Bioethik Aktuell

Spanien: 9.000 Ärzte stehen auf staatlicher 'schwarzer Liste', weil sie Tötung auf Verlangen ablehnen

Ärzte, die ihrem Berufsethos gemäß das Leben schützen, fühlen sich an den Pranger gestellt

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Seit Juni 2021 ist in Spanien Euthanasie legalisiert - mit einer Besonderheit: Der Staat verpflichtet Ärzte, sich in ein öffentliches Register einzutragen, wenn sie sich weigern, an der Tötung eines Patienten mitzuwirken. Scharfe Kritik üben daran Vertreter der Gesundheitsberufe: Eine derartige Liste des Staates diene einzig dazu, Ärzte einzuschüchtern anstatt das Recht auf Gewissensfreiheit zu unterstützen.

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Vor knapp zwei Jahren wurde in Spanien im Eilzugstempo, als viertem Land in Europa – nach den Beneluxstaaten – das Gesetz zur Euthanasie beschlossen. Tötung auf Verlangen und assistierter Suizid sind damit unter bestimmten Bedingungen gesetzlich erlaubt. Einzigartig ist allerdings, dass Angehörige von Gesundheitsberufen, die aus Gewissensgründen keine Patiententötungen vornehmen, sich in ein staatliches Register eintragen müssen. Verfassungsjurist José Antonio Díez Fernández (Universidad Internacional de La Rioja) kritisiert diese Vorgangsweise scharf: Das Gesundheitsministerium würde damit „schwarze Listen“ von Ärzten erstellen, die einzig dazu dienen, das Gesundheitspersonal einzuschüchtern (El Debate, 21.3.2023). 

Diese positive Diskriminierung stelle einen Angriff auf Ärzte, Apotheker und Pflegende dar, hält die Nationale Vereinigung zur Verteidigung der Gewissensfreiheit (ANDOC) fest. Wenn das Ministerium ein Register haben möchte, dann sollten dort jene Ärzte angeführt sein, die bereit sind, Tötungen auf Verlangen durchzuführen. Wenn ein Patient dies möchte, „soll er wissen, an wen er sich wenden kann, und nicht, an wen er sich nicht wenden kann“, so  Díez Fernández. Der Bevölkerung soll offenbar ein ideologisches Verständnis von Gesundheitssorge vermittelt werden, das „nichts mehr mit der medizinischen Tradition“ oder dem Ethos der Krankenpflege zu tun hat, moniert der Jurist.

Ärzte sollen heilen, lindern und begleiten, aber niemals töten

Bislang sind etwa 9.000 Ärzte im Register eingetragen. Trotz der Vorschriften des Ministeriums ist die überwiegende Mehrheit der Ärzte „nicht auf den Listen und wird es auch nie sein“, sagt ANDOC-Präsidentin Eva María Martín, etwa weil sie im Bereich der Palliativmedizin tätig sind oder aufgrund ihrer ethischen Verpflichtung gegenüber den Patienten, wie sie auch kürzlich vom Weltärztebund bekräftigt wurden. Sie sehen in der Euthanasie keine medizinische Handlung, ihre Pflicht besteht darin, zu heilen, zu lindern und zu begleiten, „niemals zu töten“. Manche hätten auch Angst, auf der „schwarzen Liste“ zu stehen und befürchten eine „Hexenjagd der Verwaltung“. Die Gewissensfreiheit müsse verteidigt werden, sie sei ein „Grundrecht, das allen Menschen zusteht“, sagt die Medizinerin.

Krankenkassen bezahlen Tötung auf Verlangen

In Spanien können Menschen mit einer „schweren und unheilbaren“ Krankheit oder „chronischen, stark einschränkenden Schmerzen“ auf eigenen Wunsch den vorzeitigen Tod einfordern, um „unerträgliches Leid“ zu vermeiden. Der Todeswunsch muss freiwillig und konstant sein – Betroffene müssen ihn im Abstand von mindesten 14 Tagen zwei Mal geäußert haben. Psychische Erkrankungen sind als Grund laut aktueller Regelung ausgeschlossen. Die Kosten der aktiven Sterbehilfe werden von den staatlichen Krankenkassen getragen.

Die spanische Regierung hatte 2021 argumentiert, dass sich nur mit mit der Erstellung von Listen die „Versorgung“ mit Tötung auf Verlangen entsprechend organisieren ließe. Die Spanische Ärztekammer argumentiert dagegen mit Artikel 16, Absatz 2 der Verfassung. Darin ist abgesichert, dass niemand gezwungen werden darf, „über seine Ideologie, Religion oder Weltanschauung auszusagen“. Das geltende Euthanasie-Gesetz könnte „gegen dieses Verfassungsprinzip verstoßen“. Es widerspreche dem Grundsatz der Vertraulichkeit und verstoße gegen das Prinzip der Nicht-Diskriminierung, stellte die Standesvertretung der Ärzte klar (Bioethik aktuell, 1.7.2021).

Frankreich: 800.000 Ärzte und Pflegende sagen „Nein zur Euthanasie"

Auch in Frankreich wehrt sich das Gesundheitspersonal dagegen, in Tötungshandlungen involviert zu werden. Dreizehn wissenschaftliche Gesellschaften und Vereinigungen von Ärzten und Pflegekräften haben sich in einem offenen Brief an die Regierung und Parlamentarier gewandt, damit der Gesundheitsbereich „von jeglicher Beteiligung an einer Form des verwalteten Todes“ ferngehalten wird. Die Organisationen, die nach eigenen Angaben 800.000 Mitglieder aus dem Gesundheitsbereich vertreten, haben ein 26-seitiges ethisches Gutachten verfasst. Darin werden „Euthanasieverfahren kategorisch abgelehnt“. Ausdrücklich werden darin auch „die Vorbereitung“ und „die Verabreichung einer tödlichen Substanz“ durch das Gesundheitspersonal erwähnt (Le Monde, 17.2.2023). Ende Dezember 2022 hatte der von Präsident Emmanuelle Macron eingerichtete Bürgerkonvent sich für die Möglichkeit einer Tötung auf Verlangen ausgesprochen (FAZ, 3.4.2023).

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