Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten und Patientenautonomie

Imago Hominis (1998); 5(4): 275-282
Michael Memmer

Zusammenfassung

Mit der Würde des Menschen ist die Selbstbestimmung untrennbar verbunden. Jeder Patient muß selbst bestimmen, ob und in welchem Maß er behandelt werden will. Wenn ein Patient aber mangels Einsichtsfähigkeit nicht mehr selbst medizinische Maßnahme nbejahen oder verneinen kann, unterliegt er notwendigerweise einer Fremdbestimmung. In den letzten Jahren werden zunehmend die Vorsorgevollmacht und die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten diskutiert. Dieser Beitrag widmet sich deshalb den Grundlagen im österreichischen Recht, den Vorteilen und den Nachteilen eines Stellvertreters in Gesundheitsangelegenheiten. Diese Erörterung veranschaulicht die Bedeutung der Stellvertretung für die Verwirklichung der Selbstbestimmung und für die Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung.

Schlüsselwörter: Selbstbestimmung des Patienten, Fremdbestimmung, Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten, Vorsorgevollmacht, Würde des Menschen, Vertrauensperson, Arzt-Patient-Beziehung

Abstract

Self determination is inseparably linked to human dignity. Each patient has to decide by himself, whether or not and in which way he wants to be treated. If a patient, through lack of competence, is not able to accept or to deny a medical therapy by himself, heteronomy takes place. In the last years durable powers of attorney in health care and health care agents have been discussed more and more. This article considers the legal authority and the pros and cons of health care agents. The discussion demonstrates the importance of proxy for the realization of self determination and for the doctor-patient relationship.

Keywords: Patient’s self determination, heteronomy, health care agents/health care proxies, durable power of attorney in health care, human dignity, person of confidence, doctor-patient relationship


I. Selbstbestimmung – Fremdbestimmung

Die Autonomie des Patienten ergibt sich aus seiner personalen Würde, die es verbietet, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen. Damit postuliert das Selbstbestimmungsrecht des Patienten die Pflicht für andere, Entscheidungen, die der Patient gemäß seinen Wertvorstellungen getroffen hat, nicht einzuschränken. Die Zentralnorm im österreichischen Recht stellt § 16 ABGB dar: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten“. Demnach sind dem einzelnen Individuum subjektive Rechte eingeräumt, die mit seiner Existenz als Mensch untrennbar verbunden sind und die Persönlichkeitsrechte genannt werden. Zu diesen angeborenen Rechten zählt jedenfalls der Schutz der Rechtsgüter Leben, Gesundheit, körperlich-geistige Unversehrtheit und (Willensbildungs-) Freiheit.

In Ausübung dieser Persönlichkeitsrechte steht es jedem selbstbestimmungsfähigen Patienten frei, in einem von ihm bewußt erlebten Bedarfsfall medizinische Maßnahmen in Anspruch zu nehmen oder abzulehnen. Ein Kranker darf nur in dem Ausmaß und nur so lange ärztlich versorgt werden, als er es will (§ 8 Abs 3 KAG). Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten bildet eine absolute Behandlungsgrenze, die strafrechtlich durch den Tatbestand der „eigenmächtigen Heilbehandlung“ (§ 110 StGB) abgesichert ist.

Die personale Würde ist auch nach dem Wegfall der Einwilligungsfähigkeit zu respektieren. Ist der Patient nicht mehr in der Lage, über sich selbst zu bestimmen, muß freilich ein Dritter an seiner Stelle die notwendigen Entscheidungen treffen. Wer krankheitsbedingt die Einsichtsfähigkeit verliert bzw. in einen Zustand gerät, in dem er seinen Willen nicht mehr artikulieren kann, unterliegt somit zwangsläufig einer Fremdbestimmung. Bei einer länger andauernden Einsichts- und Postulationsunfähigkeit ist ein Sachwalter zu bestellen. Wenn wegen der Dringlichkeit der medizinischen Maßnahme für eine Sachwalterbestellung keine Zeit verbleibt, ist der mutmaßliche Patientenwille ausschlaggebend. Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, bei seiner Therapieentscheidung zu prüfen, ob der konkrete Patient in Kenntnis der Gesamtsituation der medizinischen Maßnahme zugestimmt hätte; er muß den mutmaßlichen Patientenwillen aufgrund einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ermitteln. Dem Arzt stehen aber im modernen Klinikalltag nur sehr begrenzte Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung, diesen Patientenwillen zu ergründen. Die Entscheidung wird sich oftmals notgedrungen an allgemeinen Wertvorstellungen und am objektiv verstandenen Interesse des Patienten orientieren, was im Einzelfall dazu führen kann, daß ein etwaiger anderslautender Patientenwille unbeachtet bleibt.

II. Vorsorgevollmacht – Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten

Viele Menschen befürchten, in eine Situation zu geraten, in der sie fremdbestimmt in einer Weise behandelt werden, die sie bei uneingeschränkter Entscheidungsfähigkeit nicht wollen bzw. gewollt hätten. Gerade im Bereich der Einwilligung in eine ärztliche Behandlung ist es den meisten Menschen wichtig, daß ihre persönlichen Werte und ihre Vorstellungen zu bestimmten medizinischen Methoden berücksichtigt werden. Aus der Angst vor einer Fremdbestimmung heraus wollen sie vorsorgen, daß ihre persönlichen Vorstellungen nach dem Verlust der Einwilligungsfähigkeit beachtet werden; sie wollen sich gegen die ungewollte Einmischung nicht autorisierter Personen absichern.

Eine Möglichkeit hierzu wird in der Einsetzung eines Stellvertreters gesehen. Die sogenannte „Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten“ bezeichnet die (idR schriftliche1) Bevollmächtigung einer Person durch den (späteren) Patienten, an seiner Stelle die Entscheidungen zu treffen, die im Rahmen einer medizinischen Behandlung erforderlich sind. Ihrem Zweck nach soll die Stellvertretung grundsätzlich nur für den Fall gelten, daß der Patient selbst nicht mehr zur aktuellen Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts in der Lage ist; die Entscheidungsbefugnis wird pro futuro übertragen. Solange und soweit der Patient über die Vornahme medizinischer Behandlungsmaßnahmen entscheiden kann, hat er aufgrund seines Selbstbestimmungsrechts selbst die Einwilligung zu geben oder zu verweigern.

Da es sich bei der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten um ein Gestaltungsinstrument für die Besorgung der Angelegenheiten nach dem Verlust der Handlungsfähigkeit bzw. natürlichen Einsichtsfähigkeit handelt, wird die Stellvertretung insbesondere dort ihren Platz haben, wo Entscheidungen zu fällen sind, die im Zeitpunkt der Bevollmächtigung noch nicht abschätzbar waren. Denkbar ist eine Bevollmächtigung vor schwerwiegenden Operationen, damit der Stellvertreter über eine Operationserweiterung und andere medizinische Maßnahmen entscheiden kann.2 Der Hauptanwendungsbereich der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten wird jedoch die Altersvorsorge sein. Ältere Menschen werden für den Fall, daß sie selbst infolge der Krankheit oder einer notwendigen Medikation nicht mehr entscheidungsfähig sind, eine Vertrauensperson mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betrauen.3 Damit wird in den nächsten Jahren immer öfter ein Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten über medizinische Maßnahmen im terminalen Krankheitsstadium eines Patienten entscheiden.

III. Juristische Grundlagen der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten

Die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten hat in der österreichischen Praxis bisher – sicherlich auch mangels einer entsprechenden Bewußtseinsbildung – keine Rolle gespielt. Deshalb verwundert es nicht, daß sich die juristische Literatur erst in den letzten Jahren diesem Thema zugewandt hat.4

Die Zulässigkeit einer Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten ist zunächst wiederholt mit dem Hinweis auf die körperliche Integrität als höchstpersönliches Rechtsgut verneint worden: Die Disposition über die körperliche Integrität könne keinem anderen überlassen werden, die Einwilligung in die Heilbehandlung sei ein höchstpersönliches Recht und deshalb unübertragbar.5 In der jüngsten Zeit wird diese ablehnende Meinung zunehmend in Zweifel gezogen und die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten als zielgerichtetes Instrument für die Zeit nach dem Verlust der Geschäftsfähigkeit als zulässig erachtet.6 Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung enthält für den Vertretenen nämlich auch die Möglichkeit, eine andere Person zu autorisieren, für ihn verbindliche Regelungen zu treffen. Der Patient will keinesfalls auf eine mögliche Selbstbestimmung verzichten und sich höchstpersönlicher Rechte begeben. Die Bevollmächtigung des Stellvertreters in Gesundheitsangelegenheiten stellt keine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts, sondern vielmehr eine Möglichkeit zur Verwirklichung desselben dar. Mit der Bevollmächtigung will der Patient im vorhinein Einfluß darauf nehmen, wer bei einer unausweichlichen Fremdbestimmung für ihn entscheiden soll.

Auch ist im Sachwalterrecht anerkannt, daß der Betreffende durch die Bevollmächtigung eines Vertreters rechtzeitig für die Besorgung seiner Angelegenheiten7 Vorsorge treffen und damit die Bestellung eines Sachwalters verhindern kann (§ 273 Abs 2 ABGB). Dieses Prinzip der Subsidiarität eröffnet die Möglichkeit, bereits im Vorfeld einer Erkrankung oder des Zustandes der Entscheidungsunfähigkeit die eigenen Angelegenheiten in einer Vorsorgevollmacht zu regeln und eine Vertrauensperson zum Stellvertreter zu küren. Rechtlich ausreichend ist nach § 273 Abs 2 ABGB eine Vollmachtserteilung in „gesundem“ Zustand bei nachfolgendem Verlust der Handlungsfähigkeit des Machtgebers.8 Jede andere Ansicht würde das Prinzip der Subsidiarität der Sachwalterschaft unterlaufen und die staatlich angeordnete Fremdbestimmung über die Selbstverwirklichung des einzelnen stellen.

Jene Autoren, die eine Zulässigkeit der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten bejahen, finden schon heute weitgehend9 die Möglichkeit zur Einsetzung eines Stellvertreters in Gesundheitsangelegenheiten eröffnet. Die Vorsorgevollmacht stellt ja kein eigenes Rechtsinstitut dar; es handelt sich um eine Vollmacht, die bezüglich ihrer Erteilung und ihrer Rechtsfolgen den allgemeinen Regeln des ABGB unterliegt. Da sich eine Vollmacht auch auf nicht vermögensrechtliche Rechtshandlungen beziehen kann, ist die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten bereits geltendes österreichisches Recht. Somit kann der Stellvertreter nach heute wohl überwiegender Lehre im Namen des Patienten Entscheidungen in Gesundheitsangelegenheiten treffen; seine Erklärungen sind für den Arzt in gleichem Maße rechtsverbindlich wie wenn der Patient selbst sie abgegeben hätte.

IV. Einbindung von Vertrauenspersonen in den Entscheidungsprozeß

Im heutigen Krankenhausalltag nimmt die „Vertrauensperson“ eine wichtige Stellung ein. Viele Krankenhauspatienten suchen Unterstützung bei Personen, zu denen sie ein besonderes Vertrauen aufgebaut haben, sie sprechen über ihre Krankheit und die in Aussicht genommenen Therapien und beziehen diese Vertrauenspersonen als Ratgeber in den Meinungsbildungsprozeß ein. Der Bundesgesetzgeber hat dem bereits Rechnung getragen, indem er die „Vertrauensperson“ in § 5a KAG („Patientenrechte“)10 nennt. So sind die Träger von Krankenanstalten durch die Landesgesetzgebung zu verpflichten, daß „auf Wunsch des Pfleglings ihm oder Vertrauenspersonen medizinische Informationen durch einen zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Arzt in möglichst verständlicher und schonungsvoller Art gegeben werden“ (Z 3), daß „ausreichende Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten mit der Außenwelt bestehen und Vertrauenspersonen des Pfleglings im Fall einer nachhaltigen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auch außerhalb der Besuchszeiten Kontakt mit dem Pflegling aufnehmen können“ (Z 4), und daß „ein würdevolles Sterben sichergestellt ist und Vertrauenspersonen Kontakt mit dem Sterbenden pflegen können“ (Z 9).

Den Angehörigen des Patienten oder anderen Vertrauenspersonen steht jedoch prinzipiell kein Entscheidungsrecht zu, auch wenn der Patient selbst nicht mehr zur Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts fähig ist. Nur durch eine Bevollmächtigung kann der Vollmachtgeber seine Angehörigen oder andere Vertrauenspersonen in einen späteren Entscheidungsprozeß einbinden, ihnen einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Auskunftserteilung und die freie Entscheidungsbefugnis einräumen.

Der (spätere) Patient kann jede geschäftsfähige Person mit der Wahrnehmung seiner Gesundheitsangelegenheiten betrauen. Die Stellvertretung stärkt aber nur dann die Selbstbestimmung des Betroffenen, wenn bei der Auswahl des Vertreters einige wichtige Kriterien beachtet werden: Die Grundlage für die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten ist das (idR schon über einen längeren Zeitraum bestehende) Vertrauensverhältnis zwischen dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten. Als Vertreter darf sinnvollerweise nur eine Person gewählt werden, die den Vollmachtgeber, seine Lebensgeschichte, seine persönlichen Vorstellungen und konkreten Wünsche gut kennt und ihn deshalb entsprechend vertreten kann. Der Vertreter wird in aller Regel vom Patienten zu einem früheren Zeitpunkt genaue Instruktionen erhalten haben oder aus den gemeinsamen Gesprächen von diesen Vorstellungen wissen; nur das fortgesetzte Gespräch wird es dem Stellvertreter ermöglichen, den Willen des nunmehr Entscheidungsunfähigen zu repräsentieren. Der Stellvertreter sollte sich ferner in die Situation des Vertretenen einfühlen können, was ein gewisses Maß an Lebenserfahrung verlangt. Schließlich muß die Vertrauensperson die Fähigkeit besitzen, engagiert und couragiert den Willen des Machtgebers gegenüber dem Arzt, dem Pflegepersonal und gegebenenfalls gegenüber dem Gericht oder einem Sachwalter zu vertreten.

Die Vollmacht bedeutet ein rechtliches Können. Sie wirkt im Außenverhältnis, dh im Verhältnis zum Dritten, dem gegenüber der Vertretungsakt gesetzt wird; im Fall der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten ist dies der behandelnde Arzt. Sie begründet jedoch keine Verpflichtung zum Handeln. Deshalb genügt zur Bevollmächtigung die einseitige Willenserklärung des Machtgebers; eine Zustimmung des Bevollmächtigten ist nicht notwendig. In der Praxis wird aber das Bestellen einer Vorsorgevollmacht für sich nicht ausreichen. Die Vertrauensperson muß vom Vollmachtgeber über dessen Vorhaben informiert werden und die Übernahme der Vertretung akzeptieren. Dieser zwischen dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten geschlossene Auftragsvertrag begründet die Verpflichtung des Stellvertreters zum Tätigwerden; erst aus diesem Auftragsverhältnis heraus darf die Wahrnehmung der Stellvertretung erwartet werden. Darüber hinaus können im Rahmen dieses Auftragsverhältnisses Weisungen für die künftige Besorgung der Angelegenheiten (etwa die Art der Betreuung, Pflege, Behandlung etc) erteilt und derart die Vertretung gestaltet werden.

V. Aufgaben des Stellvertreters in Gesundheitsangelegenheiten

Die „gewillkürte Stellvertretung“ beruht auf dem Willen des Machtgebers. Deshalb bestimmen sich Inhalt und Umfang der Befugnisse sowie die Handlungsfreiheit des Stellvertreters nach dem Grundsatz der Privatautonomie. Die inhaltliche Ausgestaltung der Vollmacht obliegt dem Vollmachtgeber; der Patient kann die Vollmacht mehr oder weniger ausgestalten. Es ist allein Sache des Betroffenen, wieviel Rechtsmacht er seinem Bevollmächtigten einräumen will, ob er den Bevollmächtigten im Innenverhältnis durch Weisungen, wie oder nach welchen Kriterien dieser in bestimmten Situationen entscheiden soll, binden oder ob er ihn anderweitigen Beschränkungen unterwerfen will.

Der Stellvertreter ist immer mit einer konkreten Behandlungssituation konfrontiert. Er kann der Komplexität von Krankheitsgegebenheiten und Therapiemöglichkeiten Rechnung tragen und in Wahrnehmung der Interessen des Vertretenen flexibel auf unvorhergesehene Situationen reagieren. Der Stellvertreter kann genau das tun, was der Patient täte, wenn er in der Lage wäre, selbst zu handeln. Wesentlich ist, daß der Stellvertreter nach entsprechender Aufklärung durch den behandelnden Arzt agiert. Die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten steht unter dem Gebot der Zusammenarbeit von Arzt und Stellvertreter; der Bevollmächtigte kann und muß anstelle des einsichtsunfähigen Patienten mit dem Arzt kooperieren.

VI. Vorteile der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten

Es liegt in der freien Entscheidung eines jeden Menschen, ob er sich der Personensorge eines Sachwalters oder den Überlegungen eines Arztes anvertraut oder ob er eine Person bevollmächtigen und damit andernfalls eingreifende Mechanismen ausschalten will. Schon die Überlegung, wer im Fall der eigenen Urteilsunfähigkeit Behandlungsentscheidungen treffen soll, ist in höchstem Maße von der Persönlichkeit des Patienten abhängig. Der Patient, der einen Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten mit seiner Vertretung betraut hat, will sich darauf verlassen können, daß er nicht zum „hilflosen Opfer“ der Entscheidungsfindung anderer – sei es durch einen Sachwalter oder durch den Arzt – wird.

Der „gewillkürte Stellvertreter“ wird zumeist besser als ein von staatlicher Seite zu bestellender Sachwalter befähigt sein, die Persönlichkeit des Kranken zu repräsentieren, die Vorstellungen des Patienten darzulegen und seine Wünsche zu formulieren. Bei einem gerichtlich bestellten Vertreter kann nur erhofft oder vermutet werden, daß dieser das Vertrauen des Betreuten besitzt, wogegen bei einem „gewillkürten Vertreter“ in Gesundheitsangelegenheiten davon ausgegangen werden kann, ja davon ausgegangen werden muß, daß sich der Patient für eine Person entschieden hat, zu der er einen sehr guten Kontakt gehabt hat und die er für kompetent erachtet, der ihr übertragenen Aufgabe in seinem Sinne gerecht zu werden – kurz gesagt: die sein uneingeschränktes Vertrauen genießt. Mit der Benennung eines Vertreters in Gesundheitsangelegenheiten hat es der Patient auch in der Hand, bestimmte Personen – aus welchen Gründen auch immer – vom Entscheidungsprozeß auszuschließen, in den sie vielleicht durch eine gerichtliche Bestellung zum Sachwalter oder im Rahmen der Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens eingebunden würden.

Für alte und/oder kranke Menschen wird es grundsätzlich leichter sein, eine selbstgewählte Vertrauensperson als Vertreter zu akzeptieren als sich der staatlichen Fürsorge in der Person eines Sachwalters zu unterwerfen. Schon die Bestellung eines Sachwalters und die Befragung durch einen Fremden mögen dem alternden Menschen, dem das fortschreitende Nachlassen seiner geistigen Fähigkeiten oft über lange Phasen schmerzlich bewußt ist, vielfach als stärkere Einmischung in seine „höchstpersönlichen Angelegenheiten“ erscheinen als etwa die Zustimmung seiner Vertrauensperson zur Notwendigkeit von Bettgitter und Sitzgurt.11

Bei der Einsetzung einer Vertrauensperson als Stellvertreter kann der Patient sicher sein, daß seine persönlichen Vorstellungen in der Entscheidungssituation berücksichtigt und nicht durch die Überlegungen außenstehender Dritter ersetzt werden. Durch die Stellvertretung werden die Ängste und Sorgen eines Patienten, daß gegen seine Vorstellungen zuviel oder zuwenig getan wird, verringert. Er weiß, daß sein Wille über den Verlust seiner natürlichen Einsichtsfähigkeit hinaus beachtet wird. Dieses Wissen, auf die Therapie doch noch Einfluß zu haben, wenn man ganz ausgeliefert erscheint, kann emotional entlastend wirken.

Durch die Bevollmächtigung eines Stellvertreters kann zudem sichergestellt werden, daß die Wünsche des Patienten nicht nur gehört werden, sondern daß eine Person bereitsteht, die notfalls diese Wünsche durchsetzen kann. Der Stellvertreter wird darauf achten, daß Ärzte oder Familienmitglieder nicht die persönlichen Vorstellungen und Wünsche des Patienten übergehen. Mit dem Stellvertreter „ist während des gesamten Ablaufs der medizinischen Fürsorge als Stimme des Patienten zu rechnen“12.

VII. Risiken der Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten

In der Diskussion um die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten nehmen Überlegungen zu möglichen Risiken eine zentrale Stellung ein.13 Oftmals wurde der Einwand erhoben, es bestehe bei einer Entscheidungsfindung durch einen Stellvertreter immer die Gefahr, daß sich dieser irrt und dann gerade nicht dem Willen des Patienten entsprechend handelt. Die Wünsche und Vorstellungen des Patienten können sich im Lauf der Zeit ändern, ohne daß dies dem Vertreter bekannt wird, sodaß dieser in der aktuellen Situation u.U. eine Entscheidung trifft, die nicht mehr dem gegenwärtigen Willen des Patienten entspricht. Dieser Einwand überzeugt nicht: Ein derartiger Irrtum kann mit gleicher oder sogar noch größerer Wahrscheinlichkeit einem Sachwalter oder dem Arzt bei der Erforschung des mutmaßlichen Patientenwillens unterlaufen.

Ein mögliches Risiko ist die persönliche Inkompetenz des Stellvertreters, die nicht vorherzusehen war. Es kann im Einzelfall auch das einstmals gute Verhältnis gestört worden oder gar zerbrochen sein, ohne daß der Patient die Konsequenz hieraus gezogen und die Vollmacht widerrufen hätte. Es sind auch Situationen denkbar, in denen unlautere Motive in die Entscheidung des Stellvertreters einfließen. All diesen Befürchtungen ist entgegenzuhalten, daß die Wahrscheinlichkeit, sich in einem Menschen zu täuschen, dem man eine derartig wichtige Aufgabe anvertraut, gering sein dürfte. Ob der Vertreter des ihm entgegengebrachten Vertrauens würdig ist, wird der Vollmachtgeber im Vorfeld der Bevollmächtigung abgeklärt haben. Darüber hinaus scheint die Gefahr eines Mißbrauchs durch einen „gewillkürten Stellvertreter“ in Gesundheitsangelegenheiten jedenfalls nicht größer als bei einem gerichtlich bestellten Sachwalter.

Risiken sind letztlich nie ganz auszuschließen. Sie können aber dadurch vermindert werden, daß der Patient im Auftragsverhältnis bzw. in seiner Vollmacht die grobe Richtung der erwarteten Entscheidung als Hilfe für den Stellvertreter und für den behandelnden Arzt vorgibt.

Darüber hinaus kann sich ein Vollmachtgeber im Rahmen der Privatautonomie gegen eine inkompetente oder mißbräuchliche Ausübung der Vollmacht absichern, indem er mehrere Personen zu Gesamtvertretern macht. Der Vollmachtgeber wird etwa für schwerwiegende Entscheidungen (wie zB jene über einen Behandlungsabbruch) Kollektivvertretung durch zwei (oder mehrere) Bevollmächtigte anordnen, deren Vertretungsakte nur dann wirksam sind, wenn sie diese Akte zusammen setzen.

Schließlich eröffnet bereits das geltende Recht mit der Einsetzung eines Sachwalters eine wirksame Möglichkeit der Mißbrauchsabwehr. Sollten im Einzelfall Anhaltspunkte für unsinnige oder gar schädliche Entscheidungen des Vertreters bestehen, kann diesen dadurch begegnet werden, daß vom Gericht aufgrund einer Mitteilung des Arztes ein Sachwalter nach § 273 ABGB für den Patienten bestellt wird, der die Vollmacht des Stellvertreters kündigen kann und der sodann aus seiner Pflicht zur Personensorge heraus die nötigen Entscheidungen in Gesundheitsangelegenheiten zu treffen hat.

VIII. Juristische Entlastung des Arztes

Die Zusammenarbeit von Arzt und Stellvertreter einerseits und die Bindungswirkung der aufgeklärten und verstandenen Stellvertreterentscheidung andererseits machen die Stellvertretung zu einem wirksamen Weg, den Arzt bei seinem Handeln auch juristisch zu entlasten. Der Arzt ist nicht auf die sich möglicherweise sogar widersprechenden Angaben von Angehörigen angewiesen, er muß nicht rätseln, was sein Patient für eine Behandlung gewünscht hätte. Die stellvertretend erklärte Einwilligung bzw. Verweigerung hat dieselbe Wertigkeit wie eine vom Patienten selbst abgegebene Erklärung. Die Zustimmung bzw. Behandlungsverweigerung des Stellvertreters, der im Namen des bewußtlosen Patienten auftritt, sichert den behandelnden Arzt in bezug auf seine haftungsrechtliche Verantwortung weitestgehend ab. Der Arzt ist nicht dem Vorwurf der eigenmächtigen Heilbehandlung oder bei Entscheidungen im Bereich von Leben und Tod dem Vorwurf der schuldhaften Tötung und möglichen Schadenersatzansprüchen ausgesetzt.14

IX. Gestaltung des Arzt-Patient-Verhältnisses

Im Fall einer unausweichlichen Fremdbestimmung erscheint es sinnvoll, eine Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten zu ermöglichen und zu fördern. Die „gewillkürte Stellvertretung“ ist die selbstbestimmte Einsetzung eines Vertreters15 , sie kommt deshalb dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten unzweifelhaft mehr entgegen als jede andere Lösung (Berufung auf ein stellvertretungsfeindliches Persönlichkeitsrecht, das in der Praxis zu einer Verstärkung der Fremdbestimmung führt) bzw Konstruktion (Sachwalter, Entscheidung durch das Gericht). Die „gewillkürte Stellvertretung ist der Selbstbestimmung des Patienten nahe“16.

Die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten bringt auf der einen Seite eine Stärkung der Patientenautonomie, auf der anderen Seite klärt sie die heute oftmals gestellte Frage nach der Haftung des Arztes. Sie ist damit ein wichtiges Mittel zur Gestaltung und Verbesserung der späteren Arzt-Patient-Beziehung.

Referenzen

  1. Die Schriftlichkeit sowie die Beiziehung eines Notars oder von Zeugen sind nicht zwingend vorgeschrieben, in der Praxis aber von großer Wichtigkeit, da der Arzt, der auf die Richtigkeit der Vollmacht vertrauen soll, einer Absicherung bedarf.
  2. Zum Fall der Operationserweiterung vgl LG Göttingen VersR 1990, 1401.
  3. Die Vollmachtserteilung kann etwa im Zuge eines bereits einsetzenden geistigen Verfalls, angesichts des drohenden Verlustes der Geschäftsfähigkeit, erfolgen; sie kann aber auch ohne eine konkrete Befürchtung für den Fall vorgenommen werden, daß es zu einem späteren Zeitpunkt zum Verlust der Geschäftsfähigkeit kommen sollte.
  4. Maleczky, Unvernünftige Verweigerung der Einwilligung in die Heilbehandlung, ÖJZ 1994, 681 (682); Kopetzki, Unterbringungsrecht II (1995) 850 f; Bernat, Behandlungsabbruch und (mutmaßlicher) Patientenwille, RdM 1995, 51 (60 f); Bernat/Koch/Meisel, Das „Patiententestament“ und der „Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten“, JRE 4 (1996) 445 (460 f); Kopetzki, Grundriß des Unterbringungsrechts (1997) Rz 663; Schauer, „Vorsorgevollmacht“ für das österreichische Recht? RiZ 1998, 100 (105 f); Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe (1998) 456 ff; Kerschner, Arzthaftung bei Patientenverfügungen, RdM 1998, 131 (133); Memmer, „Patiententestament“ und „Stellvertreter in Gesundheitsangelegenheiten“, in Kopetzki (Hrsg), Das Patiententestament (in Druck).
  5. Edlbacher, Körperliche, besonders ärztliche Eingriffe an Minderjährigen aus zivilrechtlicher Sicht, ÖJZ 1982, 365 (368 f); Maleczky, ÖJZ 1994, 682; Resch, Die Einwilligung des Geschädigten (1997) 107, 140.
  6. Kopetzki, Unterbringungsrecht II 850 f; Bernat/Koch/Meisel, JRE 1996, 460 f; Kopetzki, Grundriß Rz 633; Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe 456 f; Kerschner, RdM 1998, 133; Memmer in Kopetzki (Hrsg), Das Patiententestament (in Druck); vorsichtig bejahend Schauer, RiZ 1998, 105. Zur Diskussion und zum umfangreichen juristischen Schrifttum in Deutschland (mit weiteren Nachweisen): Uhlenbruck, Vorab-Einwilligung und Stellvertretung bei der Einwilligung in einen Heileingriff, MedR 1992, 134 (138 f); Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament im neuen Betreuungsrecht (1994); Uhlenbruck, Die Altersvorsorge-Vollmacht als Alternative zum Patiententestament und zur Betreuungsverfügung, NJW 1996, 1583; ders, Selbstbestimmtes Sterben durch Patienten-Testament, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung (1997) 326 ff; Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten im Vorfeld einer medizinischen Behandlung (1997); Eisenbart, Die Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, MedR 1997, 305; dies, Patienten-Testament und Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten (1998).
  7. Zu diesen „Angelegenheiten“ zählen im Rahmen der Fürsorge für die eigene Person auch ärztliche Heilbehandlungen und operative Eingriffe. Vgl Pichler in Rummel, ABGB I2 Rz 2 zu § 273; Maleczky, ÖJZ 1994, 684 f; Schlemmer in Schwimann, ABGB I2 Rz 3 zu § 273.
  8. Vgl nur Schauer, RiZ 1998, 102 f (mit Nachweisen).
  9. Bei iSd UbG untergebrachten Patienten ist kein Raum für eine “gewillkürte Stellvertretung”; nach § 36 Abs 2 UbG kommt nur dem gesetzlichen Vertreter oder dem Erziehungsberechtigten eine Entscheidungsbefugnis in Behandlungsfragen zu. S Kopetzki, Unterbringungsrecht II 851, und ders, Grundriß Rz 663.
  10. Eingeführt durch KAG-Novelle 1993 (BGBl 1993/801).
  11. Vgl Eisenbart, MedR 1997, 308 und 310.
  12. Füllmich, Der Tod im Krankenhaus und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten (1990) 92 f.
  13. Vgl Röver, Einflußmöglichkeiten des Patienten 173 f; Eisenbart, MedR 1997, 306; dies, Patienten-Testament und Stellvertretung 208 ff; Memmer in Kopetzki (Hrsg), Das Patiententestament (in Druck).
  14. Zum strafrechtlichen und zivilrechtlichen Risiko vgl Kerschner, RdM 1998, 131 f.
  15. Vgl Kerschner, RdM 1998, 133: „Selbstbestimmung eines Sachwalters in Gesundheitsfragen“.
  16. Kneihs, Grundrechte und Sterbehilfe, 458.

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Michael Memmer
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