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Deutschland: Suizidprävention muss Priorität haben vor Suizidbeihilfe

Mehr als 40 Institutionen und Fachgesellschaften fordern ein Suizidpräventionsgesetz

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Am Leben Verzweifelnde und ihnen Nahestehende brauchen Menschen, die ihnen zuhören, ihnen zur Seite stehen, sie informieren und beraten und mit denen sie gemeinsam Schritte aus der Krise entwickeln können. Doch Menschen in akuten Notlagen wüssten oft nicht, an wen sie sich wenden sollten. Mehr als 40 medizinische Fachgesellschaften und Institutionen haben daher die Eckpunkte für eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention (Juni 2022) in Deutschland vorgelegt.

„Ein Suizidpräventionsgesetz sollte noch vor einer gesetzlichen Regelung zur Beihilfe zum Suizid verabschiedet werden“, meinte Ute Lewitzka, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Etwa 10.000 Menschen würden in Deutschland jährlich durch Suizid sterben, das entspreche dem Absturz einer vollbesetzten Boing 747 alle 13 Tage. „Wir müssen mehr für die Suizidprävention tun“, mahnte die Psychiaterin. 

Anlass der Stellungnahme ist die laufende Bundestagsdebatte zur gesetzlichene Regelung des assistierten Suizids in Deutschland. Die Erwartungen an die Politik seitens des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), dem Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV), der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) sowie jener für Innere Medizin (DGIM), Geriatrie (DGG), Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und auch der mitunterzeichnenden Bundesärztekammer und Bundesapothekerkammer sind unmissverständlich: „Wir fordern eine umfassende gesetzliche Verankerung der Suizidprävention im Rahmen eines Suizidpräventionsgesetzes in Verbindung mit dem weiteren Ausbau der Hospizarbeit und Palliativversorgung.“ Es sei ein "Signal der Dringlichkeit", dass sich verstärkt Menschen meldeten, die für sich selbst oder für Angehörige auf der Suche nach Suizidassistenz seien, betonte NaSPro-Leiterin Barbara Schneider.

Das Thema Suizidwünsche müsse enttabuisiert werden, sagte DGP-Präsidentin Claudia Bausewein. Menschen in Not und ihre Angehörigen brauchten offene Gespräche. Im Palliativ- und Hospizbereich bestehe viel Erfahrung mit schwerkranken Menschen mit Todeswünschen, fügte Bausewein hinzu. Allein das Gespräch über persönliche Belastungen und die Information über weitere Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung wirkten oft vorbeugend.

Der DHPV-Vorsitzende Winfried Hardinghaus pochte zugleich darauf, dass keine Person oder Organisation beziehungsweise Einrichtung des Gesundheits- und Sozialwesens dazu verpflichtet werden dürfe, an einer Suizidhilfe mitzuwirken oder die Durchführung in ihren Einrichtungen zu dulden. Hier bedürfe es einer gesetzlichen Klarstellung. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, vor allem ein Schutzkonzept für Menschen mit Suizidgedanken zu entwickeln und für die Umsetzung des Konzepts zu sorgen, so die Exxperten aus dem Gesundheitsbereich. 

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland gekippt. Die Selbsttötung gehöre zum Recht auf Selbstbestimmung, so die Karlsruher Richter. Das schließe auch die Hilfe Dritter ein. Seit mehr als zwei Jahren ringt der Bundestag nun um ein neues Gesetz, das auch ein Schutz- und Beratungskonzept ermöglichen soll. Über drei unterschiedliche fraktionsübergreifende Entwürfe wurden im Juni 2022 im Bundestag heftig debattiert (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online 24.6.2022). Nach der Sommerpause soll es Anhörungen von Expertinnen und Experten geben. Im Oktober könnte der Bundestag in dieser Frage ohne Fraktionszwang eine Entscheidung treffen.

Institut für Medizinische
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