Erklärung zum Geburtenrückgang in der Welt. Aufmerksamkeit gegenüber den demographischen Entwicklungen

Imago Hominis (1998); 5(3): 203-209
Päpstlicher Rat für die Familie

Die Wahrheit über die demographischen Entwicklungen in den verschiedenen Ländern der Erde ist nicht mehr zu bestreiten. Es wir immer offensichtlicher und allgemein anerkannt, daß die Welt sich in einer Phase bedeutender Verlangsamung des Bevölkerungswachstums befindet, deren Beginn um das Jahr 1968 anzusiedeln ist. In 51 Ländern ist die Geburtenrate schon unter die Schwelle des Generationenersatzes gesunken. Etwa fünfzehn dieser Länder verzeichnen darüber hinaus höhere Sterbe- als Geburtenzahlen. Diese Tatsachen wahrer Solidarität, die entschieden auf die Zukunft ausgerichtet sind und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte achten, deren 50jähriges Jubiläum wir dieses Jahr begehen, sind ergreifend.

Dem ihm übertragenen Mandat gemäß verfolgt der Päpstliche Rat für die Familie die Bevölkerungsentwicklung der verschiedenen Länder der Erde aus nächster Nähe.1 Zu diesem Zweck hat der Rat schon mehrere Zusammenkünfte für Experten von internationalem Rang einberufen. Verschiedene Versammlungen haben eine detailliertere Untersuchung der Zustände in diesem oder jenem Kontinent ermöglicht.

So wurde zum Beispiel die Lage in Amerika bei einem Kongreß in Mexiko2 untersucht (21.-23.April 1993). Die Situation in Asien und Ozeanien wurde im Laufe eines Kolloquiums in Taipeh3 erörtert (18. bis 20.September 1995), und die verschiedenen Formen der demographischen Entwicklung in den europäischen Ländern wurden in Rom4 untersucht (17.-19.Oktober 1996). Der Päpstliche Rat für die Familie bereitet gegenwärtig eine der Lage in den afrikanischen Staaten gewidmete Versammlung vor.

Zur gleichen Zeit beobachtet der Päpstliche Rat für die Familie die Arbeiten der Forschungszentren, die sich mit demographischen Fragen befassen, mit Aufmerksamkeit und Interesse. Unter diesen Zentren ist vor allem die Abteilung für Bevölkerung des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen zu nennen. Vom 4. bis 6.November 1997 hat diese hochrangige Einrichtung vierzehn international bekannte Experten zusammengerufen, um über die gegenwärtige Bedeutung des Fertilitätsrückgangs auf globaler Ebene, über seine Ursachen und Folgen zu diskutieren. Diese Experten konnten nur das bestätigen, was alle demographischen Daten schon seit mehreren Jahren anzeigen: und zwar, daß der Rückgang der Fruchtbarkeit, der schon seit zwanzig Jahren in der Mehrzahl der Industrieländer – Nord- und Westeuropas, Kanadas, der Vereinigte Staaten, Japans, Australiens, Neuseelands – zu beobachten ist, sich inzwischen auf eine wachsende Anzahl von Entwicklungsländern in Süd- und Osteuropa, in Asien und der Karibik ausgedehnt hat, was wiederum zu einem Abfall der Fertilitätsrate („total fertility rate“ oder TFR) unter die Schwelle des „Generationenersatzes“ geführt hat, und dies in 51 Staaten der Erde, wo 44% der Weltbevölkerung leben. Einer der Experten bemerkte zum Thema dieser beständigen Abnahme seit 1975 in den Ländern, die schon damals schwache Geburtenziffern aufwiesen: „Wenn der Umschwung der Fruchtbarkeit einmal begonnen hat, setzt sich sein steter Niedergang unweigerlich fort“5.

Eine pauschale und irrige Auffassung

Seit allzu langer Zeit verbreiten die meisten Abhandlungen über die Bevölkerungsentwicklung eine pauschale und falsche Auffassung, wonach die Welt in einer beachtlichen, ja sogar „galoppierenden“ Spirale der Bevölkerungszunahme gefangen wäre, die zu einer „Bevölkerungsexplosion“ führe. Der Päpstliche Rat für die Familie, der in einer seiner Veröffentlichungen6 die Grundlosigkeit dieser „allgemeinen Auffassung“ dargelegt hatte, freut sich, feststellen zu können, daß sogar innerhalb einiger Organisationen der Vereinten Nationen die wahren Tatsachen über Bevölkerungsentwicklung langsam anerkannt werden. Seit etwa dreißig Jahren riefen nämlich die von diesen Organisationen veranstalteten Konferenzen unbegründete Befürchtungen hinsichtlich demographischer Fragen hervor, vor allem in den südlichen Ländern. Auf dieser alarmierend beunruhigenden Grundlage haben verschiedene Einrichtungen der Vereinten Nationen – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart – bedeutende finanzielle Mittel investiert mit dem Ziel, zahlreiche Länder zur Durchsetzung einer Politik der Bevölkerungsdrosselung zu zwingen. Es ist erwiesen, daß diese Programme, die immer von außen kontrolliert werden, normalerweise Zwangsmaßnahmen zur Geburtenkontrolle mit sich bringen. Auch die Entwicklungshilfe wird regelmäßig der Durchführung von Programmen zur Kontrolle der Bevölkerungszunahme unterworfen, einschließlich Zwangssterilisierung oder Sterilisierung ohne das Wissen der Betroffenen. Diese malthusianistischen Maßnahmen werden überdies von den nationalen Regierungen durchgeführt und durch den Beitrag der Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) erweitert, deren bekannteste wohl der Internationale Verband für Familienplanung (IPPF) ist.

In den armen Ländern sind die ersten Opfer dieser Programme die unschuldigen und schutzlosen Bevölkerungsschichten. Man täuscht sie absichtlich, indem man sie zur Einwilligung in ihre Verstümmelung drängt, unter dem lügnerischen Vorwand, daß das – für sie – die Voraussetzung für ihren Fortschritt ist.

Überalterung der Bevölkerung und Bevölkerungsabnahme

Diese katastrophale Politik steht in vollkommenem Gegensatz zu den tatsächlichen demographischen Entwicklungen, wie sie aus den Statistiken und aus der Auswertung der verfügbaren Daten hervorgehen. Seit dreißig Jahren geht die Zuwachsrate der Weltbevölkerung in gleichmäßigem und bedeutendem Rhythmus zurück. Von 185 Ländern der Erde haben 51 in den vergangenen Jahren einen beeindruckenden Niedergang ihrer Fruchtbarkeit verzeichnet, und inzwischen reichen ihre Geburtenziffern nicht mehr aus, um die Sterbeziffern auszugleichen. Es sei darauf hingewiesen, daß in diesen 51 Ländern 44% der Weltbevölkerung leben. Anders ausgedrückt: Die Fruchtbarkeitsrate dieser Länder, das heißt die Zahl der Kinder pro Frau, liegt unter 2,1. Man weiß, daß das notwendige minimale Niveau zur Erneuerung der Generationen in den über gute Gesundheitsbedingungen verfügenden Ländern bei diesem Wert liegt.

Diese Situation findet man in fast allen Erdteilen. So haben folgende Länder eine Fruchtbarkeitsrate, die unter der Schwelle des Generationenersatzes liegt: in Amerika: die Vereinigten Staaten, Kanada, Kuba und die Mehrzahl der karibischen Inseln; in Asien: Georgien, Thailand, China, Japan und Südkorea; in Ozeanien: Australien, ferner fast alle der vierzig Länder Europas. In diesem letztgenannten Kontinent führt die Verschärfung der Auswirkungen des Alterns inzwischen zur Entvölkerung, mit einer Sterbeziffer, die höher ist als die Geburtenzahl. Diese negative Bilanz ist in dreizehn Ländern schon Tatsache geworden, so zum Beispiel in Estland, Lettland, Deutschland, Weißrußland, Bulgarien, Ungarn, Rußland, Spanien und Italien.

Über die Bevölkerungsüberalterung hinaus, die er nach sich zieht, stellt dieser Rückgang der Fruchtbarkeit in vielen Gegenden noch eine besonders beängstigende Frage, nämlich die der Bevölkerungsabnahme – mit allen negativen Auswirkungen, die unweigerlich damit einhergehen. Die Aussicht, die sich ergibt, ist eine Zunahme der Länder mit einer Fruchtbarkeitsrate unterhalb der Schwelle des Generationenersatzes. Ebenso steht fest, daß die Zahl der Länder mit höheren Sterbe- als Geburtenziffern zunehmen wird.

Die Wahrnehmung dieser Tatsachen, die den aufmerksamen Bevölkerungsforschern schon lange bekannt sind, ist bei den Medien, in der öffentlichen Meinung und bei den Entscheidungsträgern noch fast unbekannt. Sie wurde bei den internationalen Konferenzen praktisch mit Stillschweigen übergangen, wie z.B. anläßlich der Konferenz von Kairo 1994 oder der von Peking 1995 festzustellen war.

Vielfältige Ursachen

Die Ursachen dieser noch nicht in die Öffentlichkeit gedrungenen Situation sind sicherlich vielfältig. J.Cl.Chesnais vom „Institut National d‘Etudes Démographiques“ (Paris) hat sie bei der obengenannten Expertenkonferenz bereits im Detail analysiert.7

Einige davon sind auf jeden Fall recht einfach auszumachen. In einer absolut nicht „ehe-fördernden“ Umgebung hat die Zahl der Eheschließungen stark nachgelassen. Dies bedeutet, daß die Leute seltener heiraten als früher. Das Durchschnittsalter bei der Mutterschaft hat bedeutend zugenommen und steigt noch weiter. Die Gesetze der Arbeitswelt fördern keineswegs den Wunsch der Frauen, Familienleben und Berufstätigkeit harmonisch zu vereinen. Der Mangel an einer wahren Familienpolitik, und zwar gerade in den Ländern, die direkt von einem merklichen Bevölkerungs- rückgang betroffen sind, führt dazu, daß die Familien nicht so viele Kinder haben können, wie sie eigentlich möchten: Man schätzt den Unterschied zwischen der Kinderzahl, die die europäischen Frauen wünschen, und der Zahl, die sie effektiv haben, auf etwa 0,6 Kind pro Frau.8

J.Cl.Chesnais beschließt seinen Bericht über die Ursachen des Fertilitätsrückgangs mit der Einführung eines neuen Faktors in den demographischen Bereich. Dieser Faktor war bisher von den Bevölkerungswissenschaftlern vollständig vernachlässigt worden: Es handelt sich um das von der Bevölkerung gelebte Verhältnis zwischen Pessimismus und Hoffnung. Nach Meinung dieses Autors kann ein Wiederansteigen der Fertilität in den Ländern mit Bevölkerungsrückgang nur dann erwartet werden, wenn es vorher zu einem „Stimmungsumschwung“ in diesen Ländern kommt, d.h. zum Übergang vom gegenwärtigen Pessimismus zu einer inneren Einstellung, die mit der des „Baby-boom“-Zeitalters beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen ist.9

Neben diesen Ursachen, die mit den Lebensbedingungen und gewissen sozio-kulturellen Anpassungen in den Industrieländern zusammenhängen, gibt es weitere Faktoren, die den Bevölkerungsrückgang unmittelbar mit dem Willen des Menschen, also seiner Verantwortung, verbinden. Es handelt sich um die Maßnahmen und die Politik der freiwilligen Geburtenbeschränkung. Die Verbreitung der chemischen Empfängnisverhütungsmethoden, und oft auch die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, wurden zur selben Zeit entschieden, als die Maßnahmen zur Förderung der Aufnahme des Lebens schwächer wurden.

Seit einigen Jahren ist zu den vorgenannten Ursachen die Massensterilisierung hinzugekommen, von der schon vorher die Rede war. Wir erinnern uns an die flächendeckenden Kampagnen zur Sterilisierung von Männern und Frauen, die 1954 und 1976 in Indien durchgeführt wurden mit allen davon hervorgerufenen Skandalen, die schließlich zum Sturz der Regierung von Frau Gandhi führten.10 In Brasilien sind von allen Frauen, die eine Methode zur Geburtenkontrolle verwenden, etwa 40% sterilisiert.

Gerade in diesen Tagen haben uns die Medien Informationen über die Sterilisierungskampagne geliefert, die letztes Jahr in Peru unter Kontrolle des Gesundheitsministeriums rücksichtslos durchgesetzt wurde und auf der ganzen Welt eine Welle der Empörung auslöste.11 Man spricht nicht nur von dem „Druck“, den die Gesundheitsbeamten12 auf die Frauen ausübten, um diese – die größtenteils weder lesen noch schreiben könnten und nur wenig oder gar nichts über die wirkliche Tragweite ihrer „Operation“13 wissen – dazuzubringen, sich sterilisieren zu lassen, sondern es wird auch zugegeben, daß diese Unternehmung mehrere Menschenleben gekostet hat. Die katholische Kirche, vertreten durch ihre Bischöfe, hat Klärungen zur Sache gefordert.14 Sie steht damit nicht allein: Eine große Gruppe Abgeordneter hat verlangt, daß der Peruanische Kongreß die (über 100.000) durchgeführten Sterilisierungen untersucht, um festzustellen, unter welchen sanitären und moralischen Bedingungen diese Eingriffe vorgenommen wurden. Diese Abgeordneten fordern, daß der ganzen Wahrheit über die Verletzung der Menschenrechte während dieser Regierungskampagne auf den Grund gegangen werde.15

Wir steuern auf ernsthafte Ungleichheiten zu

Aus diesen kurz skizzierten Hauptursachen ergeben sich äußerst besorgniserregende Folgen. Der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung nimmt rapide ab. Daraus folgt eine Umkehrung der Alterspyramide mit wenigen jungen Erwachsenen, die die Produktivität des Landes sicherstellen und die Last einer großen Gruppe von alten, nicht mehr erwerbstätigen Menschen aushalten müssen, die immer mehr Pflege und medizinische Mittel benötigen. Sogar innerhalb der erwerbstätigen Bevölkerung kommt es zu schweren Ungleichheiten zwischen den erwerbstätigen Jugendlichen und den weniger jungen Erwerbstätigen, die versuchen, ihre Arbeitsplätze zu sichern – zum Schaden der jüngeren Generation, die in einen beschränkten Arbeitsmarkt eintritt.

Auch darf man nicht die Auswirkungen einer überalterten Bevölkerung auf das Erziehungssystem vergessen. In der Tat ist die Versuchung groß, die Mittel, die normalerweise für die Ausbildung der neuen Generationen aufgewendet werden, zu kürzen, um die mit der Überalterung einhergehende finanzielle Last tragen zu können. Diese Schwächung des Erziehungssystems führt wiederum zu einem beträchtlichen Risiko: zum Verlust des kollektiven Geschichtsbewußtseins. Die Weitergabe der kulturellen, wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen, sittlichen und religiösen Kenntnisse wird dadurch stark vorbelastet. Wir möchten außerdem darauf hinweisen, daß – im Gegensatz zu dem, was allgemein verbreitet wird – auch das Problem der Arbeitslosigkeit von der Bevölkerungsabnahme verschärft wird.

Die Forscher unterstreichen auch einige weitere Aspekte dieser Entwicklung: so zum Beispiel, daß die Zunahme des durchschnittlichen Alters der Bevölkerung sich logischerweise auch im psychologischen Profil der betroffenen Gesellschaft niederschlägt: „Mißmut“, Mangel an intellektueller, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und sozialer Energie und Mangel an Kreativität, unter denen einige „überalterte“ Nationen schon jetzt zu leiden scheinen, wären demnach nichts anderes als ein Ausdruck der Struktur ihrer Alterspyramide.

Zur gleichen Zeit nimmt der Prozentsatz der alten Menschen zu, die direkt zu Lasten der Gesellschaft gehen, während zugleich die produktive Basis dieser Gesellschaft, die Quelle der öffentlichen Einkünfte, kleiner wird. Um also die Funktionsfähigkeit der Wohlfahrtssysteme (Versicherungen, Renten, Pflege usw.) sicherzustellen, ist die Versuchung, auf Euthanasie zurückzugreifen, groß. Bekanntlich wird sie in manchen europäischen Ländern schon praktiziert.

Unter den sichtbarsten Auswirkungen der Fruchtbarkeitsabnahme sind außerdem die krassen Mißverhältnisse zu nennen, die schon jetzt zwischen Bevölkerungen mit sehr unterschiedlichen Altersstrukturen vorherzusehen sind. Wenn man zum Beispiel die Alterspyramiden von Ländern wie Frankreich, Spanien und Italien einerseits mit denen Algeriens, Marokkos oder der Türkei andererseits vergleicht, ist man von ihrer Gegensätzlichkeit und von den Schwierigkeiten beeindruckt, die diese Situation nach sich zieht. Einige unserer gegenwärtigen Probleme, z.B. die Unmöglichkeit für die reichen Länder, den Strom illegaler Einwanderer aus den ärmeren Ländern effektiv zu drosseln, geben uns nur eine Vorahnung dieser zukünftigen Schwierigkeiten.

Es ist dringend notwendig, die öffentliche Meinung und die Entscheidungsträger umfassend über diese Entwicklungen aufzuklären. Nicht weniger dringend notwendig ist es, die Fehlinformationen zu beseitigen, die so oft in Darstellungen angeführt werden, die eigentlich nur rein ideologische Sophismen verbergen – ganz zu schweigen von statistischen Fälschungen. Wie in allen anderen Bereichen des Wissens, so behaupten sich auch im Bereich der Bevölkerungswissenschaft beharrlich die Tatsachen, und die Wahrheit kann nicht ewig verschleiert werden. Man darf mit Freude feststellen, daß diese Wahrheit immer mehr ans Licht kommt, denn die Vereinten Nationen haben nicht gezögert, durch die Abteilung für Bevölkerung die oben erwähnte Expertengruppe einzuberufen, um über die Frage der „Fertilität unterhalb der Schwelle des Generationenersatzes“ („Below Replacement Fertility“) zu diskutieren. Nichts steht einer Ausmerzung der Fehler und Lügen entgegen, derer man sich allzuoft bedient, um politische und andere Programme zu „rechtfertigen“, die mit der Achtung der grundlegenden Menschenrechte völlig unvereinbar sind.

Den Menschen und seine Rechte feiern

In diesem Zusammenhang trägt der fünfzigste Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dazu bei, die Erinnerung der menschlichen Gemeinschaft aufzufrischen. Diese Rechte zu feiern bedeutet, den Menschen zu feiern. Es handelt sich dabei für diese Gemeinschaft um eine vorzügliche Gelegenheit zur Verwirklichung der Achtung jener wesentlichen Werte, die sie gebilligt und auf die sie ihre Zukunft aufzubauen sich verpflichtet hat. Diese Werte müssen jeglicher Anfechtung von seiten der Staaten, der internationalen Organisationen, der privaten Gruppen oder der Einzelpersonen entzogen werden. Sie heißen: Recht auf Leben, Recht auf physische und psychische Unversehrtheit, gleiche Würde aller Menschen (vgl. Artikel 1).

Das Jahr 1998 bietet also allen Menschen und allen Nationen die Gelegenheit, ihre rückhaltlose und enthusiastische Zustimmung zum Wortlaut und Geist der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 zu bekräftigen.

In dieser Hinsicht ist eine große Wachsamkeit erforderlich. Die Treue zu dieser Erklärung beeinhaltet die Ausschließung aller Machenschaften, die– unter dem Deckmantel sogenannter „neuer Rechte“ – darauf abzielen, Abtreibung zu ermöglichen (vgl. Artikel 3), die physische Unversehrtheit zu verletzen (vgl. ebd.) und die heterosexuelle und monogame Familie zu zerstören (vgl. Artikel 16).

Gegenwärtig werden gerade heimtückische Maßnahmen in diesem Sinne unternommen. Sie haben eine unheilvolle Zielsetzung: den Menschen gewisser Grundrechte zu berauben und die Schwächsten neuen Formen der Unterdrückung zu unterwerfen (vgl. Artikel 4 und 5). Die Lügen, von denen sich diese Versuche nähren, münden unvermeidlich in Gewalt und Barbarei und führen die „Kultur des Todes“ herbei.16 Papst Johannes Paul II. hat erklärt: „Die Menschenrechte stehen höher als jede verfassungsmäßige Ordnung“. Diese Rechte sind jedem Menschen eigen. Sie gehen in keiner Weise aus übereinstimmend getroffenen Entscheidungen hervor, die jederzeit neu ausgehandelt werden können – je nach den existierenden Machtverhältnissen oder den bestehenden Interessen. Das Vorhandensein dieser im Jahr 1948 anerkannten und feierlich verkündeten Rechte ist in keiner Weise von den mehr oder weniger glücklichen Formulierungen abhängig, die man in den Verfassungen und Gesetzen findet (vgl. Artikel 2,2). Jede Verfassung und jedes Gesetz, das nach einer Beschränkung der Tragweite dieser verbrieften Rechte oder nach einer Verfälschung ihrer Bedeutung trachtet, sollte sofort als diskriminierend und – wie es die Präambel der Erklärung nahelegt – als „totalitarismusverdächtig“ angezeigt werden. Auf dieser gemeinsamen Basis der Werte, die zum Preis so vieler Tränen verteidigt wurden, kann sich das Nationengeflecht regenerieren und eine weitumspannende Stadt aufgebaut werden, die für die „Kultur des Lebens“ offen ist. Dieses ehrgeizige Projekt liegt nicht außerhalb der Reichweite, aber die Solidarität zwischen den Völkern, die gleichzeitig Nahrung und Frucht davon ist, setzt eine neue Bestätigung der Solidarität zwischen den Generationen voraus. Infolgedessen lädt der Päpstliche Rat für die Familie alle Menschen guten Willens und besonders die christlichen Organisationen ein, die objektiven Tatsachen der Bevölkerungsentwicklung bekannt zu machen. Der Rat fordert sie auf, alle Maßnahmen zur Geburtenbeschränkung, die vollkommen ungerechtfertigt sind und im übrigen den Menschenrechten völlig widersprechen, mutig zu verurteilen.

Rom, 27. Februar 1998

Referenzen

  1. Päpstlicher Rat für die Familie, Evolutions démographiques. Dimensions Ethiques et Pastorales, Vatikanstadt, Libreria Editrice Vaticana, 1994, ISBN 88-209-1991-5.
  2. Cuestiones Demográficas en América Latina en perspectiva del ano internacional de la familia 1994, México, abril de 1993, Ediciones Provive, ISBN 980-6256-04-2.
  3. International Conference on Demography and the Family in Asia and Oceania, Taipei, Taiwan, 18.-20.September 1995, The Franciscan Gabriel Printing Co. Ltd. December 1996, ISBN 957-98831-1-4.
  4. Familia et Vita, Jahrgang II, Nr.1, 1997, S.3-137.
  5. „Once the fertility transition begins, further declines follow invariably“. Aminur Khan, Fertility Trends among Low Fertility Countries, Expert Group Meeting on Below-Replacement Fertility, Population Division, Department of Economic and Social Affairs, United Nations Secretariat, UN/POP/BRF/BP/1997/1, S.11.
  6. Vgl. Anm. 1
  7. J.Cl.Chesnais, Determinants of Below-Replacement Fertility, Expert Group Meeting on Below Replacement Fertility, Population Division, Department of Economic and Social Affairs, United Nations Secretariat, New York, 4.-6.November 1997. UN/POP/BRF/BP/1997/2/, S.3-17.
  8. J.Cl.Chesnais, a.a.O., S.12.
  9. „In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts haben wir den Untergang des Puritanismus und den Sieg des Materialismus (Hedonismus, Konsumkult, amerikanischer Lebensstil) erlebt. Das kommende Jahrhundert könnte die Grenzen dieses Modells aufzeigen... Die triviale Interpretation des ‘Baby-Boom‘ als Reaktion auf den wirtschaftlichen Aufschwung ist nicht haltbar. Die entscheidende Änderung war eine Veränderung der Geisteshaltung: von der Trauer zur Hoffnung. Wie ist die Umkehrung einer solchen Geschichtsentwicklung ohne einen großen Schock denkbar?“ J.Cl.Chesnais, a.a.O., S.13-14.
  10. Die Zustimmung der Personen zu dem chirurgischen Eingriff, der unter Mißachtung jeglicher Hygienevorschriften durchgeführt wurde, erhielt man im Tausch gegen Lebensmittel. Die Zahl dieser „freiwilligen“ Sterilisierungen nahm im Jahr nach dem Umsturz der Regierung von Frau Gandhi um 90% ab. J.H.Leavesley, Update on sterilization, Family Planning Information Service, Bd.1, Nr.5, 1980.
  11. Wie in der Zeitung Le Monde nachzulesen ist, waren die Vorwürfe gegen die Geburtenpolitik in Peru nicht neu, „da sie aber– bis heute– von der katholischen Kirche ausgingen, wurde die öffentliche Meinung davon nicht angesteckt, da sie der traditionellen Opposition der Kirche gegen Schwangerschaftsverhütung zugeschrieben wurden.
    Heute allerdings geht der Protest vom dritten Nationalkongreß der Bauern- und Eingeborenenfrauen aus und wird von der Bauerngewerkschaft, den allgemeinen Frauenverbänden, den Feministinnen und den Oppositionspolitikern wiederaufgenommen“. N.Bonnet, La campagne de stérilisation au Pérou provoque de nombreuses critiques. L‘existence de pressions exercées sur les femmes a été dénoncée par un journal et plusieures organisations et reconnue par le viceministre de la santé, Le Monde, 2.Januar 1998, S.3.
  12. Der amerikanische Experte Richard Clinton meint dazu: „Die Kliniken müssen ihre monatlichen Sollzahlen einhalten“. Daraus ergab sich, daß gegen Monatsende die Beamten des Gesundheitsministeriums – aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren – die Quechualfrauen dazu drängten, in der Klinik vorbeizukommen, „um ihr Baby impfen zu lassen und um sich einem kleinen, kostenlosen und schmerzlosen Eingriff zu unterziehen“. N.Bonnet, a.a.O.
  13. Die Zeitung El Comercio entschloß sich, der Sache auf den Grund zu gehen, und sie hat in den ärmsten Gegenden des Landes eine weitreichende Untersuchung über diese Sterilisierungen angestrengt.
    Die dort gesammelten Zeugenaussagen bestätigen, daß sich die Frauen im Tausch gegen Lebensmittel und Pflege für ihre kleinsten Kinder einer Tubenligatur unterzogen. Die Zeitung erklärt, daß der Staat die Kosten für den chirurgischen Eingriff übernimmt; wenn die Operation allerdings mißlingt, lehnt der Staat jede Verantwortung für Komplikationen und Sterbefälle ab. N.Bonnet, a.a.O.
  14. Joaquin Díez Esteban, La campana de control de la natalidad se cobra cinco víctimas, Palabra, 1.2.1998, S.22.
  15. Ebd.
  16. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 39.
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