospitalität das persönliche Verantwortlichmachen für jeden, der sich dem Werk – ob Krankenhaus, ob Pflegeheim, ob Behinderteneinrichtung, ob Nachtasyl… – und damit einem Einzelnen – ob Bruder, ob Krankenschwester, ob Pfleger, ob Arzt, ob Röntgenassistentin, ob Krankentransporteur… – anvertraut oder anvertraut wird. Es geht um Vertrauen einer Einrichtung gegenüber, aber vor allem immer einer konkreten Person gegenüber. Immer treten sich zwei einzigartige Menschen persönlich gegenüber. Christliche Gastfreundschaft kann nichts Anonymes sein, keiner kann sich hinter der „Institution“ verstecken. Die individuelle Verwirklichung von Hospitalität muss die täglich gelebte Seite dieser Idee sein.

Gemeint ist mit dem Gedanken der Hospitalität, dass jedem, der mitarbeitet, bewusst ist: „Das Ziel ist der Mensch! Das Ziel der Religion ist nicht die Religion. Das Ziel des Krankenhauses ist nicht das Krankenhaus. Das Ziel des Evangeliums ist nicht das Evangelium. Das Ziel des Christentums ist nicht das Christentum. Das Ziel der Kirche ist nicht die Kirche. Das Ziel ist der Mensch.“21 Diese Forderung wurde in gleicher Weise auch vom 2. Vatikanischen Konzil formuliert: „Ursprung, Träger und Ziel aller sozialen Institutionen ist und muss sein die menschliche Person.“22

Wo bleibt die Menschlichkeit?

Ein Krankenhaus stellt – ebenso wie ein Pflegeheim oder eine Behinderteneinrichtung – ein hochkomplexes Gebilde dar, in dem unterschiedlichste Fachdisziplinen zusammenarbeiten. Die zunehmende Spezialisierung, ja Subspezialisierung in der Medizin und die enorm gewachsenen Möglichkeiten technischer Natur haben den Krankenhausalltag in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Kurzaufenthalte dominieren den Alltag vieler Stationen, menschliche Kontakte müssen sich dem anpassen. Einzelne Fächer sind fast gänzlich zu einem tagesklinischen Betrieb übergegangen. Daneben dominieren oft ökonomische Überlegungen den stark angewachsenen Verwaltungsbereich. Entsprechend wichtig sind alle institutionellen Rahmenbedingungen, die Hospitalität ermöglichen und absichern.

Bereits 1982 konstatierte der damalige Generalprior der Barmherzigen Brüder, Frater Pierluigi Marchesi, dies mit drastischen, auch an den eigenen Orden gerichteten Worten: „Ein großer Mangel an menschlicher und christlicher Achtung vor der Würde des Menschen war es, der zur Unmenschlichkeit des Krankenhauses geführt hat und es schließlich langsam zu einem Gefängnis werden ließ, einem Ort des Todes, nicht der Hoffnung und der Barmherzigkeit.

Wir haben dabei in unserem Betriebsdenken – und das ist in jedem Betrieb eine gesunde Voraussetzung – primär auf die Leistungsfähigkeit gesehen, den Heilerfolg des kranken Menschen aber in den Hintergrund treten lassen, wobei immer beides in seiner Gesamtheit gesehen werden muss: Heil und Mensch – leiblich, geistig, sozial und seelisch.

Ein Krankenhaus-Unternehmen wird als solches gleich erkannt: In ihm spricht man von Gewinn, Belegszahl, kostendeckenden Tagsätzen, Ausstattung der Zimmer, Teppichböden in den Büros, finanziellen Sorgen. Nicht gesprochen wird vom Kranken, es sei denn als von einem Faktor, der eine zufriedenstellende Wirtschaftsbilanz des Hauses garantieren muss (…).

Die Entmenschlichung eines Krankenhaus-Unternehmens ist auf den ersten Blick sehr schwer zu erkennen. Meist ist es ein sehr schönes, modernes, neu gebautes Krankenhaus, reich an Patienten. Aber wo ist die Menschlichkeit? Wo bleibt die Menschlichkeit, wenn man Stunden aufwendet, um Bilanzen zu erstellen, und kaum Minuten, um mit den Kranken zu sprechen, auch über ihre lebenswichtigen Probleme?“23

Warten auf die „gute Fee“

Drei Stellungnahmen dreißig Jahre später:

Kardinal Kasper in seinen Überlegungen zu den leiblichen Werken der Barmherzigkeit: „Die Aufforderung, Kranke zu besuchen, kann man leicht in Beziehung setzen zur gegenwärtigen Ökonomisierung und der damit gegebenen Anonymisierung des Krankenhauswesens.“24

Ein Diplomkrankenpfleger in einer Diskussion: „Oft stehen wir im Zwiespalt: Gut pflegen und schlecht dokumentieren oder gut dokumentieren und schlecht pflegen. Mit Zweiterem sind wir auf der sicheren Seite.“

Und schließlich die persönlichen Erfahrungen eines „Gastes“: „Nur allzu leicht ist man als Patient in einem Krankenhaus mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein konfrontiert. Oftmals beginnt die Irritation bereits bei der Aufnahme. (…) In dem einen Fall beeinflusse ich die Situation selbst, in dem anderen ist es wohl eher wie mit dem Warten auf die ‚gute Fee‘.“25

Wo sie als Unternehmenskultur verstanden wird, muss Hospitalität daher stets neu interpretiert und vermittelt werden. Als urmenschliches Anliegen der Zuwendung zum Nächsten werden alle eingeladen, ihr Bestes zu geben und damit auch sich selbst zu bereichern: „Wer tut sich selbst Gutes? Tuet Gutes aus Liebe zu Gott, meine Brüder in Jesus Christus!“26

Arbeiten im Zeichen der Hospitalität

Damit soll kein Mitarbeiter religiös vereinnahmt werden. Er wird eingeladen, am großen „Werk des Guten“ mitzumachen und sich selbst damit auch zu bereichern. So sehen das auch die Generalstatuten des Ordens der Barmherzigen Brüder:

„Die Mitarbeiter können das Charisma, die Spiritualität und die Sendung des Ordens auf einer oder mehreren der drei folgenden Ebenen mittragen:

  • auf der Ebene guter professioneller Zusammenarbeit;
  • auf der Ebene der Identifikation mit der Sendung des Ordens, getragen von ihren menschlichen Werten und/oder ihren religiösen Überzeugungen;
  • auf der Ebene eines vom katholischen Glauben getragenen Engagements.“27

Christliche Gastfreundschaft erfordert jedenfalls fachliche Kompetenz, aber eben auch ein Mehr. „In der Nachfolge des Johannes von Gott zu stehen, bedeutet für uns also zweierlei: professionell zu handeln und im Lichte des Glaubens zu handeln.“28 Wissend um die Schwierigkeit, das zeitgemäß zu vermitteln, „kondensierte“ ein Diskussionsprozess im Orden der Barmherzigen Brüder die vielfachen Gedanken um diesen Begriff zu vier „Werten“, die für ihn stehen.

„Um diese Verbindung von Professionalität und Barmherzigkeit auch heute gelingen zu lassen wurde ‚Hospitalität‘ durch vier ‚Werte‘ eingegrenzt:

  • durch Qualität, als Grundvoraussetzung unserer Dienstleistung und unseres Managements,
  • durch Respekt vor dem jeweiligen Gegenüber, was unsere Dienstleistung und auch unsere Dienstgemeinschaft besonders auszeichnet,
  • durch Verantwortung, die ein wesentlicher Maßstab für unsere Dienstleistung und unser Management ist,
  • durch Spiritualität, die der Sehnsucht des Menschen nach Religion und Transzendenz eine Orientierung gibt.“29

Wo dies in vielfacher Weise durchdacht und jeweils vor Ort konkretisiert und mit Geist erfüllt wird; wo die Organisation eines Hospitales die individuelle Verwirklichung von Hospitalität ermöglicht, unterstützt und absichert, dort wird Hospitalität gelebt.

Auf die Kleinigkeiten kommt es an

Das tägliche Bemühen, das schon bei Johannes von Gott aus viel Routine und vielen Sorgen bestand, setzt sich aus zahlreichen kleinen Gesten und scheinbaren Selbstverständlichkeiten zusammen:30 Erst die Person ansehen, dann die Krankheit;31 Freundlichkeit; suchende Blicke wahrnehmen; auf gleicher Augenhöhe kommunizieren… Viele scheinbare Kleinigkeiten, die in ihrer Gesamtheit im Sinne der Botschaft Jesu das Reich Gottes wachsen lassen und davon künden. „Evangelienorientierte Praxis im alltäglichen Tun und Umgang mit den Patienten, Behinderten, Klienten etc., aber auch mit den Kollegen, innerhalb der Mitarbeiterschaft, Gästen, Angehörigen der Patienten, etc., ist ‚bereits stille, aber sehr kraftvolle und wirksame Verkündigung der Frohbotschaft‘.“32
Dazu gehören Situationen wie die folgenden:33

  • wenn Menschen im alltäglichen Umgang Annahme und Wertschätzung vermittelt wird;
  • wenn Mitarbeiter ihren Dienst gewissenhaft und mit Liebe zum Bedürftigen verrichten;
  • wenn im kollegialen Umgang miteinander der Geist des Respekts und der Achtung voreinander spürbar wird;
  • wenn Solidarität in Zeiten der Krise oder Trauer gelebt wird;
  • wenn es Engagement für Gerechtigkeit gibt;
  • wenn einander Zeit geschenkt wird;
  • wenn Offenheit und Bereitschaft da ist, auf alle Sorgen, Lebens- und Sinnfragen der Betreuten einzugehen;
  • wenn ohne großen Aufhebens im Alltag christliche humane Werte praktiziert werden; usw.“

Es ist zu bedenken, „dass es gerade im religiösen Bereich so etwas wie eine natürliche Zurückhaltung im Sprechen, eine Art sprachliche Feinfühligkeit gibt und geben muss, die es zu respektieren gilt. Der Gottesglaube gehört zu den intimsten Dingen des menschlichen Lebens. Deshalb gilt es, Formen und Räume zu finden und zu gestalten, in denen einerseits diese Intimität des Religiösen nicht verletzt, aber anderseits doch auch das ‚Wort des Lebens‘ dem Zeugnis des Lebens erklärend und deutend hinzugefügt werden kann. Dazu braucht es:

  • Mut und Bereitschaft, über seinen Glauben Auskunft zu geben
  • Sensibilität für die richtige Situation, den rechten Zeitpunkt
  • Authentizität
  • Auskunftsfähigkeit34
  • Sprachfähigkeit (einfach, lebensnah, in die Zeit „übersetzt“, deutend)
  • Orte/Anlässe (Sonntagsgottesdienst, Feste im Kirchenjahr, Wallfahrten, moderne Formen von Liturgie, Gesprächskreise, Taufe/Beerdigung, …)
  • Bildungsangebote (Vorträge, Medien, Seminare, …) etc.“35

Wesentlich ist es, ein Betriebsklima der Hospitalität zu schaffen und zu erhalten. Ein Betriebsklima wird von vielen getragen, trägt aber auch und prägt den neu Dazukommenden. Die Worte Senecas, die er über Philosophie formulierte, lassen sich hervorragend auf diesen Gedanken übertragen: „Wer in die Sonne geht, wird braun, auch wenn das gar nicht seine Absicht ist; wer sich in eine Parfümerie setzt und eine Zeit lang dort bleibt, nimmt den Duft des Ladens mit sich. So ist es auch bei denjenigen, die bei einem Philosophen waren: Sie nehmen unweigerlich etwas mit, was sie fördert, auch wenn sie gar nicht so recht darauf achten.“36 So soll es bei jedem sein, der in einem von christlicher Nächstenliebe getragenen Team mitarbeitet. Er wird bereichert. Er wird den „Duft“ gelebter Nächstenliebe annehmen. Er oder sie wird frei für ein „Mehr“ im täglichen Dienst und kann damit auch die Arbeit am Kranken und Leidenden als Selbstverwirklichung im besten Sinne dieses Wortes erleben.37

Referenz

  1. Papst Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, Abschnitt 31a
  2. vgl. Leben in Fülle, Band 6 der Schriftenreihe „Die österreichischen Bischöfe“, S. 8, Anmerkung 6: „Das zweifelhafte Ziel, Leid ‚abzuschaffen’, wird unter anderem erkauft durch sublime Gewaltanwendung (vgl. die Euthanasiefrage), durch Manipulation des Menschlichen (z. B. durch die gentechnische ‚Korrektur’ des Menschen) und die Ausblendung wesentlicher Erfahrungen (wie der Kontingenz). Völlig leidfreies Leben auf Erden ist unmöglich und wäre sogar unmenschlich.“
  3. Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Salvifici doloris, 11. Februar 1984, Abschnitt 4
  4. Konstitutionen der Barmherzigen Brüder, Rom (1985), Abschnitt 23
  5. Duden – Das große Fremdwörterbuch: Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter, Dudenverlag, Mannheim/ Leipzig/ Wien/ Zürich (2003)
  6. Herberge am Weg, Festschrift anlässlich der Fertigstellung des Neu- und Umbaues des St. Veiter Krankenhauses (1980)
  7. vgl. Reallexikon für Antike und Christentum (RAC), Bd. VIII, Stuttgart (1972), 1061-1083
  8. Gastfreundschaft, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau (1995)
  9. Lev 19,33-35
  10. Hebr 13,2
  11. Barmherzige Brüder, Charta der Hospitalität. Die Betreuung kranker und hilfsbedürftiger Menschen im Stil des heiligen Johannes von Gott, Abschnitt 2.3.1
  12. vgl. Mt 14,14; 15,32; Lk 7,13; Joh 11,36
  13. vgl. Mk 10,49; Lk 8,49; Joh 9,1-3
  14. vgl. Joh 9,1-3
  15. vgl. Mt 9,1-7; Barmherzige Brüder, siehe Ref. 11 Abschnitt 2.1.3
  16. Lk 10,25-37
  17. Barmherzige Brüder, siehe Ref. 11, Abschnitt 2.3.4
  18. vgl. hier und in der Folge: Papst Johannes Paul II., siehe Ref. 3, Abschnitt 28-30
  19. Zweig S., Ungeduld des Herzens, S. Fischer-Verlag (1982)
  20. Castro F. de, Geschichte des Lebens und der heiligen Werke des Johannes von Gott, Kap. IX
  21. Baumgartner I., Berufen zur Hospitalität – Was unsere Einrichtungen zu Anders-Orten macht, bei der Pastoraltagung 2012 im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz
  22. Zweites Vatikanisches Konzil, Gaudium et spes, Abschnitt 25,1
  23. Fr. Pierluigi Marchesi OH, Vermenschlichung, Rom/ Wien (1982)
  24. Walter Kardinal Kasper, Barmherzigkeit, Freiburg (2012), S. 195
  25. Hochgerner C., Wie sag ich´s bloß?, Verlag Wilhelm Maudrich, Wien (2005)
  26. Castro F. de, siehe Ref. 20, Kap. XII
  27. Generalstatuten des Hospitalordens des hl. Johannes von Gott, Rom (2009), Abschnitt 22
  28. P. Provinzial Ulrich Fischer OH bei einem Pastoraltreffen des Ordens 2009
  29. Generalprior Donatus Forkan, Rundschreiben „Werte des Ordens“ vom 11. Februar 2010
  30. Zweiter Brief des hl. Johannes von Gott an Gutiérrez Lasso: „Da dies ein Haus für alle ist, werden alle Arten von Kranken aufgenommen und auch alle Arten von Menschen. Es gibt hier deshalb Versehrte, Verletzte, Aussätzige, Stumme, Verrückte, Gelähmte, mit Krätze Behaftete, sehr alte Menschen und viele Kinder; überdies viele Pilger und Reisende, deren Weg zu uns führt. Man gibt ihnen Feuer, Wasser, Salz und Kochgeschirr, um sich ihr Essen zu bereiten. Für all dies brauchen sie nichts zu bezahlen, aber unser Herr Jesus Christus sorgt für alles; es gibt keinen Tag, an dem nicht für die Versorgung des Hauses viereinhalb und manchmal fünf Dukaten nötig sind; dies alles allein für Brot, Fleisch, Geflügel und Holz, ohne die Extra-Ausgaben für Medizin und Kleidung mitzurechnen. An Tagen, an denen das Almosen nicht zur Deckung aller Kosten ausreicht, nehme ich Geld zu leihen, und an anderen Tagen wird gefastet. Und so sorge ich mich hier allein um Jesus Christus, denn ich schulde mehr als 200 Dukaten an Ausgaben für Hemden, Mäntel, Schuhe, Leintücher, Decken und viele andere Dinge, die notwendig sind in diesem Haus Gottes, und auch die Erziehung der Kinder, die man uns hier lässt.“
  31. vgl. Dörner K., Der gute Arzt. Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung, 2. Auflage, Stuttgart (2003)
  32. Papst Paul IV., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi (1975)
  33. Die folgende Auflistung findet sich im Dokument: Pastoral im Stil des heiligen Johannes von Gott, Generalkommission für Pastoral des Hospitalordens des heiligen Johannes von Gott, Rom (2012), Abschnitt 2.2.3., S. 26
  34. 1 Petr 3,15
  35. Pastoral im Stil des heiligen Johannes von Gott , siehe Ref. 33
  36. Lucius Annaeus Seneca, ad Lucilium epistulae morales, 108,4; Übersetzung: Weeber K.-W., in: Auf einen Wein mit Seneca, Primus Verlag, Darmstadt (2012)
  37. vgl. Maslow A. H., Motivation and Personaltity (dt. „Motivation und Persönlichkeit“), Rowohlt-Verlag, Hamburg (1981)

Anschrift der Autoren:

Dr. Robert Buder
Konventhospital der Barmherzigen Brüder
Interne Abteilung
Seilerstätte 2, A-4020 Linz
robert.buder(at)bblinz.at

Mag. Dominik Hartig
Provinzialat der Barmherzigen Brüder
Taborstraße 16, A-1020 Wien
dominik.hartig(at)bbprov.at

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