Der Begriff „Konversionsverbot“ wird häufig mit dem berechtigten Schutz homosexueller Menschen vor Zwangsbehandlungen und Pseudotherapien assoziiert. Das österreichische „Konversionsmaßnahmen-Schutz-Gesetz“ (Gesetzesentwurf vom 28.5.2025), das auf Initiative von SPÖ und NEOS zur parlamentarischen Abstimmung gebracht werden soll, geht jedoch erheblich über diesen ursprünglichen Schutzgedanken hinaus. Deshalb schlagen Mediziner, Elternverbände und Therapeuten Alarm. Sie fordern die Rücknahme des Gesetzesvorhabens.
Wenn Eltern ihr Kind schützen wollen, droht ihnen eine Gefängnisstrafe
Das Gesetz erfasst Minderjährige, die sich als „transgender“ empfinden. Es untersagt jede Form der kritischen Hinterfragung des Geschlechtsumwandlungswunsches bei Jugendlichen – sei es durch Ärzte, Therapeuten oder Eltern. Solche Gespräche würden bereits als strafbare „Konversionsmaßnahme“ gelten. Medizinern, Therapeuten aber auch Seelsorgern und Eltern drohen Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr oder Geldstrafen bis 30.000 Euro. Erziehungsberechtigte, die Einwände erheben, riskieren den Verlust des Sorgerechts.
Ursprünglich sollte der Nationalrat noch im Juni über den Gesetzesentwurf abstimmen. Angesichts wachsender Proteste aus der Fachwelt ist dies jedoch fraglich geworden.
Medizinische und therapeutische Bedenken
Das Recht auf ergebnisoffene Therapie
„Eine ergebnisoffene Therapie eines jungen Menschen, der sich in seinem Körper verunsichert fühlt, ist keine Konversionstherapie. Sie ist Ausdruck von Ernstnehmen der Situation, Respekt, Menschlichkeit und professioneller Verantwortung“, erklärt Daniela Karall, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde.
Unter dem Vorwand des (Kinder-)Schutzes greift dieser Entwurf in Wahrheit in zentrale ethische, medizinische und gesellschaftliche Grundprinzipien ein. Noch nie habe ein Gesetz unter Strafandrohung Ärzten und Therapeuten vorgeschrieben, welche Behandlungsart sie durchzuführen oder zu unterlassen haben, kritisiert die stellvertretende Direktorin der Universitätsklinik für Pädiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck.
Problematik der affirmativen Behandlung
Affirmative Behandlung bedeutet die uneingeschränkte Bestätigung der selbstempfundenen Geschlechtsidentität, unabhängig von Alter, Entwicklungsstand oder Begleitumständen. Äußert ein Jugendlicher den Wunsch nach Geschlechtsangleichung, wird dieser nicht exploriert – Nachfragen nach Gründen, Aufklären über Risiken, gemeinsame Suche nach den Ursachen –, sondern bestätigt und medizinisch umgesetzt. Der Gesetzesentwurf macht diese Haltung faktisch verpflichtend: §1 Abs. 2 schreibt vor, dass eine Behandlung „darauf gerichtet sein muss, die selbst empfundene geschlechtliche Identität einer Person zum Ausdruck zu bringen“. Dies bedeutet das Ende therapeutischer Freiheit zugunsten einer staatlich verordneten Behandlungsdoktrin.
Fehlende wissenschaftliche Evidenz
Dem Gesetzesentwurf liegt keine wissenschaftliche Grundlage zugrunde, sondern die Hypothese, dass jeder Mensch das Recht habe, seinen Körper seiner „gefühlten Geschlechtsidentität“ anzupassen. Die Begriffe „Geschlechtsidentität“ und „Geschlechtsausdruck“ sind dabei unscharf definiert. Jede Form von ergebnisoffener Begleitung und explorativer Gespräche im Rahmen einer Psychotherapie könnte künftig nur noch unter Strafandrohung durchgeführt werden.
„Der Gesetzestext möchte die Art der Begleitung von jungen Menschen in einer Krise regulieren, obwohl es dafür ja bereits ein Gesetz gibt, in dem klar geregelt ist, dass die Behandlung und Beratung einer gegenseitigen Freiwilligkeit und eines Behandlungsvertrages vorsehen. Er unterstellt Manipulation dort, wo eigentlich geduldige Auseinandersetzung mit einer komplexen inneren Krise angebracht ist. Gerade das brauchen aber Kinder, Jugendliche und junge Menschen“, betont Karall aus langjähriger Erfahrung.
Die Alternative: Watchful Waiting und Psychotherapie
Evidenz für abwartendes Beobachten
„Untersuchungen zeigen, dass sich Geschlechtsdysphorie bei den meisten Kindern von selbst legt, wenn man sie nicht auf den affirmierenden Behandlungsweg schickt, sondern ihnen mit 'Watchful Waiting' begegnet“, erklärt die Psychiaterin und Psychoanalytikerin Bettina Reiter. Das Prinzip des „beobachtenden Abwartens“ sei ein klassischer medizinischer Grundsatz für alle Symptome, die zwar gravierend, aber nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind.
„Es geht darum, ein therapeutisch-beratendes Setting anzubieten, in dem alle auftauchenden Fragen gestellt werden können und einen Platz haben. Wenn man den Kindern in dieser schwierigen Zeit zur Verfügung steht und sie begleitet, aber nicht hormonell oder operativ eingreift, kann man den allermeisten den körperzerstörenden Transitionsprozess ersparen“, betont Reiter.
Alarmierende Statistiken aus Österreich
Österreichische Statistiken zeigen eine drastische Zunahme operativer Eingriffe bei jungen Frauen: Zwischen 2004 und 2013 wurden 77 Mastektomien bei jungen Frauen mit Geschlechtsdysphorie durchgeführt, von 2014 bis 2023 waren es über 1.100 Brustamputationen. Gleichzeitig melden sich immer mehr Detransitioner zu Wort, die ihre Entscheidung bereut und sich mit ihrem Geschlecht versöhnt haben. Sie berichten von Druck und Fehlbehandlungen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Geschlechtsinkongruenz
Instabilität der Diagnose bei Minderjährigen
Florian D. Zepf, Klinischer Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Jena, weist darauf hin, dass der Argumentation für Pubertätsblockaden und Hormonbehandlungen bei Minderjährigen valide Kriterien fehlen, anhand derer sich diese Personengruppen im Vorfeld angemessen identifizieren ließen. Die Diagnose „Geschlechtsinkongruenz“ ist bei jungen Menschen zwischen 5 und 24 Jahren weitaus weniger beständig, als der Gesetzgeber suggeriert. Eine 2024 im Deutschen Ärzteblatt publizierte Studie mit Krankenversicherungsdaten belegt: Nach fünf Jahren lag bei 65 Prozent der betroffenen Fälle in Deutschland die Diagnose nicht mehr vor – sie verschwand ohne massive körperliche Eingriffe. Dieses Ergebnis stimmt mit zahlreichen internationalen Studien überein. Manche berichten sogar von 80-90 Prozent von Fällen, bei denen der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung bei Jugendlichen wieder von allein verschwunden ist.
Betroffenen geht es zwei Jahre nach Trans-OP psychisch schlechter als vorher
Internationale Metaanalysen, wie eine kürzlich in der Oxford University Press veröffentlichte Studie zu psychischen Problemen nach Geschlechtsumwandlungen, bestätigen: Für den Nutzen solcher Maßnahmen bei Minderjährigen gibt es keine belastbare Evidenz – für die Schäden hingegen schon. Jene, die sich „transaffirmativ“ (das andere, gefühlte Geschlecht „bestätigende“) operieren ließen, hatten zwei Jahre danach signifikant höhere Raten von psychischen Erkrankungen wie Depression, Suizidgedanken, Angststörungen, Drogenmissbrauch und körperdysmorphe Störung als jene Personen mit Gender Dysphorie, die keine operative Geschlechtsumwandlung vornehmen ließen.
Entwicklung der Geschlechtsidentität
Der österreichische Gesetzesentwurf behandelt sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als gleichwertige, unveränderliche Eigenschaften. Während sexuelle Orientierung eine stabile Eigenschaft ist, zeigt die Forschung bei der Geschlechtsidentität ein differenzierteres Bild – besonders im Jugendalter, wo Identitätsentwicklung naturgemäß im Fluss ist.
Die Elterninitiative ROGD Österreich – sie vertritt Eltern, deren Kinder sich plötzlich als „trans“ (Rapid Onset Gender Dysphoria) bezeichneten –, warnt: „Geschlechtsidentität ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich. Die unreflektierte Affirmation führt oft zur irreversiblen Medikalisierung von pubertären Reifungskrisen.“ Sie fordern den Gesetzgeber dazu auf, ein Gesetz zurückzunehmen, das „politisch verantwortungslos vulnerablen jungen Menschen irreversible Körpereingriffe de facto als einzige Option“ anbietet und bezahlt. Explorative psychologische und psychotherapeutische Unterstützung wird hingegen nicht von der Kasse bezahlt.
Rechtliche und ethische Problematik
Kriminalisierung von Familien, Fachtherapeuten und Seelsorge
Es gibt in Österreich keine empirisch belastbaren Hinweise auf systematische „Konversionstherapien“ in organisierter Form, die ein Sondergesetz notwendig machen. Das Gesetz stellt alle unter Generalverdacht, die Jugendlichen helfen wollen, ohne sofort irreversible Hormone zu verordnen oder Genitalien operativ zu verändern. Eltern droht die Kindesabnahme, wenn sie dem Wunsch ihres Kindes nach Geschlechtsänderung nicht zustimmen. Dabei gibt es keinen medizinischen, juristischen oder wissenschaftlichen Grund für diese drastischen Maßnahmen. Kein einziger dokumentierter Fall rechtfertigt solche Maßnahmen gegen Eltern, Ärzte, Therapeuten.
Gleichzeitig bleiben gravierende medizinische Eingriffe wie Sterilisation, Genitaloperationen und lebenslange Hormonbehandlungen unbehelligt und werden gesetzlich geschützt und gefördert. Der Gesetzestext unterstellt zudem Religionsgemeinschaften „Zwangspraktiken“ oder gar „Exorzismus“ – stigmatisierende Begriffe, die in keinem einzigen dokumentierten Fall in Österreich belegt sind.
Juristische Bedenken
Juristische Fachmeinungen warnen vor der Unbestimmtheit zentraler Begriffe. Die Definition orientiert sich allein am Ziel einer Maßnahme – ungeachtet von Kontext, Absicht oder Einvernehmlichkeit. So geraten auch elterliche Gespräche oder seelsorgliche Begleitung unter Verdacht, selbst wenn die Betroffenen das von sich aus gewünscht haben.
Das Gesetz lässt keinen Raum für Verhältnismäßigkeit: Strafandrohungen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder 720 Tagessätzen drohen selbst Eltern, die bei geschlechtsverändernden Maßnahmen ihres Kindes auf Zeit und Klärung drängen. Das strafrechtliche Damoklesschwert gefährdet das Vertrauensverhältnis in Familien ebenso wie das Seelsorgegeheimnis und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.
Internationale Entwicklungen
Der Cass-Report und die Kehrtwende in Großbritannien
Während Österreich den affirmativen Weg gesetzlich zementieren will, haben andere Länder aufgrund wissenschaftlicher Evidenz umgesteuert. Der Cass-Report – eine unabhängige Untersuchung im Auftrag des britischen Gesundheitsministeriums – kam 2024 zu eindeutigen Schlüssen: Für medizinische Eingriffe bei Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie gibt es keine ausreichende Evidenz. Im Gegenteil: Aus körperlich gesunden jungen Menschen Patienten zu machen, die lebenslang Hormone nehmen müssen und in ihrer Entwicklung gestört werden, widerspricht dem „Nicht-Schaden-Prinzip“ der Medizin.
Der umfassende Bericht fordert eine radikale Umkehr: Psychotherapie muss Vorrang haben. Nicht weil Transidentität pathologisiert werden soll, sondern weil Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie überdurchschnittlich häufig unter begleitenden psychischen Erkrankungen leiden – Depressionen, Angststörungen, ADHS, Essstörungen oder Traumata.
Der Cass-Report kritisiert, dass affirmative Modelle keine echte Wahl lassen und irreversible Eingriffe zu früh und zu häufig erfolgen, ohne ausreichende Diagnostik, Datenbasis oder Langzeitstudien.
Internationale Trendwende
Auch in Schweden und Finnland wurden die Richtlinien überarbeitet und der affirmative Therapieansatz für Minderjährige aufgrund mangelnder Evidenz, wachsender Zahlen von Detransitionern und steigender juristischer Klagen aufgegeben. Weltweit spricht sich die medizinische Fachmeinung gegen einen affirmativen Alleingang aus. Nur die deutschsprachigen Leitlinien halten weiterhin daran fest, was auch zu scharfer Kritik in Fachkreisen geführt hat.
Fazit: Psychotherapie braucht Freiheit, nicht Strafrecht
Junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie verdienen Sorgfalt, keine Ideologie. Kein Mensch darf zu etwas gezwungen werden – genauso wenig darf aber auch niemand für eine therapeutische Offenheit, elterliche Sorge oder seelsorgliche Begleitung bestraft werden. Ein Staat, der Ärzten vorschreibt, gegen ihre fachliche Überzeugung zu handeln, und Eltern bestraft, weil sie wissenschaftlich begründete Vorsicht walten lassen, überschreitet seine demokratische Legitimation.
Es besteht kein Bedarf für eine neue Strafnorm, die Familien bedroht, Therapeuten entmündigt und wissenschaftliche Kritik strafbar macht. Statt vorschnelle Affirmation zur einzigen „erlaubten“ Haltung zu machen, braucht es sachliche Differenzierung und geschützte Räume, in denen Betroffene ihre Nöte besprechen können, ohne dass alle Beteiligten mit drakonischen Strafen rechnen müssen.