Das sog. Sterbeverfügungsgesetz wurde im Dezember 2021 Österreich beschlossen. Seit 1.1.2022 ist die Mithilfe an Suiziden unter bestimmten Bedingungen straffrei. Drei Fachgesellschaften melden sich nun zu Wort: Hospiz Österreich und die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) sowie die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) sehen gravierende Defizite in der Umsetzung des Gesetzes. Sie warnen vor einer Überhöhung des assistierten Suizids als vermeintlich „würdiges Sterben“. Ihre gemeinsame Botschaft: Sterbewünsche sind meist Ausdruck einer existenziellen Notsituation und verdienen eine therapeutische Begleitung. Eine Informationsoffensive soll Hospiz- und Palliative-Care-Angebote bekannter machen – sowohl in der Bevölkerung als auch unter Ärzten und Pflegefachkräften.
„Wir haben verlernt, uns mit Tod und Sterben auseinanderzusetzen“
„Das Thema Tod und Sterben ruft in unserer Gesellschaft große Ängste hervor. Wir haben verlernt, uns damit auseinanderzusetzen“, warnte Gudrun Kreye, Präsidentin der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG), bei einer Pressekonferenz (31.10.2025) anlässlich der Vorstellung der gemeinsamen Stellungnahme der OPG und Hospiz Österreich zu Sterbeverfügung und assistiertem Suizid.
Es entstehe der Eindruck, „dass Menschen der Meinung sind, dass sie nur durch den assistierten Suizid einen würdigen Tod haben können.“ Demgegenüber betont die Palliativmedizinerin: „Ein würdiges Sterben ist in Österreich gut möglich, wenn Menschen medizinisch und menschlich gut begleitet werden.“ Wo Palliative Care wahrgenommen und genutzt werde, sinke der Wunsch nach assistiertem Suizid. Es brauche jedoch mehr Wissen darüber, an wen sich Betroffene, Angehörige, aber auch das medizinische Personal wenden können, um von den Möglichkeiten zu profitieren. „Wir können den Menschen die Angst vor einem schrecklichen Lebensende nehmen.“
Assistierter Suizid nimmt deutlich zu
Nach den offiziellen Zahlen nehmen die Fälle von Beihilfe beim Suizid in Österreich deutlich zu. Laut Sterbeverfügungs-Register wurden seit Inkrafttreten des Gesetzes insgesamt 807 Sterbeverfügungen errichtet, 661 Präparate ausgegeben und 215 assistierte Suizide durch Totenbeschauärzte gemeldet. 2022 starben 54 Personen durch assistierten Suizid, 2024 waren es bereits 112 – ein Anstieg um 107 Prozent. Eine aktuelle österreichische Studie zeigt, dass dabei nicht Schmerzen im Vordergrund standen, sondern psychosoziale Faktoren: 76,4 Prozent litten unter Autonomieverlust, 63,6 Prozent unter dem Gefühl, ihre Würde zu verlieren, 66,9 Prozent unter Angst und Unsicherheit.
Die gleiche Würde – unabhängig von Hilfsbedürftigkeit
Barbara Schwarz, Präsidentin von Hospiz Österreich, sieht die Debatte mit Sorge: „Ich halte die Tendenz, Menschen, die Hilfe brauchen, und dem Prozess des natürlichen Sterbens die Würde abzusprechen, für sehr gefährlich.“ Jeder Mensch habe „die gleiche Würde, egal wie viel Hilfe und Zuwendung er braucht.“ Es sei eine zivilisatorische Errungenschaft, für Schwache und Bedürftige da zu sein und zu helfen. Die laufende Diskussion würde Menschen in Überlegungen hineintreiben wie: „Bin ich es überhaupt noch wert, weiterzuleben?“ Die Aufklärung und das Wissen in der Bevölkerung über Hospiz- und Palliativversorgung sei mangelhaft, während der assistierte Suizid zunehmend als Option erscheine.
Palliative Care bejaht das Leben – nicht den Suizid
In ihrer gemeinsamen Stellungnahme stellen Hospiz Österreich und die Österreichische Palliativgesellschaft klar: Die Koordination und konkrete Unterstützung bei der Durchführung des assistierten Suizids sind keine Aufgaben von Hospiz und Palliative Care. Sorge bereitet den Verbänden, dass Hospiz- und Palliativeinrichtungen aufgrund ihrer Kompetenz im Umgang mit Themen wie Lebensende, Sterben und Tod fälschlicherweise als Anlaufstelle für assistierten Suizid betrachtet werden. Diese Rolle lehnen sie ab, da sie ihrem Selbstverständnis widerspricht. Sie schlagen stattdessen eine „neutrale Anlauf- und Koordinierungsstelle“ vor.
In der WHO-Definition heißt es: „Palliative Care beabsichtigt weder die Beschleunigung noch die Verzögerung des Todes, bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an.“ Im Mittelpunkt stehen die Beratung sowie das Aufzeigen therapeutischer, medizinischer, psychosozialer und spiritueller Betreuungsmöglichkeiten. „Zuwendung, kompetente Symptomlinderung, Zeit, Mitgefühl und Nähe können einen großen Unterschied machen – auch in der Konfrontation mit schwerem Leid oder dem Wunsch, das Leben zu verkürzen.“
Eine Entscheidung für den assistierten Suizid sei zwar zu respektieren, so Palliativmedizinerin Kreye. Ressourcenknappheit dürfe jedoch niemals ein Grund dafür sein. Eine Umfrage unter Ärzten hat gezeigt, dass auch hier „erhebliche Wissenslücken bestehen, insbesondere zum Unterschied zwischen palliativer Sedierung, Euthanasie und assistiertem Suizid.“
Psychiater warnen: Depression wird übersehen
Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) betont, ihre zentrale Aufgabe sei es, Menschen in psychischen und psychosozialen Krisen zu begleiten und zu unterstützen. „Sterbewünsche entstehen meist aus Angst, Einsamkeit, Kontrollverlust oder der Sorge, zur Last zu fallen. Diesen Motiven muss mit Zuwendung, therapeutischer Begleitung und palliativer Unterstützung begegnet werden“, so Christa Rados, Vorstandsmitglied der ÖGPP und Mitverfasserin des aktuellen Positionspapieres. Suizidabsichten sind Ausdruck einer existenziellen Notlage. Sterbe- und Suizidhilfe dürfe „kein Ersatz für fehlende psychiatrische Versorgung sein“, betont der Psychiater Christian Korbel, Präsident der ÖGPP. Gerade deshalb sieht die ÖGPP in der gesetzlichen Regelung zum assistierten Suizid problematische Punkte.
Fehlende psychiatrische Expertise
Eine verpflichtende psychiatrische Abklärung erfolgt derzeit nur, wenn bei der Aufklärung Anzeichen für eine psychische Störung bestehen. Die ÖGPP hält das für unzureichend, da bei schwer Erkrankten häufig Depressionen auftreten, die von nicht geschulten Ärzten leicht übersehen werden. Diese könnten „suizidale Einengungen“ begünstigen. Psychiatrische Expertise müsse deshalb allen Personen zugänglich sein, die sich mit dem Gedanken tragen, mittels assistierten Suizids aus dem Leben zu scheiden.
Einjährige Frist ohne Kontrolle
Eine Sterbeverfügung ist ein Jahr gültig, ohne dass eine weitere Prüfung der Entscheidungsfähigkeit vorgesehen ist. „Insbesondere bei psychisch Kranken kann sich die Entscheidungsfähigkeit während dieser Frist allerdings entscheidend ändern“, warnt die ÖGPP. „Das ist aus suizidpräventiver Sicht bedenklich.“
Medien in der Verantwortung
Die ÖGPP kritisiert die Verwendung des Begriffs „Sterben in Würde“ für assistierten Suizid, da dies suggeriere, ein natürlicher Sterbeprozess sei weniger würdevoll. ÖGPP-Vorstandsmitglied Christa Rados fordert zudem eine „differenzierte, nicht-romantisierende Berichterstattung“, um Nachahmungseffekte zu vermeiden. Studien belegten, dass der „Werther-Effekt“ auch bei assistierten Suiziden relevant sei. Medien sollten sich am Ehrenkodex des Österreichischen Presserats orientieren.