Politik im Umgang mit dem menschlichen Leben

Imago Hominis (1999); 6(4): 318-320
Peter Hartig

Anschrift des Autors:

Dkfm. Peter Hartig, Hietzinger Hauptstraße 71, A-1130 Wien

Auf Initiative und unter der Leitung von Georg von Starhemberg veranstaltete das Eferdinger Kulturinstitut die EFERDINGER GESPRÄCHE 1999 vom 15. – 17. Oktober 1999. Ziel der Gespräche war es, einen Beitrag zur Klärung von gültigen Grundwerten zur verantwortlichen Gestaltung unserer Zukunft zu leisten. Im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen stand der gesellschaftliche Umgang mit dem Menschen am Anfang seines Lebens im Licht der rasanten Entwicklung der Biotechnik und den daraus entstehenden ethischen Fragen.

Der Präsident des NR, Dr. Heinrich Neisser, betrachtete „Die moralische Dimension politischen Handelns“ im Spiegelbild der Gesellschaft, in der Verantwortung zur Gestaltung bzw. im Spannungsfeld internationaler Pluralität demokratisch-mehrheitsbildender, politischer Systeme. Er beschränkte sich auf Moral als Praxis sittlichen Handelns und vermied es, über seine ethischen Motive zu sprechen. Das Gewissen überließ er der persönlcihen Verantwortung.

Univ.Prof. Dr. Martin Langer (Universitätsfrauenklinik Wien) sprach über „Ethik in der Medizin mit besonderer Berücksichtigung der Probleme kleinster Frühgeborener“.

In beeindruckender Weise öffnete er den Blick für die Wertkonflikte und neuen Entscheidungssituationen, vor denen ein Geburtshelfer heute aufgrund der rasanten Entwicklung medizinischer Technologie (neonatale Intensivmedizin, pränatale Diagnostik) sowie der neuen Arzt-Patientenbeziehung (partnerschaftlich statt paternalistisch) täglich steht. In seiner Diskursethik stützte er sich auf Habermas, Rawls, Sass, Viefhaus u.a. Als Lösungsmodell im Autonomie-Konflikt (zwischen Arzt und Patient über die medizinische Maßnahme) und im Benefiz-Konflikt (Nutzen für Patientin und/oder Kind) nannte er das „Kohärenzmodell“ (Bayertz), das „ein kontext-sensitives Urteilen im Lichte einer essentiell unvollständigen Theorie“ fordert. Er schloß sich der Meinung an (Schöne-Seifert), daß eine metaphysisch abgeleitete Tugendethik in einer wertpluralistischen Gesellschaft keine Akzeptanz findet. Er unterschied folgende ethische Prinzipien: „Benefizienz“; „Autonomie“; „Proportionalität“; „Pragmatische Klugheitsregel“ und erklärte die Bedeutung des Arzt-Patienten-Verhältnisses.

Als häufigstes Beratungs- und gemeinsames (für Eltern/Patientin und Arzt) ethisches Dilemma im klinischen Alltag nannte er die Beratung für das geburtshilfliche Vorgehen bei extremer Frühgeburtlichkeit. Dabei betonte er, daß die Prognose von Mortalität und Morbidität des Neugeborenen eng an den jeweiligen Standard der perinatologischen Einheit gebunden ist. Als Entscheidungsgrundlage für Arzt und Patientin kämen nur die Ergebnisse der eigenen perinatologischen Einheit in Frage, nicht die neueste Literatur. Das Benefizienzprinzip für den Fetus stehe hier im Vordergrund. Die autonome Entscheidung der Schwangeren stelle das Bindeglied zwischen dem vorlebensfähigen Fetus und dem späteren Kind dar. Für die geburtshilfliche Beratung gäbe es (nach Chervenak) folgenden Rahmen: vor der 24. SSW sollte der Arzt „non-direktiv“ sein, ab der 24. SSW „direktiv“ gegen Therapie- oder SS-Abbruch; nach der 26. SSW gegen „nicht-aktives“ und nach der 28.SSW für „aktives“ geburtshilfliches Vorgehen.

Juristisch gelte der Grundsatz: Keine Entscheidung gegen die Patientin. Prof. Langer warnte vor zunehmender Verrechtlichung, die in 10-15 Jahren zur Gefährdung von Entscheidungen führen könne.

Univ. Prof. Dr. Peter Husslein (Universitätsfrauenklinik Wien): „Überlegungen zum Beginn des Lebens und die diesbezügliche gesellschaftliche Regelungen.“

Er betonte anfangs, daß sein pointiert vorgetragener Standpunkt der Diskusssion und Klärung ethischer Dilemmata dienen solle. Es fanden dann auch seine Ausführungen lebhaften Widerspruch, insbesondere folgende: In einem 4-zeiligen Wesen könne er noch keinen Menschen erkennen. Außerdem sei die Entnahme einer der 4 Zellen der Entwicklung des Lebens nicht abträglich. Er verteidigte die Rechtssituation in Österreich, wonach der Schwangerschaftsabbruch bis zur 16. Schwangerschaftswoche straffrei sei mit folgenden Thesen: Es gäbe eine aufsteigende Qualität des Lebens (Befruchtung, Entstehung des Nervensystems, Beginn des extrauterinen Lebens); daraus resultiere eine differenzierte Bewertung der Untastbarkeit des Lebens; die Sexualität habe einen Wert an sich (Vertiefung der Beziehung, Lustgewinn), der sich am Respekt vor dem Partner und sich selbst orientiere. Zur Abtreibung laute seine Formel: „So selten, so früh, so ungefährlich wie möglich.“ Die Entnahme von Eizellen zwecks späterer Befruchtung käme Frauen entgegen, die auf diese Weise unbeschränkt vom Lebensalter „ihren Kinderwunsch ausleben könnten.“ Die rechtliche Möglichkeit eines gentechnischen Eingriffs in die Keimbahn zwecks Gen-Entnahme, Reperatur und Reimplatation wäre höchst wünschenswert.

In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, daß das Leben ein Kontinuum mit unterschiedlichen Ausdrucksformen (Embryo, Greis) und in jeder Phase unantastbar sei. Die künstliche Befruchtung bedeute wie die Fristenlösung einen Dammbruch, der bis zur Akzeptanz der Euthanasie am Beginn und am Ende des Lebens führe. Der Eingriff in die Keimbahn stelle die gefährlichste Verführung des Menschen dar, die Schöpfungsverantwortung aus den Händen eines unendlich liebenden, göttlichen Schöpfers in die von Handwerkern zu legen, deren menschliche Liebe von Eigenliebe, Ehrsucht und Habgier geprägt ist. Die bewußte Verfälschung und Verharmlosung der Absichten durch die gängige Terminologie wurde mehrfach kritisiert („Schwangerschaftsunterbrechung“ u.a.)

Univ.Prof. Dr. Nikolaus Bohler (Orthopäde - Wien) und Univ.Prof. Dr. Georg Freiherr von Salis (Universität Leipzig) behandelten das Thema „Haben wir die Pflicht, das Recht und die Freiheit alles zu tun, was die Medizin zustandebringt?“ – aus unterschiedlicher Sicht.

Böhler beantwortet die Frage eindeutig: Ärzte haben nicht die Pflicht, alles zu tun, was sie können. Die entsprechende Abwägung ist Sache der Ethik. Er hält die Erwartungen an die Ärzte (durch die Medizin potenziert) für überhöht. Die ungeheure Beschleunigung der Entwicklung (Züchtigung von Gliedmaßen, Xenotransplantation, identische Humanspende aus der Tiefkühle, Kunstgelenke, künstliche Beatmung und Ernährung) fordere das Spezialistentum und schädige die ganzheitliche Sicht. Wir haben die ethische Pflicht zu optimaler – nicht aber zu maximaler – Behandlung, geregelt in der Arzt-Patientenbeziehung. Dennoch gibt es die Freiheit zur maximaler Behandlung, u.zw. durch die Gentechnologie. Wo sind die Grenzen? Wir befinden uns auf einem „Slipery slope“, wo der geplante Mensch bald möglich ist.

Freiherr von Salis beantwortet die oben gestellte Frage folgendermaßen:

  1. Unter der Voraussetzung, daß die allgemeinen gesetzlichen und standesrechtlichen Bestimmungen beachtet werden, haben wir natürlich das Recht und gleichzeitig die Freiheit, für den Patienten alles in der Medizin Mögliche zu tun, wobei im Zweifelsfalle das Wohlergehen des einzelnen Patienten Vorrang vor jeglichen wirtschaftlichen Überlegungen haben sollte.
  2. Solange aber die Medizin (im weitesten Sinne) Handlungen ermöglicht, die moralisch verwerflich oder zumindest sehr umstritten sind, haben wir vor allem die Pflicht, jede einzelne Entscheidung kritisch zu überdenken, und dabei gleichzeitig den Mut und die Konsequenmz aufzubringen, uns einem vielfach vielleicht übermächtig erscheinden Zeitgeist zu widersetzen. Dazu sei grundlegende Neubesinnung erforderlich, die jedoch nicht bei wirtschaftlichen Ansätzen, sondern mit Überlegungen zur Ethik in der Medizin begonnen werden sollen.

S.E. Weihbischof Dr. Andreas Laun referierte über „Die Kirche im Strudel des Zeitgeistes im allgemeinen und der modernen Medizin im Speziellen.“

Dieser Vortag und seine pointierten Wortmeldungen in der Diskussion zu anderen Vorträgen beleuchteten die jüdisch-christliche Auffassung von Sittlichkeit im täglichen Leben und besonders die ethisch-moralischen Grundsätze bei komplexen und neuen Entscheidungssituationen in der Medizin.

Die Veranstaltung war ausserordentlich gut besucht und dank des brisanten Themas, der kompetenten Vortragenden und des gastfreundlichen Rahmens im traditionsreichen, fürstlichen Schloss Eferding ein großer Erfolg und wichtiger Beitrag zur Klärung gültiger Werte im Hinblick auf eine verantwortliche Gestaltung unserer Zukunft.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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