Bioethik aktuell

Reproduktionsmedizin: Spontane Empfängnis bei angeblich unfruchtbaren Paaren häufiger als gedacht

Eine von sechs Frauen bekommt nach erfolglosen IVF-Versuchen dennoch ein Baby

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Eine von sechs Frauen bringt innerhalb von fünf Jahren trotz gescheiterter IVF-Versuche ein Baby zur Welt - ganz ohne medizinische Behandlung. Das zeigt eine aktuelle, in Human Reproduction publizierte Studie (http://dx.doi.org/10.1093/humrep/dez099). Studienleiter David McLernon von der Universität Aberdeen betont, dass die Ergebnisse ungewollt kinderlosen Paaren eine klarere Vorstellung über ihre Chancen auf eine natürliche Empfängnis nach erfolgloser IVF geben sollten.

Für Paare sei das Verfahren ein physisch und emotional anstrengender Prozess, im Fall erfolgloser IVF-Versuche bleiben sie oft verzweifelt zurück. Informationen seien deshalb wichtig, um fundierte Entscheidungen hinsichtlich weiterer Schritte zu treffen, sagt der Public-Health-Experte (vgl. BBC, online, 25.7.2019).

McLernon untersuchte mit seinem Team in einer retrospektiven Kohortenstudie die Daten von 2.133 Frauen, die sich zwischen 1998 und 2011 einer künstlichen Befruchtung (IVF oder ICSI) an der Aberdeen Fertility Clinic unterzogen hatten. Bei rund der Hälfte der Frauen (1.073) führten die Verfahren zu keiner Schwangerschaft oder endeten mit einer Fehlgeburt.

Zum allgemeinen Erstaunen brachten binnen fünf Jahren 17 Prozent dieser Frauen nach natürlicher Empfängnis dennoch ein Kind zur Welt. Bei der anderen Hälfte (1.060) hatten die Frauen nach künstlicher Befruchtung eine Lebendgeburt, 15 Prozent bekamen aber ebenfalls ganz ohne medizinische Behandlung binnen fünf Jahren ein weiteres Kind.

Angesichts der erhöhten Gesundheitsrisiken, denen sowohl Frau als auch Kind durch ein IVF-Verfahren ausgesetzt sind, und der erheblichen finanziellen Kosten einer IVF müssen zu häufige und zu frühe Interventionen im Bereich der Reproduktionsmedizin kritisch hinterfragt werden. Schon seit längerem mahnen Reproduktionsmediziner, dass die Methode der künstlichen Befruchtung offenbar zu leichtfertig angewendet wird (vgl. Bioethik aktuell, 11.2.2014), nämlich auch dann, wenn offenbar keine Unfruchtbarkeit vorliegt.

Der rasante Anstieg an weltweiten IVF-Zyklen deutet darauf hin, dass Paare schnell unter Druck geraten, „etwas machen zu müssen“. Ärzte geben diesen Druck an Patienten weiter, aber auch umgekehrt. „Über die Schattenseiten der künstlichen Befruchtung wird kaum informiert. Hier tut eine umfassende medizinische und psychologische Aufklärung über die Risiken der künstlichen Befruchtung und über die Chancen schonenderer Methoden not“, betont Ethikerin Susanne Kummer. Laut ESHRE wurden allein in Europa im Jahr 2016 800.000 IVF-Zyklen durchgeführt, die zu 169.000 Lebendgeburten führten (vgl. Pressemitteilung, online, 25.6.2019).

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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