Bioethik Aktuell

Kinder zum Kaufen: EU-Parlament verurteilt Leihmutterschaft als Menschenhandel

Ob es zu einem EU-weiten Verbot der Leihmutterschaft kommt, ist noch offen

Lesezeit: 04:36 Minuten

Das EU-Parlament hat erstmals Leihmutterschaft in die Liste der Straftaten des Menschenhandels aufgenommen. Warum es höchste Zeit für ein internationales Verbot ist, zeigt der Sammelband „Die neuen Gebärmaschinen? Was die globale Leihmutterschaft mit Frauen und Kindern macht“ (Brandes+Apsel 2023). Die Lektüre der Beiträge von 30 internationalen Autoren – Feministinnen, Ärzten, Psychologinnen. Gay-Aktivisten u.a. – wirft den Blick auf die Praxis einer weltweiten Ausbeutung im Namen des „Rechtes auf Kind“.

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Der gemischte Ausschuss des EU-Parlaments für Frauenrechte und bürgerliche Freiheiten hat eine Änderung der „Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“ beschlossen. Darin wird Leihmutterschaft erstmals auf eine Stufe mit Verbrechen wie Sklaverei, Zwangsheirat, illegale Adoption oder Ausbeutung von Kindern gestellt. Der Beschluss könnte noch vor Weihnachten im EU-Rat und der Kommission behandelt werden und damit die Weichen für ein EU-weites Verbot von Leihmutterschaft stellen.

Dass Abgeordnete über alle parteipolitischen Grenzen hinweg Leihmutterschaft als Menschenhandel verurteilt haben, ist für IMABE-Direktorin Susanne Kummer ein positives Signal. Ob in dieser Frage nun international eine Zeitenwende gegen die Ausbeutung von Frauen und Missachtung von Kinderrechten eingeläutet wird, bleibt jedoch abzuwarten.

Es gibt keine ‚ethisch saubere‘ Leihmutterschaft

Wichtig ist, dass das EU-Parlament nicht zwischen bezahlten und altruistischen Leihmutterschafts-Verträgen unterschieden hat, erklärte die Wiener Ethikerin gegenüber Kathpress (5.10.2023). Die neue Richtlinie verurteilt vielmehr Leihmutterschaft per se, „weil es immer um ein Geschäft geht. Es gibt keine ‚ethisch saubere Leihmutterschaft‘, denn sie wird immer auf dem Rücken von ‚Billigfrauen‘ ausgetragen, die den Kinderwunsch einer privilegierten, reicheren Schicht erfüllen sollen“. Damit verbunden sei stets auch ein ganzes System von Maklern, Agenturen und gezieltem Anheuern von Frauen in finanziellen Nöten.

Ausbeutung von Frauen in Griechenland, Verkauf von Babys in Tschechien

Obwohl Leihmutterschaft in vielen EU-Ländern – darunter auch Österreich – verboten ist, bestehen weiterhin zahlreiche Schlupflöcher für die Ausbeutung von Frauen und für Kinderhandel im Zuge von Leihmutterschaft. Bekannt wurden in jüngster Vergangenheit etwa in Griechenland dramatische Fälle von Frauenhandel, bei denen Frauen weggesperrt und in Massenunterkünften wie Bruthennen festgehalten wurden (Bioethik aktuell, 18.82023). Tschechien ist heute ein Umschlagplatz für den Verkauf von Babys von ukrainischen Leihmüttern (Bioethik aktuell, 26.7.2022). Dramatisch ist die Lage auch in Georgien (Bioethik aktuell, 13.3.2023), wo Leihmütter zu 98 Prozent Kinder für Ausländer austragen. Dem schiebt die Politik allerdings nun einen Riegel vor: Ab 2024 soll Leihmutterschaft für ausländische Bestelleltern in Georgien verboten werden (InterpressNews, 12.6.2023).

Um derartige Missstände abzustellen, sei ein EU-weites Verbot für Leihmutterschaft wichtig, „vor allem aber auch ein wirksames internationales Verbot mit Sanktionen und Kontrollen“, so Kummer. Kinder dürften nicht länger zur Handelsware degradiert werden, und Frauen nicht länger ausgenützt werden, um als Mietmütter ihren Körper und ihr Leben für reiche Menschen aufs Spiel zu setzen.

Die Freigabe der „kostenlosen Leihmutterschaft“ ist ein trojanisches Pferd

Das kürzlich von der Initiative Stoppt Leihmutterschaft herausgegebene Buch Die neuen Gebärmaschinen? (2023) versammelt Beiträge von 30 Autorinnen und Autoren, die fundierte Analysen und erschreckende Details des „Bauchgeschäftes“ liefern. Einhelliger Tenor: Wo Leihmutterschaft aus altruistischen Gründen freigeben wird, ist dies das trojanische Pferd für eine kommerzielle Leihmutterschaft. Zunächst soll eine Nachfrage geweckt werden, die auf ein knappes Angebot stößt, da nicht genügend Frauen bereit sind, sich freiwillig kostenlos als lebendige Brutkästen zur Verfügung zu stellen. Damit wird Druck aufgebaut, um schließlich das gesetzliche Tor zur kommerziellen Leihmutterschaft zu öffnen, wie dies etwa im Jahr 2020 im Bundesstaat New York geschah.

Hundewelpen werden artgerechter gehalten als Menschenbabys

Die beiden kanadische Feministinnen Ghilslaine Gendron und Michèle Sirois merken kritisch an, dass in Québec der Tierschutz höhere Standards genieße als die artgerechte Haltung von Menschen. Während Leihmütter verpflichtet sind, ihr Kind möglichst gleich nach der Geburt an die Bestelleltern abzugeben, ist es gesetzlich verboten, Hunde- oder Katzenbabys vor Ablauf von zwei Monaten von ihrer Mutter zu trennen. Immer mehr Frauen in Kanada würden sich als Baby-Brutkasten verkaufen und damit der Leihmutterschaftsindustrie als Profit- und Produktionsquelle dienen. Die Klientel bezeichnen die Feministinnen als patriarchalisch: 40 Prozent aller Leihmutterschaftsverträge in Kanada wurden 2014 mit homosexuellen Paaren geschlossen.

Britischer Gay-Aktivist lehnt Leihmutterschaft strikt ab

Mirko Hüttner (Deutschland) kritisiert das Marketing: „Mich erschüttert es, wie wir schwulen Männer gezielt als Käuferschaft umworben werden“ - und dies alles letztlich „am Rücken der Kinder“, so Hüttner. Ein Beitrag des britischen Gay-Aktivisten Gary Powell, der sich vehement für ein Verbot von Leihmutterschaft als frauen- und kinderfeindlicher Praxis einsetzt, zieht einen Vergleich zum Verbot von Organhandel. Gerade Menschen in prekären Lebenssituationen müssten vor Selbstausbeutung geschützt werden – ein Prinzip, das derzeit beim Thema Leihmutterschaft systematisch ausgehöhlt werde, wie Powell am Beispiel Großbritanniens zeigt.

Tod und Traumatisierung in Folge von Leihmutterschaft

Die indische Soziologin Sheela Saravanan berichtet vom Tod mehrere indischer Leihmütter und davon, wie andere Leihmütter dadurch traumatisiert wurden. Geldgierige Agenturen wollen nur das Baby – ohne Rücksicht auf die Frauen. Saravanan schildert, wie bereits vorab der Ehemann informiert wird, dass seine Frau als Leihmutter möglicherweise sterben oder Gesundheitsschäden davontragen kann, die Wunschbabyklinik bzw. Agentur aber in keinster Weise dafür zur Verantwortung gezogen werden darf. Keine der 45 Leihmütter, die die Soziologin in Indien zwischen 2019 und 2020 interviewte, war in der Lage, den ihr vorgelegten Vertrag zu lesen, da er auf Englisch verfasst war. „Trotzdem unterschrieben sie ihn.“ Von einer informierten, selbstbestimmten Einwilligung könne also nicht die Rede sein.

Mietmutterschaft verletzt Frauen – und Kinderrechte

Die österreichische Journalistin Eva-Maria Bachinger, Mit-Initiatorin der Initiative Stoppt Leihmutterschaft, zeigt auf, warum Leihmutterschaft sowohl Frauenrechte als auch Kinderrechte verletzt. Sie plädiert für ein striktes internationales Verbot und eine Absicherung des nationalen Verbots von Leihmutterschaft in Österreich, da dieses derzeit leicht umgegangen werden kann.

Buchtipp: Initiative »Stoppt Leihmutterschaft« (Hrsg.) „Die neuen Gebärmaschinen? Was die globale Leihmutterschaft mit Frauen und Kindern macht“ (Brandes&Apsel, 2023, 312 S.)

Institut für Medizinische
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