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Transgender: Fachgesellschaften warnen vor Geschlechtsumwandlung bei Kindern

Mehr psychologische Behandlung gefordert statt Druck auf Trans-Eingriffe

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Die Nationale Akademie für Medizin in Frankreich hat neue Leitlinien zur medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie (GD) herausgegeben. Sie warnt davor, Minderjährige vorschnell einer hormonellen oder chirurgischen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, wenn diese sich im falschen Körper fühlen. Die Eingriffe könnten sich auf keine ausreichende Studienlage stützen und seien damit nicht evidenzbasiert (vgl. Leitlinien 28.2.2022).

Die Fachexperten sind angesichts des „epidemieartigen“ Anstiegs der Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen im Zusammenhang mit Transidentität besorgt – vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Das „Risiko einer Überdiagnose“ sei „real“: Dies zeige sich durch die wachsende Zahl junger Erwachsener, die sich eine sog. Detransition wünschen, bei der die Geschlechtsumwandlung wieder rückgängig gemacht wird. Anstatt Kinder und Jugendliche schnell auf einen Trans-Weg zu drängen, sollte die Phase der psychologischen Betreuung daher möglichst ausgedehnt werden, so die Akademie.

In Frankreich dürfen sich Jugendliche ab 14 Jahren einer hormonellen und chirurgischen Geschlechtsänderung unterziehen, darunter fällt auch die Brustamputation bei minderjährigen Mädchen oder chirurgische Eingriffe am Genitale. In Deutschland soll die Möglichkeit von Transgender-Operationen bei Minderjährigen noch in diesem Jahr durch ein sog. „Selbstbestimmungsgesetz“ legalisiert werden. Das neue Gesetz soll das bisherige Transsexuellengesetz ersetzen, ein Gesetzesvorschlag liegt vor (vgl. Tagesschau, 23.2.2022).

Frankreich reiht sich neben Schweden, Finnland und Großbritannien in die Reihe jener Länder ein, die aggressive Transgender-Behandlungen bei Kindern ablehnen. „Hier findet offenbar ein Umdenken statt, das sich an den medizinethischen Grundprinzipien orientiert. Das Prinzip des 'Nicht-Schadens' und 'Wohltuns' hat Vorrang gegenüber vermeintlicher Selbstbestimmung oder experimenteller Wunschmedizin“, sagt die Wiener Ethikerin Susanne Kummer (IMABE).

Laut Kummer hat jüngst der schwedische Nationale Rat für Gesundheit und Wohlfahrt neue Leitlinien zur hormonellen Behandlung von Minderjährigen bei Geschlechtsdysphorie publiziert (Februar 2022). Es zeige sich, dass eine „geschlechtsangleichende Behandlung zu einer Verschlechterung der Gesundheit und der Lebensqualität (d. h. „Schaden“)“ führen kann. Schweden lehnt daher eine Abgabe von Pubertätsblockern bei Minderjährigen ab, da die „Risiken den potenziellen Nutzen übersteigen“. Derartige Eingriffe dürften nur noch in Einzelfällen und im Rahmen einer klinischen Studie durchführt werden. Bereits im Mai 2021 hatte sich das Gremium gegen geschlechtsspezifische Operationen bei Jugendlichen unter 18 Jahren ausgesprochen (vgl. Bioethik aktuell, 1.10.2021).

Während sog. Transgender-Kliniken für Jugendliche und Kinder in zahlreichen Ländern aus dem Boden schießen und politischer Druck aufgebaut wird, wächst die Kritik an den irreversiblen Eingriffen bei Kindern trotz mangelnder Faktenlage. Die Eingriffe bei Kindern mit sog. Geschlechtsdysphorie seien nicht wissenschaftlich und damit experimenteller Natur sind. „Dennoch wächst der Markt – auf Kosten der Kinder“, so Kummer.

Pubertätsblocker und Operationen können bei Jugendlichen mit einer Vielzahl schwerwiegender Nebenwirkungen verbunden sein, wie Wachstumsstörungen, Knochenschäden, bei Mädchen Anzeichen der Menopause, Unfruchtbarkeit sowie emotionale und intellektuelle Störungen. Am 12. März wird der internationale #DetransAwarenessDay begangen.

In Großbritannien standen seit Jahren massive Vorwürfe gegen das britischen Gender Identity Development Service (GIDS) der Londoner Tavistock Klinik im Raum. Tausende Geschlechtsumwandlungen wurden dort bei Minderjährigen durchgeführt, es kam zu Klagen gegen die Klinik (vgl. Bell vs. Tavistock, 2021), 35 Psychologen hatten die Klinik innerhalb von nur drei Jahren verlassen, da sie die Vorgänge nicht mehr mit ihrem beruflichen Ethos und Gewissen vereinbaren konnten (vgl. Bioethik online, 13.1.2020).

Im Jahr 2010/11 wurden 138 Kinder zur Behandlung an die Londoner Klinik überwiesen, 2020/21 waren es mit 2.383 Jugendlichen 17 Mal so viele. Während es Anfang der 2010er-Jahre es meist Burschen waren, sind es nun überwiegend Teenagermädchen. Die Gründe für diese Verschiebung sind nicht bekannt. Weitere 4.600 Jugendliche, die ihr Geschlecht ändern wollen, stehen auf der Warteliste. 

Eine unabhängige Kommission untersuchte nun die Vorfälle und legte den ersten Zwischenbericht (Cass-Review (Feb 2022) vor. Dieser kommt zu einem verheerenden Urteil: Die Tavistock-Klinik müsse neu aufgestellt werden, da sie „keine sichere oder tragfähige langfristige Option" für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie sei (vgl. The Times, 10.3.2022).

Die Hauptvorwürfe, nämlich dass Kinder zu schnell, ohne Qualitätssicherung und entsprechende psychologische Abklärung oder Alternativangebote hormonell behandelt wurden (vgl. Bioethik aktuell, 13.1.2020), hätten sich bestätigt. Auch Ärzte sollen unter Druck gesetzt worden sein, derartige experimentelle Eingriffe durchzuführen statt psychologische Behandlung anzubieten, die hilfreich gewesen wäre. Der Bericht der britischen Kommission soll im Laufe des Jahres abgeschlossen werden.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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