Fehlerkultur in der Pflege: eine Betrachtung aus der Praxis

Imago Hominis (2011); 18(1): 49-54
Astrid Engelbrecht

Zusammenfassung

Die Entwicklung einer positiven Fehlerkultur ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Pflegende nehmen als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle in der Identifizierung und Vermeidung von Fehlern ein. Demzufolge ist die Verankerung der Pflege im Fehlermanagement für die Qualität und Sicherheit in der Versorgung unabdingbar. Das Management ist daher gefordert, eine Kultur des Vertrauens und der Wertschätzung zu entwickeln, in welcher auf Fehlermeldungen nicht Sanktionen folgen. Anhand eines realen Falles aus der Praxis soll veranschaulicht werden, wie durch ein gezieltes Fehlermanagement der Grundstein für eine positive Fehlerkultur gelegt werden kann.

Schlüsselwörter: Fehler, Fehlerkultur, Fehlermanagement

Abstract

The development of a positive error culture is an interdisciplinary duty, which cannot be considered isolated for a certain occupational group. In the health care system nursing staff plays an important part at recognizing and avoiding mistakes as it is known as the biggest occupational group. Consequently, the entrenchment of nursing in the management of errors is indispensable for the quality and safety of maintenance. Therefore the management is challenged to develop a culture of trust and appreciation in which error reports are not followed by punishment. An exemplary case from daily practice should demonstrate how the foundation for a positive error culture can be laid by a targeted management of errors.

Keywords: Error, Error Culture, Management of Errors


Einleitung

Wenn Menschen aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen die Entscheidung treffen, in Gesundheitseinrichtungen tätig zu werden, so tun sie dies, um PatientInnen im Rahmen des diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Prozesses kompetent zu behandeln, zu betreuen und zu unterstützen. Keiner geht davon aus, dass das eigene Tun und Handeln andere gefährden, verletzen oder letztendlich Ursache für eine schwerwiegende, unerwünschte Komplikation werden könnte.

Fehler passieren überall, wo Menschen arbeiten. Diese Feststellung beinhaltet, dass wir unser tägliches Tun bewusst reflektieren und Beinahe-Fehler oder eingetretene Fehler einer systematischen Analyse unterziehen müssen, um den wiederholten Eintritt ein und desselben Fehlers zu verringern und das potentielle Schadensausmaß möglichst zu vermindern. Die Komplexität und Geschwindigkeit der Abläufe, die Hektik und der Stress im Spitalsalltag begünstigen das Auftreten von Fehlern. Hohe Arbeitsbelastung und Übermüdung schränken die Fähigkeit des Einzelnen ein, Informationen zu verarbeiten und lassen so unweigerlich die Fehlerquote steigen.

Da eine 100-prozentige Fehlervermeidung nicht realistisch ist, liegt das primäre Ziel darin, die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Fehlers zu reduzieren. Dies setzt jedoch eine Strategie der Fehlervermeidung voraus, der eine lebendige und positiv ausgerichtete Fehlerkultur zugrunde liegen muss.

Eine Vielzahl an Werten, wie z. B. Fehleroffenheit, Risikobewusstsein, Verantwortungsbewusstsein, Sorgfalt, Vertrauen, Analyse- und Reflexionsbereitschaft, ebenso wie PatientInnen-, MitarbeiterInnen- und Teamorientierung prägen die Fehlerkultur einer Organisation. Sie manifestieren sich im individuellen und kollektiven Denken und Handeln einer Organisation. Um aus Fehlern lernen zu können, dürfen sie innerhalb der Organisation weder vertuscht werden, noch geht es darum, primär nach Schuldigen zu suchen und unreflektiert Fehler zu sanktionieren. Fehler geschehen, ihre Ursachen sind vielfach nicht auf ein individuelles Versagen zurückzuführen, sondern vielmehr auf organisatorische und kommunikative Mängel, einem Manko an Wertschätzung und Vertrauen.1

Die Verantwortung in der Pflege

Pflegende nehmen aufgrund der Größe der Berufsgruppe und ihrer Position im Rahmen der Versorgung und Betreuung von PatientInnen eine wichtige Rolle in der Identifizierung von Fehlern sowie deren Vermeidung ein. Als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen sind sie aber auch potentielle Verursacher von Fehlern, mit einer folglich anzunehmend hohen Fehlerquote.

Das Wissen um Fehler, das auch als Schutzwissen zu bezeichnen ist, ermöglicht die Reflexion des eigenen Handelns und die reflektierte Auseinandersetzung mit Fehlern. Es schafft Rahmenbedingungen, in denen Fehler angesprochen werden dürfen. Dies bildet wiederum die Basis für organisationsbezogenes und individuelles Lernen, während eine Tabuisierung diese Entwicklung verhindert.

Pflegende müssen deshalb über eine besondere Kompetenz im Erkennen von Fehlern verfügen sowie über profunde Kenntnisse einer systematischen Fehlerbearbeitung. Nur so kann ein Fehlermanagementsystem erfolgreich gestaltet werden.

Fehler, ein damit verbundener möglicher Schaden sowie ein funktionierendes Fehlermanagement haben eine hohe Bedeutung für eine auf Menschlichkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Gesundheits- und Pflegeversorgung. Daher ist die Verankerung der größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen im Fehlermanagement für die Qualität und Sicherheit in der Versorgung unabdingbar.2 Recherchen in der Literatur sowie im Internet zeigen, dass Pflegende in unterschiedlichen Organisationen sich in einem verstärkten Ausmaß mit der Thematik der Fehlerkultur sowie dem Umgang mit Beinahe-Fehlern und Fehlern auseinandersetzen. Das Zentrum für Pflegeforschung und Beratung der Hochschule Bremen führte eine Studie durch, bei der sie Pflegende mittels Fragebogen zu deren Fehlerwahrnehmung, erinnerte Fehlerhäufigkeit, verschiedene Arten von Fehlern und Fehlerkategorien befragte. Ermittelt wurde auch die Ursachenzuweisung, Bewertung (z. B. Inkompetenz, Schuld, Lernchance) sowie deren Auswirkung auf das persönliche Befinden (z. B. wahrgenommene Belastung). Weitere Dimensionen waren soziale Beziehungsfelder im Umgang mit Fehlern, Fehlerkultur und Fehlertoleranz, die Einschätzung persönlicher Einflussmöglichkeiten und präventiver Maßnahmen hinsichtlich Fehlervermeidung und dem Fehlermanagement aus der Sicht der Pflegenden. Befragt wurden Pflegende in Krankenhäusern und stationären Altenpflegeeinrichtungen.

Die Studie ergab unter anderem, dass Pflegende Mängel in der Versorgung ebenso wie organisatorische Defizite für die wichtigsten Fehlerursachen halten. Gründe, die das Melden von Fehlern aus Sicht der Pflegenden behindern, werden ebenfalls der Organisation zugeschrieben. Hier werden als Hauptursachen angeführt, dass nicht klar ist, was gemeldet werden soll, die fehlende Rückmeldung und vor allem auch der Verlust von persönlichem Ansehen durch Meldung von Fehlern, die KollegInnen verursacht haben. Trotz zum Teil schwieriger Umstände veranschaulicht die Studie aber auch, dass bei den Pflegenden mit 52% eine hohe Bereitschaft gegeben ist, aus Fehlern zu lernen und an der Entwicklung einer positiven Fehlerkultur mitzuwirken. Weiters zeigt sich, dass Pflegende bis dato nur unzureichend in die Thematik der Fehlervermeidung und damit auch der Verringerung eines möglichen Schadensausmaßes einbezogen worden sind.

Die Ergebnisse dieser deutschen Studie lassen sich durchaus mit den Verhältnissen in Österreich vergleichen. Im Jahr 2008 veröffentlichte Clinicum die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema „Fehlerkultur in der Pflege“.3 Durchgeführt wurde diese Befragung von der stellvertretenden Pflegedienstleiterin der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck, Luise Angermair. Im Rahmen der Umfrage befasst sie sich mit der Thematik, inwieweit in der Pflege ein offener und konstruktiver Umgang mit Fehlern vorliegt. Befragt wurden Stations-, Ambulanz- und Funktionsleitungen. Die Rücklaufquote war mit 89% sehr hoch. Das Ergebnis der Befragung zeigte, dass nicht nur unter Ärzten, sondern auch in der Pflege eine Nullfehlermentalität vorherrscht, was 76% der Befragten bejahten. 81% der MitarbeiterInnen ist es unangenehm, über aufgetretene Fehler zu reden, auch wenn sie Fehler als Lernchance sehen. Wenn jedoch Fehler geschehen sind, glauben 24% der Befragten, dass seitens der Vorgesetzten primär nach Schuldigen gesucht wird. 18% vertraten die Auffassung, dass Beinahe-Fehler nicht kommuniziert werden. Im Allgemeinen wurde die gegenseitige Wertschätzung im Team gut bewertet (97%), ein interdisziplinäres Kommunikationsdefizit dagegen sehr wohl als mögliche Fehlerquelle gesehen. Bemerkenswert an dieser Erhebung ist, dass 84% der Befragten sich nach eigenen Angaben vorstellen können, in einem sanktionsfreien Raum offener über Fehler zu reden.4

Ein Fallbeispiel

Wie kommt es zu einem Fehler? Menschliches Versagen, organisatorische Mängel und eine Verkettung unglücklicher Umstände sind nur einige Faktoren, die ein unerwünschtes Ereignis und einen daraus folgenden Schaden herbeiführen können. Anhand eines konkreten Fallbeispiels in unserem Krankenhaus soll gezeigt werden, wie ein dramatisches Ereignis zum Anstoß für die Entwicklung erster Ansätze in Richtung einer positiven Fehlerkultur sowie der forcierten Implementierung eines klinischen Risikomanagements wurde.

Es handelt sich dabei um ein Schwerpunktkrankenhaus mit 21 Fachabteilungen, die über insgesamt 1124 Betten verfügen, 7 Instituten und ca. 2900 MitarbeiterInnen. Vor fünf Jahren kam es zu einem dramatisch verlaufenden, unerwünschten Ereignis mit letalem Ausgang. Ausgangspunkt für das Ereignis war ein Medikationsfehler, der zum Eintritt einer gravierenden Komplikation und einige Zeit später auch zum Tod des Patienten führte. Unmittelbar nach dem Geschehen wurde die Kollegiale Führung durch die ärztliche und pflegerische Abteilungsleitung (Duale Führung) über den Zwischenfall informiert. Den betroffenen MitarbeiterInnen aus den beiden Berufsgruppen wurde unverzüglich nach dem Ereignis psychologische Unterstützung angeboten, die teilweise auch angenommen worden ist. Der Qualitäts- und Risikomanager wurde durch die Kollegiale Führung informiert und beauftragt, das Geschehen an der Abteilung zu analysieren. Im Vordergrund der Analyse stand nicht die Frage nach dem Schuldigen (Wer?), sondern vielmehr: „Was und Wie ist es geschehen?“ Die Untersuchung ergab ein multifaktorielles Geschehen im Zusammenhang mit einer hoch komplexen Situation, hoher Arbeitsbelastung, Hektik, Zeitdruck und Stress. Das Team selbst war bekannt für eine starke Patientenorientierung, großes Engagement, gute Teamarbeit sowie ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Das Ergebnis der Ursachenanalyse kam dem Szenario eines griechischen Dramas gleich, ein grob fahrlässiges Handeln konnte nicht festgestellt werden, wobei dies zu beurteilen dem Gericht überlassen werden musste. Im Anschluss an die Analyse wurden Sofortmaßnahmen zur Verringerung der Eintrittwahrscheinlichkeit eines gleichen Fehlers und Reduktion eines potentiellen Schadenausmaßes für PatientInnen gemeinsam mit der Dualen Führung, den MitarbeiterInnen sowie einbezogenen Experten entwickelt. Nach Abklingen der ersten großen Betroffenheit im Team wurde mit allen Beteiligten an einer weiteren Optimierung des Prozesses gearbeitet. Von Anbeginn wurde eine sehr offene Kommunikations- und Informationspolitik gegenüber Angehörigen, MitarbeiterInnen der Abteilung und den Vorgesetzten betrieben.

Aufgrund der systematischen Analyse und Bearbeitung des Schadensereignisses, konnte von der Kollegialen Führung erwirkt werden, dass seitens des Trägers keine disziplinären Maßnahmen gegenüber den betroffenen MitarbeiterInnen gesetzt worden sind.

Neben der Analyse standen natürlich die Sorge um den betroffenen Patienten und dessen rasche Versorgung ebenso wie die Betreuung der Angehörigen im Vordergrund unserer Aktivitäten. Der Patient wurde auf die Intensivstation verlegt und eine entsprechende Therapie eingeleitet. Wenn ein unerwünschtes Ereignis, mit oder ohne Schadensfolge eingetreten ist, messen wir dem Gespräch mit dem betroffenen Patienten und/ oder dessen Angehörigen einen besonderen Wert bei. Im persönlichen Gespräch werden Patienten und Angehörige vom Abteilungsvorstand und der pflegerischen Abteilungsleitung zeitnah, einfühlsam, offen und umfassend über einen eingetretenen Zwischenfall sowie die möglichen Folgen informiert. Dabei darf nicht verabsäumt werden, die eigene Betroffenheit, das ehrliche Bedauern zum Ausdruck zu bringen sowie eine ernstgemeinte Entschuldigung gegenüber den Leidtragenden auszusprechen. Es ist empfehlenswert, das, was passiert ist, klar zu benennen, Maßnahmen zur zukünftigen Vermeidung anzusprechen und im Gespräch eindeutige Formulierungen zu verwenden. Die Betroffenen erleben es als sehr unterstützend, wenn ihnen Ansprechpersonen namhaft gemacht werden, um den Zugang zu Informationen sowie weiterführende Gespräche zu erleichtern. Das Angebot an psychologischer Betreuung sowie Unterstützung dürfen ebenso wenig fehlen wie Information zu diversen Beratungsstellen (z. B. Patientenanwaltschaft). Im Mittelpunkt dieser Gespräche stehen immer Empathie, Verständnis und Wertschätzung gegenüber dem Patienten und seinen Angehörigen sowie Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und die Übernahme der Verantwortung für den Vorfall.

Der Eintritt eines unerwünschten Ereignisses ist für alle Beteiligten eine extreme Belastung. Es löst u. a. große Sorgen, Ängste, Verzweiflung, Ohnmacht, und Misstrauen auf Seiten der PatientInnen und deren Angehörigen, aber auch große Betroffenheit, schwere Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und Selbstzweifel bei den beteiligten MitarbeiterInnen, aus. Ein wertschätzender und sensibler Umgang mit PatientInnen und Angehörigen macht zwar einen Fehler und dessen Auswirkungen nicht ungeschehen, kann aber helfen eine Krisen-Kaskade und gravierenden Vertrauensverlust zu vermeiden.5

Dieses dramatische Ereignis hat uns zur Erkenntnis verholfen, dass oft eine Vielzahl von Faktoren Ursache für ein unerwünschtes Ereignis sind und dass dabei mehrere Schutzbarrieren gleichzeitig, entsprechend dem „Schweizer Käsemodell“ (Swiss Cheese Modell von James Reason) durchlässig werden können. Eine weitere Erfahrung war, dass derselbe Fehler bereits in anderen Einrichtungen, also nicht nur bei uns, aufgetreten ist. In Ermangelung von Berichten und fehlender Kommunikation wussten wir dies nicht, und so konnten wir auch nicht von den Erfahrungen und dem Wissen anderer profitieren.

Für uns selbst war diese Situation sehr schwierig, aber sie war auch gleichzeitig Ausgangspunkt für die Entwicklung einer positiveren Fehlerkultur und der Etablierung des klinischen Risikomanagements. Seither werden gemeldete Beinahe-Fehler, Fehler und tatsächliche Schäden einer systematischen Analyse und Bearbeitung seitens der Stabstelle Risikomanagement unterzogen. Dies erzeugt ein hohes Engagement auf Seiten der MitarbeiterInnen, stärkt die Fehlerkultur sowie den offeneren Umgang mit Fehlern. Das ist bei uns im Haus mittlerweile deutlich wahrnehmbar: Beinahe-Fehler, Fehler, aber vor allem auch mögliche Risiken, die sich z. B. aus ähnlichem Aussehen von Verpackungen, Bedienungsproblemen oder Mängel von Medizinprodukten ergeben, werden nun offen, also nicht anonym, an die Stabstelle Risikomanagement kommuniziert. Es ist uns auch sehr wichtig zu vermitteln, dass MitarbeiterInnen ihre im Alltag gewonnenen Erfahrungen und Beobachtungen weitergeben sollen und sich der Zugang zur Stabstelle Risikomanagement unkompliziert gestaltet. Die zeitnahe Bearbeitung von Fehlerereignissen sowie die laufende Information über den Stand der Fehlerbearbeitung unter Einbeziehung der Betroffenen haben das Bewusstsein wachsen lassen, dass Fehlererkennung eine wichtige Chance zur Verbesserung darstellt.

Darüber hinaus haben wir mittlerweile ca. 50 MitarbeiterInnen aus allen Berufsgruppen zu zertifizierten RisikomanagerInnen ausgebildet, sodass an den Abteilungen zumindest ein bis zwei Risikomanager vorhanden sind. Mit dem Wissen, dass jedem in einem hochkomplexen System ein Fehler passieren kann, Fehler nicht absichtlich verursacht werden und Fehlern zumeist eine systemische Komponente zugrunde liegt, konnte sich generell ein anderer Ansatz im Umgang mit Fehlern entwickeln.

Die Entwicklung einer Fehlerkultur ist eine interdisziplinäre Aufgabe und kann daher nicht isoliert für eine Berufsgruppe betrachtet werden. Von großer Bedeutung ist, dass sich das Management angesichts eines unerwünschten Ereignisses aktiv dazu bekennt, dass die Suche nach Schuldigen ein falscher Lösungsweg ist. Ebenso wichtig ist, dass keine Sanktionen auf Fehlermeldungen folgen, sofern nicht grobe Fahrlässigkeit oder Mutwilligkeit vorliegen. Hier haben insbesondere Führungskräfte eine Vorbildfunktion einzunehmen und eine positive Haltung gegenüber MitarbeiterInnen glaubhaft zu vermitteln. MitarbeiterInnen müssen aus dem Verhalten der Vorgesetzten eindeutig erkennen können, dass sich die Kultur im Unternehmen von einer „cultur of blame“ zu einer Kultur des offenen und konstruktiven Umgangs mit Fehlern entwickelt hat. Für alle Beteiligten muss ersichtlich werden, dass die vielfach noch vorherrschende Erwartung, dass auf einen Fehler eine negative Konsequenz des Vorgesetzten folgt, der Vergangenheit angehört.6 Werte wie Vertrauen, Teamarbeit, Wertschätzung, Fehleroffenheit, Risikobewusstsein, Verantwortung, Sorgfalt, Reflexion, Patienten-, Mitarbeiter- und Teamorientierung sowie eine gelungene Kommunikation verbunden mit einem gesicherten Informationsfluss kommen in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Sie bilden zusammen mit der Implementierung eines Fehlermanagementsystems die Basis für die Entwicklung einer gemeinsamen Fehlerkultur sowie einer höheren Sicherheit für den Patienten.

Unser Ziel ist es, unser Krankenhaus zu einer lernenden, hochverlässlichen Organisation zu entwickeln. In funktionierenden hochverlässlichen Organisationen (High Reliability Organisations) wie z. B. Atomkraftwerken, Flughäfen/Luftfahrt, Flugzeugträgern und eben auch Krankenhäusern wird versucht, der hohen Komplexität und Unvorhersehbarkeit durch intelligentes Organisationsdesign und Management Herr zu werden. Dies kann insbesondere erreicht werden durch:

  • Achtsamkeit: Das Arbeitsumfeld und die Abläufe müssen so gestaltet sein, dass Ablenkungen und Unterbrechungen vermieden und konzentriertes Arbeiten sicher gestellt werden können;
  • Fehlertoleranz: Abläufe müssen derart gestaltet sein, dass einzelne Fehler nicht das System gefährden bzw. zu einem Schaden führen können, sondern im Sinne des Swiss Cheese Modells mehrere Sicherheitsbarrieren sinnvoll implementiert sind und somit Fehler abgefangen bzw. vor einer Schadenswirkung entdeckt werden;
  • keine vereinfachenden Interpretationen: Die Analyse von unerwünschten Ereignissen hat systematisch und gründlich zu erfolgen, auch wenn dies mitunter für die Organisation zu unangenehmen, schwer lösbaren bzw. bisher tabuisierten Ergebnissen (im Sinne des Handlungsbedarfs) führt.

Die Bereitschaft sich mit Beinahe-Fehlern und Fehlern aktiv auseinanderzusetzen hat sich in unserem Haus in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Der Grundstein für die Etablierung einer positiv ausgerichteten Fehlerkultur ist gelegt. Es ist uns jedoch durchaus bewusst, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, bis ein souveräner Umgang mit Fehlern sowie hohe Fehlerkompetenz innerhalb unserer Organisation gegeben ist. Unser Ziel ist es, die Effizienz und Effektivität unseres Hauses durch eine produktive Fehlerkultur zu erhöhen, einen gemeinsamen Austausch über Fehler sowie suboptimale Abläufe zu forcieren und das Lernen aus Fehlern und das Erarbeiten von neuen und sinnvolleren Lösungen aktiv zu unterstützen.7 Fehler können zur Lernchance werden. Dafür müssen sie aber systematisch analysiert, strukturiert bearbeitet und Maßnahmen abgeleitet und nachhaltig und konsequent umgesetzt werden. Dies ist letztendlich Aufgabe der Führungskräfte, die die Verantwortung dafür übernehmen müssen.

Referenzen

  1. vgl. Ebner G., Heimerl P., Schüttelkopf E. M., Fehler, Lernen, Unternehmen, Peter Lang, Frankfurt/Main (2008), S. 209 ff.
  2. vgl. Habermann M., Henning C., Befragung in Krankenhäusern, Pflegefehler, Fehlerkultur und Fehlermanagement, Pflegezeitschrift (2010); 63(9): 552-555
  3. Fehlermanagement: Den Umgang mit Fehlern lernen, Clinicum 4/2008, http://www.clinicum.at/dynasite.cfm?dsmid=92070&dspaid=699532, (letzter Zugriff am 16. November 2010)
  4. vgl. Ref. 3
  5. vgl. Schwappach D., Der Fehler nach dem Fehler, PrimaryCare (2010); 10: 223-224, http://www.patientensicherheit.ch/dms/de/themen/wissenschaftliche-veroeffentlichungen/3416_Schwappach_2010_PrimCare_d/x3416_Schwappach_2010_PrimCare_d.pdf (letzter Zugriff am 27. Dezember 2010)
  6. vgl. Gottsbacher R., Entwicklung einer Fehlerkultur auf Intensivstationen. Abschlussarbeit im Rahmen der SAB Intensivpflege an den Salzburger Landeskliniken, Salzburger Landeskliniken (2005), http://www.lazarus.at/img_uploads/2456-DA_Fehlerkultur160605.pdf, (letzter Zugriff am 10. Dezember 2010), S. 13 f.
  7. vgl. Ebner G., Heimerl P., Schüttelkopf E. M., siehe Ref. 1, S. 15

Anschrift der Autorin:

Astrid Engelbrecht, Pflegedirektorin
Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel
Wolkersbergenstraße 1, A-1130 Wien
Astrid.Engelbrecht(at)wienkav.at

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