Pränataldiagnostik - Segen oder Fluch?

Imago Hominis (2012); 19(4): 249-259
Jeanne Nicklas-Faust

Zusammenfassung

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Perspektive der werdenden Mutter, des Paares und hier insbesondere dem Erleben der Schwangerschaft im gesellschaftlichen Umfeld. Hierbei zeigt sich die systematische Entwicklung und Weiterentwicklung von Pränataldiagnostik in Richtung auf ein Verfahren hin, das ohne Risiken für Mutter und Ungeborenes ein Screening ermöglicht – wobei das Risiko der Abtreibung für ein behindertes Ungeborenes nicht angesprochen wird. Die Aufklärung und Beratung Schwangerer ist an vielen Stellen unzureichend. Gleichzeitig besteht die gesellschaftliche Erwartungshaltung, PND umfassend in Anspruch zu nehmen. Parallel dazu wird Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Begegnungen können Gefühle von Schuld oder Bedauern auslösen, wo sie auf einen Schwangerschaftsabbruch wegen Behinderung bezogen werden. Die Auswirkungen dieses Spannungsfeldes auf Schwangere in Entscheidungskonflikten sind unklar.

Schlüsselwörter: Pränataldiagnostik, Aufklärung und Einwilligung, gesellschaftliche Erwartungshaltung, genetisches Screening

Abstract

The following article focuses on the perspective of pregnant women and the couple especially concerning the experience in pregnancy in the society of today. The systematic development of new methods of prenatal diagnosis aims at developing a screening to identify disabilities without a risk for pregnant women and the unborn child – whereby the risk for the unborn child with disability is ignored. The informed consent is not a rule in the every day use of prenatal diagnosis. At the same time the society expects a broad practice of prenatal diagnosis. Persons with disability are nowadays more present in society and reminding of the aborted unborn child, what may cause feelings of regret or guilt. The consequences of this area of conflict are not clear.

Keywords: Prenatal Diagnosis, Informed Consent, Expectation of Society, Genetic Screening


Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik

Die Untersuchung zum Schwangerschaftserleben, durchgeführt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung1 (BZgA), ist eine repräsentative Untersuchung schwangerer Frauen in Deutschland, die einerseits Aussagen zum Schwangerschaftserleben, andererseits Aussagen zur Inanspruchnahme der Pränataldiagnostik (PND) ermöglicht. Pränataldiagnostische Untersuchungen, die laut der Studie von 85% der Frauen in Anspruch genommen werden, verfolgen das Ziel der frühzeitigen Diagnose einer Chromosomenstörung, von denen die Trisomie 21, das Down-Syndrom, die bei weitem häufigste ist. So nahmen 80% der befragten Schwangeren zusätzliche Ultraschalluntersuchungen wahr, wurde bei über 40% die Nackenfaltendichte gemessen, bei einem guten Drittel der fachlich sehr umstrittene Triple-Test und bei an die 30% der Ersttrimestertest durchgeführt.2 Die meisten dieser Untersuchungen ermöglichen keine Diagnosestellung im eigentlichen Sinne, sondern dienen einer Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Behinderung, vor allem mit Down-Syndrom, zu erwarten. Der Ultraschall nimmt in der PND eine Zwischenposition ein, da er für Organfehlbildungen diagnostisch sein kann, beispielsweise für Herzfehler oder eine Spina bifida.3 Es werden mit Ultraschall allerdings auch häufig sogenannte Softmarker erhoben, die ebenfalls einer Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Behinderung des Ungeborenen dienen. Außerdem wurden bei jeder siebten Frau invasive Verfahren zur Diagnosestellung wie eine Chorionzottenbiopsie (3,3%) oder eine Amniozentese (11,5%) durchgeführt. Aus dieser hohen Rate der Inanspruchnahme folgern die Autorinnen der Studie, dass pränataldiagnostische Verfahren heute ein selbstverständlicher Teil der Schwangerschaftsvorsorge geworden sind.

Keine informierte Entscheidung zur PND

Allerdings sind Schwangere und Paare häufig nicht ausreichend darüber aufgeklärt, was hinter den Untersuchungen steht, wie das Gutachten von Francke/Regenbogen,4 aber auch dieses Zitat aus der Untersuchung von Lenard5 zeigen:

„M: Was mich so ein bisschen stört, gerade was die Medizin angeht, dass teilweise von den Ärzten das Gefühl vermittelt wird: Wir können alles und sie müssen das und das und das tun als Eltern oder werdende Eltern und dann wird ihr Kind gesund geboren werden. Aber dass man diese Dinge in vielen Punkten nicht in der Hand hat, wird auch von den Ärzten … zu wenig rübergebracht. Dieser Automatismus der Pränataldiagnostik die ist halt einfach groß: Da stellt sich ein Befund und dann wird das einfach angeboten. Es wird auch nicht ausreichend aufgeklärt, dass man eben wenn bestimmte Diagnosen gestellt werden, eben gerade nicht therapieren kann. Und dass man als Mutter vor der Alternative steht: Abbruch der Schwangerschaft oder nicht Abbruch der Schwangerschaft. Dass es keinen Weg dazwischen gibt und dass nicht vorher darüber aufgeklärt wird: ‚Das ist jetzt die Diagnose. Wenn sie diese Untersuchung machen, dann kann dies oder das passieren und wie verhalten sie sich, wenn die Diagnose nicht so ist wie von Ihnen erwünscht?’“

Trisomie 21 als „Leitbehinderung“

An der Entwicklung pränataler Diagnostik lässt sich leicht zeigen, dass das Down-Syndrom gleichsam als „Leitbehinderung“ der PND angesehen werden kann. 1967 gelang das erste Mal eine vorgeburtliche Diagnose des Down-Syndroms mithilfe der Amniozentese. Auch die Entwicklung neuerer Verfahren zur Wahrscheinlichkeitsbestimmung6 richten sich besonders auf Trisomie 21: Die Nackentransparenzmessung, das Ersttrimesterscreening7 oder der aktuell entwickelte Test auf das Vorliegen einer Trisomie 21 aus dem Blut der Schwangeren8 haben das Ziel, ein Down-Syndrom möglichst früh in der Schwangerschaft, möglichst in allen Fällen, auch bei jüngeren Schwangeren und mithilfe nichtinvasiver Verfahren9 zu diagnostizieren – letztlich sind dies Ziele einer Screening- oder Reihenuntersuchung. Auch der Name, den sich die Gruppe deutschsprachiger Wissenschaftler gegeben hat, die die Nackentransparenzmessung an über 20.000 Frauen untersucht haben, Down-Syndrome Screening Group,10 weist darauf hin. Das Ziel der Untersuchungen ist offensichtlich: Der Abbruch einer Schwangerschaft mit einem Kind mit Down-Syndrom wird gesellschaftlich selbstverständlich akzeptiert. Die Gynäkologin Barbara Maier beschreibt in ihrem Buch zur „Ethik in Gynäkologie und Geburtshilfe“ das Down Syndrom als die „Gesellschaftliche Demarkationslinie“.11 Der Humangenetiker Henn kommentiert diese Ausrichtung in einem Beitrag zum neuen Bluttest12 gerade in den Auswirkungen auf die Menschen selbst und ihre Familien kritisch: „Als für die Familien verheerender sozialer Kollateralschaden wird dadurch das in der Bevölkerung schon weitverbreitete, medizinisch wie ethisch durch nichts begründbare Bild des Down-Syndroms als diejenige Form von Behinderung verfestigt, mit der ein Kind keinesfalls geboren werden dürfe.“

PND als Screening

Eine solche Anwendung von Methoden der PND als Screening ist in Deutschland nicht von der Zielsetzung des deutschen Sozialgesetzbuchs (SGB V),13 das die gesetzliche Krankenversicherung regelt, gedeckt, auch wenn sie zumeist vom Leistungsumfang umfasst werden.14 Der Humangenetiker Wolff15 beispielsweise beurteilt die Untersuchung der Nackenfaltentransparenz als Screeningverfahren positiv. Gasiorek-Wiens und andere haben an über 20.000 Schwangeren im deutschen Raum die Nackentransparenz untersucht, es wurden 85% der Kinder mit Down-Syndrom in der Schwangerschaft identifiziert. Eine Rate von falsch positiven Befunden – eine pathologische Nackentransparenz bei nichtbetroffenem Kind – fand sich bei 5% der Föten. Für eine Screeninguntersuchung sind das vertretbare Zahlen. Für die betroffenen Frauen bedeutet es jedoch, dass bei jedem achten Föten die Messung der Nackenfaltentransparenz „positiv“ ist. Allerdings erwarten 90% der Frauen, bei denen eine erhöhte Nackentransparenz des Kindes festgestellt wurde, ein Kind ohne Behinderung, was häufig vor der Untersuchung nicht mitgeteilt wird. Dies führt zu einer erheblichen Verunsicherung einer hohen Anzahl von Frauen.

Ganz anders ist die Einschätzung, wenn es sich um eine Untersuchung für eine individuelle Fragestellung handelt: Für eine Frau, die bei dem Ungeborenen sicher ein Down-Syndrom ausschließen will, kann es zuwenig sein, wenn von sechs Kindern mit Down-Syndrom nur fünf identifiziert werden.

Hier wird ein Problem offenbar, das sich wie ein roter Faden durch die regelmäßige Anwendung von Verfahren der PND zieht: Es wird meist keine individuelle Entscheidung für oder gegen bestimmte Untersuchungen getroffen, sondern es geht darum, Behinderungen wie das Down-Syndrom möglichst häufig schon vor der Geburt aufzudecken.

Der neue Bluttest „PraenaTest“16 ermöglicht nun erstmals ohne Eingriffsrisiko eine Vorhersage über eine Trisomie 21, die eine hohe Treffsicherheit aufweist. Auch wenn in Gruppen mit niedrigem Risiko wiederum etliche Frauen einen falsch positiven Befund erhalten werden und weiterhin zur Diagnosestellung eine Amniozentese nötig ist, ermöglicht dieses Verfahren erstmals eine Reihenuntersuchung. Damit werden Menschen mit Down-Syndrom zur aussterbenden Art.17 Auch die Weiterentwicklungen der Analyse des gesamten Genoms des Ungeborenen18 aus dem Blut der Mutter oder der Test der Eltern auf 484 rezessiv vererbte Krankheiten und Behinderungen zielen auf die vollständige und umfassende Erfassung von Besonderheiten. Daraus ergibt sich, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für diese neue Form der Diagnostik diskutiert werden müssen.19 Dabei sind viele Befunde genetischer Auffälligkeiten keineswegs mit einem Zuwachs an Wissen verbunden, häufig ist die Relevanz der Veränderungen nur unzureichend bekannt.20 Das Recht auf Nichtwissen bekommt hier besondere Bedeutung und ist doch ständig bedroht, durch die vermeintliche Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Schwangerschaft, zu der auch PND gehöre.

PND als Bestätigung für „Gesundheit“

Möglicherweise ist bei den Frauen jedoch der Wunsch handlungsleitend, eine Bestätigung der Gesundheit und des Wohlbefindens des ungeborenen Kindes zu bekommen, wie die Autorinnen der Studie der BZgA folgern. So haben 62% der Befragten geäußert, PND diene der Dokumentation der ungestörten kindlichen Entwicklung.21 Dazu passt, dass viele Frauen kein großes Interesse an einer detaillierten Aufklärung zu den möglichen Behinderungen haben (nur etwa die Hälfte interessierten sich für vorgeburtliche Untersuchungen, ein gutes Drittel für genetische Behinderungen22). Die Ausdrucksweise von Ärzten, „wir wollen nur mal schauen, dass es ihrem Kind gut geht“, weist in die gleiche Richtung. Daraus erwächst letztlich ein Automatismus in der Anwendung von PND, der kein Ausdruck einer individuellen Entscheidung ist.

Dies wird spätestens beim Vorliegen eines pathologischen Befundes, der weitere Entscheidungen nach sich zieht, zum Problem. Die werdenden Eltern sehen sich der Notwendigkeit von Entscheidungen ausgesetzt, die sie so nie treffen wollten und die in letzter Konsequenz den Charakter einer unmöglichen Entscheidung in sich tragen: sich gegen ein gewünschtes Kind zu entscheiden, nachdem man schon Kindsbewegungen spürt und damit dessen Leben unmittelbar körperlich erfährt. Diese Problematik wird noch durch die Schwierigkeiten im Umgang mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen verstärkt:23 In aller Regel wird bei auffälligen Ergebnissen in Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeitsbestimmung die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Behinderung zu erwarten, von Ärztinnen und Ärzten wie auch von den Schwangeren und ihren Partnern deutlich höher eingeschätzt als sie tatsächlich ist.

Lange Zeit der Unsicherheit

Da die Verfahren zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit keine Diagnosestellung ermöglichen, muss eine invasive Diagnostik, wie die Amniozentese, angeschlossen werden, was eine lange Phase der Verunsicherung nach sich zieht. Ein Ersttrimesterscreening wird in der 11. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Wird bei diesem eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 1:300 für das Vorliegen einer Behinderung festgestellt, wird in der 15./16. Schwangerschaftswoche eine Amniozentese durchgeführt und das endgültige Ergebnis bezogen auf das Down-Syndrom oder die anderen, deutlich selteneren Trisomien, liegt etwa in der 18. Schwangerschaftswoche vor.24 Es stellt sich die Frage, ob angesichts dieses Zeitablaufs nicht manche Frau, die zumeist nicht über die hohe Wahrscheinlichkeit aufgeklärt ist, mit der ihr Kind nicht behindert sein wird,25 einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen einer solchen langen Phase der Unsicherheit vorzieht.

Aufklärung bei PND

Auch bei Durchführung der Amniozentese ist den Schwangeren meist noch nicht bewusst, dass der Schwangerschaftsabbruch als eingeleitete Geburt, ggf. nach Fetozid26 durchgeführt würde. So verständlich es ist, dass Frauenärztinnen und -ärzte nicht zu Beginn einer Schwangerschaft, bei dem ganz andere Fragen von Bedeutung sind, in dieser Weise umfassend aufklären, zeigt sich hier ein durchgängiges Muster: Frauen sind in der Schwangerenvorsorge über die Maßnahmen, ihre Zielsetzung und Folgen nicht ausreichend aufgeklärt,27 um sich eine eigene Meinung bilden zu können.

Was unter einer umfassenden Aufklärung zu verstehen ist, kann allerdings auch ganz anders gesehen werden. So findet sich in einem Urteil des OLG Düsseldorf folgende Formulierung, die eine ganz andere Zuspitzung aufweist: „Danach mußte und muß ein Arzt – ohne daß er zu einer Dramatisierung des genetischen Risikos verpflichtet wäre – unmißverständlich klar machen, daß das Risiko auch die Entwicklung eines schwerstgeschädigten Kindes beinhalte und daß die Geburt eines so geschädigten Kindes erfahrungsgemäß zu unerträglichen und furchtbaren Belastungen führe, vielfach verbunden mit der Notwendigkeit lebenslanger Pflege und Betreuung des genetisch geschädigten Menschen. Diese Auswirkungen sind dem medizinischen Laien regelmäßig nicht bekannt, auch wenn er den Begriff ‚Mongoloismus‘ mit der Schädigung der Leibesfrucht in Verbindung bringt. (OLG Düsseldorf, 1989)“

In der Studie der BZgA wird sehr deutlich, dass zu den Zielen der Untersuchung vor Maßnahmen der Pränataldiagnostik informiert wird (65,6%), die Sicherheit des Ergebnisses (51,6%), die Grenzen der Methode (41,7%) oder das Vorgehen bei einer Behinderung des Kindes (34,7%) dagegen weniger stark thematisiert werden.28 Insgesamt scheint, wie oben bereits ausgeführt, die Aufklärung zu PND eher oberflächlich zu sein, da Frauen in der BZgA-Studie den Begriff PND keineswegs richtig erklären konnten. Die Autorinnen folgern daraus, dass es den Schwangeren eher auf die Bestätigung der Gesundheit des Kindes ankommt und die Möglichkeit einer Behinderung des Kindes weniger in Betracht gezogen wird. Neben dem Gutachten von Francke und Regenbogen unterstreicht auch das Zitat aus der Untersuchung von Lenard diesen Eindruck:

„I: Wenn sie bereits im vornherein wussten, dass sie das Kind bekommen wollten, wieso wurde dann ein Nackenfaltenscreening gemacht?

M: … weil ich das nicht wusste, dass der Arzt das untersuchen wird. Das ist halt so: Die Ärzte vermitteln den Schwangeren den Eindruck, wenn wir jetzt diese Untersuchung machen, dann tun sie alles dafür, dass das Kind gesund zur Welt kommt. Und er hat mich dann zu dieser Ultraschallfeindiagnostik geschickt. Ich wusste aber nicht, dass die jetzt gezielt nach solchen Auffälligkeiten suchen. Von der Nackenhautdicke hatte ich noch nie was gehört, gelesen oder sonst was. Das ist ein Wert, der mir gar nichts sagte.

I: Es gab keine Aufklärung davor?

M: Nee, nee, er sagte, ich schick‘ sie da mal zur Feindiagnostik, damit wir auch sichergehen, damit wir nichts übersehen. Und naja, da habe ich mir nichts bei gedacht, dass die bei der Ultraschalluntersuchung sehen können, dass das Kind Down-Syndrom hat, das habe ich nicht gewusst.“29

In besonderer Weise zeigt sich die Qualität der Aufklärung bei den Schwangeren, bei denen sich ein pathologisches Ergebnis fand: Sie waren mit der Aufklärung und Beratung viel weniger zufrieden, weil sie erlebten, dass sie auf Fragen stießen, von denen sie vorher nichts gewusst hatten.30 So fühlten sich 42% der Frauen eher schlecht oder sehr schlecht zu den Möglichkeiten der Weiterführung oder des Abbruchs der Schwangerschaft beraten, 40% eher schlecht oder sehr schlecht zu vor- und nachgeburtlichen Therapie und Fördermöglichkeiten, sowie 24% eher schlecht und 40% sogar sehr schlecht zu den Möglichkeiten der Inanspruchnahme medizinischer, psychologischer und finanzieller Hilfsangebote.

PND als gesellschaftlicher Auftrag?

Nun stellt sich die Frage, welche Ursachen dieser Selbstverständlichkeit der Anwendung von PND zugrunde liegen. Die Weiterentwicklung und breite Nutzung der PND wäre nicht denkbar, wenn nicht auf der anderen Seite ein breiter gesellschaftlicher Konsens diese Form der Weiterentwicklung, aber auch die breite Anwendung stützen würde. Die Finanzierung vieler Maßnahmen über die Krankenversicherung trägt sicher dazu bei, eine Verbreitung zu fördern. Zusätzlich verweist das an vielen Stellen zu findende Unverständnis, wenn Frauen das Angebot der PND nicht wahrnehmen, auf einen gesellschaftlichen Grundkonsens darüber, Möglichkeiten der PND auszuschöpfen und zu erweitern, um die Geburt von Kindern mit einer Behinderung zu vermeiden. Gerade bei sogenannten älteren Schwangeren scheint es selbstverständlich, PND in Anspruch zu nehmen, obwohl das Risiko ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen auch bei 40jährigen Frauen nur bei 1% liegt.

Die gesellschaftliche Zuschreibung von Verantwortung für die Geburt eines Kindes ohne Behinderung nehmen Frauen durchaus auch als Verpflichtung wahr, in bestimmten Konstellationen auf Kinder zu verzichten oder Maßnahmen der Pränataldiagnostik anzuwenden.31

Dabei ist es besonders problematisch, dass PND systematisch überschätzt wird: Durch die moderne Pränataldiagnostik scheint die Geburt eines behinderten Kindes heute vermeidbar.

„Aus dem intensiven Wunsch, die eigenen Kinder mögen gesund sein, hat sich parallel zu den Fortschritten der Medizin der früher übliche Fatalismus nach dem Motto ‚Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen’ in eine mitunter geradezu neurotische Anspruchshaltung auf vorzeigbare und pflegeleichte Kinder gewandelt … Es hat sich die Vorstellung verbreitet, dass gesunde Eltern sich heutzutage darauf verlassen könnten, auch gesunde Kinder zu bekommen; verbleibende Zweifel ließen sich mit vorgeburtlichen Untersuchungen ausräumen. Schlimmer noch ist der notorische Umkehrschluss, wenn ein Kind behindert geboren werde, hätten seine Eltern wohl etwas falsch gemacht. All dies ist in mehrerlei Hinsicht ein Irrglaube“.32

Dies spiegelt sich sowohl in den Antworten aus der oben erwähnten Studie der BZgA zu dem Nutzen von PND als auch in der Untersuchung von Lenard wider. Zweidrittel der Schwangeren in der Untersuchung der BZgA sind der Meinung, dass PND dazu beiträgt, dass die Mutter eine gesundes Kind auf die Welt bringt, mehr als die Hälfte finden, PND sollte von allen Schwangeren in Anspruch genommen werden.33 In der Untersuchung von Lenard wurden 25 – 40% der Eltern von Kindern mit Down-Syndrom34 bereits gefragt, ob sie dies nicht vor der Geburt gewusst hätten. In dieser Frage wird impliziert, dass das Wissen auch zum Abbruch der Schwangerschaft geführt hätte.

„Die [Vorwürfe] kamen eigentlich von Fremden, die haben dann gesagt: ‚Habt ihr das nicht vorher gewusst?‘ Und am Anfang haben wir gesagt ‚doch’ und waren immer noch schüchtern. So nach zwei oder drei Jahren oder so kamen immer noch solche Sachen. Da habe ich dann immer gesagt: ‚Ja und, was war denn die Alternative?’ Und dann, wenn man das sagt, dann sind sie immer alle still. Die Alternative ist eine einzige: Das Kind töten. Und da sind sie immer alle ruhig. (Interview F)“

„Das sind Sachen, die kommen indirekt, zwischen den Zeilen. Z. B.: ‚Habt ihr das nicht schon vorher gewusst?’ (…)Nach dem Motto: ‚Das hätte wirklich nicht sein brauchen‘. Da bin ich immer empfindlicher geworden und diese Frage kommt sehr häufig. (Interview E)“

Auch Professionelle im Gesundheitssystem transportieren häufig die Haltung, ein Kind mit Behinderung müsse doch heute nicht mehr sein – anscheinend ohne die Grenzen der PND wahrzunehmen.

Auch andere Untersuchungen,35 bspw. von Wohlfahrt, zeigen wie „selbstverständlich“ ein Abbruch zu sein scheint.

„Ich war geschockt, dass es für alle Leute so klar war, dieses Kind abzutreiben; ja, dass es schon fast nicht erlaubt war, sich dafür zu entscheiden. Daß das der einfachere Weg sein sollte, hat in mir viel Widerstand ausgelöst, und ich hatte das starke Gefühl, dass ich mein Kind beschützen muß.“36

Es kann festgehalten werden, dass sich Frauen in diesem Bereich vielen Erwartungen ausgesetzt sehen, mit ihrer Schwangerschaft „verantwortungsvoll“ umzugehen und sich damit durchaus auch selbst zu identifizieren.

Machbarkeitserwartungen rund um die Schwangerschaft sind hierbei keineswegs eine Erfindung moderner Zeiten, nur die Methoden haben sich gewandelt: Schon in alten Bräuchen finden sich Handlungen, um das Schicksal günstig zu stimmen. So sollten Schwangere keine behinderten Kinder ansehen, damit sie selbst ein gesundes Kind bekommen. In der modernen Zeit sind diese Machbarkeitserwartungen nach Ansicht der Autorin durchaus verknüpft mit einer Facette magischen Denkens auf die PND übergegangen: „weil es fast verantwortungslos gewesen wäre, diese Untersuchung nicht zu machen, … aber nicht um zu sehen, es könnte mich wirklich treffen, … sondern um es auszuschließen“.37

Beratung – Unterstützung oder Deckmantel?

Hier könnte Beratung eine Hilfe sein: Nach einer umfassenden Aufklärung durch die Ärztin oder den Arzt kann vor Inanspruchnahme, während der Inanspruchnahme und bei pathologischen Befund beraten werden. Insgesamt ist festzustellen, dass Aufklärung und Beratung (zu) wenig in Anspruch genommen werden.38 Dies verweist auch darauf, dass die Beschäftigung mit PND im Vorhinein nur in einem sehr begrenzten Ausmaß gewünscht ist. Bei Vorliegen einer Behinderung des Kindes stellt der Entscheidungskonflikt für die Schwangere und das Paar eine Krise dar, die durch die mangelnde Information im Vorfeld, aber auch durch das Fehlen einer bewussten Entscheidung für Maßnahmen der PND zusätzlich verschärft wird. Nach einer langen und kontrovers geführten Diskussion hat dies schließlich zu einer Änderung im Schwangerschaftskonfliktgesetz geführt, die eine höhere Inanspruchnahme von Beratung im Kontext von PND zumindest bei pathologischen Befunden sicherstellen soll.

Das deutsche Schwangerschaftskonfliktgesetz wurde im Mai 2009 um Regelungen ergänzt, die nun bei Befunden der PND, die auf eine Behinderung des Kindes schließen lassen, folgendes vorschreiben: eine umfassende Aufklärung und Beratung durch einen mit der Behinderung erfahrenen Arzt oder Ärztin, die Vermittlung an psychosoziale Beratungsstellen, sowie eine dreitägige Bedenkzeit zwischen Diagnosemitteilung und Indikationsstellung, außerdem ein Angebot von Kontakt zu Selbsthilfegruppen und Behindertenverbänden.

Darüber hinaus bleibt zu hoffen, dass über die gesetzliche Verpflichtung, Frauen in eine psychosoziale Beratung zu vermitteln, auch die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen und Beratungsstellen verbessert wird.39 Dies erscheint notwendig, weil ein Entscheidungskonflikt bei Behinderung eines Kindes während der Schwangerschaft in einer durchschnittlichen Frauenarztpraxis so selten vorkommt, dass umfassende Informationen über Möglichkeiten einer psychosozialen Beratung ohne eine kollegiale Vernetzung nicht immer gewährleistet wären.

Pathologischer Befund bei PND

Wird bei der PND ein pathologischer Befund erhoben, beginnt zunächst eine Schockreaktion, bei der gleichsam der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dann folgt die Auseinandersetzung mit der nun erwarteten Entscheidung unter Zeitdruck und dem Aussetzen des Schwangerschaftserleben: Frauen berichten, dass sie nicht mehr mit ihrem Kind sprechen, es nicht mehr so wahrnehmen wie zuvor. Es bleibt eine Ambivalenz zwischen der Entscheidungsmöglichkeit und der Entscheidungsnotwendigkeit. Die Verantwortung für die Entscheidung und die Frage von Schuld bleiben dabei ungelöst. Inwieweit es einen „Automatismus“, der nach einem pathologischen Befund zu einem Abbruch führt, gibt, ist sicher außer für Einzelfälle nicht generell zu klären. Auf ihn verweisen jedoch Feldhaus-Plumin in ihrer Untersuchung40 sowie die Berichte von Strachota.41 Bei der Geschwindigkeit, mit der Spätabbrüche aktuell durchgeführt werden,42 ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen diesen Abbrüchen keine sorgfältig abgewogenen Entscheidungen nach Mitteilung des Befundes zugrunde liegen.

Daher ist zu fragen, ob in einer solchen Situation unter Umständen antizipierte Entscheidungen handlungsleitend sind. Dies ist – bei aller Unterschiedlichkeit der Fallkonstellationen – eher zu bezweifeln: Die Studie von McCoyd unterstreicht, dass eine Antizipation der Entscheidung nicht wirklich möglich ist.43 Dabei wirkt sicher erschwerend, dass Ärztinnen und Ärzte häufig einen Abbruch als angemessene Reaktion erwarten, wenn nicht sogar aus Haftungsgründen vorziehen, wie dies die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vermutet.44

Die wenigsten Frauen in diesen Konfliktsituationen erhalten psychosoziale Beratung. Soweit Ärztinnen und Ärzte bereits auf psychosoziale Beratung hinweisen, tun sie es wohl nicht effektiv genug, da die Inanspruchnahme weiterhin ausgesprochen niedrig ist – die Zahlen von Nippert für die unterschiedlichen Zentren für PND zeigen, dass es Zentren mit sehr guter und Zentren ohne Kooperation mit psychosozialer Beratung gibt. Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die psychosoziale Beratung zu selten bekannt ist und in zu geringem Maße – aus der Sicht von Frauen, die z. B. im Rahmen der Untersuchungen von Rohde/Woopen befragt wurden – in Anspruch genommen wird. Ähnliche Ergebnisse finden sich auch in der BZgA-Studie und bei Feldhaus-Plumin sowie in den Berichten von Strachota.

Verantwortung und Ambivalenz

In der Praxis zeigt sich bei den Entscheidungen bei Behinderung des Kindes häufig eine Verschiebung der Verantwortung. Ärztinnen und Ärzte verweisen darauf, dass es die Entscheidung der Mutter, des Paares sei. Eltern haben den Eindruck nach dem, was sie von Ärztinnen und Ärzten zu der Behinderung des Kindes gehört haben, sei eine Abtreibung die einzige Möglichkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Eingriffe sehr rasch nach der Diagnosestellung durchgeführt werden,45 was die Schwangere oder das Paar dazu führen kann, aus dem unmittelbaren Schock heraus zu entscheiden und so die Entscheidung eben nicht nach umfassender Beratung und Überlegung zu fällen. Hierzu passt der Befund, dass nur 50% der Frauen in der Untersuchung von Rohde und Woopen nach zwei Jahren angaben, dass sie sicher die gleiche Entscheidung wieder treffen würden.46

Daneben findet sich in vielen Fällen auch eine überaus verständliche Ambivalenz: Einerseits wünscht man sich ein „gesundes Kind“, andererseits möchte man sich nicht mit einem möglichen Schwangerschaftsabbruch bei einem gewünschten Kind auseinandersetzen. Gesellschaftlich betrachtet verhindert diese Ambivalenz in vielen Fällen einen offenen Umgang mit den Möglichkeiten und Grenzen der Pränataldiagnostik bei Ärztinnen und Ärzten wie schwangeren Frauen und Paaren. Eine Trennung selektiver und therapeutischer PND würde von vornherein die Ausgrenzung fordern – was für beide Seiten problematisch ist. Bei der Inanspruchnahme von PND wird somit häufig nicht offengelegt, um welche Entscheidungen es eigentlich geht. 

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen – zwischen Freiheit und Zwang

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Behinderung häufig als selbst „verschuldet“ und heute doch „unnötig“ gilt, was einerseits für Menschen mit Behinderung und ihre Familien das Signal bedeutet, nicht erwünscht zu sein und ihre Existenz eigentlich ein unglückliches Versehen. Damit wird der Frau Schuld zugeschrieben, wenn sie die angebotenen Möglichkeiten nicht nutzt oder sich gar bewusst für ein Kind mit Behinderung entscheidet. Diese Zuschreibung kann sich auf die gesellschaftliche Solidarität mit Familien mit Behinderung auswirken.

In der allgemeinen Wahrnehmung steht es heute jedem Menschen vermeintlich frei, sich für oder gegen ein Kind mit Behinderung zu entscheiden. ‚Gesunde Kinder’ werden als ein Garant für die Möglichkeit der Selbstverwirklichung der modernen Frau gesehen. Es ist die Frage, ob sich hieraus ein Gefühl von Zwang zu gesundem Nachwuchs und ein Pflicht zur PND ergibt? Die oben zitierten Ergebnisse deuten in diese Richtung: Mehr als 50% der Frauen in der BZgA-Studie sind der Meinung, jede Schwangere solle PND wahrnehmen.

Gesellschaftliche Stellung von Menschen mit Behinderung

Gegenläufig zur Ausweitung von PND und der an sie gerichteten Erwartung, sie mache Behinderungen vermeidbar, zeigen sich im Zusammenleben mit Menschen mit Behinderungen Normalisierungstendenzen. Ausgehend von einer emanzipatorischen Behindertenbewegung nehmen Menschen mit Behinderung heute eine andere Rolle ein: Sie sehen sich nicht als bemitleidenswert und fürsorgebedürftig, sondern als gleichberechtigte Bürger mit dem selbstverständlichen Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft und Nachteilsausgleich und kämpfen für ihre Rechte. Die Integration von Kindern mit Behinderung seit den 1970er Jahren hat dazu beigetragen, dass Kinder damit groß werden, Behinderung als eine Form menschlichen Lebens und als selbstverständlicher Bestandteil ihres Alltags zu erleben. Für Menschen mit Behinderung sind mit dem medizinischen Fortschritt eine Verbesserung ihrer Lebensqualität und ein längeres Leben möglich geworden.

Damit sind Erfahrungen mit Verschiedenheit, mit verschiedenen Menschen mit Behinderung als Mitbürger, Nachbar oder Kollege alltäglicher geworden. Dennoch wird Behinderung immer wieder mit Leid gleichgesetzt, um es als Motor für Forschung, Diagnostik und Therapie in der Medizin zu nutzen.

Dies lässt einige Fragen stellen: Wie ist die Parallelität von Selektion und Integration möglich? Sind eugenische Gedanken gesellschaftliche Grundgedanken? Ist die Entwicklung weiterer Methoden mit selektivem Charakter unvermeidlich? Dient Beratung als Alibi?47

Zusammenfassung

Pränataldiagnostik birgt viele Herausforderungen für Schwangere und Paare, die ihnen häufig nicht bewusst werden. Eine individuelle Entscheidung für oder gegen Pränataldiagnostik mit angemessener Information wäre sicher hilfreich, um Entscheidungskonflikte zu erleichtern. Dies in der besonderen Situation einer Schwangerschaft tatsächlich umzusetzen, stellt wegen der Anforderungen an einen „verantwortungsvollen Umgang“ mit der Schwangerschaft und der selbstverständlichen Einbindung der PND in die Schwangerenvorsorge eine besondere Schwierigkeit dar.

Dabei ist zu bedenken, dass zwar starke gesellschaftliche Impulse zur Vermeidung der Geburt von Kindern mit einer Behinderung existieren und die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik generell überschätzt werden, aber die Entscheidung und die Verantwortung für Spätabbruch einerseits und die Geburt eines Kindes andererseits dann wiederum individualisiert, das heißt der einzelnen Frau zugeschrieben werden.

Da Menschen mit Behinderungen, gerade auch mit Down-Syndrom stärker inmitten der Gesellschaft sichtbar werden, gibt es jedoch auch gegenläufige Entwicklungen einer stärkeren Akzeptanz, die auch auf Frauen und Paare in einem Entscheidungskonflikt einwirken. Die Sorge der Stigmatisierung für das eigene Kind, sich selbst und die ganze Familie ist dennoch sehr präsent. Um eine individuelle und unabhängige Entscheidung treffen zu können, wäre somit neben konkreter Unterstützung auch die gesellschaftliche Anerkennung von Menschen mit einer Behinderung und die Akzeptanz einer zumeist glücklichen Lebensrealität von ihnen und ihren Familien wichtig. Davon sind wir jedoch trotz bedeutender Fortschritte, gerade auch in der Gesetzgebung, weit entfernt.

Die zunehmende Integration und Vielfalt von Lebensformen für Menschen mit Behinderung wird jedoch Frauen und Paare immer wieder mit ihrer Entscheidung für einen Spätabbruch konfrontieren: beispielsweise ein junger Mann mit Down-Syndrom im Bus auf dem Weg zur Arbeit, ein Kind mit Spina bifida im Rollstuhl als Klassenkamerad des eigenen Kindes – um nur die häufigeren Diagnosen, die einem Spätabbruch zugrunde liegen können, zu benennen. Dies ist ein weiterer Grund dafür, diese häufig nicht selbst gesuchte Entscheidung für die Frau bzw. das Paar auf so sicheren Boden wie möglich zu stellen.

Beratung in dieser Situation hat ihre besondere Schwierigkeit, beginnend mit der eigenen Haltung zum Leben mit einer Behinderung. Es ist ein Drahtseilakt zwischen Raum für die Gefühle und Gedanken der Frau und des Paares und der Botschaft, dass ein Leben mit einem behinderten Kind möglich ist und zumeist genauso glücklich wird, wie mit einem Kind ohne Behinderung.

Letztlich ist eine ganzheitliche und realistische Sicht notwendig. Behinderung bleibt eine Form menschlichen Lebens. Die Vielfalt und die unterschiedlichen Möglichkeiten glückenden Lebens anzuerkennen, ist ebenso wichtig, wie die Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen in die Diskussion um neue medizinische Verfahren einzubringen. Bewertungen der PND müssen gesellschaftliche und individuelle Folgen bei der Risiko-Nutzen-Abwägung einbeziehen. In dem Optimismus, der wissenschaftliche Weiterentwicklungen begleitet, ist es wichtig, kritisch zu bleiben.

Fazit

Frauen und Paare werden durch PND und ihre Anwendung als Routinemaßnahme in der Schwangerschaft an vielen Stellen verunsichert und zu „unmöglichen Entscheidungen“ herausgefordert. In dieser Situation entwickeln sie unterschiedliche Strategien, auch im Umgang mit Schuld und Verantwortung.48 Die Folgen, individuell und gesellschaftlich, die diese Praxis auf Frauen, Paare und Familien hat, sind nur ansatzweise bekannt. Wesentlich scheint es, Beratung und Begleitung anzubieten, die Raum für Gefühle, die verschiedenen Erwartungen und eine eigene Entwicklung der Schwangeren und Paare lässt. Dennoch bleibt die Frage offen, ob in dem beschriebenen gesellschaftlichen Umfeld der Anwendung von PND Beratung und Begleitung lediglich die Sicht auf die Unmöglichkeit dieser meist nicht bewusst gewählten Entscheidung verdecken.

Referenzen

  1. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Schwangerschaftserleben und Pränataldiagnostik. Repräsentative Befragung Schwangerer zum Thema Pränataldiagnostik 2006, BZgA, Düsseldorf (2007)
  2. BZgA, siehe Ref. 1, Abbildung 16
  3. Spina bifida: Offener Rücken, eine Fehlentwicklung der Wirbelsäule, bei der diese nicht vollständig geschlossen ist. Er geht mit variablen Beeinträchtigungen der Nervenfunktion einher.
  4. Francke R., Regenbogen D., Rechtsgutachten. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Frau bei der Betreuung nach den Mutterschafts-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, Rundbrief 13 des Netzwerkes gegen Selektion durch Pränataldiagnostik (Sonderheft Rechtsgutachten), Düsseldorf (März 2002)
  5. Lenhard W., Die psychosoziale Stellung von Eltern behinderter Kinder im Zeitalter der Pränataldiagnostik, Inaugural Dissertation, Würzburg (2004)
  6. Diese Verfahren dienen dazu, das individuelle Risiko einer Schwangeren vorherzusagen, hierfür nutzen sie sogenannte Softmarker, die das Vorhandensein einer Behinderung wahrscheinlicher machen, als dies nach dem einfachen Altersrisiko zu erwarten wäre. Die verwendeten Ergebnisse stammen aus Ultraschalluntersuchungen oder aus Blutuntersuchungen.
  7. Ein Verfahren aus Messung der Nackentransparenz und Hormonbestimmung, das die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Trisomie 21 angeben kann.
  8. Bei diesem Bluttest werden DNS-Teile des Ungeborenen aus dem Blut der Schwangeren isoliert und daraus das Vorliegen einer Trisomie 21 hergeleitet.
  9. Wieacker P., Steinhard J., Pränataldiagnostik genetischer Erkrankungen, Dtsch Arztebl Int (2010); 107(48): 857-62
  10. Gasiorek-Wiens A. et al., Screening for trisomy 21 by fetal nuchal translucency and maternal age: a multicenter project in Germany, Austria and Switzerland, Ultrasound Obstet Gynecol (2001); 18(6): 645-8
  11. Maier B., Ethik in der Gynäkologie und Geburtshilfe, Springer, Berlin (2000)
  12. Henn W., Schmitz D., Pränataldiagnostik: Paradigmenwechsel, Dtsch Arztebl (2012); 109(25): A1306-7
  13. §1 Abs 1 SGB V: Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.
  14. Umfasst werden bspw. die Ultraschalluntersuchungen mit der Suche nach Anzeichen für eine Behinderung, als sogenannte Softmarker: Sie stellen selbst keinen krankhaften Befund dar, können aber auf eine Behinderung hinweisen, z. B. kurze Gliedmaße treten bei Down-Syndrom häufiger auf und führen in der Regel zu weiterführender Diagnostik.
  15. Veranstaltung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Aufnahme der Messung der Nackenfaltentransparenz in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung, Berlin 11. September 2003
  16. vgl. Feyerabend E., Lukrative Sicherheitsversprechen: Schwangerenvorsorge als Marktpotential, Imago Hominis (2012); 19(4): 238-243
  17. Obermayer B., Vom Aussterben bedroht, Süddeutsche Zeitung (Magazin), 3.11.2006, sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/1957 (letzter Zugriff am 3. Dezember 2012)
  18. Kitzman J. O. et al., Noninvasive Whole-Genome Sequenzing of a Human Fetus, Sci Transl Med (2012); 4(137): 137-76
  19. Bundesvereinigung Lebenshilfe, Gemeinsame Erklärung zum Weltdownsyndromtag 2012, www.lebenshilfe.de/de/themen-fachliches/artikel/Welt-Down-Syndrom-Tag.php (letzter Zugriff am 22. November 2012)
  20. Kitzman J. O., siehe Ref. 18 
  21. BZgA, siehe Ref. 1, Abbildung 23
  22. ebd., Abbildung 14, 29
  23. Gigerenzer G., Das Einmaleins der Skepsis: Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Berlin-Verlag, Berlin (2002)
  24. Wieacker P., Steinhard J., siehe Ref. 9
  25. Gigerenzer beschreibt auf der Grundlage eigener Untersuchungen in seinem Buch (Gigerenzer G., siehe Ref. 23), wie schwierig die Risikokommunikation im medizinischen Bereich ist, und dass häufig auch Ärztinnen und Ärzte die Risiken nicht korrekt einschätzen. Dies wird gestützt durch Fälle, die der Autorin zur Kenntnis gelangt sind, bei denen Frauen aufgrund einer pathologischen Nackenfalte von ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten zur Abtreibung geraten worden ist, deren Kinder dann aber „gesund“ geboren wurden.
  26. Mit Fetozid bezeichnet man einen Eingriff, bei dem das Ungeborene im Mutterleib getötet wird, zumeist mit der Injektion von Kalium ins Herz.
  27. Francke R., Regenbogen D., siehe Ref. 4, S. 6-27
  28. BZgA, siehe Ref. 1, Abbildung 29
  29. Lenard W., siehe Ref. 5
  30. Alle folgenden Angaben aus der Untersuchung der BZgA, siehe Ref. 1, Abbildung 32
  31. Lenhard W., siehe Ref. 5 und BZgA, siehe Ref. 1
  32. Henn W., Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind. Der Mythos von den guten Genen, Herder, Freiburg (2004)
  33. BzgA, siehe Ref. 1, Abbildung 23
  34. Eltern, die nichts von dem Down-Syndrom gewusst hatten wurden diesem Vorwurf zu 26% ausgesetzt, Eltern, die es dagegen gewusst hatten sogar zu 40%. Lenard W., siehe Ref. 5
  35. Die Autorin selbst ist in Seminaren mit Medizinstudenten von diesen bereits mehrfach gefragt worden, ob das mit ihrem Kind denn wirklich hätte sein müssen. Vgl. auch Wocken H., Der Zeitgeist: Behindertenfeindlich? Einstellungen zu Behinderten zur Jahrtausendwende, in: Albrecht F., Hinz A., Moser V. (Hrsg.), Perspektiven der Sonderpädagogik: Disziplin- und professionsbezogene Standortbestimmungen, Luchterhand, Neuwied (2000), S. 283-306
  36. Wohlfahrt B., Gründe und beeinflussende Faktoren für die Fortsetzung der Schwangerschaft nach der Diagnose eines Down-Syndroms, Der andere Verlag, Osnabrück (2002)
  37. ebd.
  38. Für viele: Feldhaus-Plumin E., Versorgung und Beratung zu Pränataldiagnostik, V&R unipress, Göttingen (2005); Rohde A., Woopen C., Psychosoziale Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik Evaluation der Modellprojekte in Bonn, Ärzteverlag, Düsseldorf und Essen (2007); Baldus M., Von der Diagnose zur Entscheidung. Eine Analyse von Entscheidungsprozessen für das Austragen der Schwangerschaft nach der pränatalen Diagnose Down-Syndrom, Klinkhardt, Bad Heilbrunn (2006)
  39.   Erste Ergebnisse einer vom Familienministerium geförderten Studie dazu präsentieren: Rummer A. et al., Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch: Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg, Dtsch Arztebl (2011); 108(38): A1960-4
  40. Feldhaus-Plumin E., siehe Ref. 38
  41. Strachota A., Zwischen Hoffen und Bangen Frauen und Männer berichten über ihre Erfahrungen mit pränataler Diagnostik, Mabuse Verlag, Frankfurt a. M. (2006)
  42. Nippert I., Aussagen als Sachverständige vor dem Familienausschuss des deutschen Bundestages (2005)
  43. McCoyd J., Pregnancy interrupted: loss of a desired pregnancy after diagnosis of fetal anomaly, Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology (2007); 28(1): 37-48
  44. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Stellungnahme zum Reformbedarf des Schwangerschaftsabbruchrechts, Juni 2003, www.dggg.de (letzter Zugriff am 20. November 2012)
  45. 40% der späten Abbrüche der Schwangerschaft erfolgen innerhalb von 48 Stunden nach Diagnosestellung (Nippert I., siehe Ref. 42)
  46. Rohde A., Woopen C.. siehe Ref. 38 
  47. vgl. Spieker M., Von der zertifizierten Geburt zur eugenischen Gesellschaft, Imago Hominis (2012); 19(4): 261-270
  48. Die Beschäftigung mit Schuld nimmt in der Bewältigung einen zentralen Raum ein, vgl. Leuzinger-Bohleber M., Engels E., Tsiantis J. (Hrsg.), The Janus Face of Prenatal Diagnostics. A European Study Bridging Ethics, Psychoanalysis and Medicine, Karnac Verlag, London (2008)

Anschrift der Autorin:

Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust
Bundesgeschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe 
Leipziger Platz 15, D-10117 Berlin
Jeanne.Nicklas-Faust(at)Lebenshilfe.de

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Anthropologie und Bioethik
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