Geschlechtswahl mittels Spermienselektion

Imago Hominis (2002); 9(4): 223-224
Johannes Königseder

Junge oder Mädchen: Seit der Antike hat diese Frage die Väter und Mütter beschäftigt, verschiedene Bemühungen gab es in der Geschichte, diese Entscheidung der Natur zu beeinflussen.

Frank Comhaire, Leiter der Andrologie des Universitätskrankenhauses Gent, bietet seit einigen Jahren an, Paaren, je nach Wunsch, zu einem Sohn oder einer Tochter zu verhelfen. Mit Hilfe eines Spermasortierers werden Spermien mit X-Chromosom von denen mit Y-Chomosom getrennt und nur die vom gewünschten Geschlecht kommen bei der Insemination in die Gebärmutter. Ganz einfach ist das Verfahren nicht, gibt der Reproduktionsmediziner zu. Es dauert etwa ein halbes Jahr von der Spermaprobe bis zur künstlichen Besamung, der Insemination. Das vom privaten Genetics & IVF Institute in Fairfax (Virginia) patentierte Verfahren nutzt den Umstand, dass X-Chromosomen etwas mehr DNA in sich tragen als Y-Chromosomen. Nach Markierung mit einem Flureszenzfarbstoff werden die Spermien durch den Mikrosorter geschickt, an der Menge des emitierten Lichts erkennt die Maschine die unterschiedlichen Geschlechtschromosomen und trennt die Spermien voneinander. Schließlich werden der Mutter je nach Wunsch die X oder die Y- tragenden Spermien injiziert. „Rund 400 Kinder wurden auf diese Weise bereits erzeugt“, heißt es in einer Werbebroschüre des Genetics & IVF Institute, „– und hunderte Interessenten melden sich im Monat.“

Erst die moderne Fortpflanzungstechnik macht die Geschlechtswahl möglich. Ersonnen wurde der Spermasortierer um Leiden zu verhindern. Paaren mit geschlechtsgebundenen Erbkrankheiten sollte so geholfen werden, ein gesundes Kind zu bekommen. Bei Frauen, die Konduktorinnen der Bluterkrankeit sind, will man mit dieser Technik erreichen, dass nur Spermien mit X-Chromosom zur Befruchtung kommen – und so eine Tochter ohne Krankeitsmanifestation entsteht. Bald jedoch erweiterte sich die Nachfrage und seit 1998 kommt diese Technik der „sex-selection“ auch bei gesunden Paaren zur Anwendung.

Die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines Kindes mit dem gewünschten Geschlecht ist bei der Spermienselektion bescheidene 88% beim Wunsch nach einem Mädchen, bei Jungen ist die Treffsicherheit nur 73%. „Wer allerdings 100 % Sicherheit wünscht, muss Präimplantationsdiagnostik anwenden“, so F. Comhaire. Die umstrittene, in Zusammenhang mit Früherkennung von genetischer Erkrankungen entwickelte Präimplantationsdiagnostik (PID) ermöglicht es, das Geschlecht des künftigen Babys bereits im Embryonalstadium zu erkennen. Die Befruchtung im Reagenzglas wird hier vorausgesetzt. Dann sortiert der Mediziner jene Embryonen aus, die nicht dem Geschlechtswunsch entsprechen.

Offensichtlich wirft die Anwendung von Methoden zur Geschlechtswahl die Frage nach ethischen Implikationen auf. Noch im Jahr 1999 lehnte das Ethikkomitee der American Society of Reproductive Medicine (ASRM) in einer Stellungnahme Geschlechtsselektion aus nichtmedizinischen Gründen ab. Eine solche Geschlechtsselektion sei diskriminierend, würde Vorurteile über Geschlechter bestätigen und gesunde Frauen mit unnötigen medizinischen Eingriffen belasten. Nur zwei Jahre nach der Ablehnung von Geschlechtsselektion aus nichtmedizinischen Gründen veröffentlicht die ASRM eine neue Stellungnahme zur Spermientrennung. Diesmal fehlen die Einwände gegen sex-selektion aus nichtmedizinischen Gründen und diskriminierende Effekte sah das Komitee plötzlich nicht mehr. Die gleichen Argumente sollten auch für sex-selektion per PID gelten, stimmt der Vorsitzende des Komitees John A. Robertson zu. Wenn man schon Geschlechtsselektion zulasse, dann müsse auch jene Methode erlaubt sein, die den höchsten Erfolg garantiere.

In England ist Geschlechtswahl verboten. Dieses Verbot umgingen Kliniken indem sie ihre Paare in Kliniken in den USA überwiesen haben, und einige gelangten so zu ihrem Wunschkind.

Geschlechtselektion wird heute auf verschiedene Weise und in großem Umfang betrieben. In China z. B. mit dem Ziel Mädchen zu vermeiden. In Indien werden tausende Föten abgetrieben, weil ein vorgeburtlicher Ultraschall sie als weiblich identifiziert. Allein in Bombay gab es 1996 bereits 200 Kliniken, die sich, wie sie selbst offiziell angaben, auf selektive Abtreibung spezialisiert hatten. Diese Zahlen nimmt der Reproduktionsmediziner Antiruddha Malpani, der in Bombay eine Praxis betreibt, zum Anlass, für eine Selektion in einem früheren Stadium mittels PID zu plädieren (lt. Human Reproduction, Jänner 2002). Es seien auch schon eine Reihe geschlechtskontrollierter Kinder geboren, seit Malpani in seiner indischen Praxis PID betreibt. Bisher ausnahmslos Jungen. Sein Argument lautet: Wenn Paare mit Verhütungsmitteln die Wahl haben, wann und wie oft sie ein Baby haben möchten, dann könne man es ihnen nicht verwehren, wenn sie auch das Geschlecht aussuchen wollen.

Die Anwendung von Spermienselektion, um sich einen Buben oder ein Mädchen zu verschaffen, ist sichtlich eine Entwicklung einer von Konsumismus und Hedonismus geprägten Zeit und sittlich unannehmbar. Gegen den ausdrücklichen Wunsch nach einem Jungen oder einem Mädchen ist an sich nichts einzuwenden. Er ist auch ethisch betrachtet legitim. Was keinesfalls legitim sein kann, ist, diesen Wunsch mit Mitteln durchzusetzen, die ethisch unzulässig sind, wie etwa der künstlichen Befruchtung oder der Insemination, die bei der Methode der Spermienselektion notwendig sind.

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Dr. Johannes Königseder, Imabe-Institut
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