20 Jahre IMABE

Imago Hominis (2008); 15(4): 281-282
Christoph Kardinal Schönborn

Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Freunde des IMABE-Institutes!

Als vor nunmehr 20 Jahren das Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) auf Initiative von Medizinern, Juristen und Geisteswissenschaftlern in Wien gegründet wurde, gab es in Österreich noch keine Einrichtung dieses Formats: ein Institut, das mit intellektueller Lebendigkeit und entsprechendem wissenschaftlichem Rüstzeug die brisanten Fragen im Bereich von Medizin und Ethik fachübergreifend bearbeitet. Die Gründung dieses Instituts erwies sich angesichts der Entwicklungen in Medizin und Forschung als zukunftsweisend. Dank des Fortschritts auf diesen Gebieten hat sich die Lebenssituation des einzelnen Menschen in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert. Gleichzeitig sind aber auch die ethischen Herausforderungen gewachsen.

Lassen Sie mich kurz drei Themenbereiche anschneiden, die aus ethischer Sicht an Bedeutung und Aktualität gewonnen haben. Es sind Fragen rund um den Lebensbeginn und das Lebensende, Fragen, wo es um das Manipulieren von menschlichem Leben für Forschungszwecke geht und zuletzt um die kulturelle Deutung von Gesundheit und Krankheit sowie um menschliche und ökonomische Ressourcen, die man für Kranke und Pflegebedürftige aufzubringen bereit ist.

1. Lebensanfang und Lebensende

Die Fortpflanzungstechnologien, die Möglichkeit, Menschen zu machen, hat zu einem Anspruchsdenken geführt, aber auch zu ‚todsicheren’ Kontrollen: Der Druck auf Mütter und auf Ärzte wächst, zur Sicherheit alle Qualitätskontrollen durchzuführen. Ungeborene Behinderte haben dabei kaum noch eine (Lebens-)Chance. Man diskriminiert sie als Schaden, der abwendbar scheint, indem das Kind zeitgerecht abgetrieben wird. Welche Krankheiten werden in die Watch-Liste aufgenommen? Welche nicht? Genügt dafür auch schon ein Risiko-Gen für eine Krankheit, das vermutlich nie ausbrechen wird, wie dies zuletzt in den Niederlanden beschlossen wurde? Dies ist eine Mentalität, die das Leben verfügbar macht, es führt aber auch zu einem Anspruch, es in Ausübung eines vermeintlichen Selbstbestimmungsrechtes beenden zu können oder beenden zu lassen. Gott sei Dank herrscht in Österreich ein breiter Konsens darüber, dass menschenwürdige Sterbehilfe darin bestehen muss, den Sterbenden im Übergang zu seiner letzten Lebensphase zu begleiten. Sterbehilfe ist Hilfe beim Sterben, nicht Hilfe zum Sterben.

2. Manipulieren von menschlichem Leben für Forschungszwecke

Im Bereich der Forschung mit adulten Stammzellen gab es in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte. Wie aber steht es mit dem Verbrauch von menschlichen Embryonen, um aus ihnen humane embryonale Stammzellen gewinnen zu können? Die ethische Problematik liegt darin, dass es hier um Jemanden geht und nicht um Etwas. Die Würde des Menschen liegt jeglichen menschlichen Zuerkennungen schon immer voraus, sie kommt ihm allein auf Grund seines Menschseins von Anfang an zu, und sie besteht unabhängig von seiner Entwicklungsphase, seiner Gesundheit und seinem Bewusstseinsstand. Sie gilt der ganzen leib-seelischen Existenz des Menschen; es gibt keine Abstufungen in der Schutzwürdigkeit für ungeborene, kranke, behinderte und alte Menschen.

3. Wie leid-kompetent ist unsere Gesellschaft?

Wer an die Medizin nicht nur mit Heilungs-, sondern geradezu Heilserwartungen herangeht und ihre Aufgabe darin sieht, ein leidfreies, gesundes Leben bis zuletzt zu ermöglichen, hat den Bogen überspannt. Zu einem guten Leben gehört auch die Annahme des Leidens und damit auch die Sorge um den Leidenden. Ethisch brisant sind auch die Fragen nach dem Ausschluss von Personengruppen von teuren medizinischen Verfahren, deren “Lebensqualität” als sehr niedrig eingestuft wird und die für die Gesellschaft eine Belastung darstellen – beispielsweise alte, chronisch kranke, behinderte Menschen. Sie wird in Zeiten, wo die Grenzen der Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens die Politik zusehends beschäftigen, immer lauter. Hier gilt es sozialethische, christliche Aspekte der Verteilung der Mittel im Gesundheitswesen und die Diskussion über den „Lebenswert” chronisch kranker und schwerstpflegebedürftiger Menschen in die Diskussion einzubringen.

4. Die Rolle von Kirche und Staat

Die Bioethik antwortet auf die ethischen Herausforderungen, die sich durch die neuen Möglichkeiten, beispielsweise der Gentechnik und Biomedizin, den Wissenschaften und der Gesellschaft stellen. Dies betrifft sowohl die Grundlagenforschung als auch die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Heute stehen wir vor dem Problem, dass Bioethik zur Chefsache der Politik geworden ist. Ethik ist aber ein von der Politik unabhängige Instanz, oder besser: Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er sich nicht selbst gegeben hat. Wäre Ethik nur eine Frage des Konsenses, würde sich die Politik nicht nach höchsten moralischen Normen richten, sondern maximal am kleinsten gemeinsamen Nenner. Und dieser wird meist vom Markt diktiert. Dagegen soll die Ethik für Politik und Menschen Grundsätze als Orientierungshilfe bieten, die wie Leuchttürme blinken, Grenzen, aber auch Wege für konkrete Entscheidungsfindungen aufzeigen: für Ärzte, Wissenschaftler, das Pflegepersonal, den Patienten, Gesundheitsökonomen, Apotheker usw.

Die Kirche hat eine anerkannte moralische Kompetenz und sieht daher hier ihre Orientierungsaufgabe. Sie ist aber keine Neinsagerin. Im Gegenteil: Durch ihre Wortmeldungen gibt sie immer wieder jene Impulse, die dazu beitragen und beigetragen haben, in all diesen, teils umstrittenen Fragen, die Bemühungen um ethisch saubere Alternativen zu den moralisch nicht vertretbaren Prozeduren zu stärken, so beispielsweise bei der Verstärkung der Forschung mit adulten Stammzellen oder in der Palliativmedizin. Dabei stützt sich die Kirche weltweit auf Institutionen wie das IMABE-Institut, die den interdisziplinären Dialog im medizinischen Bereich suchen.

Aus Anlass dieses Jubiläums danke ich den vielen Menschen, die sich bei IMABE bisher engagiert haben. Ganz besonders denke ich hier an die zahlreichen jungen Forscher, die sich an den Projekten von IMABE beteiligen, wobei ich ausdrücklich auf den von IMABE initiierten „Wiener Bioethik-Club“ hinweisen möchte, der ein wichtiges interdisziplinäres Diskussionsform zu aktuellen ethischen Themen bietet. Sie haben engen Kontakt zu österreichischen und auch ausländischen Universitäten und Instituten. Wir brauchen Institute wie IMABE, die sich aus ihrer christlichen Werthaltung heraus den „heißen Eisen“ der Bioethik widmen und keine Scheu haben, klar und sachgerecht Stellung zu beziehen.

Ich wünsche IMABE viele gute Jahre, gute Freunde, viele aufmerksame Leser, Zuhörer und Mitdenker, und zu all dem und in allem den Segen Gottes.

Anschrift des Autors:

Kardinal Univ.-Prof. Dr. Christoph Schönborn
Erzbischof von Wien, Wollzeile 2, A-1010 Wien
ebs(at)edw.or.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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