Resilienz und Familie

Imago Hominis (2008); 15(3): 239-245
Leonhard Thun-Hohenstein

Zusammenfassung

Resilienz ist ein dynamischer, interaktiver Prozess zwischen einem Individuum, seiner proximalen und distalen Umwelt und diversen Umweltbelastungen, mit dem Ziel schwere Belastungen ohne Folgen oder sogar gestärkt zu überstehen. Familie ist definiert als eine sich entwickelnde Lebensgemeinschaft von Eltern und Kindern, die heute in verschiedenen Formen beobachtbar ist. Familiale Resilienz ist geprägt von einigen Schlüsselprozessen, deren Beobachtung diagnostisch hilfreich und deren Nutzung therapeutisch sinnvoll ist. Das Wissen um die Resilienzprozesse ermöglicht auch eine gezielte Prävention.

Schlüsselwörter: Familie, Resilienz, Entwicklung

Abstract

Resilience is meant to be a dynamic, interactive process between the individual and its proximal and distal environment. Its aim is to provide personal stability in case of stressful events without any consecutive disorders. Family is defined as a developing community, which today exists in several different formats. Familial resilience is a process which is constituted by central developments and processes. To observe those processes in a therapeutic setting is mandatory and especially helpful for prevention programs.

Keywords: Family, resilience, development


Einleitung

Die Familie ist allen Unkenrufen zum Trotz immer noch die häufigste Lebensgemeinschaft, die Kinder in die Welt begleitet. Sie hat sich allerdings in ihrer Zusammensetzung und Haltbarkeit in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert und unzählige Subformen hervorgebracht: z. B. Alleinerzieherfamilien, Kleinfamilien, Einkindfamilien, Patchwork-Familien, Stieffamilien. Schon bei Primaten lassen sich verschiedene Formen von Familien beobachten: Elternfamilie (sogen. Kernfamilie) Mutterfamilien, Vaterfamilien und erweiterte Familien.1 Die klassische, menschliche Vater/Mutter und Kinder-Familie – die so genannte bürgerliche Familie, die sich als Vorstellung v. a. in der deutschen Romantik entwickelte und eigentlich nur in wenigen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts tatsächlich existiert hat, ist heute wieder vom Aussterben bedroht. Man kann das bedauern oder gut finden. Tatsache ist bei Scheidungsraten um 50 Prozent, dass diese Form der Familie nicht mehr mehrheitlich existiert. Die Emanzipation der Frau, insbesondere die Möglichkeit der Empfängnisverhütung und die ungestrafte Abtreibung haben die Geburtenraten drastisch reduziert. Parallel dazu haben geänderte Arbeitsbedingungen, die Verkleinerung der Haushalte, die Verlängerung der Lebenserwartung und damit die zunehmende Verlängerung der Jugendzeit sowie der damit verbundenen Erhöhung des Erstgebärenden-Alters hier wesentliche Veränderungen für die Familie nach sich gezogen. Die Eltern-Kind-Beziehung ist emotionaler, intimer und persönlicher geworden, die Ansprüche an diese Beziehung sind durch das Primat der Liebesheirat immer höher geworden. Damit sind natürlich auch die klassischen Rollenbilder von Mann und Frau, von Vater und Mutter einer deutlichen und teilweise dramatischen Veränderung unterworfen.

Neben den rechtlichen, genealogischen oder religiösen Familienbegriffen ist für unsere Zwecke wohl der psychologische interessant. Familie wird nach Schneewind2 durch vier Kriterien bedingt: Nähe, Abgrenzung, Privatheit und Dauerhaftigkeit, die sich in folgenden Merkmalen abbilden: im Prinzip des gemeinschaftlichen Lebensvollzuges sowie der interpersonellen Involviertheit und des intimen Beziehungssystems. Bei letzterem unterscheidet man (nach Wynne 19853) vier kennzeichnende Kriterien:

  • Bindung und Fürsorge
  • Kommunikation
  • gemeinsames Problemlösen
  • Gegenseitigkeit.

Familie vermittelt Heimat, fördert Entwicklung und vermittelt Werte, das heißt die Familie produziert das sogenannte Humanvermögen, hat also eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung.

Definition Resilienz

Resilienz – wörtlich Elastizität - wird in der Psychologie als die Stärke eines Menschen definiert, Lebenskrisen, schwere Krankheiten oder Traumata ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Emmy Werner beschrieb 19894 als ein Ergebnis ihrer Kauai-Studie erstmals Kinder, die trotz widriger Lebensumstände und Belastungen „vulnerable but invincible“ waren. In der Zwischenzeit haben zahlreiche Forschungen diese Beobachtungen bestätigt, und die Resilienzforschung hat sich zu einem eigenen Forschungsschwerpunkt entwickelt. Resilienz ist also ein dynamisch-kompensatorischer Prozess positiver Anpassung angesichts bedeutender Belastungen und entsteht durch das Zusammenspiel genetischer, persönlicher und sozialer Variablen (Bio-psycho-soziale Genese5), also durch die gegenseitige Beeinflussung der Person und der Risiko- und Schutzfaktoren mit dem Ziel, die subjektive Vulnerabilität zu senken und die Anpassungsfähigkeit zu erhöhen.6 In Abb. 1 habe ich einen Ansatz des Verständnisses der Komplexität der Resilienzentwicklung in Familien anhand des biopsychosozialen Modells7 im zeitlichen Entwicklungsverlauf vom Individuum zur Familie dargestellt.

Jedes Individuum bringt seine genetische und biologisch determinierte Grundausstattung als Entwicklungsbasis mit auf die Welt. Im Zusammenspiel mit seiner proximalen und distalen Umwelt (Familie etc.) erfährt er Belastungen, bewältigt mannigfaltige Situationen und entwickelt so eine gewisse Disposition als Ausdruck seiner Vulnerabilität und Adaptivität. Diese beiden Faktoren bilden die Basis für die Resilienzentwicklung. Im Moment der Paarwerdung treffen zwei Individuen mit unterschiedlichen, bio-psycho-sozial geprägten Dispositionen/Resilienz aufeinander und müssen nun eine gemeinsame Disposition/Resilienz entwickeln, die nun die Basis der Resilienz des Paares darstellt. Entwickelt sich dieses Paar zur Familie, entsteht eine familiäre Disposition/Resilienz. Diese wiederum ist die Basis der Entwicklung der jungen Individuen aus dieser Familie. Familiäre Resilienz ist ein interaktiver Zyklus gegenseitiger Beeinflussung, Lehrens und Lernens, der unmittelbar nach dem Entstehen der Familie beginnt. Dieser Kreisprozess ist die Basis der emotionalen Entwicklung, der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung und jeder Beziehungsgestaltung im späteren Leben. So wie das Individuum durchläuft auch die Familie verschiedene Entwicklungsphasen und bewältigt dabei bestimmte Entwicklungsaufgaben und Life Events.

In Tab. 1 sind diese familiären Lebensphasen mit ihrem Ziel und den damit verbundenen Entwicklungsaufgaben aufgeführt.

PhaseAnforderungEntwicklungsaufgaben
PaarbildungSich auf eine neue Beziehungsstruktur einlassenSich über Rollen und Ziele einigen; Intimität erlernen; bisherige Beziehungen neu gestalten; gemeinsames Leben und Partnerschaft entwickeln
ElternschaftNeue Mitglieder integrierenRollenanpassung an die verschiedenen Anforderungen: Vater, Mutter, Partner etc.; gemeinsame Vorstellung von Familie und Erziehung entwickeln; Akzeptanz des neuen Mitgliedes – Annahme „so wie es ist“; Versorgung und Fürsorge
Das Leben mit jungen KindernKind(er) versorgenBindungsentwicklung, Entwicklungsförderung und -begleitung; gemeinsame Welt entwickeln; Aufmerksamkeit betreffend der verschiedenen Ebenen (Eltern, Partnerschaft, Kind); Containerfunktion – emotionale Kontrolle – Empathieentwicklung, gemeinsam Regeln und Werte entwickeln; Leistungsfähigkeit und -bereitschaft fördern; Streitkultur entwickeln und Auseinandersetzungen pflegen
Das Leben mit JugendlichenFlexible GrenzenUnabhängigkeit und Kontrolle ausbalancieren; gemeinsames Durchstehen einer turbulenten Zeit; Wechsel zwischen Innen und Außen tolerieren; Experimentieren und Fremdheit ertragen und ermutigen
Die Kinder loslassenKinder eigene Wege gehen lassenBeziehungen neu aushandeln, Toleranz von Unabhängigkeit, Neudefinition der Eltern-Kind-Beziehung und der Partnerschaft, Neuausrichtung der Partnerschaft
Gemeinsam alt werdenVeränderte Generationsrolle akzeptierenUnterstützung der jungen Generation, dort wo nötig; den eigenen Weg neu/umdefinieren und in partnerschaftlicher Toleranz gehen; Übergang in Pension und neuen Lebensabschnitt aktiv gestalten; Beziehungsverluste verarbeiten
Tab. 1: Familiärer Lebenszyklus8

Welche Faktoren beeinflussen nun die Entwicklung familiärer Resilienz?

Die Resilienz und ihre Wirkfaktoren sind für die Familie noch nicht so gut untersucht wie die Resilienz in der Persönlichkeitsentwicklung von Einzelpersonen. Das hat mit unterschiedlichen Ansätzen der Untersucher von Erwachsenen und Kindern zu tun. Jene Forscher, die sich mit Erwachsenen beschäftigen, gehen von einer in der Person zugrunde gelegten Resilienz aus, sozusagen als persönliches Merkmal, wohingegen die Kinder-Forscher Resilienz eher als das Resultat eines interaktiven Prozesses betrachten. Weiters werden bei Studien an Kindern die umgebenden Personen befragt (Eltern, Lehrer etc.), bei Erwachsenenstudien in der Regel die Probanden selbst.9 Trotzdem können wir einiges über Einflussfaktoren sagen, die auf genetischer, biologischer und sozialer Ebene zu jedem Zeitpunkt der Familien-Entwicklung zu finden sind, wenn auch unterschiedlich bedeutsam. Zu den genetischen Faktoren gehören die Persönlichkeitsmerkmale, das subjektive kognitive und emotionale Potential des einzelnen Familienmitgliedes sowie die somatische Disposition. Die biologischen Faktoren sind neben der Ernährung und den direkten Umweltbedingungen (Klima, Landschaft etc.) in verschiedenen Noxen oder Krankheitsfaktoren (Behinderungen etc.) zu suchen. Der Hauptfaktor des Einflusses auf die familiäre Resilienz ist jedoch die Gruppe der sozio-ökonomischen Faktoren. Allen voran ist die Armut (dies gilt insbesondere für die Industriestaaten) der zentrale Faktor, der zahlreiche sekundäre Folgen (fehlende oder erschwerte Partizipation, mangelnder Zugang zu Bildung und Hilfssystemen) nach sich zieht. Life Events sind die häufigste akute Ursache familiärer Krisen im Krankheits- oder Todesfalle eines Familienmitgliedes, bei Scheidung oder anderen einschneidenden Erlebnissen. Bei Vorliegen mehrerer Stressoren nimmt das Risiko, den Belastungen nicht mehr stand zu halten, signifikant zu.

Familiäre Resilienz

Familiäre Resilienz ist ein Prozess (siehe Abb. 1), den die Familienmitglieder gemeinsam durchlaufen in Auseinandersetzung mit sich, den Familienmitgliedern und mit ihrer Umwelt sowie deren positiven wie negativen Einflüssen. Versteht man Resilienz als einen Prozess, werden folgende notwendigen Komponenten der familiären Resilienz deutlich,10 um mit all diesen Fähigkeit, aus Belastungen/Traumata für das weitere Leben zu lernen:

  • Gemeinsame Selbstreflexion und Attribution (Bewertung von Ereignissen)
  • Fähigkeit, Symptome, Risiken und Probleme zu nutzen, um die Eigenmotivation zu verbessern
  • die Fähigkeit zur Reflexion ausbauen
  • mit neuen Gedanken und Verhaltensweisen zu experimentieren
  • Erfolg und Sicherheit in Bildung und Beschäftigung.

Weiters zeigt sich auch die Fähigkeit, sich in Beziehungen konstruktiv einzubringen, als Resilienz-fördernd, genauso wie das Vorhandensein und die Akzeptanz von sozialem Support.11

Insbesondere die oben angeführten Qualitätskriterien eines intimen Beziehungsgefüges sind von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung familiärer Resilienz. Bindung und Fürsorge bedingen einander. Durch die Interaktion mit den primären Bezugspersonen bindet sich das Kind an diese und entwickelt einen bestimmten Bindungstyp,12 zum Großteil in Abhängigkeit vom Bindungstyp der Eltern, besonders der Mutter. Eine sicher gebundene Mutter zeigt eher einen „autoritativen“ Erziehungsstil im Gegensatz zu unsicher oder desorganisiert gebundenen Müttern, die eher einen „laissez faire“ Stil oder autoritäre Erziehungsstile pflegen.13 Bindung und Fürsorge ermöglichen die Entwicklung des ersten „Inner Working Models“14, der Früh-Repräsentanzen mit entsprechenden Attributionen, die grundlegend für die Entwicklung der menschliche Beziehungsfähigkeit sind. Gelingt eine sichere Bindung und ein guter Aufbau primärer Repräsentanzen, wirkt sich dies auf den Beitrag des Kindes (Interaktion, Verhalten etc.) zur Familie aus, was wiederum wesentliche Auswirkung auf die elterliche Gelassenheit und Sicherheit nach sich zieht. Ganz wichtig ist für diese Entwicklung die erlebte Unterstützung der näheren (Verwandtschaft, Freunde) und ferneren (Gesetzgebung, allgemeine Werte, Familienförderung, Kindergeld und -zeit etc.) Gesellschaft, insbesondere während Schwangerschaft und Säuglingszeit.

Familiäre Kommunikation findet auf verschiedenen Ebenen statt, altersentsprechend der Entwicklung der Kinder und Eltern angepasst, umfasst die emotionale und inhaltliche Aussage, ermöglicht dadurch den Austausch der inneren Welten im Rahmen einer gemeinsamen „Sprache“, an gemeinsamen Orten, in gemeinsamen Strukturen der Kommunikation. Diese Fähigkeit ist weiters wieder grundlegend nötig für das gemeinsame Problemlöseverhalten einer Familie, welches empathisches Verstehen der jeweils anderen Position sowie den Vergleich mit der eigenen, den Austausch darüber und das Ermöglichen eines phantasievollen und experimentierfreudigen Umganges mit Differenzen und Problemen beinhaltet. Dieses Experimentieren muss natürlich unter elterlicher Anleitung und Kontrolle passieren, mit dem gemeinsamen Ziel, als Familie aus Erfahrung zu lernen und sich gemeinsam neu zu orientieren. Gegenseitigkeit als Familienmerkmal ist die Grundvoraussetzung der Individuation der einzelnen Familienmitglieder. Nur wo ein Du dem Kind begegnet, kann sich das Ich entwickeln und Gegenseitigkeit entstehen. Verbunden damit sind das Erlernen von Werten, Regeln im sozialen Umgang, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft mit der gleichzeitigen Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Froma Walsh (siehe Tab. 2) beschreibt diese angeführten Qualitäten familiärer Qualitätsmerkmale als Schlüsselprozesse familialer Resilienz,15 welche die Fähigkeit einer Familie, Belastungen zu ertragen und zu bewältigen, deutlich verbessern können und auch hervorragend im therapeutischen Setting nutzbar sind.

Überzeugungen der Familie

  • In widrigen Lebensumständen einen Sinn finden
  • Optimistische Einstellung
  • Transzendenz und Spiritualität

Strukturelle und organisatorische Muster der Familie

  • Flexibilität
  • Verbundenheit
  • Soziale und ökonomische Ressourcen

Kommunikation und Problemlösung

  • Gemeinsam Probleme lösen
  • Klarheit schaffen
  • Gefühle zum Ausdruck bringen

Tab. 2: Familiale Schlüsselprozesse der Resilienz16

Man kann sich nun leicht vorstellen, dass gerade diese vier grundlegenden Kriterien von verschiedensten Faktoren bedroht sind: Armut, Doppelberufstätigkeit, abweichende Persönlichkeitsfaktoren, psychische Erkrankung der Eltern, intrafamiliäre Gewalt, Misshandlung und Missbrauch. Aber auch im Falle intrafamiliärer Gewalt finden sich Resilienzfaktoren, die trotzdem eine positive Entwicklung ermöglichen. In der Isle of Wight Studie17 konnten M. Rutter und Mitarbeiter zeigen, dass erstens der Mangel an familialer Resilienz (niedrige soziale Klasse, Familiengröße > 4 Kinder, Scheidung, Trennung von der Mutter etc.) mit der Wahrscheinlichkeit intrafamilialer Gewalt hoch korreliert und andrerseits aber 14/44, also 31 Prozent der in der Kindheit misshandelten oder missbrauchten Probanden als „resilient“ eingestuft wurden. Sie unterschieden sich signifikant hinsichtlich ihrer persönlichen Schwierigkeiten, ihrer Kriminalitätsrate, ihres Gesundheitsstatus und der Partnerschaftsstabilität von den übrigen in ihrer Kindheit misshandelten oder missbrauchten Probanden. Die Raten dieser Schwierigkeiten waren sogar niedriger als in der Vergleichsgruppe.

Weitere Einflussfaktoren auf die Resilienzentwicklung vonseiten des Kindes sind bei von den elterlichen Erwartungen abweichender Ausprägung des kindlichen Äußeren oder seines Verhaltens zu erwarten oder, wenn sowohl elterliche und kindliche Probleme vorliegen. Ganz wesentliche Einflussfaktoren sind die gemeinsam zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben und insbesondere eventuelle Life Events (Todesfälle, Katastrophen etc).

Zusammenfassung und Ausblick

Familiale Resilienz ist ein dynamischer, interaktiver Prozess der familiären Individuen mit dem Ziel, die Entwicklung der Familie zu stärken und sie „vulnerable but invincible“ zu machen. Verschiedenste Einflussfaktoren wirken dabei zusammen und beeinflussen die verschiedenen Schlüsselprozesse intrafamilialer Resilienz. Dieses Wissen um die Resilienz und ihre Einflussfaktoren lässt sich einerseits therapeutisch, aber auch präventiv nutzen, wie dies in verschiedenen Studien, z. B. spezifische Programme zur Depressionsvorbeugung18 oder Vorbeugung von Misshandlung19 oder einer generellen Prävention von Partnerschaftsproblemen20 und konsekutiven Auffälligkeit bzw. Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Kindern21 mittlerweile gut dokumentiert ist. Vor allem die letzten zwei Studien sind im Sinne der generellen Prävention speziell interessant. Die Studien von Cowan & Cowan22 konnten zeigen, dass durch eine wöchentliche Gruppenintervention für Paare in der Zeit um die Geburt (3 Monate vor und nach der Geburt) die Partnerschaftszufriedenheit hoch gehalten werden konnte, was sich z. B. in einer signifikant niedrigeren Scheidungsrate nach 18 (0% vs. 12,5%) Monaten und 3,5 Jahren (4% vs. 16%) niederschlug. Gleichzeitig konnte diese Intervention auch nachweisen, dass die Kinder nach 10 Jahren weniger Verhaltensauffälligkeiten aufwiesen. Einen etwas anderen Ansatz haben die Nurse Family Project-Studien,23 die den Effekt wöchentlicher Besuche einer Krankenschwester in Risikofamilien untersuchten. Dabei konnten sie zeigen, dass die Kinder aus diesen Interventionsfamilien signifikant bessere Schulleistungen aufwiesen, ein geringeres Risiko aufwiesen, an vermeidbaren Todesursachen zu sterben, und dass die Mütter wesentlich längere Partnerschaften erleben konnten.

Die Politik sollte sich dieses Wissen nutzbar machen. Zuallererst muss die politische Öffentlichkeit Familie als die Zelle des Humankapitals verstehen – in welcher Form sie sich in Zukunft auch entwickeln möge - und neben einer intensiven Armutsbekämpfung gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von Familien überlegen bzw. gezielte Präventionsprogramme nach internationalem Vorbild planen. Hier geht es um Verbesserung der Förderung von Kindern auf individualisierter Basis, vermehrte Einbeziehung der Väter bzw. Männer in die Betreuungsprozesse, einen egalitären Zugang zur Bildung und Gesundheit, ausreichende soziale Unterstützung für jene Familien, die diese nicht aus ihrem Umfeld erfahren (Multiproblemfamilien, MigrantInnen, AlleinerzieherInnen etc.) können.

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Anschrift des Autors:

Leonhard Thun-Hohenstein, MD, PD
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Univ.-Klinik für Psychiatrie I, Christian Dopplerklinik
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Ignaz Harrer-Straße 79, A-5020 Salzburg
L.Thun-Hohenstein(at)salk.at

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