Lukrative Sicherheitsversprechen: Schwangerenvorsorge als Marktpotential

Imago Hominis (2012); 19(4): 238-243
Erika Feyerabend

Die Pränataldiagnostik ist eines von vielen Angeboten im Gesundheitswesen, die wachstums-orientierten und profitablen Logiken folgen – mit erheblichen Auswirkungen auf das Schwangerschaftserleben, die Körperwahrnehmungen und sozialen Beziehungen.

Welche Leistungen während der Schwangerschaft von den Krankenkassen bezahlt werden, ist in den bundesdeutschen Mutterschaftsrichtlinien festgeschrieben. Sie sind das Ergebnis ausgehandelter Kompromisse zwischen Krankenversicherungen, Ärzteverbänden und Fachgesellschaften sowie dem Gesundheitsministerium. Beratend sind Patientenorganisationen beteiligt und das Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die Kostenträger erstatten, was als „medizinisch notwendig“ gilt. Das ist ein interpretationsoffener Begriff. Krankenkassen möchten die Ausgaben tendenziell im Zaume halten, über einen begrenzten Leistungskatalog sowie über limitierte Budgets in den Arztpraxen. Leistungsanbieter – ebenso wie Gerätehersteller und Pharmaunternehmen – haben Interesse daran, möglichst viel anzubieten und über die gesetzliche Krankenversicherung oder privat abzurechnen.

In den Mutterschaftsrichtlinien werden zur Zeit drei Ultraschall-Reihenuntersuchungen empfohlen. Besonders im 1. und 2. Trimenon sollen Entwicklungsstörungen und andere auffällige, fetale Merkmale erkannt werden.1 Real machen aber fast ein Viertel aller Schwangeren mehr als fünf pränatal-diagnostische Ultraschall-Untersuchungen.2 Die Motive sind nicht rein medizinisch. Zusätzliche Untersuchungen können entweder als privat zu zahlende Wunsch-Leistungen abgerechnet werden, oder die Frauen sind durch auffällige Befunde zur Risikoschwangeren geworden. Dann zahlen die Kostenträger weitere Ultraschall-Untersuchungen oder invasive Diagnoseverfahren, um Sicherheit für die Behandler (vor möglichen Rechtsfolgen) und für die Frauen (vor der Geburt eines behinderten oder gesundheitlich eingeschränkten Kindes) herzustellen. Für das Jahr 2009 wurden in Deutschland 72,7% der insgesamt 638.798 Schwangerschaften als riskant eingestuft. Zum Teil wegen auffälliger Ultraschallbefunde (26,9%), zum Teil, weil Schwangere über 35 Jahren per se als riskant eingestuft werden (15,4%) und einen Rechtsanspruch auf Fruchtwasseruntersuchungen oder ähnliche Verfahren haben, um genetische Auffälligkeiten beim Ungeborenen zu erkennen, zum Teil weil Anamnesen (65,1%) oder familiäre Risiken (19,2%) entsprechend interpretiert werden. Die Gruppe der Frauen, denen weder ein Schwangerschafts- noch ein Geburtsrisiko attestiert wird, ist auf 9,8% geschrumpft.3

Private Risikoökonomie

Seit rund zehn Jahren hat das 1.Trimester-Screening Einzug in die Gynäkologenpraxen gehalten, um die Risikokalkulation für Trisomie 21 und andere Normabweichungen zu perfektionieren: In der 10. – 14. Schwangerschaftswoche wird per Ultraschall die Nackenfalte des Feten vermessen, mit einer Blutuntersuchung die Konzentration des Eiweiß PAPP-A und des Schwangerschaftshormons Freies ß-hCG ermittelt, und in einem Computerprogramm mit dem „Basisrisiko Alter“ sowie weiteren Daten verrechnet. Bei auffälligen Befunden wird den Frauen eine invasive Furchtwasseruntersuchung angeraten und/oder spezialisierte Ultraschall-Untersuchungen. Das Screening wurde von der privaten britischen Fetal Medicine Foundation als „die künftige Form einer zertifizierten, qualitativ hochwertigen Pränataldiagnostik“ entwickelt. FMF Deutschland und die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) schulen heute niedergelassene ÄrztInnen, verkaufen ihnen den Zugang zu dem Computerprogramm und registrieren Laborunternehmen, die dann das Ersttrimester-Screening vermarkten dürfen. Schwangeren Frauen wird das Verfahren als qualitätsvolle Diagnostik und privat zu zahlende Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) im öffentlich finanzierten Gesundheitswesen angeboten. Die Stiftung Warentest kritisierte das deutsche Computerprogramm, weil es im Vergleich zum englischen häufiger falsch-positive Befunde anzeigen würde.4 Ein neues Programm mit weiteren Daten zu Ethnizität, Übergewicht und Raucherstatus soll die falsch-positiven Befunde senken. Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen konstatierte in einem Gutachten mit aller Vorsicht: Bei 1.000 Frauen könnten sieben Kinder mit Chromosomen-Anomalien erwartet werden, fünf davon würden über das Nackentransparenz-Screening entdeckt, zwei aber blieben unerkannt. Auf diesem Hintergrund empfehlen die Qualitätssicherer vom IQWiG, das Verfahren nicht in den Leistungskatalog zu übernehmen.

Dennoch kaufen immer mehr und vor allem jüngere Frauen den Test für rund 70 Euro plus Beratungsleistungen. Die meisten in der Hoffnung, dass „alles in Ordnung“ ist. Angeboten wird ihnen das Verfahren als „schonende“ Alternative zur Fruchtwasseruntersuchung. Aber: Das Ergebnis ist keine Diagnose, sondern ein Wahrscheinlichkeitswert über ihr „individuelles Risiko“, das in einer Art Ampelgraphik angezeigt wird: Grün gilt als „unauffällig“ und wirkt beruhigend – wenngleich auch das nicht sicher ist, denn es gibt durchaus nicht erkannte Trisomien. Gelb führt tiefer in das diagnostische Labyrinth. Es werden weitere Ultraschalluntersuchungen der Stufe II und III in spezialisierten Zentren empfohlen. Die Farbe rot alarmiert und wird etwa 5% der untersuchten Frauen treffen, die einen – kaum nachvollziehbaren – Risikowert von 1:230 und weniger attestiert bekommen. So verunsichert wollen und bekommen viele Frauen eine Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese. Bestätigt sich das Screening-Ergebnis, brechen über 90% die Schwangerschaft ab.

Die Fetal Medicine Foundation will möglichst alle Schwangeren und möglichst viele Chromosomenveränderungen erfassen. Das ist ökonomisch attraktiv für ÄrztInnen, Software-Entwickler und Gerätehersteller. Für sehr viele Frauen bedeutet dies sehr viel Verunsicherung in der Schwangerschaft und Überdiagnostik; wenige Frauen geraten in den Konflikt, eine gewollte Schwangerschaft zu einem sehr späten Zeitpunkt abzubrechen; für Eltern und ihre behinderten Kinder ist das kollektive Wissen um diese Praxis eine symbolische Entwertung ihres Lebens bzw. ihrer Existenz.

Kontroversen um den PraenaTest

Seit kurzem bieten GynäkologInnen in mehr als 70 Arztpraxen und Pränatalzentren für rund 1.250 Euro plus genetischer Beratungskosten das neue Diagnoseverfahren „PraenaTest“ an – ebenfalls als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) für interessierte Selbstzahlerinnen. Nun soll die pränatale Suche nach genetischer Normabweichung sicherer, früher und nicht-invasiv werden. Einen Monat nach der Markteinführung berichtet die Herstellerfirma „Lifecodexx“ über „sehr viel Anfragen von Ärzten und Frauen“. Genaue Absatzzahlen will das Unternehmen aber nicht nennen.5

Der Test ist gesellschaftlich umstritten. Es gab vereinzelte parlamentarische Bedenken sowie ein Gutachten des Bonner Rechtswissenschaftlers Klaus Ferdinand Gärditz. Der Jurist prüfte im Auftrag des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, ob sich mit dem Verfassungsrecht, dem Medizinprodukte- und Gendiagnostikgesetz ein staatlich verordnetes Verbot begründen lässt, den Test in Verkehr zu bringen. Sein Votum: Grundrechte und gesetzliche Bestimmungen sprechen gegen das Testangebot.6 Lifecodexx antwortete bisher mit einem dürren Vorgutachten, erstellt vom Rechtsprofessor Friedhelm Hufen. Sein Votum: Es gibt keine rechtlich begründeten Bedenken gegen die Markteinführung.7 Die Kritik von Frauen- und Behindertenverbänden hält an. Frauenberatungsstellen wie „Cara e. V.“ in Bremen, das „Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik“ oder die „Interessengemeinschaft Selbstbestimmt Leben“ wollen mit weiteren Organisationen und einer bundesweiten Kampagne auf die gesellschaftlichen und ethischen Probleme des neuen Bluttests im Besonderen und der pränatalen Diagnostik im Allgemeinen aufmerksam machen.8 Auch Down-Syndrom Österreich sieht den Test kritisch – insbesondere als Routineverfahren.9

Alle SkeptikerInnen eint die berechtigte Befürchtung, dass ein „einfacher Bluttest“ im frühen Schwangerschaftsstadium das Potenzial hat, die vorgeburtliche Selektion Ungeborener mit Trisomie 21 zu einem flächendeckenden Normalverhalten werden zu lassen.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sieht in der „neuen, nichtinvasiven Methode zur genetischen Diagnostik in der Schwangerschaft keinen ethischen Dammbruch“ – wenn der Test erst nach der zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt wird, von qualifiziertem Personal, das nach dem Buchstaben des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) Frauen aufklären und beraten muss.10 Ähnlich äußerte sich Gerhard Aigner, Leiter der Rechtssektion im Österreichischen Gesundheitsministerium.11

Vorsichtige Einstiegsszenarien

Etwas Blut abnehmen und nach zehn Tagen ein aussagekräftiges Ergebnis zu haben, senkt die Schwelle für den Abbruch der Schwangerschaft aufgrund einer prophezeiten Behinderung. Wenn diese Aussage prinzipiell früher, vielleicht schon vor der zwölften Schwangerschaftswoche möglich wäre, wird die Entscheidung zum Abbruch entdramatisiert. Und tatsächlich müssten Frauen nicht mehr in fortgeschrittener Schwangerschaft eine eingeleitete Geburt mit einem tot geborenen Fetus erleben.

Doch diese Aussicht steht auf tönernen Füßen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann, darf und soll der Test als „sichere“ und „gefahrlosere“ Alternative zu bereits etablierten Selektionsverfahren gar nicht eingesetzt werden. Für Deutschland „wünschen“ sich die Firma Lifecodexx und ihr Mutterkonzern GATC Biotech, dass die Testergebnisse erst nach der zwölften Schwangerschaftswoche vorliegen. So stellte Dr. Martin Burow, Leiter der Commercial Operations bei Lifecodexx, die Firmenpolitik während der Veranstaltung „Update im Hinblick auf Chromosomenstörungen“ dar, die von zwei großen PD-Praxen und der Firma Lifecodexx organisiert worden war. Das hat politische Gründe. Die Regelungen des § 218 stellen die Abtreibung vor der zwölften Schwangerschaftswoche mit einer Schwangerschaftskonfliktberatung straffrei, wenn Frauen aus sozialen oder biografischen Gründen kein Kind möchten. Nach der zwölften Schwangerschaftswoche ist der Abbruch zulässig, wenn der körperliche und seelische Gesundheitszustand der Frau gefährdet ist und sie das Austragen der Schwangerschaft als unzumutbar empfindet. Faktisch wird die Diagnose einer gesundheitlichen oder genetischen Abweichung beim Ungeborenen mit „Unzumutbarkeit“ assoziiert. Ist das Ergebnis vor der zwölften Schwangerschaftswoche bekannt, würde die jetzige Indikationsregel in Frage stehen. Außerdem können nicht nur numerische Chromosomenveränderungen, sondern auch das Geschlecht bestimmt werden. Nicht die schwangeren Frauen und ihr Konflikt – erst verursacht durch die Diagnostik – begründen (vorerst) den „Wunsch“ der Firma, sondern Sorgen um gesellschaftliche Akzeptanz und juristische Probleme, die das ganze Projekt gefährden könnten.

Die Geschichte der Schwangerenvorsorge zeigt aber: Alle wissenschaftlichen Bemühungen waren und sind darauf ausgerichtet, immer mehr Frauen immer früher mit genetischen Aussagen über das Ungeborene zu konfrontieren, um den medizinisch provozierten Schwangerschaftskonflikt durch einen möglichst frühen Abbruch zu entschärfen. Das wird beim „PraenaTest“ nicht anders sein. Profamilia Nordrhein-Westfalen fordert bereits den Einsatz ab der zehnten Schwangerschaftswoche, und zwar als bezahlte Kassenleistung.12 In Großbritannien wird seit einiger Zeit in Expertenkreisen über die „wünschenswerten Potentiale“ nicht invasiver Pränataldiagnostik debattiert. Dazu gehört auch die Frage: Passt das Geschlecht in die gewünschte Geschlechterbalance der Familie?13

Die medizinischen Märkte sind international. Sie sind zu einem erheblichen Teil privatisiert und auf Wachstum ausgerichtet. Eine Medizin, die sich zunehmend auf Kundenwünsche, Lifestyle-Angebote und Risikokalkulationen orientiert, wird es schwer haben, die vielen möglichen Anwendungsgebiete des PraenaTests zu beschränken. Wie lange politische Beschränkungen halten, ist alles andere als sicher. Seit Jahrzehnten wird die pränatale Diagnostik politisch gefördert. Ebenso die IGe-Leistungen, die mittlerweile einen Markt von 1,4 Mrd. Euro pro Jahr umfassen. Spitzenanbieter sind Augenärzte und Gynäkologen.

Unternehmensfinanzierte Studien

Es sind auch technische und ökonomische Gründe, die eine sichere pränatale Diagnostik ohne Umwege über invasive Verfahren beschränken.

Aus zehn Millilitern Blut der schwangeren Frau wird Blutplasma gewonnen, um ein Gemisch mütterlicher und fetaler DNA zu isolieren und mit einer Datenbank bekannter Sequenzen des menschlichen Genoms abzugleichen. Mit den „Next-Generation-Sequenzierapparaten“ der Firma Illumina entstehen etwa zehn Millionen „Reads“. Das sind kleine Erbgutstückchen, die 32 Basenpaare lang sind und deren Position eindeutig nur einem bestimmten Chromosom zuzuordnen sein dürfen. 70.000 dieser „Reads“ gehören zum Chromosom 21, prozentual macht das nach molekularer Rechnung 1,25% am Gesamtgenom aus. Liegt der Anteil bei 1,32%, wird – nach Abgleich mit einem sogenannten Referenzkollektiv – eine Trisomie 21 als sicher angenommen.

Die Firma Lifecodexx und ihr kommerzieller Partner, die US-amerikanische Sequenom Inc. behaupteten in der Presse eine 98-prozentige Aussagesicherheit für Frauen. Das gilt aber nur für Schwangere, die als „hochriskant“ eingestuft werden, wegen ihres Alters, Befunden durch das Ersttrimesterscreening oder spezialisierte Ultraschalls. Das gilt nur für Frauen mit einer Einlingsschwangerschaft und nur für die Form der „freien Trisomie 21“, die häufigste Form dieser Chromosomenstörung, die in allen Körperzellen vorliegt. Die selteneren Mosaik-Trisomien – hier ist das 21. Chromosom nicht in allen Zellen dreifach angelegt – und die Translation – hier lagert sich das besagte Chromosom an ein anderes an – können nicht erkannt werden.

Die Aussagesicherheit wurde in verschiedenen klinischen Studien mit rund 500 Proben nachgewiesen, finanziert von Lifecodexx, GATC Biotech in Zusammenarbeit mit europäischen Pränatalzentren. 472 Blutproben von Frauen mit Risikoschwangerschaft wurden dabei ausgewertet. Es gab dabei zwei Falsch-Negativ-Ergebnisse – 38 von 40 Proben wurden korrekt als Trisomie 21 bewertet. Hinzu kamen zwei Falsch-Positiv-Ergebnisse – 430 von 432 Proben wurden korrekt als Nicht-Trisomie 21 bewertet. Zitat aus der Firmenbroschüre zum Test: „Durch den PraenaTest® wird die freie Trisomie 21 mit hoher Sicherheit bestimmt. Die Genauigkeit liegt bei mindestens 95%.“

Unternehmensfinanzierte Studien sind in ihrem Wahrheitsgehalt grundsätzlich zu befragen. Insbesondere die Firma Sequenom wird kein Interesse daran haben, ihren Fauxpas von 2009 zu wiederholen. Damals wollte sie mit dem Düsseldorfer Unternehmen Quiagen einen nichtinvasiven pränatalen Bluttest auf den Markt bringen. Eine Studie mit 10.000 Frauen musste wegen manipulierter Daten gestoppt werden. Der Börsenkurs sank in den Keller. Eine neuere Studie von Sequenom mit 1.700 ebenfalls als hochriskant eingestuften Frauen ergab, dass 0,8% falsch-negative und etwas weniger falsch-positive Ergebnisse zu erwarten sind. „Deshalb ist es erforderlich, dass ein positives Testergebnis durch eine invasive Diagnostik bestätigt wird“, sagt zum Beispiel die International Society of Prenatal Diagnosis.

Was bedeutet all das? In den kommenden Monaten und Jahren werden zahlungskräftige und -willige Frauen, die durch Altersindikation und das selbst bezahlte Ersttrimesterscreening verunsichert sind, für klinische Studien benutzt, um die Testvalidität wissenschaftlich nachzuweisen.

Das entspricht der Zielperspektive von Wera Hofmann, Projektleiterin bei Lifecodexx: „In den nächsten Jahren sind sicherlich weitere große klinische Studien zu erwarten, die die Testvalidität auch für Low-risk-Schwangerschaften zeigen werden.“14

Am Forschungshorizont der Lifecodexx-Sequenom-Partnerschaft stehen außerdem: Einsatz bei Zwillingsschwangerschaften, nach IVF-Behandlung, für den Nachweis von Trisomie 13 und 18 sowie für nichtnumerische Chromosomenabweichungen. Zudem berichten Medien aktuell über Genetiker der Universität in Washington, denen es gelungen sei, aus dem Blut schwangerer Frauen und dem Speichel der Männer mit ähnlichen Methoden das „gesamte Erbgut“ Ungeborener in der 18. Schwangerschaftswoche zu entziffern. Welchen Sinn diese neue Datenflut ergibt, ist fraglich. Angeboten werden solche Analysen bereits in den USA.

Forschungspolitik nicht im Rampenlicht

Gegenwärtig sieht es hierzulande so aus, wie der Hamburger Humangenetiker Karsten Held während der öffentlichen Anhörung des Ethikrates konstatierte: „Wir müssen sehen, was kommt im wirklichen Leben dabei heraus. (…) Ein Neugeborenes hat eine Wahrscheinlichkeit von etwas über vier Prozent, ein Problem zu haben. Davon sind 0,4% Chromosomenstörungen, davon die Hälfte Trisomie 21“. Ohnehin darf bezweifelt werden, dass die gesundheitlichen und emotionalen Konfliktlagen schwangerer Frauen der Motor dieser wissenschaftlichen Bemühungen sind. Es geht um Geld, um Patente, um Karrieren und um exportfähige Volkswirtschaften.

Die Firma Sequenom hält das Europa-Patent EP0994963B1 am neuen Verfahren und möchte den Test auf dem medizinischen Markt einführen, um „unsere gesetzten Unternehmensziele“ zu erreichen, so Sequenom-Chef Harry F. Hixson. LifeCodexx-Chef Michael Lutz sagt: „Wir freuen uns, dass wir die ersten sind, die eine Partnerschaft mit Sequenom eingehen und die Möglichkeit erhalten, dieses Testleistungsangebot in den deutschsprachigen Regionen des europäischen Marktes einzuführen.“ Die Konstanzer Firma ist öffentlich gefördert worden, explizit zur Weiterentwicklung des Bluttestes mit 230.000 Euro im Rahmen der Initiative KMU-innovativ des Bundesforschungsministeriums, die kleine und mittelständische Unternehmen alimentiert. Gefördert werden aber beispielsweise auch die Max Planck Institute für molekulare Genetik, die an der „Next Generation Sequenzierung“ arbeiten und insbesondere an der molekularen Struktur des Chromosoms 21. Seit Jahren wird das Netzwerk SAFE (Special Non-invasive Advances in Fetal und Neonatal Evaluation) europäisch mit deutscher Beteiligung und in Millionenhöhe finanziert. Am Beispiel des PraenaTests wird einmal mehr deutlich: Nicht das einzelne Produkt ist auf die ethischen und körperpolitischen Konsequenzen hin zu befragen, sondern eine Forschungs- und Förderungspolitik, die sehr vielfältig die Entwicklung molekularer Analysemethoden mit bedenklichen Qualitätsurteilen fördert.

Nichtwissen ist gefragt

Der Gutacher Klaus Ferdinand Gärditz schlussfolgert zu Recht, dass der beste Schutz des Ungeborenen die „Sicherstellung des Nichtwissens“ ist. „Diesen Weg ist der Gesetzgeber jedoch nicht gegangen.“, so die gutachtliche Stellungnahme. Politisch angeboten werden den betroffenen Frauen lediglich „präzisere Methoden sowie eine spezielle genetische Aufklärung (…). Dies entspricht einer allgemeinen Tendenz, die Entscheidung ethischer Wertungskonflikte zu individualisieren und damit die Verantwortung letztlich zu privatisieren“, so Gärditz in seinem Gutachten. Und ebenfalls zu Recht argumentieren die SkeptikerInnen in Frauenberatungsstellen und Behindertenorganisationen, dass nicht allein die Methode – invasiv oder nicht-invasiv – kritisch zu befragen ist, sondern das Ziel der Schwangerenvorsorge mit ihren vielfältigen Dienstleistungsangeboten zur Selektion behinderter Ungeborener. Auch die ökonomischen Logiken, die die gesamte Schwangerenvorsorge und ihre Forschungsgebiete durchdringen, sind jenseits der eingesetzten Mittel bedenklich. Das mag für Arztpraxen und Gerätehersteller hilfreich sein. Frauen aber werden in ihrem Schwangerschaftserleben weiter verunsichert. Und sie werden noch lange, parallel zum neuen PraenaTest, das Ersttrimesterscreening und Amniozentesen angeboten bekommen, ebenso wie vermehrte Ultraschall-Untersuchungen für die Diagnose nicht genetisch bedingter Normabweichungen. Die ausufernden Leistungsangebote verbessert nicht die Versorgung. Die steigenden Frühgeburts- und Kaiserschnittraten lassen eher den Schluss zu, dass die Über- und Fehlversorgung zunimmt.

Referenzen

  1. vgl. Rella W., Radner K., Neuere Entwicklungen in der Pränatalmedizin, Imago Hominis (2012); 19(4): 271-291
  2. Beckermann M., Schwangerschaftsvorsorge heute, in: AWO Bundesverband, Bauchentscheidungen – aber mit Köpfchen, Kall, S. 4-10
  3. ebd.
  4. Stiftung Warentest, Tests mit Risiken, Journal Gesundheit, Test 2/2009, S. 84-87
  5. Deutsches Ärzteblatt, Große Nachfrage beim Down-Syndrom Bluttest, 20. September 2012
  6. Gärditz, K. F., Gutachtliche Stellungnahme zur Zulässigkeit des Diagnostikprodukts „PraenaTest“, im Auftrag des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Publikationen/DE/PraenaTest.pdf;jsessionid=BE38DCFB619EAA4B0C14F61EC3E91A9B.2_cid104 (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)
  7. Hufen F., Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung eines etwaigen Verbots und anderer Massnahmen gegen das Diagnoseprodukt „PraenaTest“. Vorgutachten, erstattet im Auftrag der Firma LifeCodexx AG Konstanz, lifecodexx.com/fileadmin/lifecodexx/pdf/PraenaTest_Ergebnisse_Gutachten_Prof._Hufen.pdf (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)
  8. Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März 2012: Protest gegen Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung – Neuer Bluttest droht die vorgeburtliche Selektion von Menschen mit Down-Syndrom zu perfektionieren, Presseaussendung, 21. März 2012, www.bvkm.de/dokumente/pdf/Praenataldiagnostik/BluttestRundbrief.pdf (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)
  9. Presseservice St. Virgil, Neuer Bluttest richtet sich gegen Menschen mit Down-Syndrom, www.virgil.at/Presse.86.0.html (letzter Zugriff am 6. Dezember 2012)
  10. Genetische Diagnostik in der Schwangerschaft, Stellungnahme der DGGG zur nicht-invasiven genetischen Pränataldiagnostik, www.dggg.de/presse/pressemitteilungen/mitteilung/genetische-diagnostik-in-der-schwangerschaft/ (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)
  11. Weiser U., Down-Syndrom-Test aus Deutschland: AKH zeigt Interesse, 31. Juli 2012, Die Presse
  12. Pro Familia Nordrhein-Westfalen, Der neue PraenaTest – die vorgeburtliche Bestimmung der Trisomie 21 aus mütterlichem Blut, Stellungnahme Juni 2012, www.profamilia.de/fileadmin/landesverband/lv_nordrhein-westfalen/Stellungnahme_PraenaTest_Trisomie21.pdf (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)
  13. Wright C., Cell-free fetal nucleic acids for non-invasive prenatal diagnosis, Report of the UK expert working group. Executive summary, phg foundation, January 2009, www.phgfoundation.org/download/ffdna/ffDNA_report_executivesummary.pdf (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)
  14. Öffentliche Anhörung des Deutschen Ethikrates, Wissenschaftlich-technische Entwicklungen im Bereich der Multiplex- und High-Troughput-Diagnostik, 22. März 2012, www.ethikrat.org/dateien/pdf/anhoerung-22-03-2012-simultanmitschrift.pdf (letzter Zugriff am 19. Oktober 2012)

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