Die Erschaffung des Unsichtbaren. Wissenschaftliche Bilder und ihre Wirklichkeiten

Imago Hominis (2008); 15(1): 31-38
Gabriele Werner-Felmayer

Zusammenfassung

Wissenschaftliche Bilder dienen sowohl der Veranschaulichung als auch der Beweisführung. Manche Bilder, die komplexe Zusammenhänge basierend auf wissenschaftlichen Hypothesen und Konzepten darstellen, erreichten Ikonenstatus, wie etwa der evolutionäre Baum oder die stilisierte Doppelhelix. Sie greifen auf tradierte Symbole von Wachstum und Weiterentwicklung zurück, die Aufklärung und Moderne überdauert haben. Mit ihnen sind Narrative des Fortschritts verknüpft, die im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit wie der Expertengemeinde persistieren, obwohl ihr wissenschaftlicher Gehalt längst zu aktualisieren wäre. Momentaufnahmen aus dem Zell- oder Körperinneren hingegen, wie sie uns fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen oder Hirnscanbilder zeigen, erscheinen zunächst authentisch. Sie machen das dem Auge Verborgene mittels komplexer computergestützter Techniken sichtbar, bei denen auch Ästhetik und wissenschaftliche Traditionen eine Rolle spielen. Das Bild wird verändert oder entsteht aus zahlreichen Messdaten, ohne dass dies später noch erkennbar wäre. Die Wirklichkeit daraus entsteht erst im Betrachter und dürfte sich deutlich von der Wirklichkeit im Zell- und Körperinneren unterscheiden.

Schlüsselwörter: wissenschaftliches Bild, Ikone, Evolution, Doppelhelix, fluoreszenzmikroskopisches Bild, Hirnscanbild

Abstract

Scientific images serve as visualization and as evidence. Some of them, showing complex interconnections based on scientific hypotheses and concepts, obtained the status of icons, like the tree of evolution or the stylized double helix. These presentations go back to traditional symbols of growth and development which outlived the era of enlightenment and modernity. They are linked to narratives of progress persisting in the consciousness of the broad public as well as of the scientific community, although their scientific contents has long since been revised. Snapshots of inside the cell or body, as shown in microscopic or brain scan images, seem to be authentic at first. However, they visualize what is hidden to the eye by sophisticated computer-based techniques that are influenced by aesthetics and conventionalised interpretations. The image is processed or generated from multiple measurements in a way which is not recognizable later. Reality from it emerges in the viewer and may be considerably different from the reality inside a cell or body.

Keywords: scientific image, icon, evolution, double helix, fluorescent microscopy image, brain scan image


Einleitung

„Niemand wird vermutlich widersprechen, den Bildern eine Macht auf Körper, Seele und Geist einzuräumen" schreibt der Philosoph und Kunsthistoriker Gottfried Boehm, der schon vor längerem den iconic turn, eine Wende zum Bild einforderte. Die durch die Medienindustrie generierte Bilderflut macht uns zu passiven Bildkonsumenten, gerade in einer Zeit, in der die „digitale Revolution das Bild zu etwas machte, was es bis dahin nie gewesen war“, nämlich ein „flexible[s] und weltweite[s] Kommunikationsmittel“.1 Nicht die Abkehr vom Bild, sondern die Wende zum Bild, eine interdisziplinäre Auseinandersetzung, die darauf abzielt, die Logik von Bildern wahrnehmend und nicht rein sprachlich zu erfassen, könnte jene Bildkompetenz vermitteln, die es erlaubte zu verstehen, was ein bestimmtes Bild eigentlich in uns erzeugt, wie es selbst in ganz alltäglichem Zusammenhang Wirklichkeiten und Normen schafft.

Schon wenn wir bloß mit dem Auto durch urbanes Gebiet fahren, schieben sich im Augenwinkel die fiktiven Welten der Plakatwände vor unsere reale Umgebung. Da kuschelt die glückliche Familie vor dichten Fenstern in erdgaserwärmten Eigenheimen, da sind junge Körper in Spitze verpackt und die Bilder, wie glückliche Familien und schöne Körper auszusehen haben, prägen sich unserem Bewusstsein ein, ob wir wollen oder nicht. Das trifft nicht nur auf Glück und Schönheit, sondern auch auf Leid zu, das uns in den immer gleichen Bildern der Krisenregionen der Welt veranschaulicht wird, die wir täglich wie nebenbei konsumieren. Dass diese Bilderflut Inhalte, Wahrheiten, Wirklichkeit suggerieren soll, wissen wir zwar, doch dem durch sie erzeugten Realitätsverlust können wir uns nur schwer entziehen.

Wir sind zudem, wie es Uwe Pörksen ausdrückt, „eine Gesellschaft, die visuell argumentiert“2, denn längst verwenden wir Bilder nicht nur zur Veranschaulichung, sondern auch zur Beweisführung, was im wissenschaftlichen Kontext besondere Bedeutung erlangt. Dabei werden nicht nur Bilder verwendet, die einen gewissen Zustand beispielsweise in einer Zelle oder einem Körper festhalten, sondern es werden Bilder erzeugt, die die der Datenflut innewohnenden Zusammenhänge veranschaulichen und in der Folge beweisen sollen. Pörksen spricht in diesem Zusammenhang von „typisierender“ Veranschaulichung. Durch Wiederholung werden „Visiotypen“ geschaffen, analog zu Stereotypen, die sich mitunter zu Sinnbildern, „internationalen Schlüsselbildern“, oder, in Analogie zu Schlagwörtern, sogar zu „Schlagbildern“ entwickeln, denen nichts mehr entgegen zu setzen ist.3

So entstehen Schablonen, die kaum einen Lebensbereich aussparen und uns die Welt als solche zeigen. Von Orten, an denen wir noch nie waren, gewinnen wir eine genaue Vorstellung. Wir meinen, die Kälte der Antarktis ebenso wie die unermessliche Weite der Tiefsee zu spüren, wenn wir sie abgebildet sehen. Wir wissen, wie seltene Tier- und Pflanzenarten, die wir noch nie in natura gesehen haben, wie Landschaften, die wir noch nie erfahren haben, aussehen, wenn sie ein anderer für uns fotografisch eingefangen hat. Wie in fremde Kontinente sind wir mit Hilfe bildgebender Verfahren auch in Körper, Organe und Zellen vorgedrungen. Dank fortschreitender Entwicklung bildtechnischer Verfahren entstehen Bilder von solcher Eindrücklichkeit, dass selbst ansonsten kaum zu beeindruckende Wissenschaftler meinen, sie entsprächen der Wirklichkeit und man wüsste nun bestens, wie es in diesen Körpern, Organen und Zellen aussieht.

Das wissenschaftliche Bild, entstanden unter anderem in der Zeit der Entdeckungsreisen als eine Dokumentation fremder Welten für die Daheimgebliebenen, hält heute nicht nur das fest, was das Auge nicht sehen kann, sondern prägt sich auch in Form vereinfachender Slogans in unser Bewusstsein ein. Damit wird Realität vermittelt, wo bestenfalls ein momentaner Zustand festgehalten wird, damit wird eine genaue Kenntnis von Lebensvorgängen suggeriert, wo höchstens Mosaiksteinchen komplexer Vorgänge erfasst sind. Im Folgenden soll anhand der Darstellung des evolutionären Baumes und der DNA-Doppelhelix, sowie fluoreszenzmikroskopischer Aufnahmen und der Sichtbarmachung von Denkprozessen mittels Hirnscans aufgezeigt werden, wie sehr im wissenschaftlichen Kontext generierte Bilder eine Denkrichtung vorgeben und wie sehr umgekehrt ihre Interpretation auf vorgefertigten Meinungen sowie unserer Fähigkeit zur Imagination basiert.

Der evolutionäre Baum

Warum ein Baum, um Evolution zu veranschaulichen? Zunächst ist der Baum eine Metapher für das Leben in seiner Gesamtheit, dessen Zweige sich beliebig verästeln und natürlich auch weiter wachsen können, in etwa so, wie wir des längeren aus naturwissenschaftlicher Sicht die Beziehung diverser Spezies zueinander begreifen.4 Dementsprechend drängt sich ein Unten und ein Oben auf, eine Basis und eine Krone. Seit es Baumdarstellungen der Evolution gibt, befand sich der Mensch dabei oben, er scheint sich kaum anders begreifen zu können. Die Baumdarstellung ist zwar nützlich, weil sie Zusammenhänge aufzeigt, wo vorher quasi unzusammenhängende Parallelentwicklungen aus einzelnen Schöpfungsakten die Vielfalt der Arten erklären sollten. Sie bindet uns also in diese Vielfalt ein. Gleichzeitig vermittelt sie jedoch eine Rangordnung, die naturwissenschaftlich nicht haltbar ist, sondern vielmehr auf Vorstellungen beruht, die sich bereits bei Aristoteles finden und vermutlich noch weiter in die menschliche Kulturgeschichte zurückreichen.

Die bioinformatische Erfassung phylogenetischer Verwandtschaftsverhältnisse, eine auf komplexen Annahmen beruhende mathematische Berechnung von Evolution, welche durch die im Zuge der Sequenzierung der Genome zahlreicher Spezies boomende vergleichende Genomik ermöglicht wird, generiert heute so genannte Kladogramme, die wir, da dieser Begriff nur für Spezialisten eine Bedeutung hat, immer noch als Stammbäume bezeichnen. Obwohl diese rechnerisch erzeugten Stammbäume völlig abstrakt sind, also kaum etwas mit einem Baum zu tun haben und folglich auch keine Rangordnung erzeugen, bleibt das Bild des evolutionären Baums in unserem Denken, wie beispielsweise die 1874 von Ernst Haeckel publizierte Eiche, als eine Variation der wesentlich älteren Vorstellung einer Stufenleiter oder Kette hierarchisch geordneter Lebewesen.5 So findet sich auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen unserer Tage, in denen Kladogramme gezeigt werden, der Mensch oben, obwohl dies bedeutungslos ist, denn lediglich der entlang der Verzweigungen messbare Abstand zu den anderen Spezies zählt, wenn es darum geht, evolutionäre Zusammenhänge zu quantifizieren.6

Im Bild, so umschreibt es Gottfried Boehm, kommt jedoch in der Regel nicht nur etwas vor, sondern „da oder dort [] ‚zeigt’ [sich] etwas […]. Das ‚Ikonische’ beruht mithin auf einer vom Sehen realisierten ‚Differenz’“.7 Dies ermöglicht, „das eine im Lichte des anderen und wenig Striche beispielsweise als eine Figur zu sehen“.8 Auch zum nüchternsten, aller Bildhaftigkeit beraubten Objekt imaginiert der Mensch in der Regel etwas hinzu, wie Gottfried
Boehm überzeugend am Beispiel der Minimal Art erläutert, deren Protagonisten schließlich einräumen mussten, dass die Vorstellungskraft, die sich auch an einfachsten Dingen „ikonisch entzündet“, nicht auszuschalten ist.9 Ist diese einfache Form bereits ikonisch aufgeladen, weil sie aus einem komplexeren Bild abstrahiert wurde, wie dies beim evolutionären Baum der Fall ist, ist es geradezu unmöglich, die Form unabhängig von ihrer Bedeutung zu sehen. Hartnäckig halten sich daher die Ikonen, selbst wenn ihr wissenschaftlicher Gehalt längst überholt ist und sie vor allem eine soziale Bedeutung erlangt haben. Sie halten sich nicht nur in der Alltagswelt, in der sich ihre Bedeutung verselbständigt, sondern interessanterweise auch unter Experten, die in ihren wissenschaftlichen Darstellungen gerne auf bereits etablierte Bilder zurückgreifen, in der Meinung, dies trüge zum Verständnis bei.

Die DNA-Doppelhelix

Ein besonders erhellendes Beispiel dafür, wie sehr sich die Vorstellungskraft an einem nüchternen Objekt ikonisch entzünden kann, ist die DNA-Doppelhelix, die nicht einfach ein Molekül ist, sondern sehr viel mehr verkörpert, nämlich im simpelsten Fall Information (ein im Kontext von Vererbung hinterfragbares Konzept10), im komplexesten Fall sogar das Leben an sich.11 Dies funktioniert freilich nicht von selbst, sondern bedarf gründlicher Propaganda, wie sie seit 1953, dem Jahr der Aufdeckung der DNA Doppelhelixstruktur, betrieben wurde. Die Doppelhelix wurde dabei zu einem klassischen „Schlagbild“, sie steht für Modernität, eine „Himmelsleiter des Fortschritts“, wie Pörksen sie in Anspielung auf tief in unserer Tradition verwurzelte Bilder so trefflich bezeichnet.12

Der Öffentlichkeit wurde die Doppelhelix zunächst als ein aus Kugeln und Stäben aufgebautes Molekülmodell präsentiert, das selten allein gezeigt wurde, sondern in der Regel flankiert von seinen zwei lächelnden Erbauern, deren Haltung einen 1953 neuen Typ des lässigen, geradezu verspielten Wissenschaftlers verkörpert,13 der nur einen Molekülbaukasten zur Erklärung komplexer Zusammenhänge benötigt und den heute immer noch viele mehr oder weniger überzeugend zu kopieren versuchen.

Obwohl DNA nicht das einzige für die Vererbung von Merkmalen wichtige Molekül ist, kommt ihr nach wie vor ein Sonderstatus zu, der durch die Durchsequenzierung des Humangenoms weiter zementiert wird. Die Fertigstellung der Humangenomsequenz wurde denn auch als große Entdeckung, vergleichbar mit der Entdeckung eines neuen Kontinents, gefeiert, dessen Eroberung und Unterwerfung einzig dem Wohl der Menschheit dienen soll. Derzeit werden allerdings vorwiegend die Gold- und Silberminen des neuen Kontinents erschlossen, was man sonst noch lernen könnte, bleibt hingegen in Expertenkreisen verschlossen, denn es könnte den Preis gefährden.14

Erwin Chargaff, der mit seinen Arbeiten direkt zur Aufdeckung der Doppelhelixstruktur beitrug und dessen wissenschaftskritische Schriften auch mehrere Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen durchaus gültig sind und von einer immensen Weitsicht zeugen, bezeichnete die Doppelhelix als „das mächtigste Symbol, welches das Kreuz als die Unterschrift des biologischen Analphabeten ersetzt hat“ und die nach 1953 einsetzende Entwicklung der Naturwissenschaften als „Wirbeltänze der Molekularderwische“.15 Längst wurde die Doppelhelix zur Marke stilisiert, sie dient als Logo zahlreicher Institutionen, sie hat unsere Wahrnehmung aller mit ihr verbundenen Entwicklungen geprägt und ist aus der automatisch ablaufenden Assoziationskette nicht zu verdrängen. Dasselbe wird mit dem Genom versucht, doch Genom ist vor allem ein Wort, abstrakt und längst nicht so fotogen wie die Doppelhelix, wenn es auch scheint, dass sich die Derwische, angefeuert von der abgeschlossenen Sequenzierung des Humangenoms, in völliger Trance bewegen, dabei das Mantra von Heilung und Prävention singend. Schließlich wird das Genom als nichts Geringeres als das Buch des Lebens bezeichnet, in dem unser Schicksal geschrieben steht.16

Die Erstellung von Modellen, wie etwa der Doppelhelix selbst, aber auch damit in Zusammenhang stehender zellulärer Vorgänge, benötigt Idealisierung und Abstraktion. Beides scheint im Zusammenhang mit DNA und Genom im Übermaß vorhanden zu sein. Peter Godfrey-Smith, Philosoph in Harvard, fasst die Erstellung wissenschaftlicher Modelle nüchtern so zusammen: „Scientific model-building is in large part the investigation of fictions“17, etwas, was bei der moralisch überhöhten wissenschaftlichen Suche nach Wahrheit gerne übersehen wird.

Dass sich diese Fiktionen nicht einsperren lassen, sondern, einmal freigesetzt und von Werbestrategen genützt, immer weitere Fiktionen generieren, zeigt die bildkritische Analyse einer Werbeanzeige für ein zur Sequenzierung des Humangenoms eingesetzten Enzyms.18 Dabei bedient man sich einer in Positur der antiken Siegesgöttin Nike auf dem Bug der Titanic stehenden Frau, deren Flügel durch das Halbrund der Weltkugel ersetzt wurden und auf deren Körper sich eine mit portugiesischen Namen beschriftete Karte Afrikas abzeichnet, die von einem Muster bunter Felder überlagert wird, welche die Assoziation zu bildgebenden Verfahren aus der medizinischen Diagnostik wecken. Umgeben wird die Figur von Segelschiffen, wie sie Vasco da Gama und Kolumbus zu neuen Kontinenten brachten, sowie einer Tabelle von Zahlen und Buchstaben, welche das zu verkaufende Produkt anpreisen. Da niemand, als wiederum Wissenschaftler, die ohnehin im Gebiet der Genomik arbeiten, Zielgruppe sind – die Anzeige wurde in Nature gedruckt – kann ihr Zweck eigentlich nur eine weitere Einschwörung der Jünger sein, eine Fortschreibung der Fiktion mit allen Mitteln, auf dass bloß ja keiner abtrünnig werde.

Werbestrategien wie diese verfehlen ihre Wirkung auch bei Experten nicht, die sich ihrer längst selbst bedienen, sei es, um die Geldgeber für ihre Forschung zu gewinnen, oder, um andere, beispielsweise Studierende oder die fachfremde Öffentlichkeit zu beeindrucken. Anschauliche und graphisch perfekte Darstellungen, die quasi das ganze Leben auf eine Abbildung bannen, wie DNA: The Molecule of Life oder From DNA to Humans – einmal wird hier die Doppelhelix aus dem Zellkern geschält, das andere Mal entstehen aus der Doppelhelix über Proteine gleich mehrere strahlende und eindeutig US-amerikanische Menschen – lassen sich beispielsweise auf der Homepage des US-Department of Energy, jener Institution, wo das Humangenom-Projekt gestartet wurde, in der Rubrik Educational Resources finden (http://genomics.energy.gov/gallery/). In einer anderen Graphik (HGP: Impacting Many Disciplines) wird ein Mensch, genauer gesagt eine Frau, von der Doppelhelix wie von einem Mantel umhüllt, direkt in den Computer eingespeist und kommt unten, sozusagen verdaut, in Form einiger, wie auf einem Computerausdruck festgehaltener Schlagworte wie Forensics, Nuclear Medicine, oder Industrial Resources wieder heraus.

Diese Art der Darstellung hat kaum noch erklärenden Inhalt, sie ist ein extrem reduzierter Wissenschafts-Comic, der auf Dialog verzichtet, mit DNA als Superhelden. Es entsteht dadurch ein Kopfkino von visueller Eindrücklichkeit, die beim Lesen eines Texts in der Regel nicht zustande kommt, und die das Gefühl vermittelt, dass alles ganz einfach sei. Wissenschaft, dem Trend der Zeit entsprechend, der in Zusammenhang mit der Doppelhelix bereits mehr als fünfzig Jahre unverändert zu sein scheint, ist hier „Edutainment“, wuchernde „Pop-Kultur“, die sich „einer Bilderwelt [bedient], die keineswegs so dynamisch ist, wie es den Anschein hat“, sondern vielmehr ein „System ungeheurer Beharrung, die beständige Neuorganisation einander verwandter Bilder“, wie es Georg Seeßlen in einer kulturgeschichtlichen Analyse ausdrückt.19 Daraus entsteht die „Bildwelt eines ‚kollektiven Unterbewusstseins’. Die Verwandlung der fragmentierten Welt in das universale Märchen“.20 Ein Märchen der umfassenden Heilung von allen Leiden, wie es in der nur als Bild existierenden Therapie mit klonierten embryonalen Stammzellen fortgeschrieben wird, und das nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Fachwelt so verzaubert, dass das Hinterfragen dieser Forschungsrichtung der mutwilligen Zerstörung aller Hoffnung gleich kommt.

Bunte Zellen

Begeben wir uns im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Bild weg von der schematisierten Veranschaulichung komplexer Vorgänge auf die mikroskopische Ebene, sind die für die Bildinterpretation wichtigen Aspekte etwas anders gelagert. In der Regel geht es hierbei um die Sichtbarmachung bestimmter Strukturen, beispielsweise in einzelnen Zellen oder in Geweben. Heutige Mikroskope und Methoden ermöglichen auch die Beobachtung von Veränderungen in lebenden Zellen, zum Beispiel in Antwort auf ein bestimmtes Signal. Verborgene Welten können sich hier dem Betrachter eröffnen, ästhetisch allein schon wegen der unterschiedlichen Farben der fluoreszenzmarkierten Moleküle, ein Kunstwerk der Natur, generiert im Labor.

Die hauptsächliche Schwierigkeit in der Mikroskopie generell und in der Fluoreszenzmikroskopie im besonderen liegt darin, dass diese Techniken sehr viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordern, sie können also von unerfahrenen Wissenschaftlern nicht oder bestenfalls bei entsprechender Betreuung durchgeführt werden. Dabei ist jeder, der sich nicht über längere Zeit, oft Jahre, eingearbeitet hat, ein unerfahrener Wissenschaftler. Die Techniken sind zudem relativ zeitaufwändig, ein schwerwiegendes Problem in einer Epoche genereller Zeitnot und die Geräte sind komplex, extrem teuer, mit zahlreichen Einstellungen und Möglichkeiten.

Etliche Fehlerquellen beeinträchtigen demnach die Qualität fluoreszenzmikroskopischer Bilder und verfälschen so das Ergebnis mehr oder weniger stark bis hin zur völligen Falschaussage. Von der Kombination von Farbstoffen angefangen, deren Wellenlängen sich überschneiden, über die falsche Dicke der Deckgläser bis zu Zellen, die während der Mikroskopie absterben, reichen die zahllosen Möglichkeiten des experimentellen Reinfalls, der relativ oft nicht realisiert wird, weder von den Experimentatoren selbst noch von den Gutachtern ihrer Publikationen.21 So schätzen Experten, dass etwa die Hälfte von Aufnahmen, in denen zwei mit unterschiedlichen Farben markierte Proteine gleichzeitig nachgewiesen werden, nicht korrekt durchgeführt wurden, und dass 5 – 10 Prozent der publizierten fluoreszenzmikroskopischen Aufnahmen nicht mit dem übereinstimmen, was im zugehörigen Text aus ihnen geschlossen wird.22 Auch in so prestigeträchtigen Zeitschriften wie Nature werden regelmäßig fehlerhafte fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen gezeigt.23

Ein wesentliches Problem besteht auch darin, dass die Leser der Fachzeitschriften bereits an eine bestimmte Farbintensität und Ästhetik bei diesen Abbildungen gewöhnt sind, die jedoch nicht immer erreichbar ist. Doch häufig wird sie gerade von Gutachtern eingefordert, was dazu verführen mag, immer die am stärksten leuchtenden Zellen für die Darstellung zu verwenden und damit die Gefahr von Artefakten zu erhöhen. Auch ist es durchaus Praxis, bereits mit einer fixen Vorstellung, was man zu sehen erwartet, die häufig durch etablierte wissenschaftliche Sichtweisen vorgegeben ist, an die mikroskopischen Experimente heranzugehen, quasi als Krönung einer ansonsten abgeschlossenen Arbeit und schnell noch vor Fertigstellung des Manuskripts. „Then I scream […] because that’s terrible science“ sagt die Leiterin der Mikroskopie-Abteilung der New Yorker Rockefeller Universität.24 Durch die zu erwartende weitere Automatisierung der Mikroskope befürchten zudem etliche Fachleute, dass die Wahrscheinlichkeit für fehlerhafte Bilder noch steigen wird.25

Das leuchtende Hirn

Die Entwicklung hochkomplexer bildgebender Verfahren zur Darstellung von Organstrukturen und –funktionen hat radiodiagnostische Verfahren wesentlich sensitiver gemacht. In der Hirnforschung werden in den letzten Jahren einige dieser Techniken, wie die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) oder die Positronenemissionstomographie (PET), die Einblick in Anatomie und Stoffwechsel des Gehirns geben, auch zur Sichtbarmachung von Bewusstseinszuständen eingesetzt. Die mittlerweile auch der breiten Öffentlichkeit bekannt gemachten Bilder aktiver Hirnareale sind besonders hübsch anzusehen. Es handelt sich dabei um aus zahlreichen Messdaten erstellte mathematische Konstrukte – gemessen wird der Blutdurchfluss oder der Glukoseverbrauch –, die eigentlich statistische Gehirnbilder sind. Je nach Signifikanz werden dem Messpunkt dabei unterschiedliche Farben zugewiesen. Vereinfacht wird oft von „Aktivierung“ oder „Deaktivierung“ gesprochen, obwohl die „Aktivierung“ auch eine Abnahme der neuronalen Aktivität sein kann, wie der Freiburger Mediziner und Spezialist für Gehirnbilder Ludger Tebartz von Elst ausführt.26

Trotz des hohen Potenzials der funktionellen Bildgebung für das Gehirn – sie wird hier erfolgreich für eine Reihe diagnostischer und mikrochirurgischer Verfahren eingesetzt – ist sie zur Vermessung komplexer mentaler Leistungen derzeit nicht geeignet, weil die Phänomene dazu auf Teilaspekte reduziert werden müssen, zum Beispiel die romantische Liebe auf das „Betrachten von Bildern eines geliebten Menschen“.27 Fachleute wie Tebartz von Elst warnen daher davor, dass die Neurowissenschaft des 21. Jahrhunderts wie die Phrenologie des 19. Jahrhunderts endet, nämlich im Spott. Die Phrenologie versuchte, mentale Zustände einzelnen Hirnarealen zuzuweisen. Ein Zweig der Neurowissenschaft macht, unterstützt durch Bilder, die suggerieren, sie seien die Momentaufnahme eines aktuellen Zustands, eine objektive Beobachtung, heute nichts anderes.

Neue Forschungsrichtungen, beispielsweise die Neuroökonomie, die sich der Frage widmet, warum bestimmte Marken bevorzugt konsumiert werden, verwenden dessen ungeachtet Gehirnbilder als quasi objektive Messung zur Untermauerung komplexer mentaler Vorgänge. „Lieblingsmarke versetzt manche Hirnbereiche in helle Aufregung“, berichtete etwa der Stern 2005.28 Dass der Begriff Coca-Cola jene Gehirnareale „aktiviert“, die mit Emotionen zu tun haben, während Pepsi das nicht täte, obwohl Pepsi bei Blindverkostung den meisten besser schmeckt – der so genannte Coca-Cola-Effekt – begeisterte, so der Stern, die Marketingstrategen, die sich erhoffen, zukünftig mittels fMRI erfolgreiche Werbekampagnen zu entwickeln.29 Eine ähnlich gelagerte Studie erschien kürzlich in den prestigereichen PNAS, wo berichtet wird, dass bei Verkostung von Weinen die neuronale Aktivität im medialen orbitofrontalen Cortex und das Gefühl angenehmeren Geruchs stärker waren, wenn der Preis des Weins als hoch angegeben wurde, auch wenn der Wein eigentlich billig war.30 Der Frage, warum einen das Wort Coca-Cola oder ein hoher Weinpreis in irgendeiner Weise glücklich machen, wird in derartigen Studien nicht nachgegangen.

Auf der Suche nach neuronalen Korrelaten des Bewusstseins begibt sich die auf der Auswertung von Hirnscans basierende Forschung auf die Suche nach immer größeren Herausforderungen, so auch auf die Suche nach dem freien Willen.31 Man darf gespannt sein, wo der sitzt. Ob es ihn überhaupt gibt, ist ein kontroversieller Dauerbrenner im Diskurs zwischen Philosophen und Hirnforschern, der, zumindest von außen besehen, zum Teil auch auf Sprachschwierigkeiten zwischen den Disziplinen beruhen dürfte.32

Schlussbemerkung

Wissenschaftliche Bilder gibt es in unterschiedlichster Ausprägung, vom einfachen Diagramm zur komplexen Graphik, von der Momentaufnahme zellulärer Prozesse zur räumlichen Darstellung von Organen und des sich entwickelnden, im Mutterleib verborgenen Kindes, das erst durch die Sichtbarmachung zum Individuum wurde. Alle kennen die Fotographien des schwedischen Fotographen Lennart Nilsson, die 1965 erstmals in „Life Magazine“ erschienen und die dann im Buch „Ein Kind entsteht“ zusammengefasst wurden, das vor wenigen Jahren, versehen mit einer Reihe von 3D-Ultraschallbildern, neu aufgelegt wurde. Dass, wie Lennart Nilsson anlässlich der Neuauflage seines Buches mitteilte, gerade die berühmtesten Fotos von Kindern stammten, die zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits tot waren, wie etwa der am Daumen lutschende Fötus – die Fotos wurden unmittelbar nach dem Abbruch von Eileiterschwangerschaften gemacht33 – stimmt einen bedenklich. Ausgerechnet diese Fotos hatten seinerzeit in vielen jungen Frauen den Wunsch nach einem Kind geweckt.34 Sie sind ein plakatives Beispiel dafür, dass wir nicht alles sehen, was in einem Bild enthalten ist, dass wir aber eine Botschaft wahrnehmen, die mit der abgebildeten Realität nichts zu tun hat. Dementsprechend ist der Begriff der Bildanalyse weiter zu fassen, als es im naturwissenschaftlichen Sinn gemeint ist. Auch und gerade das wissenschaftliche Bild erfordert, als flankierende Maßnahme, die interdisziplinäre Reflexion über seinen Inhalt. Die Naturwissenschaft postuliert, „ihre Objektivität gefunden zu haben35, trotzdem erzählen auch diese Bilder eine Geschichte, wie Olaf Breidbach in seiner Abhandlung zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung darlegt. Ähnlich wie bestimmte Begriffe nicht einfach ein Wort sind, sind auch Bilder nicht nur das, was sie zeigen. Sich dies bewusst zu machen ist unumgänglich, um, soweit möglich, objektiv zu bleiben.

Referenzen

  1. Boehm G., Wie Bilder Sinn erzeugen – Die Macht des Zeigens, Berlin University Press, Berlin (2007), S. 35-36
  2. Pörksen U., Weltmarkt der Bilder – Eine Philosophie der Visiotypie, Klett-Cotta, Stuttgart (1997), S. 14
  3. Pörksen U., siehe Ref. 2, S. 27-28
  4. Werner-Felmayer G., Die Vorsicht der Schildkröten – Über Charles Darwin, den heimlichen Krieg der Natur und die zukünftigen Bewohner von Santa Rosalia, Berlin University Press, Berlin (2007), S. 57-64
  5. Werner-Felmayer G., siehe Ref. 4
    Voss J., Darwins Bilder – Ansichten der Evolutionstheorie 1837-1874, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main (2007), S. 147-163
    Pörksen U., siehe Ref. 2, S. 105-122
  6. Nee S., The great chain of being, Nature (2005); 435: 429
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  12. Pörksen U., siehe Ref. 2, S. 126-135
  13. de Chadrevian S., The Making of an Icon, Science (2003); 300: 255-257
  14. Werner-Felmayer G., siehe Ref. 4, S. 65-99
  15. Chargaff E., Das Feuer des Heraklit – Skizzen aus dem Leben vor der Natur, 2. Auflage, dtv, München (1995), S. 119
  16. Werner-Felmayer G., siehe Ref. 4, S. 65-99
  17. Godfrey-Smith P., Abstractions, Idealizations, and Evolutionary Biology, in: Barberousse A., Morange M., Pradeu T. (eds.), Mapping the Future of Biology: Evolving Concepts and Theories, The 2006 Paris Symposium “Making up Organisms”; http://www.people.fas.harvard.edu/~pgs/OnlinePapers/PGS AbstractnIdealizn06.pdf
  18. Frübis H., „Mapping the Human Genome“ – Bilder der Eroberung, Bildwelten des Wissens, Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik (Hrsg: H. Bredekamp, G. Werner), Akademie Verlag, Berlin (2003), S. 20-27
  19. Seeßlen G., Mad Scientist – Repräsentation des Wissenschaftlers im Film, Gegenworte (1999); 3: 44-47
  20. Seeßlen G., siehe Ref. 19
  21. Pearson H., The Good, The Bad and The Ugly, Nature (2007); 447: 138-140
  22. Pearson H., siehe Ref. 21
  23. Pearson H., siehe Ref. 21
  24. Pearson H., siehe Ref. 21
  25. Pearson H., siehe Ref. 21
  26. Tebartz van Elst L., Alles so schön bunt hier, Die Zeit – Wissen, 16. 08. 2007, Nr. 34 (http://www.zeit.de/2007/34/M-Seele-Imaging)
  27. Tebartz van Elst L., siehe Ref. 26
  28. Lehnen-Beyel I., Der Coca-Cola-Effekt, Der Stern, 21. 08. 2005 (http://www.stern.de/wissenschaft/mensch/:Markenvorlieben-Der-Coca-Cola-Effekt-/544521.html)
  29. Lehnen-Beyel I., siehe Ref. 28
  30. Plassmann H., O’Doherty J., Shiv B., Rangel A., Marketing actions can modulate neural representations of experienced pleasantness, Proc Natl Acad Sci USA, online 14. 01. 2008; 10.1073/pnas.0706929105
  31. Schulte von Drach M. C., Ich weiß, was Du denkst, sueddeutsche.de, 09. 02. 2007 (http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/476/101375/print.html)
  32. Schulte von Drach M. C., Der freie Wille ist nur ein gutes Gefühl, sueddeutsche.de, 25. 04. 2006 (http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/113/74039/print.html)
  33. Thimm U., Lennart Nilsson/Lars Hamberger: Ein Kind entsteht, Hessischer Rundfunk, 30. 08. 2004 (http://www.hr-online.de/website/rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=8912&jey=standard_document_2142026)
    An dieser Stelle danke ich Claudia Wiesemann, Bioethikerin an der Universität Göttingen, für ihren Hinweis auf Nilssons Fotos, die sie ausführlich diskutiert in ihrem Artikel:
    Wiesemann C., Relational ethics and the moral status of the embryo, in: Deltas C., Kalokairinou E., Rogge S. (eds.), Progress in Science and the danger of hubris – genetics, transplantation, stem-cell research, Waxmann Verlag, Münster (2006)
  34. Thimm U., siehe Ref. 33
  35. Breidbach O., Bilder des Wissens – Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung, Bild und Text, Wilhelm Fink Verlag, München (2005), S. 10

Anschrift der Autorin:

ao. Univ.-Prof. Dr. Gabriele Werner-Felmayer
Sektion für Biologische Chemie, Biozentrum, Medizinische Universität Innsbruck
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