Zum Verhältnis von Autonomie, Selbstbestimmung und Willkürentscheidung

Imago Hominis (2016); 23(4): 189-198
Thomas Sören Hoffmann

Zusammenfassung

„Autonomie" ist ein Grundbegriff der neuzeitlichen, auf Freiheitsverwirklichung ausgerichteten Ethik und spielt auch in der Bioethik eine nicht geringe Rolle. Missverständnisse entstehen dabei, wenn der Grundsinn von Autonomie als material vernünftiger Selbstgesetzgebung im Handeln gegen eine Fokussierung formaler Selbstbestimmung getauscht oder gar mit bloßer Willkürentscheidung verwechselt wird. Der Beitrag arbeitet in Bezug auf Kant, aber auch die neueren Debatten die hier zu treffenden Unterscheidungen heraus. Dazu werden vor allem Beispiele aus der Medizinethik herangezogen, wobei auch die Frage des Verhältnisses von Autonomie und Fürsorge angesprochen wird.

Schlüsselwörter: Autonomie, Selbstbestimmung, Vernunft, Fürsorge, Patientenverfügung

Abstract

"Autonomy" is one of the keywords of modern ethics and its orientation on the realisation of freedom obviously also has relevance to bioethics. Nevertheless misunderstandings appear as soon as the original sense of "autonomy" as the rational self-legislation of human action is confounded with mere formal self-determination or even mere arbitrariness. This paper deals with these distinctions with special regard to Kant, but also refers to recent debates. For this purpose, it uses examples from medical ethics and discusses the relationship between autonomy and care.

Keywords: autonomy, self-determination, reason, care, advance directive


„Autonomie" ist ohne Zweifel eines der großen Grundworte einer dezidiert neuzeitlichen Ethik.1 Das gilt vor allem insofern, als sich in diesem Grundwort der Freiheitsanspruch der Neuzeit auf den Begriff gebracht hat. Die neuzeitliche Ethik denkt entschieden nicht mehr – wie Platon – von einem universalen Guten, nicht mehr – wie Aristoteles – von einem vorausgesetzten Ethos her, in dem ein vitales Orientierungswissen über in sich gerechtfertigte Strebensziele bereits enthalten ist. Sie nimmt ihr Maß auch nicht – wie das Naturrecht – an einem metaphysisch verankerten „ordo universalis" oder an einem Vollkommenheitsideal, auf das hin sie unser Handeln ausrichten möchte. Gegenüber allen die Ethik extern bestimmenden Größen wie den genannten will die neuzeitliche Ethik eine Ethik der Freiheitsverwirklichung sein. „Autonom" ist ein Subjekt, das sich alleine von dieser Ethik her bestimmt weiß. Das heißt zwar keineswegs, dass jetzt einfach „alles erlaubt" sei. Aber es heißt, dass das Kriterium des Erlaubten und des Unerlaubten etwas mit der Unterscheidung zwischen dem Freiheitsförderlichen und Freiheitsverhindernden, zwischen dem, was das Freisein intensiviert und dem, was es unterläuft, zu tun hat.

Unter diesen allgemeinen Prämissen überrascht es nicht, dass sich ein „Autonomieprinzip" auch in der Medizin- und Bioethik als maßgebliche Orientierungsgröße wiederfindet.2 Immerhin kann man sogar die Entstehung und Institutionalisierung der Bioethik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zeichen des Autonomiebegriffs lesen: Ging es hier doch darum, „heteronome" Verhältnisse, sei es im Sinne eines medizinischen Paternalismus, sei es im Sinne eines blinden Szientismus und einer daraus abgeleiteten rein utilitaristischen Praxis im Umgang mit Menschen, aufzubrechen und sowohl den Anspruch des Individuums, in eigener Sache gehört zu werden, wie den Anspruch universeller und unabwägbarer Normen sich in der Praxis spiegeln zu lassen.3 Es sind im einzelnen dann keineswegs marginale Kontroversen, in denen das Autonomieprinzip besonders markant in Anspruch genommen wird – Kontroversen wie die um die fremdnützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen oder die Reichweite von Patientenverfügungen, um medizinische Interventionen beim nicht entscheidungsfähigen Individuum am Lebensanfang und Lebensende, um die Patentierung, die Kommerzialisierung oder das Screening menschlichen Erbguts und anderes mehr.4 In Erinnerung gerufen sei außerdem, dass in der Debatte um das Klonen von Menschen immer wieder darauf hingewiesen worden ist, dass die Neuerschaffung eines menschlichen Individuums als Replik einer bereits existierenden Person insofern die Autonomie des so geschaffenen Individuums berührt, als sich ein solches Individuum bis hinab in sein biotisches Substrat als intentional fremdbestimmt wissen muss.5

Freilich sieht sich das Autonomieprinzip gerade in seiner medizin- und bioethischen Anwendung auch einer Reihe von Rückfragen oder Einwänden ausgesetzt. Als besonders einschlägig lassen sich mindestens vier solcher Rückfragen identifizieren:

  1. Die erste dieser Rückfragen kann man als „kulturrelativistisch" bezeichnen. Sie zieht in Zweifel, dass „Autonomie" tatsächlich ein kulturübergreifend verbindliches, also ein universelles bioethisches Prinzip sein könne. In diesem Sinne ist zum Beispiel wiederholt versucht worden, dem westlichen „individualistischen" Autonomiekonzept ein kollektivistisches, „familienbestimmtes" Gegenmodell entgegenzusetzen.6 Es mag dann zwar sein, so heißt es, dass für den „Westen" die Forderung nach einer individuellen „informierten Zustimmung" zu medizinischen Maßnahmen passt; in Ostasien zum Beispiel kann deshalb immer noch der „Familienkonsens" die entscheidende, die individuelle Zustimmung die zu vernachlässigende Größe sein.
  2. Eine zweite Rückfrage ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bioethik sich in ihrer Vor- und Entstehungsgeschichte keineswegs alleine auf die „Autonomietradition" stützt. In der Bio-
    ethik hat es vielmehr immer auch eine Tradition gegeben, die mit dem Begriff „Bioethik" programmatisch gerade das Abrücken von einem „anthropozentrischen" Standpunkt verband. Man kann für diese alternative Tradition auf Albert Schweitzer zurückgehen, aber natürlich auch andere prominente Autoren wie Van Rensselaer Potter oder Hans Jonas heranziehen, von anderen, z. B. den sogenannten „tiefenökologischen" Ansätzen ganz zu schweigen. Die Frage, die sich hier ergibt, lautet: Liegt in der Konzentration auf die Autonomie nicht gerade der Kern jener „Anthropozentrik", die man im Blick auf die Tatsache, dass der Mensch nicht für sich steht, sondern Teil eines umfassenden Ganzen des Lebens und des Lebendigen ist, überwinden sollte? Ist der Anspruch der Freiheit, der sich im Begriff der „Autonomie" meldet, nicht am Anspruch des Lebens zumindest zu relativieren?7
  3. Sodann gibt es eine dritte, nicht eben unwichtige Frage, die sich gerade auch für die „Standardbioethik" stellt – die Frage nämlich, ob der Begriff der „Autonomie" hier in der Tat in einem hinreichend klar bestimmten Sinne gebraucht wird. Neuere, vor allem anglophone Autoren meinen mit „Autonomie / autonomy" ja vielfach nichts anderes als den, wie man dann gerne sagt, „Wert" personaler „Selbstbestimmung", wobei im übrigen ganz ungeklärt bleiben mag, was diesen „Wert" eigentlich begründet und wie er sich zu anderen „Werten", aber auch zu echten deontologischen Normen (z. B. zu unbedingt geltenden eigenen Pflichten, aber auch zu unabdingbaren Rechten Dritter) verhalten soll.8 Es wird an dieser Stelle deutlich, dass sich im Bioethikdiskurs unserer Tage der Begriff „Autonomie" sehr weitgehend von der grundlegenden Definition abgelöst hat, die er für die philosophische Ethik bei Immanuel Kant – seinem eigentlichen Schöpfer –, gefunden hat. In der Tat konkurrieren im Sprachgebrauch auch der Medizin- und Bio-
    ethiker heute zwei Konzepte, von denen nur eines – das an Kant orientierte – tatsächlich den Namen „Autonomie" verdient, während das andere auf eine abstrakte „Selbstbestimmung" ohne weitere formale oder inhaltliche Anforderung hinauskommt und im Extremfall dann auch mit einer regellosen Willkürfreiheit zusammenfallen kann.
  4. Eine vierte Rückfrage schließlich macht darauf aufmerksam, dass es auch innerhalb einer normativ auf den Autonomiebegriff begründeten Medizin- und Bioethik insoweit zu Schwierigkeiten kommen mag, als es gerade die Medizin nicht mit dem rundherum selbstbestimmten, vielmehr mit dem bedürftigen, auf Fürsorge angewiesenen Menschen zu tun hat.9 Es wäre also zu klären, wie sich denn Autonomie und Fürsorge zueinander verhalten: Bilden sie einen Gegensatz oder sind beide auch aufeinander beziehbar?

Wir werden hier mit der dritten Frage beginnen und von ihrer Klärung her auch Licht auf die anderen Fragen zu werfen versuchen. Wir fangen dazu, wie es kaum anders sein kann, mit einem Blick auf Kant an.

I. Autonomie bei Kant vs. Selbstbestimmung im Sinne formaler Freiheit

Der eigentliche „Prägemeister" des Autonomiebegriffs, wie ihn die neuzeitliche Ethik kennt, ist, wie bereits erwähnt, Immanuel Kant.10 Wie Ernst Feil in einer nach wie vor einschlägigen begriffsgeschichtlichen Studie gezeigt hat, ist „Autonomie" vor Kant ein Begriff aus der politischen Sphäre und der politischen Philosophie; noch Christian Wolff etwa kennt „autonomia" nur im Sinne von politischer Selbstbestimmung eines Gemeinwesens – übrigens eines Gemeinwesens, das seine Selbstbestimmung „im Rahmen eines übergeordneten Machtbereichs" ausübt, sodass „Autonomie" nicht ohne weiteres auch politische „Souveränität" bedeutet.11 Erst bei Kants Zeitgenossen Johann Stephan Pütter (1725 – 1807), einem Göttinger Juristen, bezeichnet „Autonomie" dann auch die Kompetenz „freier Personen", ihre „Geschäfte und Rechtsverhältnisse nach selbsterwählten Richtschnuren einzurichten".12 Wenn man so will, ist diese neue Verwendungsoption des ursprünglich staatsrechtlichen Ausdrucks von Kant aufgegriffen, universalisiert und über den Kreis der politisch Freien, vor allem also den Kreis der Adligen, auf alle moralischen Subjekte oder Freiheitswesen hin erweitert worden. Wir wollen dabei keineswegs übersehen, dass auch bei Kant im Moment der Gesetzgeberschaft, ohne die es „Autonomie" nicht gibt, das alte „politische" Motiv noch anklingt. Dennoch ist neu, dass es jetzt um eine vernünftige Selbstgesetzgebung des Vernunftwesens geht. Das Autonomieprinzip adressiert auf der einen Seite den einzelnen, stellt an dessen Praxis aber zugleich auch die qualitative Anforderung intrinsischer Rationalität – womit Kant, anders als viele Vertreter der aktuellen Standard-Bioethik, einen „starken" Autonomiebegriff vertritt, der sich signifikant von (möglicherweise reflektierter) Selbstbestimmung und noch mehr von bloßer Willkürfreiheit unterscheidet.

Wir machen uns dies etwa im Ausgang von dem verbreiteten Handbuch zur Bioethik, dem „Georgetown-Exportschlager" Principles of Biomedical Ethics von Beauchamp und Childress klar.13 Beauchamp und Childress verzichten bewusst auf eine philosophisch umfassend reflektierte Einführung des Sinns von „Autonomie" und schließen statt dessen im Kern bei der Alltagsintuition an, dass der Wille des einzelnen besonders in den ihn selbst betreffenden Dingen in jedem Fall zu berücksichtigen ist. Bei Kant dagegen ist „Autonomie" nicht einfach schon mit jeder beliebigen Willensäußerung identisch, die ihrem Inhalt nach ja ganz kontingent und trotz aller formalen Freiheit durchaus irrational, insoweit aber – zum Beispiel durch sinnliche Neigung – fremdbestimmt sein kann.14 Wirkliche „Autonomie" gibt es vielmehr nur dort, wo mehr als eine nur formell begründete oder gar punktuelle Dezision, vielmehr eine „Gesetzgebung", das heißt eine Selbstbesinnung der Vernunft auf das in sich Allgemeinheitsfähige, vorliegt. Eine im Kantischen Sinne autonome Entscheidung ist kraft ihres Ursprungs aus rationaler Gesetzgeberschaft dann auch eine transparente Entscheidung, während dem Dezisionismus einer bloß formalen Selbstbestimmung immer die Opakheit eines bloß partikulären Wollens anhaftet. Die im Kantischen Sinne autonome Subjektivität ist so immer vernünftige Subjektivität, bzw. sie ist überhaupt die Einsetzung der Vernunft als solcher als Subjekt des Handelns. Zusammenfassend kann man hier sagen, dass es in einer im Kantischen Sinne autonomen Entscheidung immer um rationale Selbsterhaltung der Ratio, der Vernunft, geht, während heteronome Entscheidungen zwangsläufig solche sind, in denen es dem empirischen Subjekt um irgend etwas anderes als die Vernunft (und damit seine „Natur") geht. Um bei einem bekannten Kantischen Beispiel von zugleich medizinethischer Bedeutung anzuschließen: Während jede Bejahung des Selbstmords nach Kant nur heteronom motiviert sein kann (z. B. von einer Nutzenerwartung oder einer Leidvermeidungsabsicht her), ist der Verzicht auf die „Selbstentleibung" unter allen Umständen eine tatsächlich autonome, weil rein aus Vernunft motivierte Entscheidung: nur sie folgt dem Gesetz der Selbsterhaltung der Vernunft auch in ihrem Repräsentanten, dem selbst gesetzgebenden Vernunftwesen.15 Wir halten fest: Autonomie ist ein Konzept der rationalen Selbsterhaltung der Freiheit in freier, d. h. nur durch sich bestimmter Selbstbehauptung der Vernunft.

Kants Autonomiebegriff unterscheidet sich dann näher durch seine strikt reflexive Grundstruktur von einem verbreiteten Selbstbestimmungsmodell, das bei einem zweistufigen Freiheitsbegriff ansetzt. Wenn Gerald Dworkin16 etwa unter „Autonomie" die Fähigkeit versteht, auf einer „zweiten Stufe" zu den Präferenzen, Begierden, Wünschen usw. einer „ersten Stufe" kritisch Stellung zu nehmen und sie von höherrangigen Wünschen, Werten usw. her entweder zu akzeptieren oder aber zu ändern, zeigt sich die Differenz zu Kant schon darin, dass hier zunächst kein universelles Kriterium der Höherrangigkeit der Präferenzen zweiter Stufe genannt werden kann und dazu alleine auf das Vermögen der kritischen Distanznahme gegen die unmittelbaren Willensinhalte als solches abgestellt wird. Wenn aber für „Autonomie" das bloße Vorliegen einer Zweistufigkeit in der Willensbildung zureichen würde, müssten daraus paradoxe Situationen entstehen; so etwa die Situation, dass jemand, der einen Wunsch erster Stufe verspürt, autonom zu sein, gerade durch eine kritisch-distanzierende Reflexion zweiter Stufe, die ergibt, dass es besser sein könnte, nicht autonom zu sein, seine Autonomie „bestätigt". In Kants anspruchsvollem Autonomiekonzept geht es dagegen nicht darum, über eine Ebene primärer Volitionen eine zweite, der Reflexion verdankte weitere Ebene zu legen; ein solches Verständnis griffe trotz einer Strukturanalogie zur Zweistufigkeit des Prüfverfahrens des kategorischen Imperativs entschieden zu kurz. Bei Kant geht es nicht um die Stellungnahme zu Volitionen der ersten Stufe als solche, sondern darum, die Volitionen erster Stufe zu Funktionen eines rationalen Selbstverhältnisses zu verwandeln, das nicht einfach „über" diesen Volitionen schwebt, sondern zuletzt in ihrem Vollzug – Kantisch: als der gute Wille – lebendig ist. In Kürze also: Autonomie in dem zugleich anspruchsvollen wie prägnanten Sinn, den Kant diesem Begriff gegeben hat, besteht in nichts anderem als dem materialiter guten Willen, in dessen reinem Vollzug sie auch alleine in Existenz tritt. Mit dem Stichwort „Autonomie" ist nach Kant insofern ein Selektionskriterium genannt, mit dessen Hilfe Handlungen überhaupt noch einmal qualitativ unterschieden werden können. Wenn wir das, was Dworkin im Auge hat, mit dem deutschen Wort „Selbstbestimmung" abdecken können (sofern wir nämlich damit ein sich überhaupt selbst reflektierendes und von äußerer Nötigung absetzendes Wollen meinen), kommt in der „Autonomie" noch das Motiv der Selbsterhaltung von Vernunft und Freiheit im Sinne einer vernünftigen Selbstgesetzgebung hinzu – „selbstbestimmt" kann das kalkulierende Handeln des Utilitaristen sein, der sich eine Fülle unmittelbarer Wünsche verbietet, „autonom" ist dagegen alleine die vernünftige Willensbestimmung im Sinne einer nicht den Nutzen, sondern sich selbst affirmierenden Freiheit. „Selbstbestimmung" setzt dabei Willkürfreiheit voraus, in die sie auch übergehen kann, wenn sie als nur unmittelbare Selbstbestimmung auftritt.

Illustrieren wir uns die Notwendigkeit zur Differenzierung hier am Beispiel des Problems der Patientenverfügung, deren bindende Wirkung ja durchaus strittig sein kann! Patientenverfügungen sollen ja die Selbstbestimmung des Individuums auch für Situationen sicherstellen, in denen es zu einer aktualen Selbstbestimmung womöglich nicht mehr selbst in der Lage ist. Eine der hier entstehenden Aporien hat bereits damit zu tun, dass sich die Prämissen, unter denen eine bestimmte Verfügung getroffen wurde, leicht verschieben können – etwa durch die Entwicklung neuer Therapieformen –, eine andere darin, dass sich in der konkreten Lage die betreffende Person selbst ganz anders verhält, als es der Verfügung entspricht, so dass hier ein vorausverfügter mit einem „natürlichen" Willen in Konflikt gerät. Was soll in diesem Zusammenhang bindend sein? Der seinerzeit bei vollem Bewusstsein, jedoch aus der Distanz zur wirklichen Situation artikulierte Wille? Oder der jetzt manifeste, wenn auch nicht wirklich voll bewusste „natürliche Wille", den jedermann wahrnehmen kann? Aporien dieser Art sind auf der Basis eines rein formalen Autonomie- bzw. Selbstbestimmungsbegriffs in jedem Fall unlösbar, und Lösungsversuche, wie sie z. B. Ronald Dworkin vorgetragen hat, der auf eine Unterscheidung zwischen überlegten, längerfristigen „critical interests" und nur punktuellen „experiential interests" rekurrieren möchte, um z. B. der Willensverfügung in einer Patientenverfügung ihren Vorrang vor einer anderslautenden Willensregung zu einem späteren Zeitpunkt zu sichern,17 scheitern nicht nur daran, dass sie zu reichlich kontraintuitiven Lösungen führen: so im Falle des Margo-Beispiels bei Dworkin, das die Vorausverfügung einer vormals „kompetenten" Patientin gegen die evidente Lebensfreude während ihrer eigenen Demenz in Stellung bringt und daraus die Verpflichtung Dritter auf Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen ableiten will. Wir haben es hier mit dem Fall zu tun, dass eine allenfalls formal selbstbestimmte, aber nicht autonome Willensäußerung gleichwohl Gesetzeskraft, d. h. eine Allgemeinverbindlichkeit für Dritte wie auch für den Betreffenden selbst zu einem anderen Zeitpunkt erlangen soll. Nach Kants Begriff einer inhaltlich bestimmten Autonomie jedenfalls kann es nur als widersinnig gelten, beliebigen Inhalten – zum Beispiel dem Wunsch, im Falle des Eintretens einer bestimmten Krankheit euthanasiert zu werden – Gesetzeskraft zu verleihen. Die erste Anforderung an Patientenverfügungen, die ja für Dritte bindend sein sollen, wäre insofern, dass sie einer inhaltlichen Prüfung zugänglich sein müssen. Man wird es dabei zum Beispiel niemandem verwehren dürfen, bestimmte Therapieformen, bei denen der Erfolg ungewiss und die Nebenwirkungen erheblich sind, für sich auch in einer Patientenverfügung abzulehnen. Man wird jedoch inhaltlich problematische Verfügungen genauso verwerfen können müssen wie inhaltlich unsittliche, d. h. Verfügungen, die mit Aspekten der inhaltlich bestimmten Autonomie kollidieren. Entsprechend kann demjenigen, der eine demente Patientin unter Verweis auf eine zehn Jahre alte Patientenverfügung trotz ihres erkennbaren Wunsches nach Nahrungsaufnahme einfach verhungern lässt, nur bescheinigt werden, dass seine Achtung vor bürokratischen Akten offenbar eindeutig größer ist als die vor dem Sittengesetz.

II. Autonomie, das kulturrelativistische Argument und die Fürsorge

Wir kommen damit zunächst zu der ersten oben gestellten Anfrage an das Autonomieprinzip, zu der Frage, inwieweit „Autonomie" nicht doch nur „kulturrelativ" zu verstehen, von „anderen Kulturen" also in gewisser Weise doch auch immer schon „widerlegt" sei. Ein Teil der Antwort ergibt sich dabei bereits aus der prinzipiellen Unmöglichkeit, aus der genetischen Beschreibung von kulturell-historischen Entstehensbedingungen praktischer Prinzipien etwas über deren Geltung abzuleiten. So wenig aus der Tatsache, dass die Newtonsche Physik so, wie sie zu Papier gebracht wurde, wohl tatsächlich nur in der frühen Neuzeit formuliert werden konnte und diese Formulierung faktisch auf den britischen Inseln erfolgte, geschlossen werden kann, dass Newtons Axiome nur in der Neuzeit und Großbritannien Geltung haben, so wenig entscheidet die Genese praktischer Einsichten etwas über deren zeitliche und räumliche Geltung und Reichweite: Menschenwürde und das Verbot der Tötung Unschuldiger, das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz oder der kategorische Imperativ – nichts dieser Art ist alleine dadurch schon, dass das Bewusstsein von seiner Verbindlichkeit nicht immer und überall gleich entwickelt war, in seiner universellen Normativität eingeschränkt.

Dies vorausgesetzt, können wir dann auch sagen, dass auch das Prinzip „Autonomie" als von vornherein „kulturtranszendierend" aufgefasst werden muss. Denn der Begriff der Autonomie besteht ja gerade darin, eine wie auch immer gegebene äußere (heteronome) Bestimmtheit als schon zureichenden Legitimationsgrund für ethische Maximen auszuschließen. Kant war entsprechend der Überzeugung, dass erst mit seiner, der kritischen, auf das Autonomieprinzip gebauten Ethik die Ethik hat Wissenschaft werden können; erst jetzt war es möglich, in der Ethik strikt allgemeine, objektive und notwendige Prinzipien aufzustellen, die als reine Sollensprinzipien durch keine empirischen Eigenschaften mehr relativiert sein konnten, zugleich aber bei jeder gegebenen Form der Sittlichkeit (kritisch) anschließen konnte.18

Wie aber steht es mit dem Versuch, das Autonomieprinzip dadurch zu relativieren, dass man es als in der Bioethik selbst nicht konkurrenzlos und außerdem als erst auf das Fürsorgeprinzip zu beziehen hinstellt? In der Tat ist die Bioethik heute eine vielgesichtige, für manche auch wesentlich schillernde Disziplin; wir haben oben bereits zwei Hauptorientierungen unterschieden. Die Frage, die sich hier stellte, war: Gibt es nicht gute Gründe dafür, die „autonomieorientierte" Bioethik zumindest an ihrem Gegenmodell, dem Modell einer umfassend auf die immanente Ethizität des Lebens gerichteten Bioethik, zu relativieren? Einer dieser Gründe könnte dabei gerade sein, dass uns die Bioethik die Augen dafür geöffnet hat, dass wir eben nicht nur abstrakte Subjekte sind, die „leiblos" über diese Erde wandeln und sich mit der „Logik" eines autonomen Handelns befassen; sie hat uns daran erinnert, dass wir Lebewesen sind und deshalb unsererseits immer in einem Lebenszusammenhang stehen, der uns als Einzelne übersteigt; ja sie hat uns die Augen dafür geöffnet, dass der Mensch eben in vielfacher Hinsicht ein Leidender, ein patiens, und insoweit eben nicht einfach „autonom" ist. Der Embryo, der Komapatient, der Schwerstkranke: Sie alle zeigen uns den Menschen ja nicht so sehr in seiner „Rolle" als sich selbst bestimmendes Subjekt, sie zeigen ihn uns als passive Leiblichkeit, als endliche Lebendigkeit, als immer auch gefährdete Identität.

Was folgt nun aber daraus, dass in der Tat das Autonomieprinzip zu entthronen, jedenfalls aber mit Gesichtspunkten zu verbinden ist, die auch die Fürsorgeseite mit in den Blick nehmen? Den Weg zu einer Antwort auf diese Frage können wir uns bahnen, wenn wir noch einmal auf das Dworkinsche Margo-Beispiel zurückkommen. Die Ausgangsfrage war hier das Problem des Aufeinandertreffens zweier diametral entgegen gesetzter Willensmanifestationen, von denen die eine, in Gestalt einer Patientenverfügung festgelegte, lautete: Verzicht auf Lebensverlängerung durch Ernährung, während die andere, die des natürlichen Willens, in Gestalt konkreter Gesten und Handlungen manifeste, besagte: Ich will leben, unterstützt mich dabei! Bioethiker, die die Beachtlichkeit des „natürlichen Willens" verneinen, sprechen heute im Anschluss an Dworkin gerne davon, dass dieser „natürliche" als „nicht kompetenzbasierter Wille" mit dem vorausverfügten, „eigentlich" autonomen Willen gar nicht erst konkurriere. Insoweit wird suggeriert, dass sich das Problem darin erschöpfe, dass ein überlegt-selbstbestimmter Wille (im Sinne der „critical interests" bei Dworkin) einem nur punktuellen Willen (im Sinne der „experiential interests" Dworkins) gegenüberträte und diesen dann kraft eigener höherer Reflektiertheit aussteche. In dem so reformulierten Szenario fehlen jedoch einige Differenzierungen, und es wird zudem der normativen Logik des Autonomiebegriffs nicht wirklich Rechnung getragen.

Beginnen wir mit den fehlenden Differenzierungen: Es ist evident, dass die beiden Willensäußerungen nicht auf ein und derselben Ebene liegen und entsprechend der Ausdruck „interests" bei Dworkin auch äquivok gebraucht wird. Der „vorausverfügte" Wille ist ja nicht in demselben Sinne ein aktualer Wille wie der „natürliche Wille" der Patientin Margo, die sichtlich trotz aller Demenz ihre Erdnussbutter genießt; er ist ein „objektivierter", kein sich „vollziehender Wille", weshalb unter anderem ganz praktisch derjenige, der sich über den „vorausverfügten" Willen hinwegsetzen will, auch keinen physischen, sondern allenfalls einen moralischen Widerstand brechen muss. Entsprechend verweisen die „critical interests" auf einen abstrakten propositionalen Gehalt, der im Falle Margos keiner aktual vorhandenen Lebenswelt mehr entspricht, während die „experiental interests" der Patientin tatsächlich gelebtes Leben repräsentieren. Mehr noch: Sie repräsentieren auch lebendige Selbstbestimmung (wenn auch nicht notwendig eine wirklich reflektierte), während die Patientenverfügung, die den Abbruch aller lebensverlängernden Maßnahmen im Falle der Demenz verlangt, eher ein zurückliegendes Selbstbild, das Margo hatte, zum Ausdruck bringt als aktuale praktische Selbstbestimmung.

Für uns entscheidend ist jedoch die Frage, in welchem Sinne hier Autonomie ins Spiel kommen kann; es wird nämlich leicht übersehen, wer in dem geschilderten Fall der Adressat des Autonomieprinzips ist. Von Kants materialem Autonomiebegriff her gedacht ist zunächst weder der Wille der Patientin, hier und jetzt Erdnussbutter zu genießen, noch der in einer Patientenverfügung manifestierte Wille, das eigene Leben im Falle von Demenz möglichst rasch zu Ende zu bringen, eine Instanz von Autonomie. Aber die Frage nach der Autonomie stellt sich auch gar nicht von diesen beiden Willensausdrücken her: Sie stellt sich alleine für den Arzt, die pflegenden Angehörigen oder die sonst durch die Situation zum Handeln Aufgeforderten, und zwar in dem Sinne, dass diese hier und jetzt im Blick auf die vorliegenden Willensmanifestationen autonom zu entscheiden haben. Das aber bedeutet dreierlei:

Erstens, dass jede Willensäußerung, die Erlaubtes zum Inhalt hat (sagen wir den Wunsch, jede unnötige Sterbensverlängerung zu vermeiden), mich, den Handelnden, dazu verpflichtet, ihr zu entsprechen, soweit ihr nicht sittliche Verpflichtungen meinerseits entgegenstehen.

Zweitens, dass jede Willensäußerung, die Nicht-erlaubtes zum Inhalt hat (sagen wir ein Euthanasiebegehren), mich im Sinne der Wahrung meiner Autonomie dazu verpflichtet, ihr unter keinen Umständen zu entsprechen.

Drittens, dass jede eigentlich autonome Willensäußerung (sagen wir der Wunsch nach qualifizierter Sterbebegleitung) mich dazu verpflichtet, ihr um der fremden wie der eigenen Autonomie willen zu entsprechen.

Und viertens schließlich, dass mich jede noch so unvollkommene Willensäußerung (sagen wir die aktuale Äußerung eines „natürlichen Willens", die, wie in Margos Fall, zudem noch auf Selbsterhaltung zielt) in jedem Fall dazu verpflichtet, Sorge dafür zu tragen, dass die Bedingungen autonomer Existenz und Koexistenz erhalten oder geschaffen werden.

Man kann, worum es hier geht, leicht auf Kants Lehre „von der Pflicht der Wohltätigkeit" beziehen. Kant weiß, dass eine entsprechende Pflicht „nicht von selbst in die Augen" fällt und statt ihrer eher „die Maxime … die natürlichste zu sein" scheint: „‚Ein jeder für sich, Gott (das Schicksal) für uns alle’". Diese Maxime des Eigennutzes zerstört sich jedoch selbst; sie zielt auf individuelle Selbsterhaltung, macht aber, da sie die Wechselbedürftigkeit der Menschen, die nach Kant „durch die Natur" „auf einem Wohnplatz … zur wechselseitigen Beihilfe vereinigte vernünftige Wesen" sind, übersieht, gerade die Selbsterhaltung des einzelnen unmöglich.19 Die Pflicht der Wohltätigkeit verweist insoweit darauf, dass es die Autonomie des einen ohne tätige Beförderung der Autonomie des anderen nicht gibt. Es gibt entsprechend bei Kant einen aus dem Autonomieprinzip ableitbaren Fürsorge-Imperativ, der da lautet, dass wir auch um der eigenen Autonomie willen einander die Sorge für den Erhalt der fremden Autonomiebedingungen schulden. Es liegt auf der Hand, dass eine entsprechende Zusammenführung von Autonomie und Fürsorge gerade für die Medizinethik von zentraler Bedeutung ist. Denn der Sinn aller medizinischen Intervention ist die Ermöglichung autonomer Existenz durch Sorge für die Gewährleistung der Bedingungen einer solchen Existenz. Von hieraus kann dann übrigens auch der Schritt zur Vermittlung von Autonomie und Leben (dem bios) getan werden. Das Leben zählt ja unter die ersten Autonomiebedingungen und sollte gerade von einer über sich selbst aufgeklärten Bioethik her auch so betrachtet werden. Das bedeutet wiederum nicht, dass Autonomie nur eine Funktion des Lebens wäre; sie ist Funktion der Vernunft und damit auch geborene Kritikerin gegebener Lebenswelten. Aber sie will und soll auch selber ins Leben treten und Lebenswelten nach dem Bilde sich ihrer Freiheit bewusster Vernunft formen. Gelebte Autonomie und autonomes Leben können als das bioethische Programm gelten, das umso leichter Konturen gewinnt, je mehr Verwechselungen (etwa mit bloßer formaler Selbstbestimmung) ausgeschlossen sind.

Referenzen

  1. Der vorliegende Beitrag geht in seinem Kern auf einen Vortrag zurück, den ich an der Sofioter Universität St. Kliment Ohridski gehalten habe. Eine Publikation der ursprünglichen Fassung in bulgarischer Sprache findet sich unter dem Titel Към актуалиоста на Кантовото эа автономия в биоетиката in dem Sammelband: Kaneva V. (Hrsg.), Автономия и Биоетика, Sofia (2011), S. 23-46
  2. Für einen grundlegenden Überblick cf. Pieper A., Art. ‚Autonomie’, in: Korff W., Beck L., Mikat P. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Göttingen (2000), Bd. I, S. 289-293, bes. 291 ff.
  3. Für die angelsächsische Diskussion vgl. jetzt Taylor J. S., Practical Autonomy and Bioethics, New York (2009).
  4. Aus der neueren Literatur zu hier einschlägigen Fragen seien zumindest die folgenden ausgewählten Titel genannt: Beckmann J. P., On the Meaning and Some Contexts of the Term ‚Autonomy’, Synthesis philosophica (2015); 30: 89-99; Hildt E., Autonomie in der biomedizinischen Ethik. Genetische Diagnostik und selbstbestimmte Lebensgestaltung, Frankfurt/Main (2006); May A. T., Autonomie und Fremdbestimmung bei medizinischen Entscheidungen für Nichteinwilligungsfähige, Münster (2000); Platzer J., Autonomie und Lebensende. Reichweite und Grenzen von Patientenverfügungen, Würzburg (2010); Runkel Th., Enhancement und Identität. Die Idee einer biomedizinischen Verbesserung des Menschen als normative Herausforderung, Tübingen (2010); Stier M., Ethische Probleme in der Neuromedizin: Identität und Autonomie in Forschung, Diagnostik und Therapie, Frankfurt/Main (2006)
  5. So etwa, unter dem Stichwort eines auch leiblich rückgebundenen „Selbstseinkönnens“, der prominente Debattenbeitrag von Habermas J., Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Frankfurt/Main (2001), bes. S. 80 ff. sowie S. 93ff.
  6. vgl. z. B. Fan R., Self-Determination vs. Family-Determination: Two Incommensurable Principles of Autonomy, in: Bioethics (1997); 11: 309-322. Zur Kritik vgl. Döring O., Chinas Bioethik verstehen. Ergebnisse, Analysen und Überlegungen aus einem Forschungsprojekt zur kulturell aufgeklärten Bioethik, Hamburg (2004), S. 118-133
  7. Zum Gegensatz zwischen der autonomieorientierten und der „physiozentrischen“ Bioethik vgl. Hoffmann Th. S., Bioethik als Reflexion des Lebens, in: Čović A. (Hrsg.), Integrative Bioethik und Pluriperspektivismus/ Integrative Bioethics amd Pluri-Perspectivism, Proceedings of the 4th Southeast European Bioethics Forum, Opatija 2008, Sankt Augustin (2010), S. 25-34
  8. Das ist etwa einer der entscheidenden Schwachpunkte in der Aufsatzsammlung von Quante M., Menschenwürde und personale Autonomie. Demokratische Werte im Kontext der Lebenswissenschaften, Hamburg (2010). – Für die „Standardbioethik“ wäre im übrigen natürlich insbesondere auf Beauchamp T. L., Childress J. F., Principles of Biomedical Ethics, Oxford (1979), 7. Aufl., Oxford (2012) zu verweisen, wo „Autonomie“ von einer Minimaldefinition als “self-rule that is free from both controlling interferences by others, and from limitations, such as inadequate understanding, that prevent meaningful choice” her verstanden wird. Zur Kritik bzw. Fortentwicklung dieser Auffassung vgl. hier nur Dean R., The Value of Humanity in Kant’s Moral Theory, Oxford (2006), S. 197 ff. Knoepffler N., Menschenwürde in der Bioethik, Berlin, Heidelberg, New York (2004), S. 205 f. unterscheidet kurzerhand einen „kantischen“ und einen „medizinethischen“ Gebrauch des Begriffs „Autonomie“. Dass es dabei (trotz der Urheberschaft Kants für den Begriff ) jeweils um etwas „völlig anderes“ (40) geht, sieht Knoepffler offenbar nicht als rechtfertigungsbedürftig an.
  9. Statt vieler anderer Beiträge verweise ich für das Spannungsverhältnis Autonomie / Fürsorge hier auf die grundlegenden Überlegungen von Rehbock Th., Personsein in Grenzsituationen. Zur Kritik der Ethik medizinischen Handelns, Paderborn (2005)
  10. Für eine Anwendung des Kantischen Autonomiebegriffs in konkret bioethischer Hinsicht sei hier verwiesen auf Baumann-Hölzle R., Autonomie und Freiheit in der Medizin-Ethik. Immanuel Kant und Karl Barth, Freiburg i. Br. (1999). Zu Kants Bedeutung für die Bioethik überhaupt vgl. Baumanns P., Kant und die Bioethik, Würzburg (2004), sowie (für einen Überblick) Hoffmann Th. S., Zur Aktualität Kants für die Bioethik, Synthesis philosophica (2005); 39: 151-163
  11. vgl. Feil E., Antithetik neuzeitlicher Vernunft. „Autonomie – Heteronomie“ und „rational – irrational“, Göttingen (1987), S. 33 f.; vgl. ferner Pohlmann R., Art. ‚Autonomie’, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. I, Basel / Darmstadt (1971), S. 707
  12. Feil E., siehe Ref. 11, S. 38
  13. vgl. Ref. 8!
  14. Wichtigster Referenztext ist hier Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von 1785, dessen auch wiederholte Lektüre Berge von Sekundärliteratur zum Thema ersetzt.
  15. Das Selbstmordverbot findet sich bei Kant an mehreren Stellen; vgl. vor allem Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Bd. 4, S. 429; Metaphysik der Sitten. Tugendlehre, Akademie-Ausgabe Bd. 6,S. 422 f. Die Maxime der Selbsttötung – sei es unmittelbar durch eigene Hand, sei es durch Inanspruchnahme fremder Hände – kann nach Kant in der Sache das Niveau der Willkürregel nicht übersteigen. In einem inneren und qualifizierten Sinne ist die Entscheidung für ein3 „Selbstentleibung“ heteronom, weil es in ihr gerade darum geht, das „Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zu vernichten“, mich selbst mithin als moralischen Gesetzgeber (und damit auch die Autonomie) aus der Welt zu schaffen, mich zugleich „aller Verbindlichkeit“ unter moralischen Gesetzen zu entziehen und über mich selbst so auch „als bloßes Mittel zu […] beliebigen Zwecken zu disponieren“, was alles zwar unter dem Eindruck einer „gewalthabenden Obermacht“ der „sinnliche[n] Triebfedern“ nachvollziehbar ist, aber nicht nach Maßgabe des alleine Achtung gebietenden unbedingten Bewußtseins der Pflicht erfolgt (vgl. a.a.O. Bd. 6, S. 423).
  16. vgl. Dworkin G., The Theory and Practice of Autonomy, Cambridge (1988)
  17. vgl. Dworkin R., Life’s Dominion: An Argument About Abortion, Euthanasia, and Individual Freedom, New York (1993); vgl. für das folgende besonders S. 226 ff.
  18. vgl. zu diesem Zusammenhang Hoffmann Th. S., Kultur – Ethik – Recht. Eine Skizze im Blick auf den globalen Antagonismus von Normkultur und Nutzenkultur, in: Hoffmann Th. S., Schweidler W. (Hrsg.), Normkultur vs. Nutzenkultur. Über kulturelle Kontexte von Bioethik und Biorecht, Berlin, New York (2006), S. 29-54
  19. vgl. für den Zusammenhang Kant, Metaphysik der Sitten. Tugendlehre §§29-31, Akademie-Ausgabe 6, S. 452 ff.

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann
Institut für Philosophie der Fernuniversität in Hagen
Universitätsstr. 33, D-58084 Hagen
thomas.hoffmann(at)fernuni-hagen.de

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: