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Social Egg Freezing: Neue Freiheit oder falsches Versprechen?

Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot von Social Egg Freezing in Österreich für verfassungswidrig erklärt – Aufhebung tritt 2027 in Kraft

Lesezeit: 06:46 Minuten

Social Egg Freezing auch ohne medizinischen Grund gilt als Fortschritt hin zu mehr Autonomie von Frauen. Der VfGH sieht keine ethischen Probleme. Die medizinischen und sozialen Schattenseiten der Technik hält das Höchstgericht für nicht verbotsrelevant. IMABE-Direktorin Susanne Kummer kritisiert das Versprechen von Kontrolle und Planbarkeit.

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IMABE: Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot von Social Egg Freezing in Österreich aufgehoben. Bis April 2027 muss die Regierung eine neue Regelung zu schaffen. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Susanne Kummer: Ich halte diese Rechtsentwicklung für problematisch. Damit verstärkt sich der Gedanke, es gäbe ein „Recht auf ein Kind". Die Weichen dazu wurden mit der Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes schon im Jahr 2014 gestellt. Damals wurden trotz vieler kritischer Stimmen Eizellenspende, Genchecks von Embryonen und Öffnung der künstlichen Befruchtung für Paare auch ohne jeglichen medizinischen Grund in Österreich erlaubt.

Social Egg Freezing wird als moderne Lösung für berufstätige Frauen dargestellt, die ihre Selbstbestimmung stärkt. Ist es das?

Natürlich ist der Wunsch der Frauen nach Selbstbestimmung absolut legitim. Niemand will bevormundet werden, wann der „richtige Zeitpunkt" für ein Kind ist. Aber schauen wir uns die Realität an: Die Reproduktionsmedizin-Industrie vermarktet Social Egg Freezing als „Versicherung" oder „Zeitgewinn". Die ökonomischen Metaphern suggerieren Kontrolle und Planbarkeit, die medizinisch so nicht existieren. Und das wissen die Anbieter natürlich selbst. Aber das Geschäft ist lukrativ. Frauen wird eine suboptimale, weil kaum erfolgreiche Technik als Freiheit verkauft.

Welche Rolle spielt gesellschaftlicher und beruflicher Druck?

Mutterschaft gilt für Frauen in Unternehmen als Karrierekiller – und das sogar in staatlichen Betrieben, die sich gerne das Gleichberechtigungshütchen aufsetzen. Frauen sollen möglichst lange „unschwanger" bleiben, damit sie ‚produktiv' sind. Und jetzt werden sie sich auch noch anhören müssen: ‚Du kannst doch deine Eizellen einfrieren!'. Optionen schaffen Druck. Aber diese Option bietet keine Garantie auf Erfolg.

In den USA bieten Großkonzerne Social Egg Freezing als Employee Benefit an. Einzelne Unternehmen, wie in der Schweiz die Pharmafirma Merck, zu deren Hauptgeschäftsfeldern der Bereich der künstlichen Befruchtung zählt, bezahlen ihren Mitarbeiterinnen sogar die Kosten für das Einfrieren von Eizellen. Das klingt fortschrittlich, ist aber das Gegenteil: Statt eine kinderfreundliche Gesellschaft und Arbeitskultur für Eltern zu schaffen, sagt man Frauen: „Verschieb deine Mutterschaft, bleib produktiv."

Wie erfolgreich ist Social Egg Freezing tatsächlich?

Nur 11 Prozent der Frauen, die ihren Kinderwunsch mit Eizellen einfrieren, greifen darauf zurück. Die durchschnittliche Lebendgeburtenrate pro eingefrorenem und anschließend befruchtetem Eizellensatz liegt altersabhängig bei nur etwa 5 bis 10 Prozent bei Frauen über 38 Jahren. Das heißt: 90 Prozent der Frauen gehen am Ende ohne Kind nach Hause. Das als „Versicherung" zu verkaufen, ist unseriös. Genau das wird aber suggeriert.

Dass so wenige Frauen ihre eingefrorenen Eizellen später nutzen, sollte nicht als statistisches Randphänomen, sondern als Warnzeichen verstanden werden. Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, ist keine rein technische oder biologische Frage, sondern zutiefst relational: Sie hängt vom Partner, der Lebenssituation, den wirtschaftlichen Umständen und vom gesellschaftlichen Klima ab. Diese komplexen Faktoren lassen sich nicht einfrieren und auftauen. Statt das gesellschaftliche Klima für Mutterschaft zu verbessern, wird sie weiter technologisiert und individualisiert. Und am Ende gehen die Frauen oft ohne Kind nach Hause, weil die Versprechungen nicht eingehalten wurden.

Welche medizinischen Risiken werden unterschätzt?

Da gibt es mehrere Ebenen, die in der Debatte systematisch ausgeblendet werden. Erstens die hormonelle Stimulation: Damit im Zyklus der Frau nicht nur eine, sondern 20, 30, 40 oder mehr Eizellen produziert werden, wird der weibliche Körper massiv hormonell stimuliert. Das ist mit Risiken verbunden wie dem ovariellen Hyperstimulationssyndrom (OHSS) – in schweren Fällen lebensbedrohlich –, Thrombosen, hormonelle Langzeitfolgen, die wir noch gar nicht vollständig überblicken.

Dann folgt die Eizellentnahme, ein invasiver Eingriff mit Narkose, Blutungs- und Infektionsrisiko. Drittens spielt das höhere Alter in der Schwangerschaft eine Rolle. Auch wenn die Eizellen „jung" sind: Der Körper der Frau altert, der kann nicht eingefroren werden. Ab 42 Jahren steigen Risiken wie der Gestationsdiabetes, Präeklampsie, Frühgeburten erheblich an. Und viertens ist da die psychische Belastung: Internationale Studien zeigen, dass 33 Prozent der Frauen, die ihre Eizellen einfrieren ließen, diese Entscheidung später bereuen, 16 Prozent massiv, insbesondere, wenn die Erfolgsaussichten geringer sind als erhofft oder die Belastungen der künstlichen Befruchtung unterschätzt wurden.

Parallel zur Social-Egg-Freezing-Entscheidung gibt es auch Forderungen, künstliche Befruchtung für Single-Frauen zu öffnen. Wie bewerten Sie das ethisch?

Ich möchte hier klar unterscheiden: Es geht nicht darum, alleinerziehende Mütter zu stigmatisieren – die gibt es, und viele machen einen großartigen Job. In Österreich wachsen 12 Prozent der Kinder in Ein-Eltern-Familien auf, meist bei der Mutter.

Die ethische Frage ist eine andere: Sollen Kinder von vorneherein absichtlich und systematisch ohne Vater geplant werden? Die gezielte Herbeiführung von Vaterlosigkeit: Wir müssen fragen: Welche Botschaft senden wir damit? Dass Väter verzichtbar sind? Dass Kinder kein Recht auf beide Elternteile haben? Der Auftrag der Medizin ist es nicht, jeglichen Lebensentwurf auf Wunsch technisch zu realisieren.

Was sollte die Aufgabe der Reproduktionsmedizin sein?

Reproduktionsmedizin sollte sich an Krankheiten orientieren. Ursachen von Unfruchtbarkeit erkennen, heilen oder bekämpfen. Denken wir nur an die Auswirkungen von Mikro- und Nanoplastik in unserem Körper, in den Industrienationen auf die Fertilität. Da sind Medizin und Forschung gefragt!

Wenn ich aber mit 45 Jahren kein Kind mehr bekommen kann oder wenn ich nicht den geeigneten Partner gefunden habe bzw. vielleicht gar keinen will, ist das keine Krankheit, die es zu behandeln gilt. Es ist oftmals die Konsequenz einer Entscheidung.

Was bedeutet es für Kinder, gezielt ohne Vater durch Samenspende gezeugt zu werden?

In Deutschland trifft das bereits mehr als 120.000 Kinder. Mittlerweile haben sich Selbsthilfe-Gruppen gebildet. Die Kinder wollen herausbekommen, wer ihr Vater ist. Auf die Frage, warum, sagen sie: „Weil mir etwas in meiner Identität fehlt". Gene sind nicht alles, aber die „Genese" – also die Frage, von wem ich abstamme, lässt die Betroffenen nicht in Ruhe. Das ist ein großes Fragezeichen in ihrem Leben, oft sehr belastend. Der Deutsche Verein „Spenderkinder" vertritt diese Kinder und sie lehnen Samenspende ab.

Und noch eins: Wir reden ständig über die Rechte und Wünsche der Erwachsenen. Aber was ist mit dem Kind? Wenn Frauen sagen, sie wollen ein Kind, aber keinen Mann, entscheiden sie über die Zukunft des Kindes, das Recht auf Vater und Mutter hat. Wenn das durch Samenspende geschieht, ist es eben auch keine Schicksalsfrage mehr wie bei Scheidung oder Tod. Das ist eine bewusste Entscheidung von Erwachsenen, die von den so entstandenen Kindern anders wahrgenommen wird und häufig ein psychologisches Nachspiel hat.

Steht diese Praxis im Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention?

Ja, absolut. Artikel 7 der UN-Kinderrechtskonvention garantiert jedem Kind das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden, soweit es möglich ist. Artikel 8 sichert das Recht auf Identität. Bei gezielter Zeugung ohne Vater durch Samenspende wird dieses Recht systematisch unterlaufen. Das Kind kann seinen biologischen Vater zwar theoretisch mit 14 Jahren erfahren. Aber eine Beziehung, eine gelebte Vaterschaft, wird von vornherein ausgeschlossen.

Die UN-Kinderrechtskonvention stellt das Kind in den Mittelpunkt – nicht die Wünsche der Erwachsenen. Wenn wir anfangen, Kinderrechte zu relativieren, weil sie dem Reproduktionswunsch im Weg stehen, dann haben wir ein fundamentales ethisches Problem. Gesetze sind ja zum Schutz der Schwachen da, nicht zum Schutz der Starken.

Welches Umdenken bräuchte es?

Wir brauchen ein grundlegendes Umdenken: Eine bessere Familienpolitik wäre sinnvoller als teure und gesundheitsbelastende Scheinlösungen. Statt für eine kinderfreundliche Arbeits- und Lebenskultur zu sorgen, wird das Problem auf die Einzelne geschoben. Da wird politisches Versagen als medizinischer Fortschritt verpackt. Mit Social Egg Freezing wird den Frauen noch dazu suggeriert: Ich kann meine Fruchtbarkeit konservieren, bis alle Rahmenbedingungen stimmen.

Das Kindeswohl sollte das leitende Prinzip sein. Unsere gesellschaftliche Fixierung auf Autonomie und Wahlfreiheit verdrängt die Frage, was für das Kind gut ist. In Gremien, die über Fortpflanzungstechnologien entscheiden, fehlen oft Kinderärzte, Psychologen oder Experten für Kinderrechte.

Der Gesetzgeber muss nun tätig werden. Welche konkreten Forderungen stellen Sie?

Der VfGH hat der Regierung bis April 2027 Zeit gegeben, eine differenzierte Regelung zu schaffen. Diese Chance muss genutzt werden für eine klare Orientierung am Kindeswohl und der Gesundheit: Die Altersgrenze für eine künstliche Befruchtung muss bei 40 Jahren bleiben. Die gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind steigen mit dem Alter drastisch. Seit 11 Jahren warten wir auf ein von der Politik versprochenes zentrales Register für Spenderkinder, um Identität und Transparenz zu sichern. Dieses Register muss endlich kommen.

Ein ehrlicher Diskurs über die Reproduktionsmedizin muss auch eine systematische Erfassung von Gesundheitsrisiken für Frauen und Kinder einschließen. Langzeitfolgen müssen wissenschaftlich untersucht und transparent gemacht werden. Statt Eizellen einzufrieren, sollten wir endlich die gesellschaftlichen Verhältnisse auftauen. Wir brauchen keine technische Aufrüstung der Fortpflanzung und einer entsprechenden Industrie. Was wir brauchen, ist eine Gesellschaft, die Beziehungen fördert, Partnerschaften stärkt und Elternschaft willkommen heißt.

Das Gespräch führte IMABE-Redakteurin Debora Spiekermann.

Institut für Medizinische
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