Ethische Zulässigkeit von Tierversuchen und der Unterschied Tier/Mensch

Imago Hominis (2015); 22(3): 167-177
Johannes Rosado

Zusammenfassung

Die Erörterung der Zulässigkeit von Tierversuchen setzt die Übereinstimmung in der Erkenntnis voraus, dass sowohl dem Menschen als auch dem Tier von ihrem Dasein her eine bestimmte Bedeutung oder Rolle im Ganzen der Natur zukommen. Der Mensch hat – aufgrund seines geistigen Vermögens, des Verstandes und des freien Willens – die Aufgabe, die Dinge der Natur in ihrem Sein zu achten. Insbesondere hat er – mit Rücksicht auf die Hierarchie der Bedeutungen und Sinngehalte – das Leben der Menschen zu achten und zu schützen, unter bestimmten Umständen auch durch Tierversuche. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier wird näher beleuchtet und als wesentlich – nicht bloß graduell – erklärt, da einzig der Mensch für ein Leben in der Weite der Wahrheit und Selbstbestimmung, in der Weite wahrer Freiheit – der mit Verantwortung verbundenen Freiheit von Personen – offen ist.

Schlüsselwörter: Erkenntnis des Wahren und des Guten, freier Wille, Selbstbestimmung, Reflexivität, Personsein

Abstract

Discussions of the acceptability of animal experiments are based on a concordance of recognition of the specific meaning of each animal and its respective role in nature. A human being with his mental and intellectual abilities, plus his free will, has to respect nature as such. In particular, he is challenged with respecting a hierarchy of values in the protection of human life, under well-defined circumstances and including animal experiments. In this article, the ontological difference between animal and man will be elucidated as essential. It is clearly a human characteristic to be open to autonomy and reach of truth, which is intimately connected to personal responsibility when dealing with animals.

Keywords: knowledge of the good and true, free will, autonomy, reflexivity, personhood


1964 erklärte die in Helsinki versammelte World Medical Association, dass die biomedizinische Forschung am Menschen1 sich auf die feste Grundlage von sorgfältig durchgeführten Tierversuchen stützen solle.2 Die Erklärung wurde, was unser Thema anbelangt, in den darauffolgenden Jahren unter Hinweis auf die bestehende Notwendigkeit, Tierversuche durchzuführen, bestätigt.3 Auch in der 2001 grundlegend überarbeiteten Version der Deklaration sowie nachfolgender Revisionen heißt es: „Medizinische Forschung am Menschen muss den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen entsprechen sowie auf einer gründlichen Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur, anderen relevanten Informationsquellen, ausreichenden Laborversuchen und, sofern angemessen, auf Tierversuchen basieren. Auf das Wohl der Versuchstiere muss Rücksicht genommen werden.“4

Seitdem vermehren sich auf dem Gebiet der Bioethik die Bemühungen um die argumentative Begründung dieser Forderung. Es geht dabei nicht nur um die Zulässigkeit von Tierversuchen, es wird bisweilen ausdrücklich postuliert, dass es sich unter Umständen um eine echt moralische Verpflichtung handeln kann, zwecks einer Verbesserung der ärztlichen Betreuung von Patienten auch die Tierversuche als Forschungsmethode in Betracht zu ziehen und (eben unter bestimmten Umständen) sich ihrer zu bedienen.5

Die Entscheidung über Erlaubtheit oder Nicht-Erlaubtheit von Tierversuchen hängt unter anderem von einer Reihe von Bedingungen ab. So ist zum Beispiel für die ethische Zulässigkeit erforderlich, dass die Anzahl von Tieren, die für Versuche herangezogen werden, so gering wie nur möglich gehalten wird; dass die Tiere, an denen Versuche gemacht werden, unter möglichst guten, ihren Bedürfnissen angepassten Bedingungen leben: dass sie durch gute und erfahrene Tierärzte betreut werden, dass das Personal, dem sie anvertraut sind, bereit ist, im Alltag und im Rahmen der Möglichkeiten mit den Tieren liebevoll umzugehen, etc.; dass im Rahmen der Versuche das Leiden der Tiere nach Möglichkeit durch analgetische Behandlungen bzw. mit Hilfe der Anästhesie vermieden wird; dass überhaupt die Notwendigkeit, solche Versuche durchzuführen, im Ermessen einer befugten Instanz liegt, etc.

Wir können hier nicht des Näheren alle begleitenden Umstände analysieren, welche die Sittlichkeit eines Tierversuches bedingen und im Hinblick auf eine ethische Beurteilung ins Gewicht fallen. Hingegen wollen wir auf die fundamentalere Frage nach der Begründung der ethischen Zulässigkeit von Tierversuchen überhaupt eingehen.

1. Die ethische Zulässigkeit von Tierversuchen

Um es vorwegzunehmen; jede ernsthafte Begründung der ethischen Zulässigkeit von Tierversuchen basiert auf der Voraussetzung, dass sie strenggenommen aus biomedizinischen Gesichtspunkten erforderlich sind (etwa zur Entwicklung von neuen Therapieverfahren bzw. Medikamenten gegen neu auftretende Erkrankungen). Es handelt sich um eine Voraussetzung, die außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der bioethischen Forschung liegt. In dieser Frage haben ausschließlich Ärzte und Naturwissenschaftler das Wort.

Die Begründung der ethischen Erlaubtheit von Tierversuchen gestaltet sich vielschichtig. Es ist nämlich nicht leicht, über die Erlaubtheit von Tierversuchen nachzudenken, ohne zugleich die Frage nach dem Sinn und dem Zweck des Tieres und des Menschen im Ganzen der Schöpfung in die Überlegungen miteinzuschließen.6 Mehr noch: Die Erörterung der Frage nach der ethischen Erlaubtheit von Tierversuchen setzt die Übereinstimmung in der Erkenntnis voraus, dass sowohl dem Menschen als auch dem Tier von ihrem Dasein selbst her eine bestimmte Bedeutung, eine bestimmte Rolle im Ganzen der Schöpfung zukommt.7 Wäre es nicht so, dann ließe sich auch kein Grund angeben, weshalb bestimmte Tierexperimente aus rein ethischer Sicht erlaubt bzw. unerlaubt sind. Vielleicht ist hier der Hinweis am Platz, dass eine Erörterung, die das Tier und den Menschen als Teile der Schöpfung ansieht und ihnen daher eine bestimmte Bedeutung oder Rolle im Ganzen zuerkennt, anders als vielleicht jemand meinen könnte, weder ausschließliches Gedankengut des christlichen Glaubens noch vordergründig Sache der religiösen Positionierung der Personen ist, die sich damit befassen.8 Um auf der Ebene der seinsmäßigen Bedeutung der Dinge argumentieren zu können, genügt vielmehr die Nutzung und Entfaltung der gedanklichen Mittel einer nicht atheistischen – und das heißt: nicht reduktionistischen, nicht die Wirklichkeit verkürzenden – Weltanschauung.9

Wenn nun die Dinge so liegen, dann ist es erforderlich, zur Lösung unserer Frage weit auszuholen. Die Begründung der ethischen Zulässigkeit von Tierversuchen deckt nur einen Teil der ganzen Frage nach dem Verhältnis ab, das zwischen dem Menschen und den Tieren herrscht, und diese ist wiederum nur ein Aspekt der ökologischen Frage, der Frage also nach dem Verhältnis Mensch/Umwelt. Das Verhältnis Mensch/Umwelt kann aber – wie eben angemerkt – erst dann erörtert werden, wenn Klarheit über den Sinn und über die Bedeutung des Menschen und seiner Umwelt im Ganzen der Schöpfung vorliegt.

Es ist hier wohl nicht möglich, dieses Verhältnis ausführlich zu beleuchten. Da wir aber trotzdem die Begründung der ethischen Erlaubtheit von Tierversuchen auf einen festen Boden bauen wollen, so scheint es angebracht, auch jene grundlegenden Einsichten zu nennen, die gleichsam die Stützen der Begründung darstellen. Wir nehmen also von den folgenden grundlegenden Überlegungen unseren Ausgang:

  • Der Mensch, das Tier und überhaupt alle Geschöpfe haben Bedeutung. Sie stehen nicht bloß im Ganzen des Seienden da, sie sind bedeutungsvoll, und zwar so, dass die ihnen zukommende Bedeutung von ihrem Dasein selbst herrührt. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass sie bedeutend sind, insofern sie die Rolle spielen, die ihnen im Ganzen der Schöpfung zukommt; insofern sie den göttlichen Schöpfungsplan, einmal durch ihr Dasein, verwirklichen (Wie schon oben erwähnt wurde, möchten diese Überlegungen – auch wenn sie das große Thema der Schöpfung miteinschließen – sich auf der Ebene dessen bewegen, was für die Vernunft durch die natürlichen Kräfte erkenntnismäßig erreichbar ist. Das Thema der Schöpfung – d. h. der göttlichen Erschaffung der Dinge – kann durchaus dazugezählt werden: Es ist dem menschlichen Verstand zugänglich, und nur mit einer ausdrücklich atheistischen Einstellung zum Ganzen des Seienden nicht vereinbar. Eine solche Einstellung ist aber, wie bereits erwähnt, eo ipso reduktionistisch).
  • Es gibt Unterschiede in der Bedeutung der Dinge. Dem Menschen kommt unter allen seienden Dingen eine besondere Bedeutung zu – eine größere Bedeutung, die in der geistigen Dimension seiner leiblich-personalen Verfassung begründet liegt. Dadurch, dass er geis-tige Fähigkeiten besitzt, nämlich einen für die Wirklichkeit alles Seienden offenen Verstand einerseits und einen freien, die Grenzen des Materiellen überschreitenden Willen andererseits – dadurch spielt er eine besondere Rolle im Ganzen des Seienden, dadurch nimmt er darin eine herausragende Stellung ein.
    So wie aus der ersten Überlegung (von der Bedeutung alles Seienden) die Verpflichtung für die freien, venunftbegabten Geschöpfe abgeleitet werden kann, die Dinge unserer Umwelt in ihrem Sein zu achten, so folgt aus dieser zweiten Überlegung die Verpflichtung, in besonderem Maße das Leben der Menschen zu achten und zu schützen.
  • Die Unterschiede in der Bedeutung der Dinge, insbesondere aber die Unterschiede in der Bedeutung des Menschen und des Tieres begründen ein Verhältnis der seinsmäßigen Über- bzw. Unterordnung zwischen ihnen. Es gibt so etwas wie eine Ordnung, wie eine seinsmäßige „Solidarität“ unter den Dingen (unter den Geschöpfen). In gewisser Hinsicht verläuft das Leben der verschiedenen Geschöpfe niemals am Leben der anderen vorbei (die genannte Ordnung bzw. „Solidarität“ kommt zum Beispiel darin zum Ausdruck, dass das große Anliegen des Tierschutzes von Menschen – nicht von Tieren – vorangetrieben wird).
    Indem die Tiere einen eigenen, autonomen Wert aufweisen, sind sie zugleich im Gefüge des ganzen Kosmos wesentlich und zweckmäßig mit dem Wohl des Menschen verknüpft. Dem Menschen andererseits eignet eine gewisse Herrschaft über die seienden Dinge, in dem Sinn nämlich, dass er die moralisch begründete Fähigkeit besitzt, sich ihrer zu einem guten Zweck zu bedienen.

In diesen drei Überlegungen, die hier nur ansatzweise dargelegt werden konnten, sind die Elemente zusammengefasst, welche der Argumentation für die ethische Erlaubtheit von Tierversuchen zugrunde liegen. Es genügt nämlich zur Begründung ihrer Angebrachtheit, nur noch zu bedenken, dass der Mensch die moralische Verpflichtung hat, das Leben seiner Mitmenschen zu schützen und die Mittel zur Vorbeugung und Behandlung der Krankheiten zu suchen, welche ihre Gesundheit gefährden. Unter bestimmten Bedingungen (siehe oben) können in diesem Zusammenhang Tierversuche aus bioethischer Sicht erlaubt sein.

2. Der Unterschied zwischen Tier und Mensch

Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die ethische Zulässigkeit von Tierversuchen spielt die Frage nach dem Unterschied zwischen Tier und Mensch eine vorrangige Rolle. Dass ein Unterschied besteht, ist wohl klar, aber: Genügt er, um die Zulässigkeit von Tierversuchen, wie oben dargelegt, zu begründen? Handelt es sich eigentlich um einen wesentlichen – und daher unüberbrückbaren – Unterschied, der eindeutig Person und Nicht-Person trennt, oder haben wir es bloß mit einem graduellen, also überbrückbaren Unterschied zu tun?

Die Frage nach dem Unterschied Tier/Mensch taucht zunächst im Umkreis der Frage nach unserer eigenen Identität als Menschen auf. Was bedeutet es für uns Menschen, Personen zu sein? Es muss wohl etwas Bestimmtes geben, worin das eigentümlich Menschliche – das, wodurch sich der Mensch von anderen Lebewesen unterscheidet – besteht. Was ist das aber? Was ist die Eigentümlichkeit des Menschen im Vergleich mit den Tieren, und wie ist sie ontologisch beschaffen? Gründet sie auf eine ebenfalls für den Menschen spezifische Seinsstruktur, auf ein eigenes ontologisches Fundament? Die entscheidende Frage ist aber folgende: Eröffnet dieses Eigentümliche des Menschen überhaupt eine neue Seinssphäre, impliziert es eine radikal neue (für den Menschen radikal eigentümliche) Seins- und Verhaltensweise, die für die nichtmenschlichen Lebewesen grundsätzlich unerreichbar ist?

Diesen Fragen wollen wir nun auf den Grund gehen, indem wir einige charakteristische Aspekte der menschlichen Handlungsweise beleuchten. In ihnen zeigt sich die erhabenere Seinsweise des Menschen gegenüber den Tieren, nämlich seine Personalität.

2.1 Die Grundlagen der Personalität

In den menschlichen Handlungen kommt der Wille als die Eigentümlichkeit der Person zum Ausdruck. Durch seinen freien Willen unterscheidet sich der Mensch von allen anderen Lebewesen. Die Freiheit des menschlichen Willens zeigt sich erstens in der Fähigkeit, sich selbst zum Guten zu bestimmen; das setzt aber auch zweitens die Erkenntnis der Wahrheit über das Gute voraus.

2.1.1 Die Ausrichtung des Menschen auf das Gute

Der Mensch besitzt die Fähigkeit, sich selbst mit seinem freien Willen auf das Gute auszurichten, das er mit seinem Verstand erfassen kann. Darin kommt etwas spezifisch Menschliches zum Ausdruck.

Das Tier kann wie der Mensch einfach nach etwas streben, der Mensch allein kann darüber hinaus sich selbst (in seinem Handeln) bestimmen. Sich-Selbst-Bestimmen ist eine Handlung, die über das einfache Streben hinausgeht. Vom einfachen Streben kann nicht immer gesagt werden, dass es ein Sich-Selbst-Bestimmen des Strebenden bedeutet. Ein Lebewesen (zum Beispiel ein Tier) kann von einem Gegenstand des Strebens hingerissen werden. Im Fall des Tieres ist es nicht richtig, von Selbstbestimmung zu reden.

Die Selbstbestimmung im eigentlichen Sinn setzt eine besondere Komplexität in der Person voraus. Wer sich selbst bestimmt, der verhält sich (zustimmend oder verwerfend) zu seinem eigenen Streben, zu seinem einfachen Wollen. Das eigene Wollen zu wollen bzw. es zu verwerfen – darin liegt der eigentliche Akt des menschlichen freien Willens begründet. Darauf kommen wir später noch zurück.

Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung im Menschen äußert sich darin, dass er imstande ist, das Ziel seiner eigenen Handlungen zu bestimmen. Er kann das Gute wählen, auf das er sich selbst ausrichtet. Dies hängt mit der Autonomie, die dem Menschen gegenüber den Tieren eigentümlich ist, zusammen. ,Autonomie‘ steht hier im Gegensatz zu ,Determinismus‘. Der Determinismus postuliert bei der Interpretation der menschlichen Handlungen eine Art Aufsaugung des Subjektes durch den Gegenstand. Der Determinismus ist aber als Interpretation der menschlichen Handlungen immer etwas Sekundäres, das Erlebnis der eigenen Autonomie hingegen etwas Ursprüngliches und Grundsätzliches. Das spricht gegen den Determinismus und für die Freiheit der Person.

2.1.2 Das Vermögen, die Wahrheit über das Gute zu erfassen

Der Mensch, haben wir gesagt, ist imstande, sich selbst auf das Gute auszurichten. Dabei ist die Bereitschaft, auf das Gute auszugehen, d. h. das Gute anzustreben, Grundlage jeder Willensentscheidung. Der Mensch vermag sich selbst zu bestimmen, indem er sich mit seinem freien Willen auf das Gute ausrichtet, das er mit seinem Verstand erkennt.

Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung setzt also die Erkenntnis des Guten, auf das sich die Person ausrichtet, voraus. Nun aber gehört zum vollen Begriff der Selbstbestimmung, dass das Gute als solches erkannt wird. Ein einfaches Wahrnehmen eines Gegenstandes, der sozusagen beiläufig gut ist (zum Beispiel das Wahrnehmen des Tieres, das seinem Instinkt folgend nach dem guten Gegenstand strebt, ohne aber dessen Gutheit eigentlich zu erkennen), reicht hier nicht aus.

Die Fähigkeit, sich selbst auf das Gute auszurichten – die Freiheit im eigentlichen Sinn –, setzt die Erkenntnis des Guten als Gutes voraus, und somit, dass die sich selbst bestimmende Person um die Übereinstimmung ihres Erkennens mit dem erkannten Gegenstand (das Gute als Gutes) weiß, d. h. dass sie die Wahrheit über das Gute erfasst. Die reflexive Struktur, die das Erfassen der Wahrheit über das Gute ermöglicht, ist eine Vorbedingung für die Freiheit der handelnden Person.

Das Vermögen, die Wahrheit über das Gute zu erfassen, und die damit zusammenhängende Fähigkeit zur Selbstbestimmung (menschliche Freiheit) begründen jene erhabenere Seinsweise, durch welche sich der Mensch von den nicht-personalen Lebewesen (insbesondere von den Tieren) unterscheidet. Dem Menschen eignet ein besonderer Grad der Selbstzugehörigkeit: Als Person vermag er, sich selbst auf das Gute auszurichten. Kraft seiner Reflexionsfähigkeit vermag es der Mensch, die vorgegebenen Naturzwecke zu distanzieren10 und sich noch einmal zu ihnen affirmativ oder negativ zu verhalten, d. h. sie mit seinem freien Willen gutzuheißen bzw. zu verwerfen.

Bevor wir aber die Auswirkungen dieses Unterschieds behandeln, gehen wir auf einen Einwand ein, der unmittelbar den Unterschied zwischen Tier und Mensch betrifft.11 Wir haben festgestellt, dass die personale Seinsweise des Menschen auf seine Reflexionsfähigkeit gründet. Nun könnte jemand meinen, dass die für die Seinsweise der Person erforderliche Reflexionsfähigkeit auch bei den Tieren, die Selbsterkenntnis besitzen, anzutreffen sei. Wir müssen uns hier mit der Struktur der tierischen Selbsterkenntnis auseinandersetzen.

2.2 Die Erkenntniskräfte des Tieres

Es kann nicht übersehen werden, dass es bei den Tieren einen gewissen Grad von „Selbsterkenntnis“ gibt. Das gehört irgendwie zur täglichen Erfahrung, zumindest für jene, die ein Haustier besitzen oder häufig mit höheren Tieren zu tun haben. Wir geben unserem Haustier einen Namen und sind uns gewiss, dass es nach einiger Zeit – nach der nötigen Übungszeit – mit großer Selbstverständlichkeit auf unseren Ruf antworten wird. Das bedeutet, dass das Tier den verliehenen Namen erkennt und von sich selbst als dem auf diesen Namen bezogenen Lebewesen weiß.

Tiere (zumindest höhere Tierarten) vermögen es also, einen bestimmten Wahrnehmungsinhalt – darunter auch sich selbst – mit einem Namen in Beziehung zu bringen, d. h. sie vermögen es, ein Wort, das auf einen Gegenstand bezogen ist, so wahrzunehmen, dass es in der kognitiven Struktur des Tieres auf diesen Gegenstand bezogen bleibt. Deshalb können sie nicht nur den eigenen Namen, sondern auch den Namen anderer Dinge erkennen.

Daraus geht allerdings nicht hervor, dass sie das Vermögen besäßen, Begriffe – etwa den allgemeinen Begriff „Apfel“ – als solche zu erfassen oder gar zu bilden. Wir wissen nur, dass sie imstande sind, die Verknüpfung eines Wortes – besser: einer Folge von Lauten – mit einem bestimmten Gegenstand – etwa mit einem Apfel – in ihrem Erkenntnisvorgang aufrechtzuerhalten.

Höhere Tiere sind weiters imstande, die Zuträglichkeit bzw. die Schädlichkeit eines äußeren Gegenstandes für sie zu erfassen und ihr Verhalten dementsprechend auszurichten. Das Schaf erkennt die Gefahr, die der Wolf für es selbst bedeutet, der Hirsch merkt, dass das frische Wasser des Baches für ihn zuträglich ist. Das Schaf und der Hirsch vermögen es offensichtlich, einerseits das äußere Ding als etwas Eigenes zu erkennen, andererseits die konkrete Bedeutung des äußeren Dinges für sie selbst zu erfassen. Wie kommt das zustande? Dieser Prozess hat zur Voraussetzung, dass das Tier eine gewisse Kenntnis von sich selbst („Eigenerkenntnis“) besitzt. Ohne dieses Wissen über sich selbst würde das Schaf unmöglich die (offensichtlich abträgliche, ja lebensgefährliche) praktische Bedeutung des Wolfes für sein eigenes Leben einschätzen können. „Einschätzen“ heißt hier nämlich: Das äußere Ding aus dem Blickwinkel des eigenen Lebens sehen, das äußere Ding unter dem Gesichtspunkt der Angebrachtheit für die eigene Natur betrachten. Dies geschieht instinktiv, d. h. ohne dass das Tier eigentlich den Begriff der eigenen Natur (noch der Natur des äußeren Dings) erfassen würde. Die Einschätzung ist unmittelbare Folge der biopsychischen Ausstattung des Tieres. Durch sie erkennt das Schaf instinktiv – um bei unserem Beispiel zu bleiben –, dass es mit dem Wolf vor allem als dessen potentielle Nahrung zu tun hat, sodass ein sofortiges Fliehen ratsam erscheint.

Das Tier besitzt also eine gewisse Kenntnis seiner selbst, indem es sich selbst zum Maßstab und Bezugsobjekt macht, auf dessen Grundlage die praktische Bedeutung des äußeren Dinges eingeschätzt wird. Die praktische Bedeutung eines Dinges ist in diesem Fall immer die Bedeutung dieses Dinges ,für mich‘, d. h. für das ,für mich‘ des Tieres. Daher ist das Erfassen der Bedeutung der äußeren Dinge bis zu einem gewissen Grad ein Erfassen des eigenen ,Ichs‘ des Tieres, gleichsam ein Erfassen der eigenen Subjektivität des Tieres. Mehr noch: Die einzelnen psychischen Akte des Erfassens, welche das Tier vollzieht, bleiben in seinem Gedächtnis eingespeichert; und so ermöglichen sie es auch, dass das Tier eine gewisse Kenntnis von der zeitlichen Kontinuität seines Lebens erlangt, dass es über seine Vergangenheit verfügen und sowohl die eigene Identität erleben als auch die Kontinuität des eigenen Lebens erfahren kann.12

Nun aber, dieses Wissen über sich selbst, welches das Tier im Erfassen der äußeren Gegenstände und deren Bedeutung für die eigene Subjektivität erlangt, ist schon das höchste Maß an „Selbsterkenntnis“, welches ein Tier zu erlangen imstande ist. Die biopsychische Verfassung des Tieres erlaubt es nicht, dass es über die Grenzen der aufgezeigten Stufe von Eigenerkenntnis hinauswächst.

2.3 Reflexive Struktur des Menschen

Das Tier besitzt Eigenerkenntnis und Erleben der eigenen Subjektivität, aber nicht in der Weise wie beim Menschen. Der Mensch ist unter den „Tieren“ vielmehr das einzige Lebewesen, dem wahre Selbsterkenntnis, Selbstbewusstsein im eigentlichen Sinn zukommt; das einzige Lebewesen, von dem mit Fug und Recht behauptet wird, dass es seiner selbst ansichtig zu werden vermag, nämlich auf Grund der reflexiven Struktur seiner Subjektivität. Was bedeutet aber „reflexive Struktur der menschlichen Subjektivität“?

Denken wir an die Fähigkeit des Menschen, Begriffe mit dem Verstand zu erfassen. Das Tier, haben wir gesehen, vermag die Dinge in seinem Erkenntnisfeld auf ihre Bedeutung hin abzuschätzen, ihre Bedeutung zu erfassen. Doch dieses „Erfassen“ der Bedeutung der Dinge geschieht beim Tier immer aus dem unmittelbaren Bezug zum eigenen Organismus, zur eigenen biopsychischen Struktur. Die biopsychische Struktur des Tieres ist nur auf eine bestimmte, limitierte Anzahl von Handlungszielen ausgerichtet, sodass es sich hier nur jedesmal um den Wert oder die Bedeutung handeln kann, welche die Dinge als Mittel bzw. als Handlungsobjekt der biopsychischen Mechanismen des Tieres erhalten.

Anders als für den Menschen kann für das Tier nur eine begrenzte Anzahl von Elementen der Welt, in der es lebt, Sinn und Bedeutung haben; und mehr noch: Diese Elemente haben nur in ihrem Bezug zum Organismus des Tieres Bedeutung. Darin liegt ein deutlicher Unterschied zum Menschen. Das Tier vermag die Hitze zu erleben und den eigenen Durst oder den Hunger wahrzunehmen; es vermag, den Schatten als das zu erkennen, was die Hitze erträglicher macht, das Wasser als das den Durst Löschende, den Apfel als das, was den Hunger stillt. So weit die Vorstellungsinhalte der tierischen Erfahrungswelt. Könnten wir sie in einer menschlichen (eigentlich tierischen) Sprache festhalten und wiedergeben, dann wären die entsprechenden Formulierungen etwa folgende: „…heiß…“ bzw. „…trinkbar…“ bzw. „…essbar…“. Die Beschränkung, die darin besteht, dass das Tier die Dinge ausschließlich unter dem Aspekt des Bezugs auf den eigenen Organismus (auf die eigene biopsychische Struktur) erkennen kann, hindert es daran, die reflexive Ebene der menschlichen Sprache zu erreichen. Die menschliche Sprache ist nämlich durch Objektivität gekennzeichnet. In ihr können die Dinge nach ihrem eigenen Sinngehalt – nach ihrer Bedeutung an sich – berücksichtigt werden. Die Elemente, die für das Tier etwa nur die Bedeutung „essbar“ hatten, können nun als Apfel, als an sich bedeutungsvolle Dinge (das, was Apfel ist) vorkommen, sie können überhaupt von nun an als das, was sie sind, erfasst werden.

Wir haben es also mit einer neuen kognitiven Ebene zu tun, auf welcher der Mensch die äußeren Dinge an sich und ihre eigentliche Bedeutung erkennen kann. Ein solches Erkennen der Dinge unserer Außenwelt (ungeachtet ihres Bezogenseins auf den eigenen Organismus) ist für uns Menschen deswegen möglich, weil wir durch den Verstand (Intellekt) das Vermögen besitzen, über die stofflich-biologischen Eigenschaften unseres Organismus hinweg – und in gewisser Hinsicht von ihnen unabhängig – uns auf die Dinge unserer Erfahrung einzulassen. Durch den Verstand vermögen wir es, uns als erkennende Subjekte mit den Dingen der Außenwelt zu befassen. Wir haben aber auch die Möglichkeit, gleichsam auf unsere eigene Subjektivität, auf unser eigenes Ich und auf unsere inneren Bewusstseinsvollzüge zurückzukehren, die Ausrichtung unseres Erkenntnisaktes um 180 Grad zu drehen und also uns selbst zum Gegenstand unseres eigenen Erkenntnisaktes zu machen.

Dies alles deutet auf eine neue Stufe des Selbstbewusstseins, mehr noch, auf eine wesentlich andere Art des Bewusstseins beim Menschen gegenüber dem Tier, und zwar nicht erst in dem Augenblick, in welchem der Mensch in der reflexiven Einstellung auf seine eigene Subjektivität eingeht, sondern schon in der gewöhnlichen Einstellung der Erfassung äußerer Gegenstände. Die Analyse der menschlichen Psyche zeigt, dass die Bewusstseinsakte, durch welche der Mensch mit seinem Verstand die Dinge erkennt, immer eine reflexive Komponente, immer zugleich einen reflexiven Aspekt aufweisen. So ist der Mensch, der etwas erkennt, zugleich in gewisser Hinsicht sich selbst gegenwärtig: nicht vordergründig (in der gewöhnlichen Einstellung), aber doch in hinreichendem Ausmaß, um nachträglich – wiederum mit dem Verstand – auf den Erkenntnisgegenstand, der er selbst ist, zurückkommen zu können. Wie sonst könnte der Mensch nachträglich – in der reflexiven Einstellung – der eigenen Subjektivität seine Aufmerksamkeit zuwenden, wenn er sich ihrer nicht schon vorher in besonderer Weise bewusst wäre?

Die Reflexionsfähigkeit des Menschen kommt in seiner Sprache deutlich zum Ausdruck. Diese ist nämlich nicht nur extensional, sondern darüberhinaus intensional.13 Extensionale Sätze beziehen sich (bloß beschreibend) auf materielle Dinge. Intensionale Sätze hingegen werden benützt, nicht um über materielle Dinge zu sprechen, sondern über geistige Vorgänge. Intensionale Sätze haben die grammatische Eigentümlichkeit, dass sie alle die konsekutive Konjunktion „dass“ aufweisen können: ich, du, er, sie, wir, usw. glauben, hoffen, fürchten, wollen, beabsichtigen das oder jenes, wobei „das oder jenes“ nur ein Kürzel von einem weiteren Satz ist: „dass dies oder jenes sei“ oder  „das, dass dies oder jenes so oder so sei“ usw. Bei einem jeden intensionalen Satz handelt es sich daher in Wirklichkeit um zwei Sätze, um zwei Aussagen oder Propositionen, die in einem Verhältnis der Über- bzw. Unterordnung zueinander stehen. Menschen können sich zu Propositionen verhalten, d. h. sie können propositionale Einstellungen haben: „ich hoffe (1. Satz), dass dies oder jenes sei (2. Satz)“; „ich weiß, dass es sich mit dem und dem so und so verhält“, usw.

Tiere hingegen vermögen dies nicht. „Der Unterschied zwischen menschlicher und tierischer Sprache liegt zunächst darin, dass über ihre Ausdrucks- und Signalfunktion hinaus die menschliche Sprache eine propositionelle Komponente hat. … Es könnte, was dahingestellt sein mag, durchaus sein, dass auch Tiere Begriffe bilden und manche primitive extensionale Sätze verstehen. Was sie auf jeden Fall nicht können, ist die reflexive Leistung zu vollbringen, die zu den intensionalen Sätzen erforderlich ist.“14

Bereits ein einfacher „Dass-Satz“ verweist auf die reflexive Struktur der menschlichen Subjektivität. Sie stellt für das Tier eine unerreichbare, letztlich unüberbrückbare (weil auf geistige Fähigkeiten gründende) Stufe dar. Ähnlich geschieht es mit den „Weil-Sätzen“, durch welche der Mensch die Ursache oder die Begründung für einen bestimmten Sachverhalt angeben kann. Das Tier vermag so etwas nicht. „Tiere gebrauchen zwar Mittel, um Zwecke zu erreichen. … Aber Tiere können unmöglich den Grund dafür angeben, d. h. Rechenschaft darüber ablegen, weshalb sie dies oder jenes tun, dieses oder jenes Mittel gebrauchen“. Den Grund angeben: Hier steht „Grund“ für das griechische lógos und somit für ratio, Vernunft und Sprache. „Sofern das Tier sich nicht zu Propositionen verhalten kann, d. h. sofern es nicht propositionale Einstellungen haben kann, kann es nicht vernünftig leben im Sinne des lógon échein und des lógon dídonai, des Recht-haben- und des Rechenschaftablegen-Könnens; solange kann es insbesondere nicht leben in der Weise der Selbstbestimmung. Mag ihm evtl. (was Kant bestritten hätte) irgendeine Art Würde eignen, so jedenfalls nicht die Würde der Person“.15

Weil das Tier nicht die erforderliche reflexive Struktur besitzt, vermag es auch nicht, in der Wahrheit zu leben. Denn die Wahrheit besteht nicht bloß in der Übereinstimmung zwischen Urteil und Sachverhalt (Proposition), sondern eigentlich im Wissen um diese Übereinstimmung. Bei einem Urteil, bei einer Prognose über das Wetter zum Beispiel kann man erst dann von Wahrheitswert sprechen, wenn die Voraussage auf einem bestimmten Grund (Iógos, ratio) beruht. Ein zufälliges Übereinstimmen von Urteil und Wirklichkeit genügt nicht für das Vorliegen von Wahrheit im eigentlichen Sinn (es genügt nicht, dass sich die Prognose bloß durch Zufall als zutreffend erweist). Für den vollen Wahrheitsbegriff ist die reflexive Erkenntnis der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit erforderlich.

Das Tier vermag es also nicht, in der Wahrheit zu leben: Es fehlt ihm die dazu erforderliche Reflexivität. Deshalb kann es sich auch nicht wie der Mensch durch freie Handlungen ethisch verhalten. Der Freiheit der menschlichen Handlungen eignet nämlich dieselbe reflexive Struktur des Wahrheitsbegriffs: „Der Grund, weshalb die Tiere nicht frei sind in der selben Weise wie die Menschen, liegt darin begründet, dass sie zwar urteilen (abschätzen) können, was für sie schädlich oder nützlich ist; aber sie können auf dieses Urteil nicht zurückkommen, um es unter dem Aspekt des objektiv Guten eigens zu beurteilen, d. h. gutzuheißen oder zu verwerfen“.16 In der reflexiven Leistung, die darin besteht, das eigene Wollen zu wollen oder nicht zu wollen, es gutzuheißen oder zu verwerfen, gerade darin liegt das Wesen der menschlichen Freiheit begründet.

2.4 Praktische Folge des Unterschieds Tier/Mensch

Der Mensch ist offen für das Leben in der Weite der Wahrheit und der Selbstbestimmung, er ist offen für die Weite der Freiheit. Er vermag, das Ziel seiner eigenen Handlungen zu bestimmen, wodurch er sich aber vornehmlich selbst bestimmt, seine Autonomie behauptet.

Vom Menschen kann gesagt werden, dass er eine eigene Biographie hat, dass er auf Grund der Selbstbestimmung für sich selbst sein eigenes Lebensprojekt entwirft. Er hat eine eigene Zielsetzung, die von ihm selbst stammt. In der Aufgabe, einen Entwurf für die eigenen Handlungen zu erstellen, ist er sich selbst überlassen: Er kann nicht jemand anderem diese Aufgabe übertragen, die eine unveräußerliche ist.

Auf Grund der Selbstbestimmung ist das Leben der Person also radikal unveräußerlich. Es darf daher auch kein Mensch einem anderen Menschen seine eigene Zielsetzung oktroyieren. Der Versuch, einem Menschen seine persönliche Zielsetzung aufzunötigen, verletzt grundsätzlich die Personwürde.17

Dies alles gilt grundsätzlich nicht vom Tier, welches die Dimension der Selbstbestimmung nicht aufweist. Während der Mensch durch seine Selbstbestimmung es vermag, die Naturzwecke zu distanzieren und sich noch einmal affirmativ oder negativ zu ihnen zu verhalten, bleibt das Tier an die Naturzwecke unmittelbar gebunden. Der Mensch herrscht kraft der Selbstbestimmung über sich selbst, und darin bekundet sich die ontologische Struktur seiner Selbstzugehörigkeit; beim Tier hingegen ist eine solche, für die Person grundlegende Seinsstruktur nicht anzutreffen. Weder vermag das Tier seinen Handlungen eine Zielsetzung zu geben, noch über sich selbst zu herrschen, weil es sich nicht selbst wie eine Person durch die Selbstbestimmung gehört.

Weil das Ziel, welches das Tier in seinen Vollzügen verfolgt, weder von ihm selbst stammt noch von ihm bewusst reflektiert wird, sondern in seiner Natur gleichsam eingeschrieben ist, gehört das Verfügen über es nicht zur Sphäre dessen, was Glück und Leid des Tieres verursacht bzw. begründet. Daher kann unter bestimmten Umständen (siehe oben) die Durchführung von Tierversuchen ethisch gerechtfertigt sein. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Mensch (einmal von seiner inneren Einstellung her) in Einklang mit dem Schöpfungsauftrag handelt, d. h. mit jener Zielsetzung, die – selbst in der Natur des Menschen eingeschrieben – von ihm sowohl verworfen als auch mit seinem freien Willen gutgeheißen werden kann.

Wir haben einige Aspekte jener Merkmale des Menschen, durch die er sich vom Tier unterscheidet, aufgezeigt. Der Unterschied ist nicht etwa von den aktuellen Fähigkeiten des Menschen abhängig, sondern basiert auf einer ontologischen Verfassung, die seiner Natur von Anfang seines Lebens an zugrunde liegt. Während die aktuellen Fähigkeiten variabel sind, ist die Grundlage der Personalität im Menschen permanent – auch wenn sie unter bestimmten Umständen (z. B. Krankheit) bzw. während bestimmter Lebensabschnitte (embryonales Stadium, Kindheit, hohes Alter, usw.) beeinträchtigt bzw. verborgen sein kann. Weil nun die Grundlage der Personalität im Menschen nicht immer auf den ersten Blick sichtbar ist, gilt auch hier, dass die Feststellung der biologischen Zugehörigkeit zur Spezies Mensch – d. h. die Tatsache, dass ein Individuum die menschliche Natur hat – Kriterium für die Achtung und für den Schutz seiner Würde als Person ist.

Referenzen

  1. vgl. Moritz B., Deklaration von Helsinki – Wegweiser oder Ballast? Imago Hominis (2009); 16: 10-13
  2. vgl. World Medical Association, Deklaration von Helsinki, 18. World Medical Assembly Helsinki, Finland, Juni 1964, I, Nr. l
  3. World Medical Association, Deklaration von Helsinki - Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen (Stand Oktober 2013),  www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/DeklHelsinki2013.pdf
  4. ebd. Nr. 21, vgl. Taupitz J., Forschung am Menschen: Die neue Deklaration von Helsinki, Dtsch Arztebl (2001); 98(38): A-2413/ B-2082/ C-1933, www.aerzteblatt.de/archiv/28727/Forschung-am-Menschen-Die-neue-Deklaration-von-Helsinki
  5. Ein wichtiges Dokument in Zusammenhang mit dieser Forderung sind die “Principes directeurs internationaux pour la recherche biomédical implicant des animaux“, herausgegeben vom CIOMS (Conseil des Organisations Internationales des Sciences Medicales) im Jahre 1985.
  6. Auch Papst Franziskus nimmt in seiner jüngsten Enzyklika Laudato Si auf diesen Gesamtzusammenhang Rücksicht, wenn er schreibt:„In der philosophischen und theologischen Sicht der Schöpfung, die ich darzulegen versucht habe, wird klar, dass die menschliche Person mit der Besonderheit ihrer Vernunft und ihrer Wissenschaft nicht ein äußerer Faktor ist, der völlig ausgeschlossen werden darf. Obschon der Mensch in die Pflanzen- und Tierwelt eingreifen und sich ihrer bedienen kann, wenn es für sein Leben notwendig ist, lehrt der Katechismus, dass Tierversuche nur dann legitim sind, ,wenn sie in vernünftigen Grenzen bleiben und dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten‘. [106] Er erinnert mit Nachdruck daran, dass die menschliche Macht Grenzen hat: ,Es widerspricht der Würde des Menschen, Tiere nutzlos leiden zu lassen und zu töten. ‘[107] Jede Nutzung und jedes Experiment ,verlangt Ehrfurcht vor der Unversehrtheit der Schöpfung‘.[108]“, Papst Franziskus, Enzyklika Laudato Si‘. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, 24. Mai 2015, Nr. 130, w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html
  7. vgl. Ciccone L., L’animale bene creato e bene per l’uomo. Aspetti bioetici della sperimentazione sull’animale, Medicina e Morale (1989); 6: 1095-1106
  8. Zum Vergleich können zahlreiche Texte des Thomas von Aquin angeführt werden: S.th.I, q.2, a.3; I, q.45, a.l ff.; etc.
  9. vgl. beispielsweise die Rede Papst Benedikts XVI. im Deutschen Bundestag am 22. September 2011 im Hinblick auf das Entstehen der ökologischen Bewegung in den 1970ern: „Jungen Menschen war bewußt geworden, daß irgend etwas in unserem Umgang mit der Natur nicht stimmt. Daß Materie nicht nur Material für unser Machen ist, sondern daß die Erde selbst ihre Würde in sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen. (…) Die Bedeutung der Ökologie ist inzwischen unbestritten. Wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten. Ich möchte aber nachdrücklich einen Punkt noch ansprechen, der nach wie vor weitgehend ausgeklammert wird: Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muß und die er nicht beliebig manipulieren kann.“, www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/benedict/rede/250244
  10. vgl. Spaemann R., Sein und Gewordensein. Was erklärt die Evolutionstheorie? in: Spaemann R. et al. (Hrsg.), Evolutionstheorie und menschliches Selbstverständnis, Weinheim (1984), S. 73-91, hier S. 87
  11. vgl. Singer P., Practical ethics, Cambridge University Press, Cambridge (1979). Meiner Argumentation gegen den Einwand liegt Jacinto Choza, Manual de Antropologia Filosofica, Rialp, Madrid (1988), zugrunde.
  12. Das Tier kann bereits angewandte Verhaltensmuster im Gedächtnis einspeichern und so für zukünftige Handlungen bereithalten; so entstehen die verschiedensten Möglichkeiten der Wissenserweiterung – und letztlich auch der Dressur von Tieren (mit den bekannten Erfolgen bei höheren Tierarten und bei jenen Haustieren, die sich durch ein besonders reiches affektives und kognitives Leben auszeichnen).
  13. vgl. Inciarte F., Die evolutionäre Erkenntnistheorie und der Unterschied Tier/Mensch, Acta Philosophica (1992); 1(1): 26-36
  14. ebd., S. 31
  15. ebd., S. 35
  16. ebd., S. 35
  17. Diese Einsicht liegt Kants Formulierung des Grundgesetzes der praktischen Vernunft zugrunde: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“. Vgl. Kant I., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: I. Kants Gesammelte Schriften (Herausgegeben von der Berliner Akademie der Wissenschaften, 1902 ff.) Bd. 4, S. 429

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11. August 2015.

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