Wie gelangen wir zur Vernunft? Im Anschluss an die Regensburger Rede

Imago Hominis (2009); 16: 328-332
Wilhelm Donner

Die Regensburger Vorlesung des Papstes vom 12. September 2006 löste nicht nur einen weltweiten Entrüstungssturm aus, sie zog auch ein neues Nachdenken über die Gewalt der Religion und das Gewalttätige in ihr nach sich. Wie ist es heute um den Religionsfrieden in der Welt bestellt, und in welcher Weise muss die Vernunft auf ihre Tragfähigkeit neu untersucht werden?

Ein Stellung nehmendes Buch1 soll hier vorgestellt werden, das den Wunsch nach Religionsfrieden zum Gegenstand hat. Thema sind aktuelle Fragen aus der Sphäre des Glaubens, dem Feld der Vernunft und dem Schauplatz religiös motivierter Gewalt.

Die Autoren greifen die vatikanische Einladung auf, sich der Vernunft mit neuem Mut zu öffnen bzw. sich rückhaltlos auf sie einzulassen. Dies sind Wael Farouq, Arabisch-Professor an der amerikanischen Universität und Islamwissenschaftler an der Koptisch-Theologischen Fakultät in Kairo, der französische Philosoph André Glucksmann, der Rektor der Jerusalemer Universität und palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh, der deutsche Philosoph Robert Spaemann und Joseph Weiler, Professor für Völker- und Europarecht an der New York University School of Law.

Der Prolog von Regensburg

Benedikt XVI. reiste 2006 nach München, Altötting und Regensburg. Die Rede an der Regensburger Universität sowie die Predigten in München und dem Islinger Feld bei Regensburg sind im Band vorangestellt und vom Anspruch getragen, den rechten Gebrauch der Vernunft heute wieder zur Geltung zu bringen.

Die Arbeit an einer Vernunft, die den Glauben der vielen Bekenntnisse einschließt ebenso wie den Unglauben aller Spielarten, d. h. keinen Ausschluss aus dem Vernunftdisput betreibt, ist von gleicher Dringlichkeit. Damit ist nicht der allerseits praktizierte Dialog der Religionen auf der Ebene der Diplomatie gemeint, der für die Alltagswirklichkeit des religiösen Nebeneinanders nicht einmal ein Placebo abgibt, sondern vielmehr das Ringen um eine vernünftige Form der Koexistenz in der Lebenswelt.

Hier soll nicht auf das umstrittene, vielfach kommentierte Zitat des byzantinischen Kaisers Manuel II. eingegangen werden, das wurde offenbar aus dem intendierten Zusammenhang gerissen. Benedikt XVI. zitierte dazu den Islamologen R. Arnaldez, der darauf hinweist, dass in islamischen Strömungen Gott selbst durch sein Wort nicht verpflichtet sei, uns die Wahrheit zu offenbaren. Dies korrespondiert mit manichäistischen Tendenzen spätmittelalterlicher Theologie in Europa (z. B. Duns Scotus), wonach wir von Gott nur die Voluntas ordinata, also den in der Offenbarung erklärten Willen kennen.

Die Frage, ob es nur griechisch sei zu glauben, dass vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider sei, oder ob das immer und in sich selbst gelte, geht seither wieder in vielen Debatten um. Der Papst zitiert dazu den Prolog zur Genesis im Johannes-Evangelium: „Im Anfang war der Logos, und der Logos ist Gott“. Das Zusammentreffen biblischer Botschaft und griechischen Denkens war kein Zufall.

Die griechische Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen – die Septuaginta – gilt denn auch heute als selbständiger Text der Offenbarung. Für Benedikt XVI. ist dieses innere aufeinander Zugehen zwischen Christen- und Griechentum nicht nur von religions-, sondern von weltgeschichtlicher Bedeutung. Sein erster Schluss: Das Christentum hat trotz seines Ursprungs im Orient seine entscheidende Prägung in Europa gefunden. Umgekehrt: Die Begegnung hat mit dem hinzutretenden Erbe Roms die Grundlagen Europas geschaffen und ist Europa.

„Enthellenisierung“ als Angriff auf die christliche Vernunft

Der Papst streift die drei historischen „Enthellenisierungsprogramme“ Europas. Zuerst die Reformation im 16. Jh., als die Sola Scriptura gegen die philosophische Systematisierung des Glaubens in Stellung gebracht wurde. Glaube sollte von Metaphysik befreit werden, damit er wieder ganz selber sein könne. Kant vertiefte dieses Programm, indem er das Denken darin bei Seite schuf und den Glauben ausschließlich in der praktischen Vernunft verankerte.

Die liberale Theologie des 19. und 20. Jh. brachte die zweite Welle des Programms, die mit dem Namen Adolf von Harnack verbunden ist. Das Neue dieser zweiten Welle war die Reduktion bzw. Rückkehr zum Menschen Jesu und seiner Botschaft, die den Hellenisierungen vorausliege. Die einfache Botschaft stelle die wirkliche Höhe der religiösen Entwicklung der Menschheit dar. Jesus habe den Kult zugunsten der Moral abgeschafft. Er wird als Vater der menschenfreundlichen Moral dargestellt.

Das Christentum sollte mit moderner Vernunft in Einklang gebracht werden, indem man den Glauben an die Gottheit Christi und die Trinität unter den Tisch fallen ließ. Die historisch-kritische Auslegung des NT wurde wieder in den universitären Kosmos eingeordnet. Theologie ist für Harnack historisch und streng wissenschaftlich. Deren Ergebnisse sind nur Ausdruck praktischer Vernunft und so im Ganzen der Universität vertretbar.

Im Hintergrund steht die neuzeitliche Selbstbeschränkung der Vernunft, wie sie bei Kant ihren klassischen Ausdruck gefunden hat, nun aber von der Naturwissenschaft weiter radikalisiert wurde.

Auf der einen Seite wird die innere, rationale Struktur der Materie vorausgesetzt, um zu ihrem Verständnis zu gelangen, was gewissermaßen das platonische Element im modernen Naturverständnis bildet. Auf der anderen Seite geht es um die Nutzung der Natur für unsere Zwecke, wobei experimentelle Verifizierung und Falsifizierung erst die entscheidende Gewissheit liefern. So hat sich z.B. ein naturwissenschaftlicher Positivist wie der französische Biochemiker Jacques Monod selbst als einen überzeugten Platoniker bezeichnet.

Die Verkürzung des Radius von Wissenschaft und Vernunft hat nach Benedikt XVI. zur Folge, dass der Mensch verkürzt wird. Fragen wie nach dem Woher und Wohin, Fragen der Religion und des Ethos können so nicht mehr in der wissenschaftlichen Vernunft Platz finden und werden ins Subjektive ausgelagert. Was an ethischen Versuchen von Psychologie und Soziologie bleibt, reicht da nicht mehr aus.

Und so entscheidet das Subjekt ganz allein auf sich gestellt, was ihm religiös tragbar erscheint. Das subjektive Gewissen wird zur einzigen ethischen Instanz. Ethos und Religion verlieren ihre gemeinschaftsbildende Kraft und fallen der Beliebigkeit anheim. Man kann deren Ergebnisse an den bedrohlichen Pathologien der Religion und Vernunft, wie sie uns entgegentreten, studieren.

Schließlich die dritte, gegenwärtig umgehende Enthellenisierungswelle: Sie hat m. E. ihren denkerischen Ursprung in der breit formulierten Kritik am Eurozentrismus und ist aus der vergleichenden Kulturwissenschaft bzw. der Ethnologie zu verstehen.

Angesichts der uns umgebenden „Multikulturalität“ wird heute argumentiert, die Synthese von Griechentum und Kirche sei die erste Inkulturation des Christlichen gewesen, auf die man andere Kulturen nicht festlegen dürfe. Ihr Recht müsse es sein, hinter diese Inkulturation auf die einfache Botschaft des Neuen Testaments zurückzugehen, um sich neu inkulturieren zu können.

Für dieses Argument zeigt Benedikt XVI. ein gewisses Verständnis, aber in der Sache widerspricht er entschieden. Das Neue Testament trage in sich selber die Berührung mit dem griechischen Geist, die in der vorangegangenen Entwicklung des Alten Testaments gereift war. Die Grundentscheidungen im Zusammenhang des Glaubens und des Suchens der menschlichen Vernunft sind Teil dieses Glaubens und gehören zu seiner Entfaltung.

Es gilt, die Vernunft als ein im Westen wiederzuentdeckendes „Gut“ zu begreifen und weniger als ein „Vermögen“ des aufklärerischen Geistes darzustellen, wie es die Autoren des Bandes zweifellos versuchen.

Farouq spürt den Wurzeln der Vernunft in vor-islamischer Zeit nach und wird bei den Nomaden und deren Dichtern fündig. Der Grund seines forschenden Eintauchens in die Frühgeschichte arabischer Nomadenstämme liegt darin, dass er viele Buchtitel islamischer Autoren kennt, in denen eine Vernunftsehnsucht zum Ausdruck kommt.

Voraussetzungen der vorislamischen Vernunft

All diese Arbeiten weisen auf eine Krise der heutigen arabischen Vernunft hin und reagieren auf ein breites Bedürfnis nach Rationalität.2 Die innere Widersprüchlichkeit dieser Sehnsucht beruht auf der Tatsache, dass die Moderne praktiziert und gelebt wird, ob wir wollen oder nicht.

Im modernen arabischen Bewusstsein spiegelt sich eine tiefe Zerrissenheit: Die Traditionalisten wollen die Epoche der Propheten wiederbeleben und mit der Moderne brechen, obwohl sie sie praktizieren. Oder sie folgen dem auch in Südeuropa verbreiteten averroistischen Rationalismus, während die Modernisten sich mit der Gegenwart identifizieren und soweit gehen, Tradition und historischen Kontext als Hindernisse auf dem Fortschrittsweg zu betrachten.

Die Krise der arabischen Vernunft besteht nach Farouq darin, dass es keine gelebte Harmonie zwischen Zeit und Raum gibt. Der Fundamentalist lebt im „Hier“, doch ein „Jetzt“ ist ihm fremd. Die Kämpfer für die Moderne aber leben ein „Jetzt“ und sind Fremde im „Hier“, von dem aus sie emigrieren könnten, wo sie sich zugehörig fühlen.

Die Perser und aus damaliger Sicht der Rest der Welt definierten Zivilisation mit Kenntnissen in Städtebau, Wissenschaft, Medizin, Mathematik, Kunsthandwerk und Organisation. Gesellschaften wurden aber nicht nur in Persien durch Religion gelenkt und von Königen verwaltet. Auch in Europa waren die Völker, ob Goten, Franken oder Merowinger durch das gemeinsame Dach des Christentums verbunden.

Die Stammeskultur der Araber aber war aggressiv und gastfreundlich zugleich. Die Wurzeln arabischer Vernunft liegen in Sprache und Poesie. Daher ist ihr Verhältnis von Sprache und Vernunft einzigartig im Vergleich zu anderen Kulturen. Sprache wird dort weniger als Werkzeug empfunden, um zum Ausdruck zu bringen, was von der Vernunft gegeben ist, sondern Vernunft wird instrumentalisiert, um zu bewahren, was in der Sprache existiert. Die Vernunft ist nur gespeicherte Erfahrung und führt gleichsam ein Verzeichnis, das die Wortphonetik und die Dichtung festhält.

Im Wörterbuch der arabischen Tradition von Ibn Manzur (14. Jh.) wird die Vernunft definiert: „Wenn ein Mann vernünftig ist, vereint er Scharfblick und Tatkraft in sich.“ Das Bekannte ist, was man im Herzen festhält, und dies entspricht der Vernunft im Sinne von Vernünftigkeit. Wie noch ausgeführt werden wird, verhält es sich in der griechischen Tradition genau umgekehrt.

Über vorislamische Nomadenkultur wird im Band deshalb sehr ausführlich berichtet, weil so selten im Konflikt zwischen Islam und dem Rest der Welt die sprachlichen, vorreligiösen Voraussetzungen dieser Kultur mitgedacht werden, obgleich ständig von islamischer Kultur gesprochen wird.

Dem Leben in der Zeit steht im Arabischen der Tod in der Zeit gegenüber. Daher trägt jedes arabische Wort für „Zeit“ auch den Aspekt von Tod und Untergang in sich. Die westliche Kultur denkt „Zeit“ dagegen objektiv messbar, wir sprechen mitunter von der Zeitmaschine, die den individuellen Tod nur arbiträr in Form von Zeit- und Sterbetafeln registriert. Die Zeit bildet in der abendländischen Wissenschaft eine Einheit mit dem Raum und wird so zu einer relativen Größe.

André Glucksmanns Warnung vor Nihilismus

Bei André Glucksmann nimmt die Frage des Nihilismus, die im bisherigen Werk eine hohe Stellung innehält, auch hier prioritäre Bedeutung ein: Vorauszusetzen ist, dass er vorbehaltlos hinter dem Inhalt der Regensburger Rede steht und den Faden von Johannes Paul II. aufgreift, indem er dessen Aufruf „Habt keine Angst!“ aus seiner Enzyklika „Fides et Ratio“ voranstellt, wonach das nötige aufeinander Zugehen zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen kompromisslos weiter zu verfolgen ist.

Und nun das Beispiel für das pure Gegenteil von islamischer Praxis: In Athen konnte jemand, der nicht sagte, was er dachte, gesetzlich belangt werden. Und so hat die westliche Zivilisation die sokratische Regel, alles von allen frei hinterfragen zu lassen, nie übertreten, ohne schweren Schaden davon zu tragen. Doch auch diese Regel hatte – wie wir wissen – ihren Preis: Sokrates wurde zum Tod verurteilt.

Nach Glucksmann beruht das Unglück in der jüngeren europäischen Geschichte v. a. auf einem zweifachen Fehlverhalten: dass man im Namen Gottes tötete und dass man dabei die Augen verschloss.

Derselbe Nihilismus wütet im 21. Jahrhundert weiter. Glaube und Vernunft miteinander zu verknüpfen, stellt sich als Notwendigkeit mehr denn je. Der Autor weist darauf hin, dass Kant die Frage der religiösen Intoleranz in dieselben Worte fasst wie Manuel II. Er zitiert aus der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“3, wonach die göttliche Auffassung Gewissheit hat, einem Menschen seines Glaubens wegen zu töten, unrecht sei.

Wer im Namen Gottes tötet, glaubt an Gott oder er glaubt nicht. Wenn er glaubt, wird er zum Vorkämpfer einer willkürlichen, irrationalen Macht. Er verwechselt Gott mit Typhon, dem furchterregenden Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, und erlaubt sich in weiterer Folge alles. Wenn er nicht an Gott glaubt, tötet er die Vernunft in sich selbst und macht sich zu einem Typhon, der sich keine Grenzen setzt.

Benedikts Bezug auf den griechischen Logos schließt zwei zu kurz greifende Auffassungen aus: Einerseits geht es nicht darum, einer bloß wissenschaftlichen Vernunft zu huldigen. Die für das 20. Jh. typische Kontroverse zwischen Szientismus und Fideismus ist überwunden. Andererseits kann der Common sense des gesunden Menschenverstandes einer jeden Kultur nicht genügen.

Der griechische Logos wird als die Fähigkeit definiert, etwas über etwas auszusagen. Es geht um das Sagen im eigentlichen Sinn, das imstande ist, die Wahrhaftigkeit dessen, wovon es spricht, in Frage zu stellen und worin es sich als behauptendes Wort – eben als logos apophantikos – als Wahrheitsprinzip erweist.

Nicht jede Rede (logos) ist apophantisch, sondern nur die, in der das Wahre und das Falsche wohnen, was nicht immer der Fall ist. So ist das Gebet (euké) bei Aristoteles eine Rede, aber weder wahr noch falsch.4 In moderner Diktion würde man das Gebet vielleicht „performativ“ nennen, da es nichts feststellt. Aber die Vernunft kann sich nur bei feststellenden Aussagen einschalten und dabei versuchen, Wahres und Falsches zu entwirren.

Der Nihilismus als die Verneinung der Humanität des Menschen und seiner Identität5 fügt sowohl der Vernunft als auch dem Glauben eine schwere Erschütterung zu. Heute erwächst die Gefahr nicht sosehr aus einer omnipotenten Vernunft, sondern aus einer Vernunft, die sich für schwach hält und auf ein Begreifen der rauen Wirklichkeiten, sei es aus Angst vor der Zukunft oder aus einer selbstbezüglichen Gegenwartsversessenheit, verzichtet.

Die Vernunft sündigt nicht aus Überheblichkeit, sondern aus einer sich selbst vernichtenden Entsagung, wodurch unter den Postmodernen ein Hass gegen das Denken schlechthin ausgesät wird. Vor einer solchen „Misologie“ (Hass der Vernunft) hatte schon Sokrates gewarnt,6 auf den sich Benedikt XVI. in genau diesem Sinne am Ende seiner Regensburger Vorlesung beruft. Die Euthanasie der Vernunft kann dem Glauben keinerlei Nutzen bringen, wie Benedikt betont.

André Glucksmann erinnert an Charles Baudelaire, der seine Zeitgenossen lehrte, dass die letzte List, zu der der Teufel greift, die Behauptung ist, dass er nicht existiert. Und eine Vernunft, die es sich versagt auszusagen, versagt sich auch das Recht der Anklage und kapituliert so vor der Willkür.

In der ausklingenden Postmoderne des 21. Jh. gedeiht der Nihilismus wie selten zuvor und verkündet nicht nur die Relativität der Werte, sondern noch radikaler, die Relativität des Bösen. Dabei hätte es die apophantische Vernunft in sich, solche Gefahren zu verachten und – wie uns Aristoteles lehrt7 – in der Folge zu zerstäuben.

Synthesis

Diese zwei unterschiedlichen Denkreflexe auf die Regensburger Rede wurden nicht zuletzt deshalb herausgehoben, weil sie ihren jeweils eigenen persönlichen und kulturellen Hintergrund verteidigen sowie den Meinungsstreit mit friedensstiftenden Mitteln – der Logik der Worte – nicht scheuen.

Nusseibeh, Spaemann und Weiler nehmen vielmehr eine Position des „Dazwischen“ und der Vermittlung ein, sodass sie eher einer gesonderten Darstellung bedürfen. Dies deshalb, weil bei ihnen prima facie weniger plastisch – im Endeffekt jedoch nicht weniger – die Versöhnung wollende Gesamtintention der Herausgeber zum Durchbruch kommt.

Sari Nusseibeh räsoniert als Palästinenser zwischen den Welten und vergisst nicht, der Regensburger Rede kritische Ratschläge – v. a. taktischer und rhetorischer Art – anzufügen, dies jedoch von großem Respekt gegenüber der westlichen Philosophie und dem Papst getragen.

Robert Spaemann lenkt sein Augenmerk auf philosophische Fragen der Gottes- und Vernunfterkenntnis im Westen. Er geht auf antigriechische Affekte der europäischen Tradition ein, kritisiert die Selbstabdankung der Vernunft wie den Fideismus mit ähnlichen Argumenten wie Glucksmann und beharrt auf der Glaubensdifferenz zwischen den Religionen.

Joseph Weiler denkt als Völkerrechtler und gläubiger Jude in New York und erteilt der EU eine ordentliche Lektion bei ihrer „Selbstvergewisserung“, indem er die Selbstvergessenheit kontinentaler Eliten anprangert, wenn diese nervös delirierend auf die Forderung nach dem Gottesbezug in der europäischen Verfassung reagieren.

Der Herausgeber verfolgt die Absicht, zwischen den Ebenen Glaube, Gewalt und Vernunft die Ausrichtung eines intensivierten Gesprächs anzustreben, das nicht nur die Frage der Gewalt neu zu denken sucht, sondern auch eine gänzlich andere Korrespondenzform von Glauben und Vernunft zu finden: dem „frommen Denken“.

Referenzen

  1. Glucksmann A., Farouq W., Nusseibeh S., Spaemann R., Weiler J., Gott, rette die Vernunft! Die Regensburger Vorlesung des Papstes in der philosophischen Diskussion, Sankt Ulrich Verlag, Augsburg (2008)
  2. al-Jabri A., Die Entstehung der arabischen Vernunft; al-Jabri A., Die Struktur der arabischen Vernunft; Negui Mahmoud Z., Die Erneuerung der arabischen Vernunft; Shukri G., Die Kultur des chaotischen Systems und Anathema gegen die Vernunft oder die Vernunft des Anathema; Arkoun M., Von der Mühe des Interpretierens zur Kritik der islamischen Vernunft; Ghalioun B., Die gefangene Vernunft; Tarabishi G., Die Abdankung der Vernunft im Islam; Jabbar F. A., Zeichen von Rationalität und Aberglauben im arabischen politischen Denken; Abu Zayd N. H., Die rationale Tendenz im Korankommentar
  3. Kant I., Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Vorländer K. (Hrsg.), Kants Werke, Band VI, Akademie Verlag, Berlin (1902 ff.), S. 186-187
  4. vgl. Aristoteles, De interpretatione, IV, 17a.
  5. Johannes Paul II., Enzyklika „Fides et ratio“ (1998), Nr. 90
  6. vgl. Platon, Phaidon, 89c-91c
  7. vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik

Anschrift des Autors:

Dr. Wilhelm Donner
Philosoph und Chefredakteur der Fachzeitschrift „Soziale Sicherheit“
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