Bioethik Aktuell

Pflege-Studie in Österreich: Für Gespräche mit Patienten und Angehörigen bleibt kaum Zeit

84 Prozent der Pflegenden müssen notwendige Tätigkeiten zur Patientenversorgung weglassen

Lesezeit: 02:49 Minuten

Österreich hat zwar eine der höchsten Dichten bei Krankenhausbetten in Europa, im Bereich der Pflege gibt es jedoch Defizite. Das zeigt die MissCare Austria-Studie der Karl Landsteiner Privatuniversität. Sie untersuchte erstmals das Phänomen der implizierten Rationierung von Tätigkeiten in der Pflege in Österreich.

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84 Prozent der auf Allgemeinstationen in heimischen Krankenhäusern befragte Pflegepersonen geben an, dass in ihrem Team in den vergangenen zwei Wochen mindestens eine für die Patientenversorgung notwendige Pflegetätigkeit oft oder sehr oft weglassen werden musste. Die Folgen sind nicht nur für die Patienten negativ, sondern auch für deren Betreuerinnen und Betreuer. Dies geht aus der aktuellen MissCare Austria-Studie hervor, die in Heilberufe SCIENCE publiziert wurde (Teil I. HBScience (2022) online 2. November https://doi.org/10.1007/s16024-022-00387-x und Teil II HBScience (2022) online 2. November https://doi.org/10.1007/s16024-022-00389-9).

Das Team um die Pflegewissenschaftlerinnen Ana Cartaxo und Hanna Mayer (Karl Landsteiner Privatuniversität Krems) hat das Phänomen der implizierten Rationierung von Tätigkeiten in der Pflege – genannt „Missed Nursing Care“ (MNC) –  erstmals in Österreich untersucht. Befragt wurden 1.006 Pflegerinnen und Pfleger auf Allgemeinstationen in Krankenhäusern im Zeitraum zwischen Mai 2021 und Juli 2022.

Gespräch bleibt auf der Strecke

Das Ergebnis: 67,5 Prozent der Befragten gaben an, dass personenzentrierte Interventionen wie emotionale Unterstützung nicht durchgeführt werden konnten. Notwendige Gespräche mit Patienten und Angehörigen über die Erkrankung und die geplante Pflege fielen ebenfalls weg (61 Prozent). Weitere Interventionen wie etwa die Überwachung von kognitiv Beeinträchtigten, Beratung und Schulung zur Entlassung sowie die Mobilisierung der Patienten kamen ebenfalls zu kurz (jeweils etwas unter 50 Prozent).

"Man muss Arbeitsbedingungen bieten, wo Pflegepersonen ihre Kerntätigkeiten ausüben können und im Beruf bleiben können. Viele können ihrem Berufsethos nicht mehr entsprechen", betont Hanna Mayer, Leiterin des Fachbereichs Pflegewissenschaft an der Karl Landsteiner Universität. Als häufigste Einflussfaktoren auf MNC wurden Multitasking, häufige Unterbrechungen, Personalmangel, gesteigerter Versorgungsaufwand sowie eine gesteigerte Aufnahme- und Entlassungsdynamik genannt. 

Personalschlüssel, Organisation und Führungsstil beeinflussen die Arbeitszufriedenheit 

Negative Arbeitsbedingungen in der akuten Patientenversorgung beeinflussen das Vorkommen von MNC. 67,8 Prozent der Befragten gaben an, dass die Pflegepersonalbesetzung in den letzten 3 Monaten selten oder nie angemessen war. Bei 17 Prozent des befragten Pflegepersonals war nie angemessenes Personal verfügbar. In Österreichischen Krankenhäusern betreut im Schnitt eine Pflegeperson 15 Patienten im Tagdienst und 22 im Nachtdienst. Zum Vergleich: In den USA dürfen per Gesetz auf eine Pflegeperson nicht mehr als fünf bis sechs Patienten auf Allgemeinstationen im Krankenhaus kommen. 

57 Prozent der befragten Pflegepersonen gab eine emotionale und physische Erschöpfung an. Mehr als 40 Prozent der Befragten berichteten zudem über Spannungen und Kommunikationsschwierigkeiten mit anderen Abteilungen und im interdisziplinären Behandlungsteam. Die unzureichende Unterstützung der direkten Vorgesetzten im Krankenhaus nennen 50 Prozent der Pflegenden als einen der wichtigsten Faktoren für MNC.

Drei von vier Pflegende denken daran auszusteigen

Alarmierend ist der Befund der Studie, wonach 75 Prozent der Teilnehmerinnen sich immer wieder mit dem Gedanken tragen, aus dem Pflegeberuf auszusteigen. „Die eindeutigen Zusammenhänge zwischen dem Weglassen grundsätzlich notwendiger Pflegeversorgung, fehlender Pflegepersonalressourcen, geringer Arbeitszufriedenheit und der Absicht von Pflegepersonen, den Pflegeberuf zu verlassen, sollen nun Konsequenzen für pflegewissenschaftliche Forschung in Österreich und für die weitere Entwicklung der Rolle professioneller Pflege nach sich ziehen", resümiert Studienautorin Ana Cartaxo. 

In dem von der OECD veröffentlichen Report Health at a Glance: Europe 2020 hieß es bereits, dass der Mangel an Personal in der Pandemie-Krise eine größere Einschränkung bedeutet hat als der Mangel an Krankenhausbetten. Es sei daher vorrangige Aufgabe der Staaten langfristig und mehr in das Ge­sund­heitspersonal zu investieren (vgl. Bioethik aktuell, 3.3.2021). 

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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