Zika-Virus: Wissenschaftler erheben Zweifel an WHO-Alarmstufe

Imago Hominis (2016); 23(1): 006-008
Susanne Kummer

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am 1. Februar 2016 wegen des Zika-Virus den globalen Gesundheitsnotstand und damit die höchste Alarmstufe ausgerufen. Zu diesem Schritt habe eine Expertenrunde geraten, teilte die WHO mit. Das kam für manche überraschend. Auch wenn sich das von infizierten Mücken übertragene Zika-Virus rasant in Süd- und Mittelamerika ausbreitet, sind die Folgen keineswegs mit dem Ebola-Virus vergleichbar. Dieses ist für drei von vier Patienten tödlich. Bei einer Ansteckung mit dem Zika-Virus hingegen verläuft dies für 80 Prozent der Betroffenen harmlos. Die meisten Menschen, die sich mit dem Virus anstecken, bemerken dies gar nicht. Nur bei jedem vierten bis fünften Infizierten kommt es zu leichtem Fieber, Hautausschlag und geröteten Augen.

Weil sie während der Ebola-Krise in der Kritik stand, zu spät reagiert zu haben, hat die WHO jetzt vorschnell den „gesundheitlichen Notfall von internationaler Bedeutung“ ausgerufen, kritisiert die Süddeutsche Zeitung1 und spricht davon, dass hier „eine Mücke zum Elefanten“ stilisiert werde. Bislang seien nur wenige Todesfälle in Verbindung mit dem Zika-Virus bekannt.

Auch Alexander S. Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wirft der WHO bewusste Panikmache vor. Sie würde die Angst vor Zika mit falschen Zahlen schüren, die Gefahr für Schwangere werde übertrieben. Einzig positiv an der Panikmache sei, dass die Impfstoffentwicklung damit vorankomme, so der Virologe in der Zeit.2 Das Zika-Virus wurde bereits 1947 entdeckt. In den Vereinigten Staaten gibt es bisher 50 nachgewiesene Fälle von Patienten mit dem Erreger (Stand: 2/16). Die Regierung der Vereinigten Staaten will nun umgerechnet 1,61 Milliarden Euro im Kampf gegen das Zika-Virus aufwenden, teilte das Weiße Haus mit.3

Die Erforschung des Zika-Virus und die Entwicklung eines Impfstoffes sollen auch mit EU-Mitteln vorangetrieben werden.

Doch: Die öffentlichen Warnsignale stehen kaum in Relation zu den bisherigen Ausmaßen der Krankheit, so ein weiterer Kritikpunkt. Am gefährlichen Dengue-Fieber erkranken jährlich 400 Millionen Menschen weltweit, allein in Brasilien gab es 1,7 Millionen Dengue-Fieber-Fälle, zwischen 25.000 und 50.000 Menschen4 sterben jährlich daran, ein WHO-Notstand wurde deshalb aber noch nie ausgerufen. Noch schlimmer bei der von anderen Mücken übertragenen Malaria: Laut WHO starben 2015 daran 438.000 Menschen, 70 Prozent davon Kinder unter fünf Jahren.

„Es sind weitere Forschungsanstrengungen notwendig, bevor gesagt werden kann, ob es irgendeinen Zusammenhang gibt“, sagt die WHO hinsichtlich des vermuteten Risikos einer Schädigung des Nachwuchses von schwangeren Frauen aufgrund des Zika-Virus. Dieser Verdacht war Auslöser für die Notstandserklärung der WHO. Im Herbst 2015 hatte das brasilianische Gesundheitsministerium von einer deutlichen Häufung von Schädel-/Hirn-Fehlbildungen (Mikrozephalie) bei Föten und Neugeborenen in Teilen Brasiliens berichtet. Dort gab es besonders viele Ansteckungen mit dem Zika-Virus. Doch um von einem direkten kausalen Zusammenhang zu sprechen, gibt es laut Experten noch zu viele Unklarheiten. Laut einem Bericht im New England Journal of Medicine konnten Pathologen der Universitätsklinik von Ljubljana das Virus bei einer Obduktion im Gehirngewebe eines abgetriebenen Embryos mit Mikrozephalie nachweisen.5 Ein Zusammenhang scheint mit diesem Fallbericht möglich, eine Kausalität ist allerdings damit nicht bewiesen.

Seit Oktober 2015 gibt es in Brasilien eine Meldepflicht. Im Jahr 2014 hatte man 147 Mikrozephalie-Fälle registriert. Nach Angaben des Brasilianischen Gesundheitsministeriums6 wurden zwischen Oktober 2015 und Ende Jänner 2016 5.079 Verdachtsfälle von „Mikrozephalie oder anderen schweren neurologischen Defekten“ gemeldet. Allerdings: 3.852 davon sind noch immer nicht diagnostisch abgeklärt. Von den überprüften Fällen sind bis Mitte Februar „nur“ 462 tatsächlich bestätigt worden, bei 765 Neugeborenen konnte nachträglich eine Mikrozephalie ausgeschlossen werden. Sie fallen unter die Rubrik: falsch positive Diagnosen, also Fehldiagnosen. Nur in 17 Fällen konnte nachgewiesen werden, dass sich die schwangeren Frauen zuvor mit dem Zika-Virus infiziert hatten.7

Zika hat sich ausgebreitet, parallel dazu wurde die Meldepflicht eingeführt. Nach Angaben des Berliner Robert Koch-Instituts (RKI) ist es aber auch denkbar, dass es einen ganz anderen Auslöser für die Kindesfehlbildungen geben könnte. So ist Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft der häufigste Grund für angeborene Behinderungen. Auch umweltschädigende Faktoren oder ein Medikament könnten Ursache sein.8

Druck gab es innerhalb WHO von einigen Mitarbeitern, von nun an rasch alle wissenschaftlichen Daten gebündelt zu publizieren, um geeignete Public-Health-Maßnahmen setzen können.9 Die WHO lenkte ein und errichtete mit dem Online-Portal ZIKA OPEN10 eine offene Datenplattform. Hier wurden inzwischen auch Studien publiziert, die die dramatische Zunahme von Mikrozephalie-Fällen kritisch hinterfragen.

Jorge Lopez-Camelo und Ieda Maria Orioli führen in ihrer Publikation den Anstieg der registrierten Mikrozephalen auf eine statistische Verzerrung zurück, die sich aus der im Oktober 2015 eingeführten Meldepflicht von kleinköpfigen Neugeborenen zurückführen lässt, berichtet Nature.11 Als Grundlage für ihre Berechnungen hatten die beiden Epidemiologen die ECLAMC-Datenbank von Fehlbildungen genommen, die bis 1967 zurückreicht, sowie ein landesweites Geburtsregister, das Live Birth Information System (SINASC). Sie kritisieren außerdem, dass es keine einheitlichen Diagnosekriterien für eine Mikrozephalie gibt.12

Ähnlich argumentiert auch Charles H. Simmins Jr. in seiner Übersichtarbeit.13 Man kann nur dann von einem Anstieg der Mikrozephalie-Fälle im Zuge der Zika-Virus-Epidemie sprechen, wenn man die Inzidenz vor der Epidemie kennt. Die Daten zu dieser Frage sind aber derart unterschiedlich, dass man eigentlich daraus keinen Beweis für einen Anstieg der Inzidenz mit Sicherheit ablesen kann.

Juliana Sousa Soares de Araújo und ihre Kollegen vom Paediatric Cardiology and Perinatology Network (RCP-CirCor) in Paraiba analysierten die Angaben zum Kopfumfang von mehr als 16.000 Kindern.14 Sie zeigten, dass bei zu eng gestellten Kriterien auch gesunde Babys mit einem innerhalb ihrer Ethnie als normal geltenden Kopfumfang unter die Verdachtsfälle subsumiert würden. Die Fehldiagnose trage zur scheinbaren Häufung von Fällen bei. Auffallend ist, dass die Krankheit überproportional häufig arme Familien unter hygienisch prekären Bedingungen trifft. Offen ist auch, ob Ernährungsdefizite oder ethnische Besonderheiten eine Rolle spielen. „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht sagen, vor was für einem Problem wir wirklich stehen. Wir müssen die mit Mikrozephalie diagnostizierten Kinder über einen längeren Zeitraum beobachten, um Schlüsse ziehen zu können“, sagen die Wissenschaftler. „Könnte ein Kopfumfang von 31 bis 32 Zentimeter vielleicht sogar in den ganz normalen Bereich dieser speziellen Bevölkerung fallen? Könnten ethnische Besonderheiten oder Ernährungsdefizite eine Rolle spielen?“, heißt es in der von der WHO publizierten Studie.

Krankheit ist auch eine Frage der Armut: Die Zika-Virus übertragenden Mücken vermehren sich vor allem in kleinen Wasserpfützen, typisch in ärmeren Wohngegenden. Der US-Infektiologe Michael Osterholm von der University of Minnesota sieht in der Ausbreitung von Aedes aegypti, die in den letzten Jahrzehnten der aktuellen Zikavirus-Epidemie vorausgegangen ist, auch eine Folge der zunehmenden Vermüllung in vielen ärmeren Regionen der Welt.15

Offenbar hat das Zika-Virus zu einer starken Verunsicherung von Schwangeren geführt, in Brasilien berichten Medien von „Panik-Abtreibungen“.16 Der honduranische Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga kritisierte die Praxis, den Schwangeren im Falle einer Zika-Infektion zu einer „therapeutischen Abtreibung“ zu raten. Lobbying-Organisationen und die UNO benützen indes offenbar die Krise, um Druck auf die lateinamerikanischen Länder zu erhöhen, die eugenische Indikation einzuführen und Gesetze zur Abtreibung zu liberalisieren. So forderte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra‘ad Al Hussein die Regierungen zu einer „sicheren Abtreibung“ als Gesundheitsmaßnahme auf. Auch Planned Parenthood, der größte Anbieter von Abtreibungen in den USA, startet im Namen des Zika-Virus eine Pro-Abtreibungs-Kampagne.

Ein Zusammenhang zwischen einer Zika-Virus-Infektion bei Schwangeren und der Entwicklung einer Mikrozephalie des Kindes ist möglich, aber nicht bewiesen. Viele infizierte Schwangere bringen auch gesunde Kinder zur Welt. Mikrozephalie geht für die betroffenen Kinder mit einer geistigen Behinderung einher, deren Ausmaß unterschiedlich ist und von der Intensität der Veränderungen abhängt. Aus ethischer Sicht ist die Forderung nach einer Freigabe der Abtreibung von Menschen mit eingeschränkter Intelligenz ein unerträglicher Akt der Diskriminierung. Ein Virus kann zum Staatsfeind erklärt werden, aber nicht Kinder mit Behinderung.

Referenzen

  1. Bartens W., Zika-Virus: Die WHO übertreibt massiv, Süddeutsche Zeitung, 2. Februar 2016 (online)
  2. Kekulé A. S., Das Märchen von den 4.000 geschädigten Babys, Die Zeit, 29. Jänner 2016 (online)
  3. vgl. Amerika will Milliarden in den Kampf gegen Zika investieren, FAZ, 8. Februar 2016 (online)
  4. Lichterbeck P., Dengue ist doch viel schlimmer! Die Zeit, 10. Februar 2016 (online)
  5. Mlakar J., et al., Zika Virus Associated with Microcephaly, New England Journal of Medicine, February 10, 2016, DOI: 10.1056/NEJMoa1600651
  6. Saúde investiga 3.852 casos suspeitos de microcefalia no país, WHO Bulletin vom 12. Februar 2016
  7. vgl. Müller-Jung J., Wie viel Übertreibung steckt in der Zika-Epidemie? FAZ, 5. Februar 2016 (online)
  8. vgl. Zika-Virus: Was bedeutet die Notfall-Einstufung durch die WHO? Vorarlberger Nachrichten, 2. Februar 2016 (online)
  9. vgl. Bull World Health Organ 2016; doi: dx.doi.org/10.2471/BLT.16.170860
  10. ZIKA OPEN, Bulletin of the WHO, www.who.int/bulletin/online_first/zika_open/en/
  11. Butler D., Zika virus: Brazil’s surge in small-headed babies questioned by report, Nature (2016); 530: 13-14, doi:10.1038/nature.2016.19259
  12. vgl. Müller-Jung J., siehe Ref. 7
  13. Simmins Jr C. H., Establishing base levels of microcephaly in Brazil prior to the arrival of Zika viral illnesses [Submitted], Bull World Health Organ E-pub: 8 Feb 2016. doi: dx.doi.org/10.2471/BLT.16.171223
  14. Soares de Araújo J. S., Regis C. T., Gomes R. G. S., Tavares T. R., Rocha dos Santos C., Assunção P. M. et al., Microcephaly in northeast Brazil: a review of 16 208 births between 2012 and 2015 [Submitted]. Bull World Health Organ E-pub: 4 Feb 2016. doi: dx.doi.org/10.2471/BLT.16.170639
  15. vgl. Osterholm M. T., How Scared Should You Be About Zika? New York Times, 29. Jänner 2016 (online)
  16. vgl. Offenbar verstärkt Abtreibungen wegen Zika-Virus, FAZ, 1. Februar 2016 (online)

Anschrift der Autorin:

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