Fallbericht: Die behandlungsunwillige chronische Patientin

Imago Hominis (2001); 8(4): 307-308

Frau Maria F., 46J. eine einfache Frau, verheiratet mit Josef, einem Bauarbeiter, 52J., kinderlos, ging nie einem Beruf nach, war immer Hausfrau, ca. 130 kg bei 168 cm; wohnt in einer Arbeitersiedlung – Reihenhaus – am Lande, in einer schlichten 2-Zimmer-Wohnung.

Die Patientin ist dem Hausarzt seit ca. 10 Jahren wegen chronisch rezidiv. Ulcera bd. Unterschenkel bei venöser Insuffizienz bekannt; des weiteren Glucosetoleranzstörung und Hochdruck.

Vor 4 Jahren kam es zu einer deutlichen Vergrößerung des Ulcera, die Patientin trug stets dicke Verbände, die sie selbst machte, besorgte sich Salben teils über Rezepte, die sie beim Hausarzt holen ließ bzw. selbst in der Apotheke kaufte. Sie erschien niemals selbst in der Ordination, sondern schickte immer ihren Gatten oder Nachbarn.

Sie berief den Arzt auch nie zu einer Visite. Wenn er sie einmal besuchte und die Ulcera sehen wollte, wimmelte sie ab, sie hätte gerade frisch verbunden, und es gebe ohnehin einen guten Heilungsverlauf und alles sei in Ordnung; sie nahm noch ein Hochdruckmittel ein und Glucophage 850; die BZ-Werte waren immer erhöht. Plötzlich sagten Nachbarn, dass von den Ulcera und den Verbänden ein übler Geruch ausgehe, der ihnen schon einige Zeit auffalle und eine Verwandte (eine pensionierte Krankenschwester) machte dem Arzt Vorwürfe, wie er da zuschauen könne. Ob er nicht in der Lage wäre, das Nötige zu tun! Der Arzt machte noch am selben Tag bei einer Visite der Patientin klar, dass nun etwas geschehen müsse, erzählte ihr von den Beschwerden und Vorwürfen, und sie fuhr unter Tränen ins Krankenhaus.

Nach 2 Monaten Behandlung im Krankenhaus kam sie nach Hause zurück.

OS-Amputation re. nach Osteomyelitis durch das Ulcus und mit einem kleinen Restulcus am li.US ca. 3x2 cm (Zustand nach plastischer Deckung). Sie hatte 25 kg abgenommen, der Hochdruck war gut eingestellt, sie musste 2 x tgl. Insulin spritzen bei guter Diabetes-Einstellung. Etwa 9 Monate ging es in diesem guten stabilen Zustand weiter (Visiten: 2-3 mal pro Monat), regelmäßige klinische Kontrollen im Krankenhaus und offensichtlich Befolgung der Diätvorschriften, Verbandwechsel und RR-Kontrollen durch die Hauskrankenpflege.

Dann begann die Patientin, wieder langsam in ihren alten Lebensstil zu schlittern. Gewichtszunahme, erhöhte RR-Werte und BZ-Werte (HbA1c über 10), das Ulcus am li. US vergrößerte sich wieder langsam. Alle Bemühungen des Arztes, die Situation zu bessern, bzw. den Zustand nach Spitalsentlassung wieder zu erreichen, bewirkten nichts; die Patientin beteuerte, ohnedies alle Ratschläge zu befolgen und ihre Diät einzuhalten, was aber unglaubhaft war (eine Hypothyreose wurde ausgeschlossen). Auch die Aufklärung bezüglich einer ev. Amputation des 2. Beines änderte nichts. Die Patientin war auch nicht zu einer stationären Behandlung bereit, der sie sich mit Tricks entzog (zu erwartende Besuche, bevorstehende Hernienoperation des Gatten, die auch immer verschoben wird etc.). Die Schwestern der Hauskrankenpflege drängten ebenfalls, dass etwas geschehen müsse, aber auch sie erreichten bei der Patientin nichts (deutlich zunehmender Verbandstoffbedarf, der sehr teuer ist). Die Patientin verharmloste weiterhin ihren Krankheitszustand. Eine Zwangseinweisung ist nicht indiziert, sie ist geistig voll orientiert und zurechnungsfähig, es besteht weder allgemeine noch Selbstgefährdung.

Nach vielen Bemühungen über mehr als ein Jahr stellt sich nun die Frage des weiteren Vorgehens:

Lehnt der Hausarzt eine weitere Behandlung ab, so muss sich die Patientin einen anderen suchen (vermutlich würde sich dadurch in nächster Zeit nicht viel ändern) oder es läuft so weiter wie bisher. Sollte man vielleicht einen Diät- und Speiseplan erstellen und dessen Einhaltung z.B. durch die Hauskrankenpflege kontrollieren lassen? Oder abwarten, bis akut Schmerzen oder andere Komplikationen auftreten, die einen raschen Handlungsbedarf, ev. die neuerliche Einweisung ins Spital erzwingen?

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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