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Psychiater kritisieren: Wer Suizidmethoden anbietet, fördert Suizid

Der Wunsch nach einem beschleunigten Tod ist häufig ambivalent

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Befürworter des assistierten Suizids argumentieren, dass alleine das Wissen um diese Option manche davon abhielte, einen Suizid zu begehen. Für Ute Lewitzka, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, sprechen die Fakten eine andere Sprache. Zahlreiche Studien würden zeigen, dass das wirksamste Mittel, um Leben zu retten, darin besteht, den Zugang zu Suizidmethoden zu erschweren. Das gelte insbesondere bei psychischen Erkrankungen. Angesichts der Entwicklungen in Deutschland befürchtet die Psychiaterin, dass die Zahl der Selbsttötungen mit dem wachsenden Angebot der Beihilfe zum Suizid steigen werde. 

Durch Suizid sind 2019 weltweit mehr als 700.000 Menschen gestorben. Damit ist jeder hundertste Todesfall weltweit ein Suizid. "Jeder Suizid ist eine Tragödie", heißt es im aktuellen WHO-Report 2021 (17.6.2021). Selbsttötung gilt als abwendbare Todesursache, weshalb die WHO dazu auffordert, nationale Strategien zur Suizid-Prävention weiter voranzutreiben. Dass gleichzeitig Suizidprävention und Beihilfe zum Suizid angeboten werden soll, hält Lewitzka für einen Widerspruch. "Mit dem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Suizidhilfe stelle ich praktisch eine Methode zur Verfügung. Das ist völlig konträr zu dem, was wir aus der Suizidprävention wissen, deswegen sehen wir das auch so kritisch."

Untersuchungen etwa bei der Golden Gate Bridge in San Francisco, einem "Suizid-Hotspot", hätten gezeigt: "Wenn jemand sich entschlossen hat, von der Brücke zu springen, die aber an dem Tag gesperrt ist wegen eines Autounfalls, dann springt er nicht etwa am Tag darauf, sondern meist gar nicht", so Lewitzka (vgl. FAZ, online 6.3.2021). Völlig unklar sei, wie ein Suizidwunsch als "dauerhaft" definiert werden soll, so die Psychiaterin. Ob Tage, Wochen, Monate oder Jahre sei letztlich willkürlich.

Wie sollen Ärzte reagieren, wenn sich Patienten einen beschleunigten Tod wünschen und um direkte Unterstützung beim Suizid oder Tötung auf Verlangen bitten? Vor allem sollte sie dies nicht als „ultimative Wahrheit und Handlungsanweisung“ missverstehen. Vielmehr müssten sie in solchen Situationen eine vertrauensvolle „therapeutische Beziehung“ anbieten. Wo Patienten die Beweg- und Hintergründe für den Wunsch nach einem assistierten Tod klären können, fühlten sie sich oft von der unmittelbaren Notwendigkeit todbringender Handlungen befreit. Darauf weist eine Gruppe von deutschen und britischen Psychiatern in der Juni-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts (Dtsch Arztebl 2021; 118(21): A-1050 / B-865) hin.

Der Wunsch nach einem beschleunigten Tod sei "häufig ambivalent", so die Autoren und „Ausdruck quälender innerer Konflikte“. In den meisten Fällen liege ihm eine psychische Erkrankung zugrunde. In Regionen der Welt, in denen der ärztlich assistierte Suizid und Tötung auf Verlangen erlaubt sind, kommen bis zu fünf Prozent der Menschen mit diesen Verfahren zu Tode. Viele schwerkranke Patienten würden sich wünschen, mit ihren Ärzten über die belastenden Aspekte ihrer Krankheit sprechen zu können, so auch über den Wunsch nach Hilfe beim Sterben. Sehr oft dient der Wunsch nach Suizidbeihilfe, mit dem das Leiden abgekürzt werden soll, zugleich auch einer Kontaktaufnahme. Wenn sie sich dann von ihren Ärzten alleingelassen fühlen, könne dies dazu beitragen, dass sie die Sache selbst in die Hand nehmen, so die Psychiater.

Um dem zu begegnen, sollten Ärzte eine ärztlich-therapeutische Beziehung anbieten. Selbst im Angesicht des unvermeidlichen Todes könne ein empathisches und professionelles ärztliches Engagement die Lösung von inneren Konflikten erleichtern. Die klinische Erfahrung zeige, dass der „selbstzerstörerische Druck“ entscheidend reduziert werden könne, wenn Patienten dank einer einfühlsamen Aufklärung und dem Wissen, welche Behandlungsmöglichkeiten es angesichts der zu erwartenden Leiden gibt, ihre Situation als erträglicher erfahren, so die Autoren. "Gute Beziehungen binden an das Leben und verhindern die Notwendigkeit destruktiver Handlungen“, betonen die Psychiater.

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