Stammzellenforschung

Imago Hominis (2001); 8(2): 97-104
Carmen Czepe

Zusammenfassung

Die Stammzellentherapie verspricht die Heilung verschiedenster Leiden. Es gibt im Prinzip zwei Ansätze, um Stammzellen zu gewinnen. Einer ist adulte Stammzellen, wie Knochenmarkszellen, oder Zellen der Narbelschnur zu verwenden. Ein andere Weg bedient sich Embryonen und befruchteter Eizellen, um undifferenzierte Stammzellen zu erhalten. Bei dieser Prozedur wird der Embryo zerstört. Es ist klar, dass die letztgenannte Methode ethische Fragen aufwirft, nämlich ob es erlaubt ist einen menschlichen Embryo zu töten, um das Leben eines geborenen Menschen zu retten. Diese Frage gewinnt noch an Brisanz , wenn man die wissenschaftlichen Ergebnisse betrachtet, die zeigen dass die adulten Stammzellen eine grosse Plastizität besitzen und sich in die Zellen (zurück)differenzieren koennen, die fuer die Therapie gebraucht werden.

Schlüsselwörter: Stammzellentherapie, adulte Stammzellen, Embryo

Abstract

Stem cell therapy is promising to cure different ailments in the future. There are basically two different approaches to get stem cells. One is to use adult stemcells, like bone marrow cells or cells from the umbilical chord. Another approach is using embryos or fertilised oocytes to get undifferentiated stem cells. During this procedure the embryo is destroyed. It is clear that the latter method is raising ethical questions, whether it is allowed to destroy/kill a human embryo to save the life of a born human. This question gets a further stress as accumulating data points out, that adult stem cells show a great plasticity and can (re)differentiate into the cells, needed for therapy.

Keywords: Stem cell therapy, adult stemcells, embryo


Einleitung

Seitdem es Medizin und medizinische Forschung gibt, war es das Ziel des Menschen, Krankheiten zu bekämpfen. Mit den Methoden der Molekularbiologie scheint es, als könnte wieder eine Schlacht gewonnen werden. Fast tagtäglich hört man, dass eine neue Krebstherapie entwickelt wurde. Aktienkurse steigen in unermessliche Höhen, sobald ein Forschungsinstitut bekannt gibt, dass sich eine neue Therapie im Tierversuch bewährt hat.

Neuerdings hört man aber immer mehr von einer medizinischen Forschung, die ein Allheilmittel zu sein scheint. Sie verspricht die Heilung von Parkinson, Alzheimer, Diabetes, Aids, Krebs, um nur einiges zu nennen. Dieses Wundermittel ist die Stammzellentherapie. Stammzellen sollen gezüchtet und so differenziert werden, dass sie beschädigtes oder krankes Gewebe ersetzen können. Es gibt zwei Methoden Stammzellen zu erhalten. Die eine Möglichkeit ist das Isolieren von Stammzellen aus dem Körper des Patienten. Das sind die sogenannten adulten Stammzellen. Bei der anderen Methode werden die Zellen eines Embryos entnommen. Diese Methode schließt die Vernichtung von menschlichen Embryonen mit ein und ist daher ethisch bedenklich. In diesem Artikel soll auf mögliche Alternativen zu den embryonalen Stammzellen eingegangen und andererseits auch ein Überblick über den derzeitigen Forschungsstand der Stammzellenforschung gegeben werden.

Über den Status des menschlichen Embryos in der Forschung

Prinzipiell gibt es in den Staaten der Welt keine einheitliche Sicht, ab wann ein Embryo schützenswert ist. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ab wann menschliches Leben beginnt und ab wann es daher schützenswert ist. Diese Frage wird von den verschiedenen Staaten, aber auch verschiedenen Religionen unterschiedlich beantwortet. In den zumeist christlichen Staaten Europas galt der Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle als Beginn des menschlichen Lebens. Diese Definition führte zu ethischen Problemen als die Technik der In vitro Fertilisation entwickelt wurde. Die meisten Länder einigten sich darauf, dass der Kinderwunsch eines Ehepaares Vorrang habe vor der Tatsache, dass übriggebliebene Embryonen nach einer gewissen Zeit vernichtet werden. In Österreich werden in vitro fertilisierte Embryonen eingefroren, um sie dann nach Ablauf eines Jahres aufzutauen, was ihren Tod bedeutet. Großbritannien ging da einen anderen Weg. Dort gilt ein Embryo erst dann als schützenswertes menschliches Leben, wenn die Entwicklung des Nervensystems beginnt. Dies ist ungefähr 14 Tage nach der Befruchtung der Fall. Davor wird er Präembryo genannt und kann für Forschungszwecke verwendet werden. Anträge für dererlei Experimente wurden und werden von der HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) geprüft. In den USA ist es der staatlichen Forschung untersagt mit Embryonen zu experimentieren, allerdings gilt dieses Verbot nicht für private Forschungseinrichtungen. Um Missbrauch zu vermeiden, gibt es in diesem Falle Ethikkommissionen, die jeden Antrag überprüfen, ob es wirklich „gerechtfertigt“ ist, für diesen Antrag Embryonen zu verwenden, d.h. ob es nicht Methoden gibt, die dasselbe Ergebnis erbringen, aber ohne die Vernichtung eines Embryos.

Interessanterweise ist es der staatlichen Forschung zwar untersagt Zelllinien aus menschlichen Embryonen herzustellen, es ist ihnen aber nicht verboten, diese Zelllinien dann von privaten Forschungseinrichtungen zu beziehen. Eine ähnliche Gesetzgebung gibt es im Bundesstaat Viktoria in Australien. Auch dort ist es verboten, embryonale Stammzellen zu gewinnen, aber die Arbeit mit ihnen ist erlaubt. In anderen Bundesstaaten Australiens, nämlich New South Wales und Queensland ist die „verbrauchende Embryonenforschung“ gestattet.

Angesichts dieses Vergleichs verschiedener Staaten ist es nicht verwunderlich, dass es ausgerechnet in Großbritannien im Jahr 2000 den Antrag zur Änderung des „The Human Fertilisation and Embryology Act 1990“ gab. Die Abstimmung am 19. Dezember im „House of Commons“  als auch die Abstimmung am 22. Jänner 2001 im „House of Lords“ führte zu einer Gesetzesänderung, die nicht nur das freiere Arbeiten mit menschlichen Embryonen erlaubt, sondern auch Kerntransferversuche. Dies ist die Technologie, die den Klon Dolly produzierte. Allerdings dürfen menschliche Klone, die auf diese Art und Weise entstehen, nicht in den Uterus einer Frau verpflanzt werden und sich zu einem Menschen entwickeln. Das wäre reproduktives Klonen und ist nach wie vor verboten. Therapeutisches Klonen, d.h. das Herstellen von Embryonen für medizinische Zwecke ist hingegen erlaubt.

Die Lockerung des Gesetzes stützt sich auf ein Gutachten der „Chief medical officer´s expert group“, die Ersatzverfahren, wie die Verwendung von adulten Stammzellen für die Therapie wenig Chancen einräumte.1

Was sind Stammzellen?

Bevor nun die Möglichkeiten und Nachteile der humanen embryonalen Stammzellen vs. den adulten Stammzellen dargelegt werden, sollen einige Klarstellungen über die Definition einer Stammzelle gegeben werden. Stammzellen sind Zellen, die sich einerseits selbst replizieren und andererseits mindestens eine differenzierte Zellpopulation hervorbringen können. Selbstreplikation bedeutet, dass durch Zellteilung Zellen hervorgehen, die ident zu der Zelle sind, von der sie abstammen. Differenzierung ist im Gegensatz dazu die Bildung von Zellen, die sich hinsichtlich ihrer Funktion (z.B. Rote Blutkörperchen) und ihrer Oberflächenproteine von der Stammzelle (z.B. Knochenmarkszelle) unterscheiden. Allerdings kann eine Knochenmarkszelle differenzierte Zellen produzieren, die ihrerseits wieder Stammzellen sind, z.B. für die B- oder T-Zellen des Immunsystems.

Aus diesem Grunde unterscheidet man zwischen totipotenten und multipotenten Stammzellen. Totipotente Stammzellen, können sich in jede Art von Zelle differenzieren, während die multipotenten sich nur mehr in ein geringeres Spektrum von Zelltypen differenzieren können; so kann eine Pro T-Zelle sich nur mehr in T-Killerzellen oder T-Helferzellen differenzieren. Ein Merkmal von differenzierten Zellen ist der Verlust der Fähigkeit sich unbegrenzt zu vermehren.

Quellen und Gewinnung der Stammzellen

Es gibt prinzipiell sechs verschiedene Möglichkeiten, Stammzellen zu gewinnen, aber nur drei davon sind ethisch unbedenklich (4-6), da kein menschliches Leben vernichtet wird:

  1. Aus den Keimzellen (EG = Embryonic germ cells) oder Organen eines abgetriebenen Fötus.
  2. Aus Embryonen (Blastocysten), die durch in vitro Fertilisation (IVF) erzeugt wurden, wobei zwei Fälle unterschieden werden können, nämlich, dass im ersteren Blastocysten, die quasi „übriggebliebenen“, verwendet werden, d.h. Embryonen, die nicht mehr transferiert werden, und im anderen Falle Embryonen, die extra für die Forschung hergestellt werden.
  3. Von Embryonen, die aus der künstlich herbeigeführten Verschmelzung eines Zellkernes aus einer erwachsenen Zelle und einer Eizelle, von der der Zellkern entfernt wurde, entstanden sind. Diese Methode wird oft als Klonen bezeichnet und wird wahrscheinlich auch die Grundlage des therapeutischen Klonens bilden. Dabei wird der Zellkern aus einer Zelle des Patienten entnommen und in eine Oocyte (Eizelle) transferiert. Die Eizelle wird danach aktiviert und fängt an, sich zu einem Embryo zu entwickeln. Im Blastocysten-Stadium werden die Zellen der „Inneren Zellmasse“ (ICM) entnommen und als Zellkultur angelegt. Man sollte nicht verschweigen, dass es die Zellen der ICM sind, die den eigentlichen Embryo bilden.
  4. Aus Nabelschnur-Blutzellen, die bei der Geburt entnommen wurden. Man kann allerdings auch die gesamte Nabelschnur einfrieren und erst später die Zellen entnehmen.
  5. Aus erwachsenem Gewebe, z.B. Knochenmark. Erwachsenes Gewebe enthält oft eine erstaunlich hohe Anzahl an Stammzellen, die hauptsächlich abgestorbenes oder beschädigtes Gewebe regenerieren sollen. So müssen Knochenmarkszellen immer wieder rote Blutkörperchen und Vorläuferzellen des Immunsystems produzieren.
  6. Aus differenzierten Gewebezellen, die so reprogrammiert werden sollen, dass sie sich wieder wie Stammzellen verhalten (unbegrenzte Zellteilung, Verlust der spezifischen Oberflächenproteine).

Es soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass sich alle sechs Methoden im Moment noch im Forschungsstadium befinden und das fast ausschließlich im tierischen Bereich und es daher noch nicht möglich ist, abzuschätzen, welche wirklich erfolgreich sind und daher in der Therapie Anwendung finden werden.

Allgemeine Probleme und Fragestellungen der Stammzellenforschung

Obwohl in den letzten Jahren die Zellbiologie und die Entwicklungsbiologie viele Details über die Differenzierung von Zellen und die Entwicklung von Organen erforscht hat, gibt es trotzdem noch keine wirkliche Kenntnis wie, d.h. unter welchen Bedingungen sie differenzieren. Man weiß z.B., dass Mitglieder der BMP (Bone morphogenetic protein) Genfamilie in der Lage sind, Zellen in Knochensubstanz produzierende Osteoblasten zu transformieren. Dieselben BMPs aber spielen unter anderem auch eine Rolle in der Entwicklung des Nervensystems. Man sieht, dass eine genaue Kenntnis der wichtigen (und oftmals zahlreichen) Faktoren notwendig ist, um Zellen in die gewünschte Differenzierungsrichtung zu bringen. Außerdem spielt die Umgebung, in der sich die (Stamm)zellen befinden, eine wichtige Rolle, was die Richtung betrifft, in die sich die Zellen entwickeln. So konnten ausdifferenzierte Zellen aus dem Vorderhirn von Ratten in Blutzellen differenzieren als diese in bestrahlte Mäuse injiziert wurden.2 Die Bestrahlung zerstörte alle Knochenmarkszellen, d.h. diese Tiere konnten keine eigenen Blutzellen mehr bilden. Man beachte, dass es sich bei diesem Versuch nicht einmal um adulte Stammzellen gehandelt hat, sondern schon um ausdifferenzierte Nervenzellen, eine Gruppe von Zellen also, von denen man nicht annahm, dass sie eine besondere Wandlungsfähigkeit besitzen.

Einer anderen Gruppe gelang es, mit einem ähnlichen Versuch (wobei hier Knochmarkszellen in die bestrahlten Mäuse injiziert wurden) sogar Neuronen aus diesen injizierten Zellen zu bilden. Bis jetzt galt es als unverrückbare Tatsache, dass nach der Ausbildung des Nervensystems keine neuen Nervenzellen gebildet werden können und daher Verletzungen einen dauerhaften Schaden verursachen können.

Stand der embryonalen Stammzellforschung

Seit dem Jahr 1981 ist es möglich, pluripotente embryonale Stammzelllinien (ES) aus Mausblastocysten zu gewinnen. Diese Zellen zeigen in der Kultur die Fähigkeit, unbegrenzt Zellteilungen durchzuführen, ohne dabei zu differenzieren. Sie haben eine hohe Telomeraseaktivität, was bedeutet, dass sie nicht vorzeitig altern. Der Alterungsprozess wird wahrscheinlich durch die Länge der Telomere getrieben. Mit jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere, die als eine Art Schutzkappe am Ende der Chromosomen sitzen. Sind sie zu kurz, wird die DNA an den Enden der Chromosomen immer kürzer, und zwar durch Abbau von Enzymen, die freivorliegende DNA abbauen wie auch bei jeder Verdopplung. Diese hohe Telomeraseaktivität konnte jedoch nur in Maus ES Zelllinien beobachtet werden. Menschliche Zellen verhalten sich da anders und Ergebnisse, die sich in der tierischen ES Forschung ergeben, können nicht so ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. Dies ist ein großer Nachteil der humanen embryonalen Stammzellenforschung.

ES Zellen entwickeln sich zu Teratomata, wenn sie in Mäuse injiziert werden. Histologische Analysen zeigten, dass differenzierte Zellen jedes Keimblattes (Ektoderm, Mesoderm und Endoderm) vorhanden waren. Außerdem finden sich in ihnen auch Zahnanlagen, Haare und Nervenzellen. Dieser Versuch wurde im Übrigen auch mit menschlichen ES Zellen gemacht, und dabei entwickelten sich ebenfalls Teratomata. Diese Gebilde sind aber krebsartige Gewebeansammlungen und es kann nicht von einer gezielten Entwicklung gesprochen werden.3

Weitere Versuche mit undifferenzierten ES Zellen in Kultur unter veränderten Kulturbedingungen führten zu Differenzierungen der ES Zellen.4 Aber dabei handelt es sich noch lange nicht um Zellen, die irgendwelche Gewebe bilden und damit in der Therapie Anwendung finden könnten, besonders im Falle der menschlichen ES Zellen.

Später konnten dann ebenfalls pluripotente Zelllinien aus embryonalen Keimzellen (EG) der Maus hergestellt werden.5 Es zeigte sich allerdings, dass es nicht so leicht war ES und EG Zelllinien aus anderen Spezies als der Maus zu gewinnen. So dauerte es einige Jahre auch ES z.B. aus dem Hamster zu gewinnen.

1998 gelang es James Thompson eine humane ES Zelllinie aus IVF Embryonen zu isolieren.6 Etwas später gewann John Gearhart ebenfalls solche Zellen aus abgetriebenen Embryonen.7 Sie zeigten dasselbe Verhalten wie die ES Zellen aus Mäusen, d.h. sie entwickelten sich zu Teratomen bei der Injektion in Mäuse.

Das größte Problem, das sich diesen Forschern stellt ist die weitere und gerichtete Differenzierung der ES- Zellen, und die ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, obwohl Projekte in dieser Richtung im Gange sind. Allerdings ist es interessant, dass mehr Publikationen zum Thema adulte Stammzellentherapie herauskommen, als solche über ES- Zellen und ihre Anwendung in der Therapie.

Es wird oft das Argument gebracht, dass man den Embryo zum Wohle des erwachsenen Menschen opfern könnte. Man sollte aber bedenken, dass es zur Zeit nicht der Fall ist, dass ein Embryo vernichtet wird und dafür ein Geborener gesund wird. Es geht im Moment nur um die Erforschung dieser Möglichkeit und Unmengen an Embryonen würden benötigt werden, um diese Art der Forschung voranzutreiben, wie das Beispiel Englands beweist. So wurden dort in der Zeit zwischen 1991-1998 48.444 IVF Embryonen für Forschungszwecke verwendet und 118 Embryonen allein für wissenschaftliche Experimente hergestellt.8 Die geänderte Gesetzgebung wird diese Zahlen noch weiter in die Höhe treiben. Für die Kerntransfermethode müssten Unmengen an Eizellen zur Verfügung stehen und es stellt sich die Frage, wer die denn spenden soll. Es kann hier zu einer Ausbeutung von armen Frauen, insbesondere in der dritten Welt kommen. Der Ausweg, Rindereizellen zu verwenden, würde die Bildung von Chimären bedeuten, und das ist zur Zeit in Europa noch verboten. Über die Konsequenzen die eine Erlaubnis dieser Technik haben könnte, kann man zur Zeit noch gar nichts sagen.

Kaum einer der Forscher, der in die humanen ES Stammzellenforschung involviert ist, erwähnt, dass man diese Forschung auch an Rhesusaffen (als Modellorganismus für humane Differenzierungsprozesse) durchführen könnte, um Einsicht in diese Prozesse zu gewinnen, obwohl auch das nicht unbedingt nötig wäre, da die Aufklärung über die Differenzierung der Zellen ein Hauptaufgabengebiet der Entwicklungsbiologie und -genetik ist. Dort werden als Modellorganismen Maus, Huhn, Frosch und Fruchtfliege verwendet.

Humane adulte Stammzellen

Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Zelllinien um teildifferenzierte Zellen aus verschiedenen Geweben handelt. Es ist daher einleuchtend, dass man wahrscheinlich aus diesen Zellen leichter entdifferenzierte Zellen erhält, als aus embryonalen, da viel weniger Differenzierungsschritte durchlaufen werden müssen. Als Beispiel sollen die Knochenmarkszellen angeführt werden, die das Potential besitzen einerseits alle zellulären Bestandteile des Blutes als auch des Immunsystems zu bilden. So war es z.B. möglich menschliche Patienten mit gentechnisch veränderten Knochenmarkszellen erfolgreich von SCID (Severe Combined Immunodeficiency) zu heilen. Dieser Gendefekt erlaubt den Patienten nicht, funktionale T- und NK-Zellen (wichtige Zellen des Immunsystems) zu bilden. Den Patienten wurde nun mittels Gentherapie ein funktionierentes Gen für den Teil, der defekt ist, eingeschleust. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Behandlung von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein wird.9 Allerdings leben die Patienten nach dieser Behandlung wie normale Menschen und müssen nicht in einer sterilen Umgebung verbleiben.

Eine andere erfolgreiche Behandlung mit adulten Stammzellen, wenn auch im Moment erst im Tierversuch gezeigt, ist die Transplantation von gesunden Zellen, die aus den Gängen des Pankreas isoliert worden sind, in Mäuse, die an Diabetes erkrankt waren. Die Zellen aus dem Pankreas differenzierten in insulinproduzierende Langerhanszellen und erlaubten so eine Heilung der Mäuse.10 Zur Zeit beschäftigt sich eine andere Forschungsgruppe mit der Isolierung von Stammzellen aus dem Pankreas. Sie fand Oberflächenmarker an den Zelloberflächen, die unter anderem für neuronale Zellen spezifisch sind.11

Andererseits gibt es auch Forschungsberichte, in denen von erfolgreichen Versuchen berichtet wird, adulte Stammzellen zu redifferenzieren, damit sie die Möglichkeit erlangen, sich dann später wieder in ein breiteres Spektrum von Gewebezellen zu differenzieren.11 Es ist also höchstwahrscheinlich möglich, aus einigen Quellen von adulten Stammzellen (z.B. Knochenmark) Zelllinien zu gewinnen, die man dann unter geeigneten Kulturbedingungen in eine totipotente Stammzelle, die also quasi einer embryonalen Stammzelle entspricht, verwandelt. Damit wäre das Argument, dass man mit adulten Stammzellen nur ganz bestimmte Gewebezellen bilden kann, hinfällig. Dieses Argument leitet sich aus der alten Vorstellung ab, dass Zellen, wenn sie einmal differenziert sind, für immer in diesem Stadium bleiben müssen. Heutzutage beginnt man zu erkennen, wie plastisch Zellen sind und dass es für sie möglich ist, sich wieder zu ihren Stammzellen zurückzuverwandeln, um dann eine ganz andere Entwicklungslinie einzuschlagen. Wie groß diese Möglichkeiten sind, kann man noch nicht abschätzen. Es zeigt sich also, dass die Erforschung der adulten Stammzellen nicht nur für eine spätere Anwendung in der Therapie von großem Nutzen sein könnte, sondern dass sie auch einen großen Zuwachs an wissenschaftlicher Erkenntnis mit sich bringt.

Ein anderer Punkt, der immer wieder in der Diskussion adulte Stammzelle vs. embryonaler Stammzelle fällt, ist die Meinung, dass adulte Stammzellen nur langsam wachsen und bedingt in einer Zellkultur haltbar seien. David Colter und seine Forschungsgruppe entwickelten ein Methoden-Protokoll, das es erlaubt, schnellwachsende adulte Stammzellkulturen zu bekommen.12 Und man sollte nicht vergessen, dass auch die humane embryonale Stammzellenforschung noch viele Hindernisse zu überwinden hat.

Es zeigt sich also immer mehr, dass adulte Stammzellen zumindest die gleichen therapeutischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten mitbringen, wie die embryonalen, mit dem einzigen Unterschied, dass die Forschung an adulten Stammzellen und in späterer Folge ihre Anwendung ethisch unbedenklich ist.

Glossar:

Ektoderm: Es bildet die äußerste Schicht des Embryos. Aus ihm entwickelt sich die Haut (Epidermis) und das Nervensystem.

Mesoderm: Liegt zwischen dem Ekto- und dem Endoderm. Aus ihm bilden sich Blut, Herz, Nieren, Gonaden, Knochen und das Bindegewebe.

Endoderm: Das Endoderm ist die innerste Schicht des Embryos. Aus diesem Keimblatt entwickelt sich der Darm und seine Derivate (z.B. die Lunge).

Chimäre: Nennt man in der Genetik das Verschmelzen genetischer Information zweier Spezies in einem Organismus. Bei den Rindereizellen, in die menschliche Kerne verpflanzt wurden, gibt es DNA, die vom Menschen stammt (Kern) und DNA, die aus den Rindermitochondrien stammt.

Teratome (Teratocarcinome): Teratome beinhalten eine undifferenzierte Stammzellenpopulation, die sehr ähnlich den Zellen der ICM ist. Diese Zellen können sich in viele Gewebearten differenzieren, wie z.B. Darm, Lungenepithel, Muskeln, Nerven, Haare, Zähne, Knorpel und Knochen. Teratome entstehen entweder spontan oder durch Experimente, in denen Blastocysten in die Versuchstiere injiziert werden.

Telomere: sind die Enden eukaryotischer Chromosomen. Telomere zeigen einzigartige Strukturen, unter anderem das Vorkommen von kurzen Nukleotidsequenzen, die vielfach wiederholt hintereinander vorkommen (tandem repeated units).

Telomerase: Dieses Enzym kann Nukleotidsequenzen an die Telomere anhängen und ist wahrscheinlich fähig, die Enden der Chromosomen zu replizieren. Diese Replikation der Enden kann die normale DNA Polymerase nicht bewerkstelligen.

Referenzen

  1. Chief medical officer´s expert group; Stem cell research: Medical progress with responsibility, Department of Health; www.doh.gov.uk/cegc/stemcellreport.htm
  2. Bjornson et al., Turning Brain into Blood: A Hematopoietic Fate Adopted by Adult Neural Stem cells in Vivom, Science (1999); 283: 534-7
  3. Thompson J. A., Itskoviz-Eldor J., Shapiro S. S., Waknitz M. A., Swiergiel J. J., Marshall V. S., Jones J. M., Embryonic stem cell lines derived from human blastocyts, Science (1998); 282: 1145-7
  4. Evans M. J. et al., Establishment in culture of pluripotent cells from mouse embryos, Nature(1981); 292: 154-156; Martin, G. B. et al., Isolation of a pluripotent cell line from early mouse embryos cultured in medium conditioned by teratocarcinoma stem cells, Proc. Nat. Acad. Sci. U.S.A (1981); 78: 7634-7638
  5. Matsui Y. et al., Derivation of pluripotent embryonic stem cells from murin primordial germ cells in culture, Cell (1992); 70: 841-847; Resnick J. L. et al., Long term proliferation of mouse primordial germ cells in culture, Nature (1992); 359: 550-551
  6. Thomson J. A. et al., Embryonic Stem Cell Lines Derived from Human Blastocyts, Science (1998); 282: 1145-1147
  7. Gearhart J. D. et al., Derivation of pluripotent stem cells from cultured human primordial germ cells, Proc. Nat. Acad. Sci (1998); 95: 13726-13731
  8. Chief medical officer´s expert group; Stem cell research: Medical progress with responsibility, Department of Health; www.doh.gov.uk /cegc/stemcellreport.htm
  9. Cavazzana-Calvo M. et al., Gene Therapy of Human Severe Combined Immunodefiecieny (SCID) –X1 Disease, Science (2000); 288: 5466
  10. Ramiya V. et al., Reversal of insulin-dependent diabetes using islets generated in vitro from pancreatic stem cells, Nature Medicine (2000); 6: 3
  11. Zulewski et al., Multipotential nestin-positive cells isolated from adult pancreatic islets differentiate ex vivo into pancreatic endocrine, exocrine, and hepatic phenotypes, Diabetes (2001); 50: 521-33
  12. Pittinger et al., Multilineage Potential of Adult Human Mesenchymal Stem cells, Science (1999); 284: 143; Clarke D., Generalized Potential of Adult Neural Stem Cells, Science (2000); 288: 1660
  13. Colter, D. et al., Rapid expansion of recycling stem cells in culture of plastic adherent cells from human bone marrow, Proc. Nat. Acad. Sci. USA (2000); 97: 3213-3218

Anschrift der Autorin:

Carmen Czepe, Mariahilferstraße 93/25, A-1060 Wien
Ludwig Boltzmann Institut, A-1200 Wien

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: