Konflikt zwischen Krankenhausmanagement und Ärzteschaft

Imago Hominis (2013); 20(1): 21-29
Max Laimböck

Zusammenfassung

Die Ärzteschaft hat keine homogenen Interessen: Leitende Ärzte (Primarärzte, Geschäftsführer) übernehmen Unternehmensverantwortung, werden Manager und sollen Unternehmensinteressen gegen jene behandelnder Ärzte durchsetzen (z. B. Zusammenführung von Primariaten zu Zentren). Die Industrie bringt Ärzte in Interessenswidersprüche, wenn sie Ärzte (mit Studien, Vorträgen) davon überzeugen will, „ihr“ Produkt/Medikament einzusetzen. Wenn Arzthonorare für stationäre aber nicht für ambulante Behandlungen abrechenbar sind, wird die teurere, stationäre Versorgung – gegen das Unternehmensinteresse – zunehmen. Die primariatsübergreifende, integrierte Versorgung widerspricht oft ärztlichen Partialinteressen. In einer zeitgemäßen Spitalsorganisation werden Partialinteressen begrenzt und Anreize gesetzt, um Unternehmens- und Arztinteressen  anzugleichen und die zeitgemäß integrierte Versorgung zu ermöglichen.

Schlüsselwörter: Anreizsystem, Ärzteschaft, Partialinteressen, Spitalsorganisation

Abstract

Medical professionals follow heterogenous interests: doctors in leading positions (head of clinics or enterprise) take responsibility for their entity, become managers und do have to achieve enterprise interests against partial interests of the professional group “doctors“ (e. g. consolidation of departments). Supply industry sets incentives by clinical studies and lectures to use “their“ products which create conflict of interests for doctors. Similar, because of private fees are only paid for inpatients treatments, there is an incentive to force – the more expensive – inpatient treatment instead of ambulatory treatments and day surgery. In addition to that, integrated care is often hampered by partial interests of department doctors. The state-of-the-art hospital organisation adjusts interests of doctors with enterprise interests and promotes integrated against segmented care.

Keywords: Incentives, Medical Professionals, Partial Interests, Hospital Organization


1. Das Umfeld in Österreich

1.1. Keine homogene Interessenlage der „Ärzteschaft“

Weil Ärzte eine besonders qualifizierte Dienstleistung erbringen, ist der Arztberuf für die Bevölkerung von besonderer Bedeutung. Dennoch ist er letztlich ein Beruf wie andere auch, der entlang der hierarchischen Stufen in die beiden grundsätzlich verschiedenen Funktionen auseinanderfällt: in die Funktion als „behandelnder Arzt“ und als „anweisender, vorgesetzter Arzt“ (Manager).

Diese beiden Funktionen fallen auf den Hierarchieebenen des Arztberufs auseinander wie in allen anderen Berufen: Mit Personal-, Finanz- und Organisationsmanagement ist ein Arzt als Unternehmensvorstand oder Ärztlicher Direktor zu 100%, als Primararzt z. B. zu 50% und als leitender Ambulanzarzt z. B. zu 20% befasst (in Vorarlberg war ein Arzt sogar Landesrat für Gesundheit und ebenfalls nur noch leitend tätig). In höheren hierarchischen Ebenen bleibt für die Funktion als „behandelnder Arzt“ begrenzte oder keine Zeit mehr. Ärzte „managen“ ihre nachgeordneten Berufskollegen und andere Berufsgruppen in der Patientenversorgung, stellen sie ein, weisen sie an und kontrollieren sie, beenden Dienstverhältnisse und stellen Ressourcen zur Verfügung – oder nicht. Damit entsteht der Konflikt Vorgesetzter – Mitarbeiter zwischen Ärzten der Hierarchieebenen.

In der Schweiz eskalierte ein Konflikt innerhalb der Ärzteschaft: Fachärzte setzten vieles daran, die im Juni 2012 abgehaltene Volksabstimmung zu Managed Care im Vorfeld negativ zu beeinflussen, und wandten sich damit gegen die Stärkung der Hausärzte (Behandlungssteuerung durch Hausärzte und damit Begrenzung der Facharztkontakte). Die Fachärzte haben sich bei der Volksabstimmung am 17. 6. 2012 klar durchgesetzt und die – teure – freie Arztwahl gegen die Interessen der Hausärzte verteidigt, obwohl mehrfach nachgewiesen wurde, dass der steuernde Hausarzt unter gezielter Einbeziehung von Fachärzten und Spitälern niedrigere Kosten und höhere Qualität erreicht als die völlig freie Arzt- und Spitalswahl. Der Interessenkonflikt dominiert das Patienteninteresse.

Kurzum: Konflikte zwischen „behandelnden Ärzten“ und „Ärzten als Manager“ sind ebenso unvermeidbar wie Konflikte zwischen Ärzten mit konkurrierenden Interessen. Eine homogene Interessenlage der „Ärzteschaft“ gibt es nicht.

1.2. Die Ärztekammer vertritt vor allem die Interessen der Praxisärzte

Die Ärztekammer vertritt vorrangig die Interessen der Praxisärzte auch gegen Interessen der Spitalsärzte. So versucht sie, ambulante Spitalsleistungen in Praxen zu verlegen, und wendet sich damit gegen die Interessen der Spitalsärzte. Diese haben kein Interesse daran, leistungs- und wettbewerbsfähige Ambulanzen zu verkleinern, Leistungen aus Spitalsambulanzen in die (teureren) Praxen zu verschieben. In der Folge werden viele Patienten von Fachärzten in Privatsanatorien behandelt und die Spitalsärzte gehen damit der Sonderklassehonorare verlustig.

Der Konflikt zwischen Praxis- und Spitalsärzten liegt ebenso innerhalb der Ärztekammer wie auch die Konflikte leitender vs. ausführender Spitalsärzte und der Hausärzte vs. Fachärzte.1 Die Ärztekammer muss diese Interessensgegensätze „jonglieren“.

1.3. Die Verpolitisierung des Spitalssektors behindert zeitgemäße Veränderungen

1.3.1. Der „verländerte“ Spitalssektor

Der Spitalssektor wird in Österreich von Landesbehörden aus Landesbudgets finanziert, ist zum größten Teil im Landeseigentum und damit „verstaatlicht“ („verländert“). Das ÖVP-dominierte Niederösterreich hat auch die Führung der Spitalsholding in die Landesverwaltung integriert und damit diese Verstaatlichung am weitesten vorangetrieben.

Landespolitiker werden daher für die Entwicklungen im Spitalssektor (berechtigt) von der Öffentlichkeit verantwortlich gemacht. Da die Landeshauptleute mit Investitions- und Abgangsfinanzierung für Spitäler den Wählern ihre „Fürsorge“ zeigen wollen, klammern sie sich an die Spitalskompetenz und dürften diese auch in der Gesundheitsreform 2013 erfolgreich verteidigen.

Diese Verländerung der Spitäler führt zu einem fatalen Automatismus, der zeitgemäße Veränderungen der Spitalsversorgung verhindert: Wenn das Spitalsmanagement Veränderungen evaluiert, plant oder vorschlägt, haben potentielle Veränderungsverlierer (weil z. B. Stationen oder Primariate zusammengelegt werden) und deren Interessenvertreter zwei erfolgversprechende Verhinderungsoptionen:

  • Sie intervenieren gegen die Veränderung bei der Landespolitik direkt, oder
  • sie wenden sich an Medien und bauen damit Druck auf die Landespolitik auf.

Veränderungsbereite Spitalsmanager kommen damit unter medialen und politischen Druck und häufig unterbleiben dann auch für das Unternehmen dringlich notwendige Veränderungen. Nach einer solchen Erfahrung werden Manager – wegen der absehbaren politischen Interventionen – als potentielle Veränderungsverlierer Initiativen erst gar nicht mehr entwickeln. Vor allem in Ländern mit unsicheren politischen Mehrheitsverhältnissen müssen im Interesse der regierenden Politiker mediale Risiken vermieden werden. Damit verbleiben zu viele Primariate, zu kleine Stationen, verzettelte Ambulanzen, dezentrale Labore und Therapien und die zeitgemäße integrierte Versorgung wird be- oder verhindert. Gestaltende Manager streben daher kaum noch Positionen in Spitälern an.

Der Landeseinfluss schwächt somit die Spitäler. Landespolitiker sind zudem in Unternehmensführung zumeist unerfahren und somit eher gegen Veränderungen. Oft können sie die Sinnhaftigkeit von Strukturveränderungen nicht beurteilen und verhindern auch überfällige Veränderungen aus Angst vor negativen medialen und damit politischen Folgen. Als Folge greift „verwaltendes“ und politisch willfähriges Spitalsmanagement um sich, der österreichische Spitalssektor stagniert und verliert an Wettbewerbsfähigkeit innerhalb von Europa.

Weil sich Landespolitiker aber als „Wohltäter“ präsentieren müssen, treten an die Stelle von Effizienzerhöhungen jetzt Leistungsausweitungen, d. h. die Einrichtung neuer Abteilungen und die Errichtung von Neubauten. Als Ergebnis gibt Österreich mehr für Spitäler pro Einwohner aus als vergleichbare EU-Staaten2 (vgl. Tabelle 1).

SchwedenDÖCHÖ Nr.
Gesundheitskosten/Einwohner € pa29763208340739718
Anteil Spitals-kosten %292936283
Spitalskosten/ Einwohner € pa863930122411121
Index7076100911
Tabelle 1

Die Verhinderung zeitgemäßer Veränderungen bei gleichzeitiger Erweiterung führte dazu, dass innerhalb der vergleichbaren Industriestaaten Österreich zum Spitzenreiter der Spitalskosten pro Einwohner wurde.

1.3.2. Die Folgen der „Verländerung“

Die Landespolitik wählt das Spitalsmanagement auch nach eigenen Kriterien, u. a. nach voraussichtlicher Willfährigkeit und Parteizugehörigkeit aus. Daher finden sich in verantwortlichen Positionen (Verwaltungsdirektoren etc.) als Manager Unerfahrene mit der richtigen Parteizugehörigkeit – auch mit den zu erwartenden Folgen. Ein beispielhafter Bericht aus einem Großspital:

  • Keine gestaltende Unternehmensführung. Ohne Wettbewerb wird das Spital verwaltet und nicht gestaltet; Managementtechniken wie strategische Planung und Personalführung oder Finanzmanagement werden kaum eingesetzt. Die Verwaltung arbeitet für die Politik, versucht negative Pressemeldungen zu vermeiden und tritt innerbetrieblich kaum in Erscheinung.
  • Unternehmensziele sind nicht erkennbar (und bestehen vermutlich auch nicht). Daher sind den leitenden Ärzten weder das erwünschte Einzugsgebiet noch die Schwerpunktsetzungen bekannt (Marktabgrenzung), und sie handeln nach Gutdünken.
  • Keine regelmäßigen Budgetverhandlungen, Gespräche über Planungen und Ergebnisse, das Management im medizinischen Bereich kaum präsent. Bei Anträgen zur Einführung neuer Verfahren werden externe Stellen zur Beurteilung angefragt und ohne nachvollziehbare Argumentation auf dieser Grundlage entschieden, d. h. Anträge oft kommentarlos abgelehnt.
  • Die Managementschwächen zeigen sich auch an den begrenzten Kompetenzen, organisatorische Abläufe zu strukturieren (z. B. einen Schreibdienst zu organisieren).
  • Die Spitalsmanager lassen sich im Sanatorium und nicht im eigenen Spital behandeln und zeigen damit die begrenzte Wertschätzung der angenommenen medizinischen Kompetenz im eigenen Spital.
  • Die Kommunikation ist von wenig Wertschätzung getragen: Entscheidungen erfolgen intransparent, und ohne Kommunikation werden Anträge verändert.
  • Das Management genießt geringes Ansehen der MitarbeiterInnen. Als Ergebnis ergibt sich Unwille von Ärzten gegenüber der abgehobenen „Verwaltung“.

Unter politischer Führung und den daraus folgenden demotivierenden Entscheidungsstrukturen kann sich kaum ein leistungsfähiges Spital entwickeln. Die ungünstigen Folgen zeigen die hohen Kosten und begrenzte Qualität unserer Spitalsversorgung.3

1.4. Keine Konsequenzen bei großen Kostenunterschieden der Spitäler für gleiche Leistungen

Auch innerhalb von Österreich ergaben sich sehr unterschiedliche Kosten für dieselben Leistungen. So verursachen die Spitäler in Wien um ca. 70% höhere Kosten für einen LKF-Punkt als jene in Tirol (in Euro): Wien 1,70, Steiermark/Niederösterreich 1,40, Tirol 1,0 mit großen Kostenunterschieden vor allem im nichtmedizinischen Bereich.4 Weil Landespolitiker diese Differenzen nicht registrieren, den Konflikt mit den Spitälern wegen der medialen Begleiterscheinungen wohl auch scheuen, bleiben die Kostenunterschiede ohne Folgen und das Einsparungspotential von bis zu 3,3 Milliarden Euro wird nicht realisiert.

In Deutschland wurden ähnlich hohe Kostenunterschiede nach der DRG-Einführung festgestellt. Die Spitäler wurden in den Ländern daraufhin während der Konvergenzphase von 2004 bis 2009 in fünf Jahresschritten gezwungen, ihre Kostenstrukturen an jene effizienter Spitäler anzupassen. Daher stiegen von 2000 – 2009 dort die Spitalskosten um 26,5% und in Österreich um 55,3%.5

2. Das Vorurteil zum Konflikt Ärzteschaft vs. Management

In den österreichischen Spitälern wird von Ärztevertretern oft die Position vertreten, dass

  • Ärzte die Patientenversorgung organisieren
  • das Management dafür den geeigneten Rahmen sichern und
  • die Ärzte bei ihrer verantwortlichen Arbeit nicht beeinträchtigen sollte.

Forderungen der Ärzteschaft seien im Patienteninteresse, und das Management würde Ärzte in ihrer verantwortlichen Arbeit zumeist nur behindern.

3. Die Realität I: Spitalsärzte müssen oft den Mangel verwalten

Die unter 2. als Vorurteil skizzierte Position ist grundsätzlich richtig: Viele Ärzte kommen in ihrer Berufsausübung auch in die Situation, nicht über jene Ressourcen zu verfügen, die sie nach ihrer Einschätzung für die verantwortliche ärztliche Tätigkeit benötigen würden (Raum, Personal, Geräte). Wenn die vom Spitalsunternehmen bereitgestellten Ressourcen nicht ausreichen, um die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu setzen, kommt der Arzt in Konflikt mit den Unternehmensvorgaben (auch wenn an der Unternehmensspitze ein Arzt sitzt). Dieses Dilemma kann aus unterschiedlichen Gründen entstehen und Form und Qualität der Patientenbehandlung beeinträchtigen.

3.1. Budgetbegrenzung bei Spitalswettbewerb mit Preissystem ohne Abgangsfinanzierung (D, NL)

Unter Wettbewerb werden vom Unternehmen Erlöse für Leistungen vereinnahmt und aus diesen Einnahmen die Kosten der Bereiche finanziert. Damit wird beurteilbar, welche Einnahmen und Ausgaben ein Primariat verursacht und Kostenbudgets werden entsprechend nachvollziehbar zugeteilt. Diese zugeteilten Mittel können aus mehreren Gründen für eine zeitgemäße ärztliche Versorgung nicht ausreichen:

  • Die Erlöse aus den Fallzahlen des Bereichs sind zu gering, um die erforderliche Infrastruktur zu finanzieren. Der Bereich kann bei bestehendem Preissystem nicht wirtschaftlich geführt werden, weil die Fallzahlen für eine effiziente Betriebs-organisation nicht ausreichen. Die Folgen sind Unterbesetzungen und Qualitätsprobleme (eine strategische Entscheidung über den Fortbestand des Bereichs oder dessen Ausdehnung wird erforderlich).
  • Das Unternehmen entscheidet, einige Bereiche zu fördern, und begrenzt die Mittel anderer Bereiche. Wenn das Spital sich z. B. in die Richtung Zentrumsmedizin entwickelt, werden Mittel in dieses „Zukunftsfeld“ investiert (Onkologie, Herz/Kreislauferkrankungen) und andere Bereiche deinvestiert (z. B. Dermatologie, Pädiatrie). Deinvestierte Bereiche müssen mit den begrenzten Mitteln das Auslangen finden, wenn sie sich nicht gefährden wollen, und können dabei in Versorgungsprobleme kommen.
  • Ein größerer Teil als notwendig wird für nicht-medizinische Bereiche verwendet (Verwaltung, Gewinne). Ein höherer als der branchenübliche Anteil für Verwaltung führt zur Ressourcenbegrenzung für den medizinischen Bereich und damit zum Konflikt behandelnde Ärzte vs. Unternehmen. In Österreich differiert das Ausmaß der nicht-medizinischen Kosten der Landesspitäler stark (der Anteil der nicht-medizinischen an den Gesamtkosten ist aus den verfügbaren Daten nur begrenzt zu interpretieren, der Anteil nicht-medizinischer Hilfskostenstellen variiert aber um über 40% (!) zwischen einem Anteil von 18,8% und 26,6%.6
  • Ineffizientes ärztliches Management: Eine Abteilung wird nicht gut geführt:
    • Stationen, Ambulanzen und Funktionseinheiten sind schlecht ausgelastet/ungünstig organisiert: ungünstige Organisations-, Personal-, Dienstplanung, später OP-Beginn und frühes Ende, kein Entlassungsmanagement
    • dezentrale Notfall-/ Spezialambulanzen und Labore, ineffiziente Stationsgrößen
    • ineffiziente Versorgungsangebote: keine tageschirurgische Versorgung, stationäre statt ambulante Therapien

3.2. Bei begrenztem Spitalswettbewerb unter Abgangsfinanzierung (Österreich)

Grundsätzlich gelten dieselben Begrenzungen wie unter Spitalswettbewerb. Die rationale medizinische und wirtschaftliche Beurteilung einer Abteilung ist aber unter Abgangsfinanzierung kaum möglich. Da keine Transparenz der vereinnahmten und verausgabten Mittel pro Bereich besteht, kommt es zu willkürlichen Maßnahmen, d. h. zur Über- oder Unterfinanzierung von Bereichen nach Kriterien, die weder an der Versorgungsqualität noch an der Wirtschaftlichkeit orientiert sind.

Weil sie bei ökonomischem Druck auf Spitäler mediale Skandalisierungen befürchten müssen, werden rational handelnde Landespolitiker im Zweifel die geforderten Mittel bereitstellen. Daher unterbleiben notwendige Strukturveränderungen. Österreichs Spitäler sind teurer als in vielen vergleichbaren Industriestaaten (siehe 1.3. und 1.4.).

4. Die Realität II: Konflikt ärztlicher Partial- vs. Unternehmensinteressen

Neben dem Konflikt wegen begrenzter Ressourcen entstehen Konflikte zwischen ärztlichen Partial- und Unternehmensinteressen. Externalisiert und verstärkt werden diese Konflikte durch die politische und mediale Macht der Interessensvertretung der Ärzte, die Ärztekammern.

4.1. Partialinteresse an höheren Einkommen und besseren Bedingungen

Nicht zuletzt entstehen Konflikte zwischen der Unternehmensführung und Forderungen der Ärzteschaft nach höherem Einkommen und veränderten Arbeitsbedingungen (Dienste, etc.). Dieser „gewerkschaftliche“ Konflikt ist unvermeidlich und wird in Österreich durch ausgeprägte Schutzrechte für Mitarbeiter „verträglich“ gelöst. Verschärft wird der Konflikt durch die mediale und politische Macht der Ärztekammern, die auch überholte Privilegien zu zementieren versuchen (hohe Einkommensanteile aus Diensten, überholte Gehaltsschemata, Anrechnung von Dienstzeiten, Honorierungsrecht).

4.2. Spitalsärzte als wichtiges Marketingziel der Zulieferindustrie

Da Ärzte mit vielen eingesetzten Materialien arbeiten, können sie deren Qualität am besten beurteilen. Sie beeinflussen oder treffen daher zumeist die Entscheidungen, welche Materialien, Medikamente oder Geräte im Spital eingesetzt werden. Daher versucht die Industrie, Ärzte mit unterschiedlichen Mitteln in ihrem Sinne auch gegen Unternehmensinteressen zu beeinflussen (Marketingstudien, Kongressvorträge, Sponsoring von Stellen, Finanzierung von Publikationen, etc.).

Da die im Spital eingesetzten Medikamente von den Praxen den Patienten weiter verschrieben werden, hat z. B. die Medikamentenverschreibung des Spitalsarztes für die Pharmaindustrie große Bedeutung. Auch damit entstehen leicht ärztliche Partialinteressen (durch objektivierende innerbetriebliche Verfahren, die individuelle Entscheidungen von Ärzten verhindern, könnte die Einflussnahme der Zulieferindustrie und damit dieser Interessenkonflikt begrenzt werden).

4.3. Ärztliche Partialziele verhindern zeitgemäße Angebotsveränderungen

Bei strukturellen Veränderungen entstehen neben Vorteilen für das Unternehmen zumeist Nachteile für Einzelne. Deren Partialinteressen kommen damit in Konflikt zum Unternehmensinteresse. Beispiele: Zusammenfassung der internistischen und chirurgischen Endoskopie, mehrerer Ambulanzen zu einer gemeinsamen (z. B. Herz/Gefäßambulanz), dezentraler Labore oder Therapien zu einer zentralen Funktionseinheit „Zentrallabor“, der Physikalischen Therapie oder die Integration eines Primariats in ein anderes (z. B. Lungenheilkunde in die Innere Medizin, Mammachirurgie in die Gynäkologie) bzw. lange OP-Tage bis 19 Uhr. Partialinteressen führen daher oft zu Konflikten, bei denen das Unternehmensinteresse den Interessen der betroffenen (oft medial aktiven) Primarärzte entgegensteht. In „vorauseilendem Gehorsam“ werden daher in manchen Spitälern weiterhin Kleinstprimariate mit eigenen Diensten und eigener Infrastruktur zulasten der Budgets und ohne Vorteile für Patienten betrieben.

4.4. Das Honorierungsrecht verursacht Partialinteressen der Spitalsärzte gegenüber dem Unternehmensinteresse

In den meisten Bundesländern eröffnet das Krankenanstaltenrecht Primarärzten und u. U. auch nachgeordneten Ärzten die Möglichkeit, für ihre Leistungen an Privatpatienten Honorarnoten zu stellen. Zusätzlich zur Verrechnung des Spitals stellen somit Ärzte Rechnungen (Honorarnoten). Dieses Honorierungsrecht schafft die Fiktion des „Primariats als Unternehmen“ mit Partialzielen, die sich von jenen des Spitalsunternehmens unterscheiden können. Nachgeordnete Ärzte erhalten Anteile der Privathonorare und wenden sich daher gemeinsam mit ihren Primaren gegen die Unternehmensinteressen (z. B. streben Ärzte niedrige Hausanteile an Honorareinnahmen an, wollen eigene Labore, therapeutische Einrichtungen, um zusätzliche Honorare verrechnen zu können).

4.4.1. Die Konzentration auf Privatpatienten

Obwohl für das Spital die Zufriedenheit der 80-90% Patienten der Allgemeinen Versorgungsklasse von mindestens eben solcher Bedeutung ist, entsteht für die honorierungsberechtigten und nachgeordneten Ärzte der Anreiz, sich besonders auf die 10-20% Privatpatienten zu konzentrieren, weil sie das Einkommen deutlich „aufbessern“. Die Bevorzugung der Privatpatienten kommt damit in Konflikt mit dem Unternehmensinteresse, höchste organisatorische und medizinische Qualität unabhängig vom Versicherungsstatus allen Patienten zu bieten.

Da die berechtigte Annahme einer höheren Versorgungsqualität für PKV-Versicherte durch Spitalsärzte das entscheidende Motiv für den Abschluss einer privaten Krankenversicherung durch die Bürger ist, fördern die Privaten Krankenversicherungen die Differenzierung im Spital nach Versicherungsstatus (Differenzierung von 2- und 4-Bettzimmern, etc.). Tatsächlich werden für Nicht-Privatpatienten eher OPs verschoben, entstehen eher Wartezeiten, und u. U. besteht eine geringere Konzentration auf ihre Behandlung als auf jene von Privatpatienten.

4.4.2. Behinderung der integrierten Versorgung

Da nur für Leistungen innerhalb eines Primariats Honorare für Privatpatienten gestellt werden können, entsteht in den meisten Ländern der Anreiz zur Abgrenzung des eigenen Primariats zu den anderen Primariaten. Patiententransfers in andere Primariate werden eher begrenzt, zusätzliche, abrechenbare Leistungen werden eher innerhalb des Primariats angeboten, auch wenn damit zusätzliche Kosten für das Unternehmen anfallen (Labore, Physio-, Ergotherapie).

In einer zeitgemäßen Spitalsorganisation arbeiten Ärzte unterschiedlicher Fächer innerhalb interdisziplinärer Zentren ohne Primariatsgrenzen am Patienten zusammen. In einem Herz-/Gefäßzentrum (Herzchirurgie, Kardiologie, Gefäßchirurgie, Angiologie, interventionelle Radiologie) oder einem onkologischen Zentrum (Hämatologie, Strahlentherapie, Chirurgie, etc.) herrscht intensive Kommunikation zwischen chirurgischen und konservativen Fachärzten; sie entscheiden gemeinsam, und damit ergibt sich eher die qualitativ überlegene integrierte Versorgung als in einem Spital mit Primariatsgrenzen mit nur partieller Integration u. a. in Tumorboards. Der Anreiz der Privatliquidation behindert die Entwicklung zu integrierter Versorgung. Bei variablen, am Unternehmenserfolg orientierten Gehaltsbestandteilen entfiele der Anreiz zur Vorhaltung eigener therapeutischer Angebote innerhalb eines Primariats, würde integrierte Versorgung gefördert und entstünde mehr Teamarbeit im Spital.

4.4.3. Ärztliches Partialinteresse zu mehrtägig stationären statt tageschirurgischen/tagesklinischen/ambulanten Behandlungen

Honorare an Private Krankenversicherungen können für stationäre Behandlungen gestellt werden. Für tageschirurgische Behandlungen werden von den Privaten Krankenversicherungen keine oder niedrigere Honorare bezahlt, ambulante Behandlungen sind nicht abrechenbar. Damit entsteht der Anreiz für Primariate zur

  • mehrtägig stationären statt der tageschirurgischen Behandlung auch von Patienten der Allgemeinen Klasse. Die Folge: Das BMfG weist aus,7 dass nur 13% der tagesklinisch erbringbaren Leistungen ohne Übernachtung erbracht werden; 272.400 Patienten mit tageschirurgischen Behandlungen blieben 1-3 Tage im Spital (Einsparungspotential: ca. 1.800 Betten, ca. 70 – 100 Millionen Euro).
  • Verlegung ambulant möglicher Leistungen in den stationären Sektor (Kleinsteingriffe, Checkups) mit deutlich höheren Kosten als für ambulante Behandlungen.

Das Ergebnis weist die OECD aus:8 Österreicher werden häufiger in Spitälern stationär aufgenommen als die Bürger aller anderen OECD Staaten (ca. 60% häufiger als Schweden und Dänen und mehr als doppelt so häufig wie Holländer) und daher weisen wir auch deutlich mehr stationäre Betten pro Einwohner und höhere Kosten als diese Staaten aus.

4.4.4. Der Interessenkonflikt Spitalsarzt vs. „Privatpraxis mit Belegung im Privatspital“

In mehreren Bundesländern können Ärzte neben ihrer Arbeit als Spitalsarzt eine Privatpraxis führen und in Sanatorien Patienten behandeln/operieren. Wenn sie dorthin auch Privatpatienten aus ihrer Spitalsambulanz übernehmen können, ergibt sich für den Arzt ein Partialinteresse im Gegensatz zu den Unternehmensinteressen. Das Unternehmensinteresse an den Einnahmen von Privatpatienten, die Nutzung der OP-Säle nicht nur bis 14 oder 16 Uhr sondern an manchen Tagen bis 19 Uhr, tritt in Konflikt zum Partialinteresse des frühen Dienstendes (um in das Sanatorium gehen zu können) und des Transfers der Privatpatienten ins Sanatorium.

5. Die zeitgemäße Spitalsorganisation: Angleichung der Interessen der Ärzte an Unternehmensinteressen

Der gesetzliche Rahmen in Österreich ermöglicht und fördert ärztliche Partialinteressen. Das Krankenanstaltengesetz sollte auch in Österreich so verändert werden, dass Partialinteressen verhindert und eine Interessenangleichung innerhalb der Landesspitäler möglich wird (Honorierungsrecht, interdisziplinäre Zentren). An die Stelle des Liquidationsrechts sollten variable Gehaltsbestandteile treten (durchaus in entsprechender Höhe), um die ärztlichen Mitarbeiter auf die Unternehmensziele hinzuführen und abweichende Partialziele zu vermeiden. Die Interessensangleichung ermöglicht eine zeitgemäß integrierte Spitalsorganisation höherer Qualität und damit einen auch international wettbewerbsfähigen Spitalssektor. Sie liegt im Interesse von Patienten, Gesellschaft – und Ärzten.

Besonders wichtig wird diese Interessensangleichung bei einem funktionierenden Preissystem ohne Abgangsdeckung mit Spitalswettbewerb. Private Spitalsbetreiber aus dem In- und Ausland werden den Markteintritt schaffen, Partialinteressen vermeiden und damit integrierte Angebote und Zentrumsmedizin mit höherer Qualität und Effizienz anbieten und diesen Wettbewerbsvorteil gegenüber unseren Spitälern ausspielen.

Im freien Waren- und Dienstleistungsverkehr werden Patienten früher oder später zulasten der inländischen Finanziers auch Behandlungen in Spitälern anderer EU-Staaten beanspruchen können. Patienten mit schweren oder seltenen Erkrankungen werden dann in Medizinische Zentren mit den besten Therapieergebnissen innerhalb der EU auspendeln, und die österreichischen Kassen und Länder werden bis zur Höhe der Behandlungskosten in Österreich diese Kosten übernehmen müssen (LKF Entgelte zzgl. Abgangsdeckung). In diesem überregionalen EU-Wettbewerb Medizinischer Zentren werden unsere Spitäler nur erfolgreich sein, wenn sie aus der Stagnation geführt werden. Voraussetzung dafür ist die Angleichung der Interessen der Spitalsunternehmen und ihrer Ärzte. Sonst werden die österreichischen Landesspitäler bei der Europäisierung der Spitalsversorgung nicht wettbewerbsfähig sein, u. a. in Grenzregionen die Behandlung schwerer und seltener Erkrankungen an leistungsfähigere Anbieter im deutschsprachigen Ausland verlieren und damit den größten Wirtschaftsbereich schwächen.

Die Angleichung der ärztlichen an die Unternehmensinteressen ist Voraussetzung für den Aufbau eines wettbewerbsfähigen Spitalssektors. Das Bundesministerium für Gesundheit hat dieses Thema leider nicht in die diskutierte Gesundheitsreform aufgenommen, wohl um Konflikte mit der Ärzteschaft zu vermeiden.

Referenzen

  1. vgl. Dorner W., Privat oder Staat?, Österreichische Ärztezeitung 25.4.2012, S. 1, www.aerztezeitung.at/archiv/oeaez-2012/oeaez-8-25042012/standpunkt-praes-walter-dorner.html (letzter Zugriff am 31.01.2013)
  2. OECD, Health at a Glance 2010, ec.europa.eu/health/reports/docs/health_glance_en.pdf (letzter Zugriff am 31.01.2013)
  3. OECD, Health at a Glance 2011, www.oecd.org/els/health-systems/49105858.pdf (letzter Zugriff am 31.01.2013)
  4. BMfG, Krankenanstalten in Zahlen – Überregionale Auswertung 2010, www.kaz.bmg.gv.at/fileadmin/user_upload/Publikationen/uereg_oesterreich_2010.pdf (letzter Zugriff am 31.01.2013)
  5. Bundesamt für Statistik, Gesundheitsausgaben – Nach Ausgabenträgern, Leistungsarten und Einrichtungen im Zeitvergleich, Abschnitt 9.6.1., Statistisches Jahrbuch 2011, S. 259, www.destatis.de/DE/Publikationen/StatistischesJahrbuch/StatistischesJahrbuch2011.pdf (letzter Zugriff am 31.01.2013; Statistik Austria, Gesundheitsausgaben in Österreich laut System of Health Accounts (OECD) 1990 - 2010, „stationäre Gesundheitsversorgung“, www.statistik.at/web_de/statistiken/gesundheit/gesundheitsausgaben/019701.html (letzter Zugriff am 31.01.2013)
  6. BMfG, siehe Ref. 4; Statistik Austria, siehe Ref. 5
  7. BMfG, siehe Ref. 4
  8. OECD, siehe Ref. 3

Anschrift des Autors:

Dipl.Vw. Dr. Max Laimböck
Studiengangsleiter Qualitäts- und Prozess-
management im Gesundheitswesen
fh gesundheit, Innsbruck
Innrain 98, A-6020 Innsbruck
max.laimboeck(at)fhg-tirol.ac.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: