Bioethik aktuell

Social Egg Freezing: Optionen wie ‚Kinderwunsch auf Eis‘ schaffen für Frauen auch neue Zwänge

IVF für Spätgebärende weckt falsche Hoffnungen, Geschäftsinteressen werden nicht offengelegt

Lesezeit: 05:06 Minuten

In den Vereinigten Staaten bieten immer mehr Arbeitgeber jungen Mitarbeiterinnen an, ihre Eizellen auf Vorrat einzufrieren, um erst später per IVF ein Kind zu bekommen. Neue Optionen können nicht nur die Autonomie erweitern, sondern auch neue Erwartungen und Zwänge schaffen: die Erwartung etwa, das Angebot zu nutzen, um voll im Beruf einsatzfähig zu bleiben. Familienplanung wird damit auf die Frauen abgeschoben. Und der Eizellhandel blüht. Die Wunschvorstellung, wonach diese Technik vor allem die Selbstbestimmung der Frau stärkt, greift zu kurz.

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© Freepik_denamorado

Etwa 19 Prozent der US-Großkonzerne mit mehr als 20.000 Mitarbeitern offerieren ihren Angestellten als Benefit die Übernahme der Kosten für das sogenannte „Social Egg Freezing“. 42 Prozent dieser Firmen stellen den Frauen auch die Rückerstattung der Kosten für eine künstliche Befruchtung in Aussicht (vgl. Fortune 3.5.2022).

Dass sich die Österreichische Bioethikkommission in einer aktuellen, nur sechs Absätze umfassenden Stellungnahme (25.9.2023) für Social Egg Freezing ausspricht, ohne auf die dahinter liegenden komplexen ethischen Fragestellungen auch nur annähernd einzugehen, hält IMABE-Direktorin Susanne Kummer für ein „grobes Versäumnis“.

Künstliche Befruchtung als Ersatz für gesellschaftliche Veränderungen?

„Wer Frauen durch Social Egg Freezing mehr Autonomie verspricht, blendet die Zwänge der gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeits- und Familienwelt aus“, betont die Ethikerin. Frauen sind schon jetzt in der Arbeitswelt benachteiligt, wenn sie Kinder bekommen – ein Phänomen, das als „Motherhood-Penalty“- oder „Child Penalty“ bezeichnet wird. Nun werde der „Child Penalty“ auch noch mittels medizintechnischer Methoden befördert: Die – auf später hinausgeschobene, vom Arbeitgeber oder Staat bezahlte – künstliche Befruchtung der Frau wird als Lösung für die Vereinbarkeit von Karriere und Kind verkauft. Doch Optionen üben einen subtilen Zwang aus. „Müssen wir bald mit Sätzen rechne wie: Wenn du Karriere willst, dann lass dir doch deine Eizellen einfrieren...?", fragt Kummer. Geschäftsinteressen sollten klar offengelegt werden: „Junge Frauen sollen möglichst ‚unschwanger‘ gehalten werden, damit sie für das Unternehmen ‚produktiv‘ bleiben.“

Es werden illusionäre Hoffnungen auf ein Kind im hohen Alter geweckt

Social Egg Freezing suggeriert, dass Frauen ihre Fruchtbarkeit geplant und kontrolliert „auf Eis“ legen können. Das Kind kommt dann quasi auf Abruf dank Fortpflanzungsmedizin und Steuergeldern, die die IVF mitfinanzieren, so das in der Öffentlichkeit transportierte Bild. Die klinischen Daten zeigen dagegen ein ernüchterndes Bild: Altersunabhängig werden trotz moderner Reproduktionsmedizin über 90 Prozent der Frauen entweder auf natürliche Weise schwanger - oder sie müssen kinderlos bleiben. Nur weniger als sieben Prozent aller Frauen profitieren hingegen bei der Erfüllung des Kinderwunsches von moderner Reproduktionsmedizin, heißt es in der Stellungnahme der Schweizer Nationalen Ethikkommission zu Social Egg Freezing (2017). 

Noch ernüchternder sind die Zahlen aus den repräsentativen Daten des nationalen Registers HFEA in Großbritannien: Nur 1,7 Prozent jener Eizellen, die zwischen 2008 und 2013 eingefroren und wieder aufgetaut wurden, führten zu einer Lebendgeburt. Ähnlich die Zahlen der American Society of Reproductive Medicine, die 2014 darauf hinwies, dass bei einer künstlichen Befruchtung nach Social Egg Freezing ab 38 Jahren nur 2 bis 12 Prozent der aufgetauten und künstlich befruchteten Eizellen überhaupt implantationsfähig sind. Zur Gewinnung von 20 bis 30 Eizellen sind mehrere hormonelle Stimulationen und Punktionen nötig, die ebenfalls mit Risiken für die Frau verbunden sind.

Die biologische Uhr der Frau tickt – trotz Einfrieren von Eizellen

Nicht nur die Qualität der Eizellen sinkt mit der Aufbewahrungsdauer im gefrorenen Zustand, auch der Organismus der Frauen ist bei späten Schwangerschaften für Komplikationen anfälliger als in jungen Jahren. Je älter die Frauen sind, desto größer sind auch die Risiken einer IVF-Schwangerschaft – für Frauen und Kinder. Frauen haben nachweislich ein erhöhtes Risiko für Komplikationen wie Schwangerschaftsdiabetes oder Präeklampsie, es kommt zudem häufiger zum Früh-Tod des Kindes und zu Fehlgeburten. Laut dem jüngsten Report des US-Center for Disease and Control and Prevention (2020) liegt die Erfolgsquote bei Frauen, die ihre eigenen Eizellen für eine IVF verwenden, altersabhängig zwischen 51 Prozent (Frauen jünger als 35 Jahre) bis 37 Prozent (Frauen zwischen 35 und 37 Jahren). Bei Frauen zwischen 38 und 40 Jahren liegt die Chance auf ein Baby nur mehr bei 24 Prozent und bei Frauen über 40 Jahren nur noch bei 8 Prozent. „Die biologische Uhr der Frau tickt also weiter – je älter, desto geringer ist die Chance auf ein eigenes Kind, auch bei eingefrorenen Eizellen“, resümiert Kummer.  

Alte Muster: Familiengründung wird zur reinen Frauensache degradiert

Als häufigsten Grund für Social Egg Freezing geben Frauen an, dass sie keinen geeigneten Partner zur Erfüllung des (gemeinsamen?) Kinderwunsches gefunden haben. An zweiter Stelle stehen berufliche Gründe. „Dass offenbar immer weniger Männer bereit sind, eine Familie zu gründen und Verantwortung für Kinder zu übernehmen, wird im Diskurs komplett ausgeblendet“, kritisiert Kummer: „Elternschaft ist ein Gemeinschaftsprojekt – mit dem Angebot des Eizellen-Einfrierens wird sie individualisiert und der Frau umgehängt. Das ist nicht liberal – das ist ein Rückschritt in alte Muster.“ Welche Verantwortung Männer für die Gestaltung einer kinder- und familienfreundlichen Arbeitswelt und Gesellschaft übernehmen sollen, bleibt im Dunkeln.

Das Geschäft blüht: Jünger, mehr und länger einfrieren

Das Geschäft mit dem Social Egg Freezing blüht: Frauen werden in TV und Werbeeinschaltungen dazu ermutigt, ihre Eizellen schon in jungen Jahren auf Vorrat einzufrieren (CBS, 11.3.2023). Der Eingriff alleine kostet zwischen 5.000 und 10.000 Euro, dazu kommen jährliche Lagerungsgebühren von rund 400 Euro. Möglichst schon ab 30 Jahren sollen sich Frauen hormonell stimulieren lassen und prophylaktisch einen Vorrat von Eizellen einfrieren lassen. In Großbritannien wurde die Lagerungsfrist im Jahr 2022 von 10 auf 55 Jahre erhöht. Aus Studien ging hervor, dass nur wenige Frauen am Ende auf ihre Eizell-Reserven zurückgreifen – entweder, weil sie schon auf natürlichem Weg ein Kind bekommen haben oder weil sich ihr Lebensentwurf geändert hat. Millionen von Eizellen wurden Frauen entnommen – und lagern.  

Eizellen sind ein begehrter Rohstoff  

Inzwischen wächst der Druck, wonach Frauen ihre vielen „ungenützten Eizellen“ nicht verschwenden, sondern „bedürftigen“ Frauen und Männern zur Verfügung stellen sollten – oder zumindest der Forschung. „Länder wie Singapur sind bereits damit konfrontiert, dass ungenutzte Eizell-Reserven unter der Hand weiterverkauft werden. Kinder, die daraus entstehen, können nicht nachvollziehen, von wem sie eigentlich abstammen“, erklärt Kummer. Eines scheint jedenfalls klar: Der Handel mit menschlichen Eizellen ist ein internationales Geschäft, das inzwischen durch Social Egg Freezing angekurbelt wird (vgl. Bioedge, 20. Juli 2023).

Weiterführendere Literatur

Susanne Kummer: Kritische Reflexionen zur ‚reproduktiven Autonomie‘. Imago Hominis (2023); 30(3): 165-178

Giovanni Maio: Schwangerschaft auf Abruf? Warum Social Egg Freezing nicht der richtige Weg ist. Imago Hominis (2014); 21(1): 12-16

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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