Stellungnahme

Covid-19-Impfstoffe: Ethische Stellungnahme zu Fragen der Herstellung

Lesezeit: 09:54 Minuten

Stand: 12.01.2021

1. Impfungen als großer Fortschritt für die Menschheit

Durch die wissenschaftlichen Errungenschaften seit den 1950er Jahren können wirksame Impfstoffe heute bei Millionen von Menschen tödliche bzw. schwere Erkrankungen wie Röteln, Kinderlähmung, Tollwut, Masern und Windpocken bis hin zu Ebola verhindern.

Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben sich zahlreiche internationale Forscherteams intensiv darum bemüht, einen Impfstoff gegen SARS-COV-2 zu entwickeln. Weltweit befinden sich Hunderte von Impfstoffen in Entwicklung, mehrere Impfstoffe wurden mittlerweile zugelassen und werden bereits angewendet.

2. Der Zusammenhang zwischen einigen Impfstoffen und Abtreibung

In den 1990er Jahren wurde ethisch fragwürdige Zusammenhänge in der Entwicklung von Impfstoffen bekannt: Es stellte sich heraus, dass einige unter Verwendung menschlicher Zelllinien hergestellt wurden, die aus Feten stammen, die abgetrieben wurden (abortion-derived cell lines). Dies führte insbesondere auch unter Katholiken zu der Frage, ob in Anbetracht der Herstellungsmethode die Verwendung dieser Impfstoffe unethisch sei. Konkret weiß man heute, dass einige Impfstoffe gegen Masern-Mumps-Röteln, Tollwut und Windpocken sowie Hepatitis A aufbereitete fetale Zellen verwendet haben. Laut einem Bericht in Science vom Juni 2020 werden bei mindestens fünf der Covid-19-Impfstoffe ebenfalls entsprechende Zelllinien verwendet[1].
 

Warum fetales Gewebe für die Entwicklung von Impfstoffen?

Für Impfstoffe, die inaktivierte Viren enthalten, benötigt man Zellen, in denen man die Erreger in großem Maßstab erzeugen kann. Verwendet werden in der Forschung Zellen von Tieren (z.B. Hamstern, Affen, Embryonen aus bebrüteten Hühnereiern) oder Zellen aus menschlichem fetalem Gewebe.

  • Fetale Zellen haben Eigenschaften, die das Wachstum von für die Impfung abgeschwächten[2] Viren erleichtern. Menschliche Viren vermehren sich besser in menschlichen fetalen Zellen als in Tierzellen. Daher sind die Produktionsmengen des Impfstoffes höher und sie können schneller auf den Markt gebracht werden.
  • Tierzellen können Verunreinigungen enthalten. Bei Hühnerzellen besteht die Gefahr einer Hühnereiweiß-Allergie oder Überreaktion.
     

Was weiß man über die am häufigsten verwendeten humanen fetalen Zelllinien?

Humane fetale Zelllinien stammen nicht nur aus fetalen Zellen nach spontanen Fehlgeburten, sondern sie wurden auch aus Feten nach Abtreibungen, die zwischen 1960 und 1985 stattfanden, gewonnen. Bis heute dienen zwei humane fetale Zelllinien (WI-38 und MRC5) zur Herstellung von Impfstoffen aus lebenden, abgeschwächten Viren, also Aktiv-Impfstoffen. Eine weitere Zelllinie (HEK-293) wird häufig in bestimmten Phasen der Entwicklung von Impfstoffen verwendet.

WI-38[3], MRC5[4] und HEK-293[5] sind menschliche fetale Zelllinien, die seit Anfang der 1960er bis heute in der Entwicklung einer Vielzahl von Impfungen verwendet werden. Es handelt sich um Zellen, die aus dem fetalem Gewebe nach der Abtreibung isoliert und dann im Labor weitergezüchtet wurden.

a) Die WI-38-Zellllinie wurde in den USA aus den Zellen der Lunge eines drei Monate alten weiblichen Fetus hergestellt. Die Eltern hatten die Abtreibung 1961 vorgenommen, weil sie keine Kinder mehr wollten. WI-38 fand bei der Herstellung des historischen Impfstoffs RA 27/3 gegen Röteln Verwendung. WI steht für Wistar Institute.

b) Die MRC5-Zellllinie wurde von Zellen abgeleitet, die 1966 aus der 14 Wochen alten fetalen Lunge eines männlichen Fetus in England entnommen wurden. Eine 27-jährige an sich gesunde Frau hatte das Kind damals wegen psychischer Probleme abgetrieben. MRC steht für Medical Research Council.

c) Die HEK 293-Zelllinie wurde 1973 in den Niederlanden etabliert. Bis heute ist unklar, ob es sich dabei um die Nierenzellen eines Fetus nach einer spontanen Fehlgeburt oder einer Abtreibung handelt. HEK steht für Human Embryonic Kidney-Zellen.

d) Zur Ergänzung sei auch die PER.C6-Zelllinie genannt. Sie wurde in den Niederlanden vom Zellbiologen, Alex J. Van der Eb, – er hat auch die HEK 293-Zelllinie etabliert – im Jahr 1995 aus Netzhautzellen eines 1985 abgetriebene Fetus gewonnen.

Die Abtreibungen– oder im Fall von HEK-293 möglicherweise die Fehlgeburt –, die zu diesen vier Zelllinien führten, liegen demnach 35 bis 60 Jahre zurück.
 

Befindet sich also fetales Gewebe in den Impfstoffen?

Nein. Die Viren werden für den Impfstoff gereinigt und Reste der Zellkultur entfernt.[6]
 

Müssen neue Embryonen aus Abtreibungen verwendet werden?

Nein. Für die Herstellung von Impfstoffen wird kein Gewebe von erneut abgetriebenen Feten eingesetzt. Der Begriff ‚Zelllinie‘ bedeutet, dass diese Linie einmalig angelegt wurde und seitdem kontinuierlich vermehrt wird. Es ist also nicht so, dass immer wieder neue Feten benötigt werden, um Impfstoffe produzieren zu können.[7]
 

In welchen Covid-19-Impfstoffen kommen fetale Zelllinien zum Einsatz?

Vorweg: Es gibt zahlreiche COVID-19 Impfstoff-Projekte, in denen in keiner Phase der Entwicklung, Produktion oder Labortestphase eine der fetalen Zelllinien verwendet wird. Dazu zählen u.a. die Projekte der Hersteller Sanofi et GSK Protein Sciences (USA, Frankreich), Institut Pasteur et Themis und Merck (Frankreich, Österreich und USA), und CureVac (Deutschland).

Das US-amerikanische Charlotte Lozier Institute hat eine Übersicht von in der Entwicklung fortgeschrittenen COVID-19-Impfstoffen erstellt, wobei für die verschiedenen Projektphasen ausgewiesen wird, ob humane fetale Zelllinien verwendet wurden. Die Liste berücksichtigt diejenigen Impfstoffe, die am weitesten fortgeschritten sind (Stand 4.1.2021) und wird laufend aktualisiert.
 

3. Vatikan: Corona-Impfstoffe „moralisch akzeptabel“

Die katholische Kirche hat eine klare Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen, weshalb jene Impfstoffe einer moralischen Klärung bedürfen, deren Produktion oder Entwicklung eine Verbindung dazu haben[8]. Angesichts der Corona-Pandemie wurde von zahlreichen Seiten in dieser Frage an die römische Kongregation für die Glaubenslehre herangetragen.

Ob man in schwerwiegenden Fällen von etwas „Gutem“ profitieren darf, auch wenn es unter moralisch unerlaubten Handlungen entstanden ist, liegt eine moralische Abwägung zugrunde: ein Übel nicht billigen, aber in Kauf nehmen in Hinblick auf die Erreichung eines Gutes.

Die Glaubenskongregation hat darauf geantwortet[9]. Sie stützt sich dabei auf die Instruktion „Dignitas Personae über einige Fragen der Bioethik“[10] (DP), die bereits im Jahr 2008 von Benedikt XVI. approbiert wurde sowie zwei weitere Dokumente der Päpstlichen Akademie für das Leben (PAL), einem Beratungsorgan des Heiligen Stuhls, (2005[11] und 2017[12]). In ihrer Stellungnahme vom 21.12.2020[13] kommt die Glaubenskongregation zu dem Schluss, dass dort, wo keine „ethisch einwandfreien“ Impfstoffe zur Verfügung stünden, es „moralisch akzeptabel“ sei, sie einzusetzen, auch wenn bei deren Entwicklung und Produktion Zelllinien von Feten zum Einsatz kamen.

Folgende Überlegungen begründen die Argumentation der katholischen Kirche:


Keine Legitimierung von Abtreibung

Die Tötung des Ungeborenen durch die Abtreibung ist und bleibt ein schweres Übel. Jemand, der einen Impfstoff verwendet, der durch die Gewinnung von fetalem Gewebe ermöglicht wurde, wird aber deshalb nicht per se zu jemandem, der Abtreibung gutheißt oder die unmoralische Absicht jener teilt („formelle Mitwirkung“), die sie durchführen.

Zugleich stellt die Kongregation aber auch klar, dass ihr Ja zum Einsatz solcher Impfstoffe unter den gegebenen Umständen „keine auch nur indirekte Legitimierung von Abtreibung“ darstellt – und auch keine moralische Billigung der Verwendung von Zelllinien abgetriebener Feten. Die Note aus dem Vatikan appelliert dringend an Forscher und Pharmaunternehmen, „ethisch akzeptable Impfstoffe zu entwickeln, die keine Gewissensprobleme aufwerfen können“. Es gilt weiterhin, dass es keinerlei Anreize dafür geben dürfe, um weitere Zelllinien aus abgetriebenen Feten herzustellen und damit indirekt Abtreibungen zu fördern.
 

„Differenzierte Verantwortlichkeiten“

Die Verwendung von Impfstoffen zieht keine moralisch relevante Kooperation („passive materielle Zusammenarbeit“) mit der freiwilligen Abtreibung nach sich, die schon so lange zurückliegt. Die im vorigen Jahrhundert durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche der genannten Zelllinien fanden unabhängig von der Forschung statt.

Angesichts der jetzigen Corona-Pandemie „können alle Impfstoffe genutzt werden, die als medizinisch sicher und wirksam anerkannt sind“, so die Glaubenskongregation. Erläutert wird dies an der Tatsache, dass nicht alle Beteiligten gleichermaßen Verantwortung für ein Unrecht tragen: „Die moralische Pflicht, eine solche passive materielle Zusammenarbeit zu vermeiden, ist nicht zwingend, wenn eine ernsthafte Gefahr besteht, wie beispielsweise die ansonsten unaufhaltsame Ausbreitung eines schwerwiegenden Krankheitserregers – in diesem Fall die pandemische Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus das verursacht Covid-19“.

Hier greift die Erklärung auf DP nr. 35 zurück. Dort ist die Rede von „differenzierten Verantwortlichkeiten“[14]. So trägt ein Forscher, der in einem Unternehmen mit Zelllinien unerlaubten Ursprungs arbeitet und über deren Verwendung keine Entscheidungsvollmacht hat nicht dieselbe Verantwortung wie jene, die über die Ausrichtung der Produktion entscheiden oder Behörden, die für die Bevölkerung nur Impfstoffe in großen Mengen einkaufen.
 

Keine Impfpflicht, aber Verantwortung für das Gemeinwohl

Sich impfen zu lassen sei „in sich keine moralische Verpflichtung“ und müsse deswegen „freiwillig“ sein. Allerdings sei um des Gemeinwohls willen „eine Impfung angezeigt, vor allem zum Schutz der Schwächsten und Exponiertesten, wenn es keine anderen Mittel gibt, um die Epidemie zu stoppen“. Wer aus Gewissens- oder anderen Gründen eine Impfung ablehne, habe gleichwohl die Pflicht, durch „geeignetes Benehmen zu verhindern, dass er zum Überträger des Virus wird“, damit die Menschen in seiner Umgebung keinen „Gesundheitsrisiken“ ausgesetzt werden, betont die Note der Glaubenskongregation.
 

4. Die Haltung der Kirche hat sich in Corona-Zeiten nicht geändert

Die Kirche hat ihre Haltung zu diesen Impfstoffen nicht geändert, sondern baut auf früheren Aussagen auf[15]. In dem im Jahr 2005 veröffentlichte Dokument zur moralische Überlegungen zu diesen Impfstoffen[16] hielt die PAL fest, dass die Anwendung dieser Impfstoffe für eine begrenzte Zeit erlaubt sein kann, wenn eine Nicht-Anwendung Personen einer beträchtlichen Gesundheitsgefahren aussetzen würde.

Dignitas personae (2008) stellt fest, dass angesichts schwerwiegenden Bedürfnisse „die Gefahr für die Gesundheit der Kinder es den Eltern erlauben könnte, einen Impfstoff zu verwenden, der unter Verwendung von Zelllinien unmoralischen Ursprungs entwickelt wurde, wobei jeder die Pflicht hat, seine Ablehnung kundzutun und zu verlangen, dass sein Gesundheitssystem andere Arten von Impfstoffen zur Verfügung stellt.“[17]

Im Jahr 2017 hatte die PAL[18] eine gemeinsame Erklärung mit zwei italienischen Organisationen herausgegeben. Auch diese vor der Corona-Pandemie verfassten Erklärung betonte die dringende Notwendigkeit für die Menschen, Impfstoffe zu akzeptieren, um die Gesundheit anderer zu schützen, die von der Herdenimmunität profitieren würden.
 

5. Fazit

Zusammengefasst macht diese Leitlinie deutlich, dass es ethisch unverantwortlich war, von Abtreibung stammende Zelllinien herzustellen. Dennoch kann es aus schwerwiegenden Gründen erlaubt sein, Impfstoffe zu verwenden, die mit Zelllinien von abgetriebenen Feten gewonnenen wurden, um die eigene Gesundheit und die anderer zu schützen, wenn keine wirksamen alternativen Impfstoffe verfügbar sind.

Über die Feststellung hinaus, was moralisch zulässig ist und was nicht, weisen die Richtlinien auf die Pflicht hin, für Alternativen einzutreten und sie zu verwenden, wann immer dies möglich ist.

 


[1]Wadman , M., Abortion opponents protest COVID-19 vaccines’ use of fetal cells, doi:10.1126/science.abd1905 (Jun. 5, 2020)

[2] Bei der Herstellung von Lebendimpfstoffen werden Krankheitserreger durch spezielle Verfahren abgeschwächt und verlieren dadurch – teilweise oder ganz – ihre krankmachenden Eigenschaften. Sie können jedoch weiterhin eine Abwehrreaktion des Körpers auslösen. Die abgeschwächten Erreger bleiben vermehrungsfähig und können im menschlichen Körper zu ähnlichen Reaktionen wie bei einer Erkrankung führen.

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/WI-38

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/MRC-5

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/HEK-Zellen

[6] Austriaco, Nicanor P.G., O.P., Moral Guidance on Using COVID-19 Vaccines Developed with Human Fetal Cell Lines, in: The Public Discourse, 26. Mai 2020

[7] Vgl. Paul A. Offit, MD, Childrens’s Hospital of Philadelphia, 13. Juli 2020  https://www.chop.edu/centers-programs/vaccine-education-center/vaccine-ingredients/fetal-tissues

[8] Zu bemerken ist, dass abseits der katholischen Moraltheologie ein Bewusstsein in der Gesellschaft gewachsen ist, dass in einem umfassenden Sinn die „Güte eines Produkts“ nicht losgelöst von seinen Entstehungsbedingungen bemessen werden darf (Stichwort: Fair-Trade, Ökologie, Kinderarbeit usw.).

[9] Stefan von Kempis, Vatikan: Corona-Impfstoffe „moralisch akzeptabel“, VaticanNews 21.12.2020

[10] Instruktion Dignitas Personae über einige Fragen der Bioethik, Kongregation für die Glaubenslehre, 20.6.2008

[11] Moralische Überlegungen zu Impfstoffen, für deren Produktion Zellen von abgetriebenen Feten verwendet werden. Päpstliche Akademie für das Leben (5.6. 2005) dt. übersetzt Aktion Leben e.V. 2007

[12] Note on Italian vaccine issue. Pontifical Academy for Life (31.7.2017)

[13] CONGREGATION FOR THE DOCTRINE OF THE FAITH: Note on the morality of using some anti-Covid-19 vaccines, 21.12.2020

[14] Vgl. Schlag, M., Kommentar zur Instruktion der Glaubenskongregation „Dignitas Personae – Über einige Fragen der Bioethik“, in Imago Hominis (2009), 16: 14-21

[15] Warum sich die katholische Kirche zu Covid-19 Impfstoffen äußert, in: Spiegel, 23.12.2020

[16] Vgl. Fußnote 11

[17] Vgl. Fußnote 10

[18] Vgl. Fußnote 12

 

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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