Bioethik Aktuell

Beihilfe zum Suizid: 73 Prozent der Österreicher befürchten Missbrauch

Gesetzesvorschlag verzögert sich und soll erst im Herbst vorliegen

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In Österreich ist der Druck hoch, in Kürze einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zur Regelung einer "Beihilfe zum Suizid" vorzulegen. Entgegen bisheriger Ankündigungen wird dieser allerdings erst im Herbst 2021 vorliegen. Damit bleibt kaum Zeit für eine öffentliche und parlamentarische Debatte. Die Abstimmung über ein Gesetz, das, so der Auftrag des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), "Missbrauch" verhindern soll, müsste im Nationalrat nämlich ebenfalls im Herbst 2021 stattfinden. Nur dann könnte ein etwaiges Regelwerk noch vor Jahresende auch den Bundesrat passieren.

Das Justizministerium hat nun einen 53-seitigen Endbericht des zuvor eigens eingerichteten Dialogforums Sterbehilfe veröffentlicht (vgl. Schlussbericht des Dialogforums Sterbehilfe). Vertreter wissenschaftlicher Organisationen, Kirchen und religionsnaher Vereine sowie ziviler Organisationen haben ihre Standpunkte dargelegt. Konsens konnte nur in wenigen Punkten erzielt werden (vgl. Die Presse, 28.6.2021). Völlig offen ist beispielsweise, ob und inwieweit Ärzte in die Mithilfe zur Selbsttötung involviert sein sollen. Die Ärztekammer lehnt dies beispielsweise ab.

Der VfGH hatte im Dezember 2020 die Regelung gekippt, wonach Beihilfe zum Suizid strafbar ist, und die Legislative mit der Neuformulierung des entsprechenden Gesetzes bis spätestens Jahresende 2021 beauftragt (vgl. Bioethik aktuell, 17.12.2020). Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Richter. Es sei daher verfassungswidrig, Hilfe zur Selbsttötung zu verbieten. Gleichzeitig wurde dem Gesetzgeber empfohlen, Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch zu verhindern (vgl. Bioethik aktuell, 2.5.2021). Dass dies gelingen kann, halten die Österreicher laut einer aktuellen, im Juni veröffentlichten Focus-Umfrage eher für unrealistisch.

In der Bevölkerung fürchten bereits jetzt 73 Prozent, dass es zu Missbrauch bei der Beihilfe zum Suizid kommen wird - trotz einer gesetzlichen Regelung. Nur etwas mehr als jeder Dritte (35 Prozent) ist der Meinung, dass Beihilfe zum Suizid in Österreich erlaubt sein sollte. 69 Prozent lehnen Tötung auf Verlangen ab. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Focus Austria (Pressemitteilung, 15.6.2021). Befragt wurden repräsentativ 2.002 Personen über 15 Jahren. Die Online-Interviews fanden Ende Mai 2021 statt. 16 Prozent gaben an, in Familien- und Freundeskreis schon mit dem Thema Sterbehilfe konfrontiert gewesen zu sein, nur 7 Prozent gaben sich selbst als persönlich Betroffene an. 

Die Ergebnisse der Focus-Grundlagenstudie zur "Sterbehilfe" (Langversion) zeigen eine deutlich niedrigere Akzeptanz der Beihilfe zur Selbsttötung als zuletzt kolportiert. So hatte die im April 2021 von der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) veröffentlichte Umfrage des Instituts Integral angegeben, dass 80 Prozent der Österreicher der Beihilfe zum Suizid zustimmen würden. Die suggestive Fragestellung der Umfrage wurde mehrfach kritisiert (vgl. ORF online, 19.4.2021). Auch Interessenskonflikte standen im Raum: Die ÖGHL hatte beim VfGH beantragt, das Sterbehilfe-Verbot in Österreich zu kippen. Nach dem VfGH-Urteil am 11.12.2021 kündigten sie an, künftig selbst als erster Sterbehilfe-Verein ihre Dienste in Österreich anbieten zu wollen. 

Focus-Studienleiter Josef Leitner betont, dass die exakte Fragestellung auf das Ergebnis von Umfragen stets großen Einfluss habe (vgl. Wiener Zeitung, 15.6.2021). Focus Austria fragte nicht allgemein nach der Zustimmung zum VfGH-Urteils, sondern konkret nach dem Kenntnisstand in Bezug auf „indirekte Sterbehilfe“, „passive Sterbehilfe“, „Beihilfe zum Suizid“ und „aktive Sterbehilfe“. Nach der Klärung der Begriffe wurden die Zustimmung bzw. Ablehnung dazu erfragt: Demnach stimmten 58% der „indirekten Sterbehilfe“, die „Behandlungen, die für eine Linderung sorgen, jedoch langfristig eine Verkürzung des Lebens bedeuten“ zu. Gleich viele (58%) sprachen sich auch für die „passive Sterbehilfe“, die „das Beenden von Maßnahmen, die das Leben verlängern können“ beinhaltet, aus.

Deutlich weniger Österreicher, nämlich nur 35%, befürworten laut der Focus Austria Umfrage die „Beihilfe zum Suizid“, bei der die „Tötungshandlung von Patienten selbst durchgeführt wird, die notwendigen Mittel aber von einem Dritten vorbereitet und bereitgestellt werden“. Die „aktive Sterbehilfe“, bei der es sich um Handlungen und Maßnahmen, die das “Leben eines anderen Menschen beenden“ handelt, fand nur bei 31% der Österreicher Zustimmung. Bei den 30-49-Jährigen lag sie am höchsten, während sie in der Altersgruppe 50 plus und bei den 15 bis 29-Jährigen auf 28 Prozent sank.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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