Bioethik aktuell

Sterbebegleitung: Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander

Mehrheit stirbt in Institutionen, obwohl Menschen in den letzten Stunden lieber zuhause wären

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Die meisten Menschen möchten zu Hause sterben. Wie groß die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist, zeigt ein Blick auf die Statistik. Die Hälfte der im Jahr 2015 verstorbenen Österreicher (49 Prozent von 83.073 Gesamttodesfällen) starb nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus. Rund 16 Prozent sterben in Heimen. In Deutschland ist die Lage ähnlich: Nur sechs Prozent der Menschen wollen in einem Krankenhaus oder Pflegeheim sterben, in der Realität jedoch sterben dort drei Viertel aller Deutschen. Das geht aus dem aktuellem Pflegereport 2016 der DAK Gesundheit hervor. Für den Pflegereport hat das AGP Institut Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg Daten aus einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung und den DAK-Versorgungszahlen analysiert sowie qualitative Interviews mit Menschen geführt, die sterbende Angehörige begleitet haben, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online, 19.10.2016).

Laut Studienleiter Thomas Klie vom AGP Institut Sozialforschung wollen 76 Prozent der Menschen, die bereits die Erfahrung der Pflege von Angehörigen haben, zu Hause sterben. Für sie spielt für ein würdevolles Sterben die gewohnte Umgebung mit 73 Prozent die größte Rolle. 88 Prozent derer, die bereits einmal einen Sterbenden zu Hause betreut haben, stimmten der Aussage zu, „die gewohnte Umgebung macht für Sterbende die Situation leichter“. Jeder Fünfte stirbt im Krankenhaus allein, jeder Dritte hat im Pflegeheim keinen Menschen um sich. Beim Sterben zu Hause sind es laut Studie nur sieben Prozent der Menschen, die zum Todeszeitpunkt keinen Angehörigen bei sich hatten.

In der Pflege trauen sich viele Angehörige einiges zu: Mehr als jeder Dritte würde jemanden bis zum Tod zu pflegen. Besonders stark sei dies bei Frauen ausgeprägt (41 Prozent der Befragten). Doch dafür bedarf es „verlässlicher Strukturen vor Ort“, erklärte Pflegeexperte Klie anlässlich der Präsentation der Studienergebnisse in Berlin. Oftmals sei diese Zusage aber von der Berufstätigkeit sowie von der weiteren Unterstützung von Professionellen und Ehrenamtlichen abhängig. Auch dem Ausbau mobiler Palliativversorgung kommt eine besondere Bedeutung zu.

Finanziell sei es für die Krankenkassen besser, wenn Sterbende zu Hause betreut werden: Kann ein Pflegebedürftiger zu Hause sterben, entstehen der Krankenkasse im relativen Quartal vor Todeseintritt (91 Tage) durchschnittlich Kosten von 1.154 Euro, wird ein Pflegebedürftiger im Krankenhaus aufgenommen, kostet der Versicherte im selben Zeitraum durchschnittlich 11.042 Euro, so der Report. „Das sind gesundheitsökonomische Aspekte, die auch zu berücksichtigen sind“, betont Klie. Aus seiner Sicht sind viele Krankenhausaufenthalte im letzten Lebensabschnitt durch eine verlässliche hausärztliche Begleitung sowie eine bessere fachliche Unterstützung pflegender Angehöriger vermeidbar. Im Sinne der sterbenden Menschen sollten Krankenhausaufenthalte „konsequent vermieden werden“, heißt es in den Handlungsempfehlungen.

In Österreich befasst sich das interdisziplinäre Netzwerk Lebensende an der MedUni Graz mit den Defiziten bei der Betreuung von Sterbenden. Da es noch immer zu wenig Palliativeinrichtungen und Hospize gebe, würden viele Menschen an ihrem Lebensende in Krankenhäusern landen, wo sie nicht angemessen betreut werden können. Gefordert wird mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Forschung. Schon in der Ausbildung zu Gesundheitsberufen sei eine stärkere Integration von Erkenntnissen aus Ethik, Recht, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nötig, so das Netzwerk (vgl. Standard, online, 28.10.2016). Der Bedarf an Hospizversorgung ist in Österreich nur zur Hälfte gedeckt (vgl. Bioethik aktuell, 11.4.2016). Derzeit wird verhandelt, wie der Ausbau zu einem flächendeckenden, leistbaren Angebot für die nächsten fünf Jahre (pro Jahr 18 Millionen Euro) finanziert werden kann.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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