Biopolitik: Vernebelung mit Wortmanipulation

Imago Hominis (2010); 17(4): 331-334
Hans-Bernhard Wuermeling

Eine Untat gelingt dem Täter umso unbeschwerter, je weniger ihre Bezeichnung ihn daran erinnert, dass es sich um eine Untat handelt. So tut er sich mit einer „ethnischen Säuberung“ leichter als mit einem „Genozid“.

Um vor sich selbst und vor anderen Tätern Untaten zu verbergen, werden Wörter manipuliert. Im Bereich der Biopolitik geschieht das besonders raffiniert, und deswegen müssen solche Tarnungen rücksichtslos aufgedeckt werden.

Selbst der Gesetzgeber bedient sich vernebelnder Ausdrücke. So verbot der alte deutsche § 218 StGB die „Abtötung der Leibesfrucht“. Schutzobjekt war der ungeborene Mensch. Scheinbar harmlos änderte man dies und bestrafte, wenn überhaupt, den „Abbruch der Schwangerschaft“, also die Beendigung eines Zustandes, nicht mehr die Tötung einer Person. Kritiker wurden seinerzeit beschieden, das habe keine weitere Bedeutung und sei nur eine Änderung der Bezeichnung. Diese aber hatte eine entscheidende Bedeutung. Als es darum ging, bei einem Schwangerschaftsabbruch das Überleben von Kindern zu vermeiden, die den vollen Anspruch auf lebenserhaltende Behandlung hätten, ist man dazu übergegangen, sie zunächst im Mutterleib durch Giftinjektion in ihr Herz zu töten – was ja nun nicht mehr verboten ist. Danach können sie straflos entfernt werden.

Auch die euphemistisch so genannte „Mehrlingsreduktion“ bei extremen Mehrlingsschwangerschaften, bei denen ein Embryo oder auch mehrere in der Gebärmutter getötet werden, um die weitere Entwicklung der übrigen nicht zu gefährden, ist rechtlich nur deswegen zulässig, weil die Tötung der Leibesfrucht nicht mehr strafbar ist und die Schwangerschaft nicht abgebrochen wird. Als besonders infam muss dabei angesehen werden, dass extreme Mehrlingsschwangerschaften fast nur dann vorkommen, wenn künstlich möglichst zahlreiche Eizellen zur Reifung gebracht worden sind, um auf diese Weise eine Schwangerschaft zu erzwingen. Der „Überschuss“ wird dann beseitigt.

Wenn es sich dabei auch nicht um eine juristische Bezeichnung handelt, so ist doch das Wort „Schwangerschaftsunterbrechung“ ebenfalls ein vernebelnder Ausdruck, mit dem insinuiert wird, dass eine Schwangerschaft später einfach fortgesetzt werden kann; dabei geht es in Wirklichkeit um die endgültige Tötung eines Menschen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, auch nicht durch eine neue Schwangerschaft mit einem unverwechselbar neuen Kind.

Als im Jahr 1978 in England mit Louise Brown das erste extrakorporal erzeugte Kind geboren worden war, beschrieb die Presse Experimente, die der Arzt Steptoe und der Biologe Edwards zuvor mit extrakorporal erzeugten menschlichen Embryonen gemacht hatten. Da war die Rede von deren verzweifeltem Sich-Anklammern an den glatten Wänden der Reagenzgläser, was in der Öffentlichkeit eine Welle der Empörung und des Mitleids auslöste. Das British Medical Council, die etwa der deutschen Bundesärztekammer entsprechende Organisation, beeilte sich deswegen, allen ihr angehörenden Ärzten ab sofort jede Zusammenarbeit mit Edwards und Steptoe zu verbieten. Doch anderntags wurde das Verbot schnell wieder aufgehoben, denn über Nacht hatten die Experimentierer das Wort „Präembryo“ erfunden, als handele es sich um Vorstufen von Embryonen, die man nicht wie Embryonen respektieren zu müssen glaubte. Gleichwohl hielt man sich keineswegs konsequent an die so listig erfundene Wortwahl, sondern nannte es „Embryotransfer“, wenn die „Präembryonen“ aus der Petrischale, also dem Kulturgefäß, in den mütterlichen Organismus verpflanzt wurden.

Ohne es bemerkt zu haben, hatten die Wortverdreher in gewisser Weise sogar Recht, denn das griechische Stammwort für Embryo besagt „im Moos“ (bryos griech. für Moos), womit die Schleimhaut der Gebärmutter gemeint war. Als Embryo galt nämlich der Same des Mannes (einen weiblichen Zeugungsbeitrag kannte man nicht), nachdem er sich in der Gebärmutterschleimhaut eingenistet, eingewurzelt hatte. Wenn man sich also an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Embryo gehalten hätte, dann wäre die Bezeichnung „Embryotransfer“ ein Unsinn. Doch wurde der Widerspruch nicht bemerkt, der darin lag, dass man den Embryo außerhalb des Mutterleibes vernebelnd zum Präembryo umbenannte, ihn aber dessen ungeachtet einem Embryotransfer unterzog.

Vielfach wird Schwangeren mit den Worten „Sie wollen doch ein ‚gesundes Kind’!“ zu einer Pränataldiagnostik geraten. An sich gehören diagnostische Maßnahmen des Arztes oder der Hebamme, die vor der Geburt (pränatal) vorgenommen werden, zur ganz normalen Betreuung einer Schwangerschaft. Das gilt heute auch für Ultraschalluntersuchungen, mit denen behebbare oder vermeidbare Komplikationen entdeckt werden können. Doch machen die immer besseren Ultraschallbilder auch Fehlbildungen des Kindes sichtbar oder auch Verdachtsmomente auf mehr oder weniger schwerwiegende Anomalien, z. B. die gefürchtete Trisomie 21, den leider oft so genannten Mongolismus.

Deswegen eine Abtreibung vorzunehmen wäre eindeutig pränatale Euthanasie, zu der sich der Gesetzgeber nicht bekennen wollte, schon wegen der NS-Vergangenheit. Die sogenannte „kindliche Indikation“ hat er deswegen nicht akzeptiert. Jedoch geschah das nur zum Schein, denn man erweiterte die weithin akzeptierte „medizinische Indikation“ zum Abbruch einer Schwangerschaft so, dass sie auch die Unzumutbarkeit für die Mutter einschloss, die darin bestehe, dass sie später ein behindertes Kind ertragen und aufziehen müsse. Pränatale Euthanasie ist damit gleichsam harmlos getarnt unter einem irreführend erweiterten Begriff erlaubt worden.

Der Wortbestandteil „Diagnostik“ wird in diesen Fällen missbraucht, um zu verbergen, dass es sich in Wirklichkeit um Selektionsmaßnahmen handelt, mit denen unerwünschte Kinder ausgesondert und beseitigt werden sollen. Bei der „Präimplantationsdiagnostik“ ist das noch viel extremer der Fall. Um zu bestimmten Erbkrankheiten veranlagten Paaren zu einem Kind ohne die befürchteten Anlagen zu verhelfen, werden extrakorporal möglichst viele Embryonen erzeugt, und unter diesen wird mittels Gendiagnostik ein „gesunder“ zur Weiterentwicklung ausgesucht. Die Formulierung „elektiver Embryonentransfer“ ist eine weitere Form von sprachlicher Beschönigung beinharter Selektion. Die ganze Prozedur der extrakorporalen Befruchtung mit den bewusst nur zur Auswahl hergestellten und dann überwiegend verworfenen Embryonen dient einzig der (in diesem Falle positiven) Auslese des einen erwünschten und der tödlichen Selektion der übrigen. Selbstverständlich wird dazu Diagnostik betrieben, doch ist diese nur ein kleiner Teil der ganzen zu verurteilenden Veranstaltung, mit der rücksichtslos Selektion betrieben wird. Im Übrigen kann das Verfahren keineswegs ein gesundes Kind versprechen; lediglich die eine befürchtete Veranlagung wird ausgeschlossen und alle übrigen Gesundheitsrisiken bleiben wie bei jeder anderen Schwangerschaft unbeeinflußt bestehen.

In der Debatte über die Präimplantationsdiagnostik wird von deren Befürwortern der Vorwurf erhoben, ihre Gegner würden einem „Gebärzwang“ das Wort reden. Mit diesem Ausdruck wird davon abgelenkt, dass die Frau die Embryonen ja absichtlich zur Diagnostik und zur Selektion hat herstellen lassen. Sie ist nicht etwa schicksalhaft von den Embryonen gleichsam überfallen worden.

Ein Meisterstück an Verharmlosung durch ein Wort ist die Erfindung des „savior sibling“, zu Deutsch eines Rettungs- oder Heilgeschwisters. Wenn einem z. B. an Leukämie erkrankten Kind nur noch mit genetisch möglichst ähnlichem Knochenmark geholfen werden kann, dann wird Eltern geraten, mit möglichst vielen Eizellen eine Serie von Embryonen extrakorporal zu produzieren (zu erzeugen wäre eine euphemistische Bezeichnung) und von diesen den nach Gendiagnostik passendsten von seiner Mutter austragen zu lassen, um ihn als Organ- oder Gewebespender zu gebrauchen. Die weniger oder nicht passenden Exemplare werden verworfen oder verkauft oder für die Forschung verbraucht, was der geschickt erfundene Begriff erfolgreich verschweigt. Ebenso verbirgt er die extreme Herrschaft von Menschen über Menschen, hier der Eltern über ihr Kind, seine a priori Verzweckung.

Zur Tarnung der Abtreibung werden Ausdrücke wie „Menstruationsregelung“ oder „Beseitigung von Schwangerschaftsgewebe“ gebraucht. Ganz selten entsprechen die Worte den Absichten, so die Bezeichnung „Antibabypille“, die medizinisch zwar nicht korrekt ist, weil ursprünglich nur die Eizellreifung verhindert werden sollte. Dass, wenn dies fehlschlägt, die Pille auch abtreibend wirken kann, rechtfertigt jedoch die Wortwahl im Nachhinein.

Für eine extrakorporale Produktion von Menschen kamen auch „Eizellspender“ und „Samenspender“ in Frage, deren Bezeichnung wiederum etwas verbirgt, nämlich dass es sich dabei ja um Eltern handelt. Eltern aber tragen für die von ihnen erzeugten Kinder Verantwortung, und diese wird mit den Spenderbegriffen gerade geleugnet. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass in der 1931 erschienenen Negativ-Utopie von Aldous Huxley „Schöne Neue Welt“ das Wort „Mutter“ als pornografisches Wort geächtet und verboten ist. Auf diese Weise sollte ins Bewusstsein der allesamt künstlich hergestellten Menschen der Stolz eingehämmert werden, dass sie ihre Existenz einer rational von Menschen gemachten Zeugungsindustrie verdanken und nicht etwa irgendwelchen Eltern. Die Spenderbezeichnung soll den Produktcharakter des künstlich von Menschen gemachten Menschen kennzeichnen, insbesondere bei der Verwendung ehefremder Keimzellen. Schließlich leihen sich die Spenderbezeichnungen parasitär den positiv besetzten Charakter einer Spende, auch der Organspende.

Die UN-Behörden geben vor, sich mit verschiedenen Organisationen zusammen, u. a. mit der Planned Parenthood Federation, in Entwicklungsländern für eine „Familienplanung“ einzusetzen. Unter diesem durchaus zweckmäßigen und positiv besetzten Begriff wird aber – abgesehen von dazu auch massenhaft betriebener Abtreibung – ein Bündel von Maßnahmen verstanden, das das weitere Wachstum der betroffenen Völker verhindert oder vermindert. Weitgehend ist damit unausgesprochen die Absicht verbunden, diese Völker aus machtpolitischen oder wirtschaftlichen Gründen klein zu halten, also eine Art heimlichen Krieg zu führen.

Schließlich muss auch noch der ebenfalls seit der UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 etablierte Begriff des „Rechts auf sexuelle und reproduktive Gesundheit“ kritisch vermerkt werden. Damals hatten 179 Regierungen zugesagt, im Rahmen eines auf 20 Jahre angelegten Aktionsplans mehr in Gleichheit, Menschenrechte sowie die soziale und wirtschaftliche Entwicklung von Mädchen und Frauen zu investieren. Kapitel 7 des Aktionsplans lautet „Reproductive Rights and Reproductive Health“1. Die positiv besetzten Begriffe „reproduktiv“ (Fortpflanzung betreffend) und „Gesundheit“ werden so listig zur „Fortpflanzungsgesundheit“ verbunden. Es wäre dies ja ein Wort, mit dem man zahlreiche notwendige und gute Maßnahmen zusammenfassend bezeichnen könnte, etwa die Bekämpfung der Mütter- und Neugeborenensterblichkeit oder die Behandlung der Sterilität. Doch darum geht es der WHO erst in zweiter Linie. Zunächst verbirgt der Begriff, dass damit breit angelegte Programme der Empfängnis- und Geburtenverhütung gemeint sind, die vorgeblich den Familien zuliebe, in Wirklichkeit aber aus machtpolitischen Gründen zum Kleinhalten bestimmter Bevölkerungsgruppen oder Staaten durchgeführt werden.

Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt spricht von „bullshit“, was ein Slang-Ausdruck für Kuhfladen ist, wenn Worte oder Aussagen lediglich bestimmte Wirkungen erzielen sollen und nicht an der Wahrheit ausgerichtet sind. Mit solchem „bullshit“ arbeitet man in der Biopolitik, wie die Beispiele zeigen.

Wenn man „für“ (lat. pro) etwas ist, macht das immer einen besseren Eindruck als gegen etwas zu sein. Deswegen klingt das amerikanische „Pro Choice“ (für eine freie Wahl zwischen Abtreiben oder Austragen eines Kindes) so positiv nach freier Selbstbestimmung. Dabei bleibt bewusst verborgen, dass Selbstbestimmung da an ihre Grenze stößt, wo es um das Lebensrecht anderer, hier des Kindes, geht.

Und wer ist nicht „Pro Familia“, für die Familie? Unter diesem Namen wurde 1952 die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung gegründet. Inzwischen richten sich deren Initiativen, z. B. die Vermittlung von Abtreibungen und manche sexualpädagogische Praxis gegen die Familie, wie sie noch bei der Gründung verstanden wurde.

Völlig abstrus wirkt der Versuch der amerikanischen Psychoanalytikerin Ginette Paris, die in allen bisherigen Gesellschaften tabuisierte Abtreibung – jedenfalls das Reden darüber – ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Der Titel ihres Buches lautet „The Sacrament of Abortion“ (1990). Darin wird der Abtreibungsvorgang zu einer geradezu religiösen Handlung hochstilisiert und ritualisiert. Die Schwangere soll danach mit ihrem Kinde in einen verbalen Kontakt treten und ihm erklären, dass sie es – gerade jetzt oder überhaupt – nicht austragen kann oder will. Auch soll sie darüber Tagebuch führen. Auf diese Weise wird die Mauer des Schweigens, die allerorts um die Abtreibung existiert, unabhängig davon, ob sie geduldet oder verurteilt oder gefördert wird (Boltansky), durchbrochen. Es soll darüber – wie seinerzeit nach der Aktion „Ich habe abgetrieben“ – wie über eine ganz normale Angelegenheit öffentlich geredet werden.

Ein besonders trauriger Wortmissbrauch darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Die römische Glaubenskongregation hat auf die extrakorporale Erzeugung von Menschen kritisch mit einem Schriftstück reagiert, das mit den Worten „Das Geschenk des Lebens“ (Donum vitae) beginnt. Darin wird auch unmissverständlich jede Abtreibung abgelehnt. In Deutschland glaubten aber viele Katholiken und zunächst auch die meisten Bischöfe, man müsse sich, um mit abtreibungswilligen Frauen überhaupt ins Gespräch zu kommen und Ungeborene zu retten, mit den staatlichen Abtreibungsmaßnahmen arrangieren. Dazu sollten auch von katholischen Beratungsstellen jene Scheine ausgestellt werden, die formale Voraussetzung für die zwar rechtswidrige, aber straflose Abtreibung sind. Das aber wurde von Papst Johannes Paul II. als Verdunkelung der kirchlichen Lehre von der Heiligkeit und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens verstanden. Diese Praxis wurde deswegen schließlich offiziell verlassen. Doch gibt es unentwegt Katholiken, die das Arrangement mit dem „tötenden Staat“ (Josef Isensee) damit zu rechtfertigen versuchen, dass sie auf diese Weise Ungeborene retten könnten. Den von ihnen dazu gegründeten Verein nennen sie „Donum vitae“, was man durchaus als Protest gegen die Ablehnung ihrer Praxis durch Rom verstehen darf. Der Missbrauch des Begriffes ist offensichtlich, zugleich aber traurig, weil er für einen tiefen Riss innerhalb der deutschen Katholiken steht.

Wortgefechte sind keine Spiegelfechtereien. Vielmehr sind Worte höchst wirksame, heimliche und gefährliche Mittel in der politischen und besonders in der biopolitischen Auseinandersetzung.

Anschrift des Autors:

em. Univ.-Prof. Dr. Hans-Bernhard Wuermeling
Fichtestraße 5, D-91054 Erlangen
hans-bernhard(at)wuermeling.de

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