Apotheker im Gewissenskonflikt. Auseinandersetzungen um die „Pille danach“ in den USA

Imago Hominis (2005); 12(3): 172-176
Margit Spatzenegger

Wie in vielen europäischen Staaten ist die „Pille danach“ seit Jahren auch in den USA erhältlich. Ähnlich wie bei anderen Arzneimitteln ist auch in diesem Fall der Apotheker für die Abgabe der „Pille danach“ verantwortlich. Die Weigerung von Apothekern aus Gewissensgründen beziehungsweise aus moralischer oder religiöser Überzeugung, die „Pille danach“ auszuhändigen, führte nun zu einer verstärkten öffentlichen Diskussion in den USA, die bereits die Politik zum Handeln bewegt hat. Während die einen die Gewissensfreiheit des Apothekers verstärkt schützen wollen, gibt es andere Gesetze, die den Apotheker unter Androhung von Strafe oder disziplinärer Maßnahmen zur Abgabe der „Pille danach“ verpflichten sollen. Beide Seiten berufen sich dabei auf ethische Pflichterfüllung. In dieser Situation muss sich der Apotheker folgende Frage stellen: Sieht er seine Pflichterfüllung in der Rolle eines passiven Roboters, der Arzneimittel nach Verordnung aushändigt, oder als professioneller Mitarbeiter im Gesundheitswesen, der sich seiner Verantwortung an der Mitwirkung einer möglichen abortiven Wirkung durch die „Pille danach“ voll bewusst ist?

Die Gesetzeslage

Sowohl staatliche Gesetze als auch Vorschriften der Food and Drug Administration (FDA) regeln die Abgabe der „Pille danach“. Zunächst eine Übersicht zum Arzneimittelgesetz: Die in den USA als Plan B bezeichnete „Pille danach“ unterliegt grundsätzlich der Rezeptpflicht und darf daher nur nach Verschreibung durch einen Arzt vom Apotheker abgegeben werden. Ein Antrag auf Bewilligung zum over-the-counter (OTC-)Verkauf, das heißt ohne ärztliche Verschreibung, wurde Ende August von der FDA abgelehnt.1 Allerdings stellt sich die Gesetzeslage beim genaueren Hinsehen viel komplexer und in den einzelnen Staaten unterschiedlich dar. So erlauben 43 Bundesstaaten der USA sogenannte „collaborative agreements“, das sind freiwillige Übereinkommen, in denen der Arzt die Ausstellung des Rezeptes mittels eines schriftlichen Protokolls an den Apotheker delegiert. Die Auslegung dieses Übereinkommens weist allerdings beträchtliche Unterschiede in den einzelnen Staaten auf. Alaska, Californien, Hawaii, Maine, New Mexico und Washington erlauben mittlerweile den direkten Bezug dieses Arzneimittels in der Apotheke, was einem OTC-Status gleichkommt.2 In New York und Massachusetts wurden entsprechende Gesetzesanträge vor kurzem abgelehnt.1

Wie aber sieht die Abgabepflicht von Seiten des Apothekers aus, falls er diese aus Gewissensgründen verweigert? Allein anhand der unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Gesetzesregelungen in den einzelnen Staaten wird klar, dass die Auseinandersetzung von den verschiedenen Interessensgruppen öffentlich und mit aller Härte geschieht: Während Bundesstaaten wie Illinois, Massachusetts und North Carolina Geldstrafen bei Weigerung des Apothekers, die „Pille danach“ abzugeben, eingeführt haben, dürfen Apotheker in Arkansas, Georgia, Mississippi und South Dakota aufgrund spezifischer „conscience clause“ Gesetze (Gewissensklausel) für Pharmazeuten entsprechende Rezepte zurückweisen. Das Gesetz besagt, dass kein Pharmazeut verpflichtet werden kann, ein Arzneimittel abzugeben, wenn dieses Arzneimittel ein ungeborenes Kind zerstört. Wobei als „ungeborenes Kind“ auch die befruchtete Eizelle noch vor der Implantation im Uterus definiert wird.3 Zwar haben seit 1997 28 Staaten Gesetze eingeführt, die eine Abgabeverweigerung aufgrund moralischer oder religiöser Gründe erlauben, sehr viele Staaten jedoch schreiben eine Abgabepflicht unter Berufung auf einen Ethikkodex vor, wobei eine Abgabeverweigerung einer Verletzung des Hippokratischen Eids gleichgesetzt wird.4,5 In Illinois wurde gar ein Notfallparagraph eingeführt, der die Apotheker verpflichtet, die „Pille danach“ auf Lager zu haben und sie ohne Verzögerung abzugeben.6

Warum aber spitzt sich die öffentliche Debatte um die Abgabeverweigerung der „Pille danach“ so zu, dass sogar spezifische Gesetze für Apotheker geschaffen werden müssen?

Kontrazeption oder Abtreibung?

Infolge des Urteilsspruches Roe v. Wade 1973 erließen die US-Regierung und die meisten Bundesstaaten sogenannte „conscience clauses“, die Ärzten die Verweigerung der Teilnahme an einer Abtreibung erlauben.7 Diese Gesetzesregelung bezieht sich jedoch im Allgemeinen nicht auf Apotheker, da diese ja nicht direkt an Abtreibungen beteiligt sind. Die „Pille danach“ wird von Wissenschaftlern, Medizinern und offensichtlich auch von den Gesetzgebern in den USA nicht als Mittel zur Abtreibung, sondern als Kontrazeptivum eingestuft. So ist im New England Journal of Medicine zu lesen: „Plan B… hat keine Auswirkung auf bestehende Schwangerschaften und wirkt durch mehr als einen physiologischen Mechanismus… Diese Dualität erlaubte der Catholic Health Association, ihren religiösen Glauben mit dem Mandat des Staates Washington zu versöhnen, das eine Abgabe der „Pille danach“ an Vergewaltigungsopfer fordert… Man kann auch nicht sicher sein, dass überhaupt eine Empfängnis stattfand“.8 Zwar wird in Fachinformationen immer wieder auf den unklaren Wirkmechanismus der „Pille danach“ hingewiesen. Tatsächlich beruht die Wirkweise der „Pille danach“, die eine hohe Dosis eines Gestagens enthält, einerseits in einer Unterbindung der Ovulation, andererseits aber in einer Hemmung der Nidation der bereits befruchteten Eizelle. In der Fachinformation zu Vikela®, einer österreichischen Variante der „Pille danach“ findet sich folgender Hinweis: „Möglicherweise verhindert es auch die Nidation“.9 Aussagen wie in der oben zitierten Fachzeitschrift sind nur eine logische Schlussfolgerung aus den sowohl im Deutschen als auch im Englischen verwendeten Bezeichnungen: „Notfallkontrazeption“ und „emergency contraception“, aber auch „Pille danach“ und „morning after pill“ bezeichnen ja eine Verhinderung der Konzeption und nicht eine abtreibende Wirkung, wobei bei genauerem Hinhören die letzteren Bezeichnungen in sich widersprüchlich sind. Diese gesetzliche Interpretation wie auch die sprachliche Verschleierung der wahren Tatsachen tragen zur spezifischen Situation des Apothekers bei. Berichte von Fällen über die Verweigerung der Abgabe der „Pille danach“ in den Medien zeigen zudem sehr deutlich, dass der amerikanischen Öffentlichkeit der Unterschied zwischen Kontrazeptivum und „Pille danach“ nicht klar ist.10

Eine Folge der engen Interpretation der „conscience clause“ Gesetze könnte auch die Auseinandersetzung zwischen Ärzten und Apothekern sein.

Konflikt zwischen Arzt und Apotheker

Interessanterweise werden Apotheker, die die Abgabe der „Pille danach“ verweigern, insbesondere von jener Berufsgruppe unter Druck gesetzt, für die die „conscience clause“ Gesetze zuerst erlassen wurden, nämlich von den Ärzten. In einer Umfrage sprachen sich 85% der Ärzte dagegen aus, dass Apotheker die Abgabe von Arzneimitteln aufgrund persönlichen Glaubens verweigern.11 Im Juni dieses Jahres entschied die American Medical Association (AMA) aufgrund der Abgabeverweigerung der „Pille danach“ durch Apotheker, gesetzliche Bestimmungen zu verlangen, die es dem Arzt erlauben, Arzneimittel abzugeben, wenn kein Apotheker im Umkreis von 30 Meilen willens ist, diese abzugeben. Weiters sollen Apotheker von Seiten der AMA unter Druck gesetzt werden, den ethischen Richtlinien für die Bereitstellung von medizinischer Hilfeleistung zu folgen. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die gesetzliche Aufgabenverteilung von Ärzten und Apothekern.12 Die American Pharmacist Association (APhA) selbst anerkennt das individuelle Recht des Apothekers, Gewissensverweigerung auszuüben. APhA verlangt, dass die gleichen Verweigerungsrechte aus Gewissensgründen, die auch für Ärzte und Krankenschwestern gelten, auch für Apotheker gültig sind. Allerdings sollten Apotheker den Patienten nicht den Zugang zu einer Therapie verweigern.13

Amerikanische Lösungsansätze

Im Konflikt um die Abgabeverweigerung der „Pille danach“ durch die Apotheker werden sowohl von den einzelnen Interessensvertretungen als auch mit Hilfe der nationalen Behörden Lösungen gesucht. Eine mehr als fragliche und höchst unverantwortliche Lösung wäre die Verschreibung der „Pille danach“ schon im Vorhinein, damit sich die betroffenen Frauen „ohne Zeitnot“ bei einer „abgabewilligen“ Apotheke das Arzneimittel abholen können und es auch jederzeit zur Verfügung haben.14 Weiters wird von Apothekern gefordert, im Falle einer Abgabeverweigerung die Abgabe an einen Kollegen oder an eine andere Apotheke zu delegieren. Falls die Apotheke die „Pille danach“ auf keinen Fall abgibt, sollte durch ein Schild darauf hingewiesen werden. Der diensthabende Apotheker sollte auch bereitwillig kostenfreie Telefonnummern wie beispielsweise von Planned Parenthood zum Bezug des Medikaments weitergeben.15 Wie bereits oben erwähnt fordert die AMA, die „Pille danach“ selbst abgeben zu dürfen, falls dies Apotheken im Umkreis von 30 Meilen verweigern. Die Zulassung von Plan B zum OTC-Verkauf, die die Rezeptpflicht für die „Pille danach“ aufheben würde, wurde von der FDA auf unbestimmte Zeit verschoben, da es für die FDA schwierig erscheint, das Verkaufsverbot für junge Frauen bis zum 17. Lebensjahr in die Praxis umzusetzen.1

Es ist bemerkenswert, dass die Auseinandersetzung um die „Pille danach“ in den USA auf sehr breiter Basis und offen ausgetragen wird. Es darf jedoch gerade anhand der oben angeführten Lösungsansätze bezweifelt werden, ob diese Vorschläge dem zugrundeliegenden ethischen Konflikt tatsächlich Rechnung tragen oder nicht eher ausweichende Konsenslösungen sind.

Ethische Überlegungen

Trotz der breiten wissenschaftlichen und politischen Analyse werden viele ethische Kernpunkte dieses Konfliktes außer Acht gelassen oder bewusst verschleiert. Auf einige soll im Folgenden kurz näher eingegangen werden: Der Gewissenskonflikt beziehungsweise die Verweigerung der Abgabe aufgrund des Gewissens ist zwar unbestrittener Ausgangspunkt der Diskussion. Der Beweggrund für die verweigerte Aushändigung, nämlich die Ablehnung der Mitwirkung (cooperatio) an einer moralisch verwerflichen Tat, die die mögliche Abtreibung eines Embryos zum Ziel hat, wird nicht näher beleuchtet. Die Verantwortung des Apothekers durch seinen Beitrag geht im Netzwerk professioneller Verpflichtungen gegenüber Arzt und Patienten unter. Sogenannte Notfallparagraphen wie in Illinois, die den Apotheker gesetzlich verpflichten, die „Pille danach“ abzugeben, degradieren den Apotheker zu einem willenlosen Roboter ohne Verantwortung. Oder aber ist der modernen Gesellschaft das Empfinden für die personale Verantwortung an einer „cooperatio“ verloren gegangen? Die Tatsache, dass mehrere Personen an einer ethisch bedenklichen Tat mitwirken, vermittelt vielleicht subjektiv das Gefühl, keine Verantwortung dafür zu übernehmen. Die objektive Schuld des Mittäters wird aber noch höher, da er durch seine Mittäterschaft den anderen in seiner Überzeugung bestärkt (Anstiftungseffekt). Eine genauere ethische Analyse, inwiefern es sich bei der Abgabe der „Pille danach“ um eine solche Mitwirkung handelt, ist in dieser Überblicksarbeit nicht möglich. Zwei Fragen sollen aber in diesem Zusammenhang zum Nachdenken anregen: Inwieweit kann der Apotheker durch Delegieren und durch Angabe von Telefonnummern von Organisationen, die „die Pille danach“ unterstützen, seinen Protest geltend machen? Wandelt sich so die formelle Mitwirkung mit inhaltlicher Bejahung in eine ethisch indifferente Handlung und bloß materielle Mitwirkung?

Aber nicht nur das geringe Verständnis für die Mitverantwortung des Apothekers, sondern die Verschleierung und Schönfärbung wissenschaftlicher Tatsachen sogar durch wissenschaftliche Fachzeitschriften, erschwert die ethische Argumentation für einen Apotheker. Ärzte dürfen eine Abtreibung aus Gewissensgründen verweigern. Die „Pille danach“ wird aber nicht unter abortiven Arzneimitteln, sondern unter Kontrazeptiva, die eine Befruchtung verhindern, angeführt. Sprachliche Manipulation hat offensichtlich genügend Überzeugungsarbeit geleistet, um die wissenschaftlichen Tatsachen einer eindeutig abortiven Wirkung nach erfolgter Befruchtung zu verschleiern. Dass sich hinter dieser sprachlichen Überzeugungstaktik eine Ideologie verbirgt, die menschliches Leben zwar ab der Befruchtung, aber personales und somit schützenswertes Leben frühestens ab der Nidation annimmt und damit den Lebensanfang und die Würde eines Menschen als unbestimmt ansieht, ist offensichtlich. Eine Verweigerung der Abgabe der „Pille danach“ kann daher leicht als individuelle Glaubensüberzeugung ohne objektiv begründbare Tatsachen abgetan werden.

Was aber ist das objektive Gut, um das es hier geht? In einer ethischen Betrachtung sind letztlich weder die Rechte und Pflichten des Apothekers, noch die Rechte des Patienten (right to privacy) oder der verschreibenden Ärzte alleine ausschlaggebend. Es geht um das persönliche Gut einer Frau, die sich scheinbar oder tatsächlich in einer Notlage befindet, die aber nicht durch Krankheit bedingt ist, sondern durch eine mögliche Verantwortung für einen neuen Menschen. Durch „die Pille danach“ wird nicht nur dieser neue Mensch abgelehnt und vernichtet, sondern auch die Frau zu einem bloßen Objekt herabgesetzt.

Fazit

Die breite öffentliche Auseinandersetzung um die Abgabeverweigerung der „Pille danach“ aus Gewissensgründen in den USA weist auf die Komplexität dieser ethischen Fragestellung hin. Einfache Lösungen auf der Basis der Konsensethik oder mit Hilfe von Gesetzen genügen allerdings nicht, da sie in vielen Fällen die Eigenverantwortlichkeit des Apothekers negieren beziehungsweise die eigentlichen ethischen Probleme nicht berühren.

Referenzen

  1. Gardiner H., Official quits on pill delay at the FDA, The New York Times, September 1, 2005
  2. van Riper K. K., Hellerstedt W. L., Emergency contraceptive pills: Dispensing practices, knowledge and attitudes of South Dakota Pharmacists, Persp Sexual Reprod Health (2005); 37: 19-24
  3. South Dakota House Bill No. 1244, Mar. 14, 1998
  4. Greenberger M. D., Vogelstein R., Pharmacist refusal: A threat to women’s health, Science (2005); 308: 1557-1558
  5. Alta Charo R., The celestial fire of conscience-refusing to deliver medical care, N Engl J Med (2005); 352: 2471-2473
  6. Manasse H. R., Conscientous objection and the pharmacist, Science (2005); 308: 1558-1559
  7. Sonfield A., New refusal clauses shatter balance between provider conscience, patient needs, The Guttmacher Report on Public Policy 7.3: 1, 2004
  8. Cantor J., Baum K., The limits of conscientious objection- May pharmacists refuse to fill prescriptons for emergency contraception?, N Engl J Med (2004); 351, 2008-2012
  9. Austria Codex Fachinformation 2004/2005, Band 3, S. 6429
  10. Stein R., Pharmacists‘ rights at front of new debate, Washington Post, A01, March 28, 2005
  11. Wiebe C., Pharmacists speak on the “right to refuse”, Medscape 08/11/05
  12. Hopkins Tanne J., American Medical Association fights pharmacists who won’t dispense contraceptives, Br Med J (2005); 331: 11
  13. Peck P., AMA: Physicians charge pharmacists with interference care, MedPage Today, June 20, 2005
  14. Karasz A., Tan Kirchen N., Gold M., The visit before the morning after: Barriers to preprescribing emergency contraception, Ann Family Med (2004); 2
  15. Hepler C. D., Balancing pharmacists‘ conscientous objections with their duty to serve, J Am Pharm Assoc (2005); 45: 434-436

Anschrift der Autorin:

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