Bioethik Aktuell

​​​​​​​IMABE-Symposium: Therapie braucht Vertrauen – Die unsichtbare Kraft in Medizin und Pflege

Warum Vertrauen gelungene Therapie und Pflege erst möglich macht

Lesezeit: 06:22 Minuten

Vertrauen ist heute das meist unterschätzte Therapeutikum in Medizin und Pflege. Doch ohne Vertrauen gibt es keine gute Behandlung. Wie entsteht Vertrauen? Und lässt es sich organisieren? Das IMABE-Symposium 2025 mit 150 Teilnehmern aus Medizin, Pflege, Philosophie und Management widmete sich dem Thema „Heilsames Vertrauen – die unsichtbare Kraft in Medizin und Pflege“. Der Tenor: Es braucht einen Paradigmenwechsel von einer krankheitszentrierten hin zu einer menschenzentrierten Medizin.

„Vertrauen ist die beste Medizin und kostenlos. Doch wo es fehlt, ist der Preis hoch“, betonte IMABE-Direktorin Susanne Kummer. In Phasen besonderer Verletzlichkeit seien Menschen darauf angewiesen, „als Person mit Wünschen, Ängsten und Ressourcen gesehen zu werden, nicht bloß als Befund“.

Kummer verwies auf den französischen Philosophen Paul Ricœur, der vom „Pakt des Vertrauens“ spricht, der jeder medizinischen Behandlung zugrunde liegt. Doch was, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird oder gar nicht entstehen kann? Was braucht es, damit Professionisten, aber auch eine Gesundheitsinstitution „vertrauenswürdig“ sind? Diesen Fragen ging das diesjährige, vom Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) veranstaltete Symposium am 21. November im Raiffeisen Forum Wien nach – gemeinsam mit internationalen Experten und 150 Teilnehmern aus dem DACH-Raum. Eröffnet wurde das Symposium vom niederösterreichischen Ärztekammerpräsidenten Harald Schlögel.

Vertrauen beginnt im Leiblichen, nicht im Kognitiven

Thomas Fuchs, Inhaber des Karl-Jaspers-Lehrstuhls für philosophische Grundlagen der Psychiatrie an der Universität Heidelberg, betonte die zentrale Bedeutung von Vertrauen in der therapeutischen Beziehung. „Vertrauen ist die Antwort auf die fragilen Bedingungen menschlicher Existenz.“ Wo ein Mensch misstraut, erscheint ihm die Umgebung als bedrohlich. Angst kann zu Aggression oder Kontrollwut führen, was viel Energie kostet. Vertrauen sei daher viel „ressourcenschonender“, so Fuchs.

Krankheit erschüttert Vertrauen, vor allem das „leiblich verankerte Selbstvertrauen“. Das kann auch zu einer existenziellen Verunsicherung führen. Deshalb sei es entscheidend, dass „Menschen in einer therapeutischen Beziehung Akzeptanz, Empathie und Echtheit erfahren“, betonte Fuchs. Wenn Patienten ein verlässlich wohlwollendes Gegenüber erfahren, das sie in all ihren Ängsten und Sorgen ernst nimmt, sei dies bereits „heilsam“. Der Psychiater machte deutlich, dass Vertrauen oft nicht die Voraussetzung, sondern das Resultat erfolgreicher Therapie ist. „Grundmisstrauen kann man verändern.“

Die menschliche Krise in der Krebsversorgung

Die Krebsmedizin feiert wissenschaftliche Durchbrüche – doch die Patienten fühlen sich zunehmend alleingelassen. Sogar die Lancet Oncology Commission diagnostiziert in ihrer im November 2025 veröffentlichten Studie eine „menschliche Krise“ in der Krebsbehandlung. Während die Therapien immer präziser werden, geraten Empathie, Würde und Vertrauensbildung unter die Räder, so die Kritik.

„Patienten fühlen sich wie in einer ‚Maschinerie', der sie sich ausliefern müssen. Sie leiden darunter, nicht als Mensch in ihren existenziellen Bedürfnissen ernst genommen zu werden“, bestätigte Andrea Kobleder, Professorin und Co-Leiterin des Kompetenzzentrums OnkOs am Institut für Angewandte Pflegewissenschaft der Ostschweizer Fachhochschule. Sie stellte die Ergebnisse der Schweizer TANGO-Studie mit Brustkrebspatientinnen vor. Vertrauensbrüche entstehen durch widersprüchliche Informationen und mangelhafte Kommunikation. „Patientinnen beginnen Therapien gar nicht erst oder halten sich nicht an Empfehlungen, wenn das Vertrauen fehlt“, betonte Kobleder.

Ihre Forschung zeigt, dass Vertrauen nicht statisch ist, sondern sich mit jeder Behandlungsphase und jeder Prognoseänderung wandelt. Es ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der immer wieder neu erarbeitet werden muss. Ihr Fazit: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel von einer krankheitszentrierten hin zu einer menschenzentrierten Onkologie.“

Neue Zuversicht durch Perspektivenwechsel

„Wie soll das denn weitergehen?“ Dieser Satz markiert einen existenziellen Abgrund, wenn Menschen erkennen, dass sie nicht mehr so leben können wie bisher. Elisabeth Medicus, langjährige ärztliche Leiterin der Tiroler Hospiz Gemeinschaften und Lehrbeauftragte für Palliativmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck, führte in die palliative Praxis am existenziellen Limit.

Zuversicht in der Palliativbetreuung ist nicht das toxische „Wird schon wieder“, sondern eine Haltung, die den Ernst der Lage radikal anerkennt. Medicus betonte, dass Ehrlichkeit ohne empathische Begleitung brutal ist, während Empathie ohne Ehrlichkeit Betrug bedeutet. Statt auszuweichen seien Health Professionals gefragt, sich dem Gefühlskarussell der Patienten zu stellen. „Gefühle sind keine Störung, sondern ein Wegweiser, die offenlegen, was den Betroffenen bewegt, was ihm oder ihr wichtig ist.“ In der Annahme von Wut, Angst bis hin zur Verzweiflung könne auch eine neue Zuversicht wachsen.

Zuversicht wächst nicht aus medizinischen Möglichkeiten, sondern aus der Erfahrung, als Mensch wahrgenommen zu werden und die Zielvorstellungen ändern zu können, erläuterte die Palliativmedizinerin. Wenn die großen Perspektiven wegbrechen, werden die kleinen Spielräume umso wichtiger. „Heilung ist ein Ziel, aber nicht das einzige.“

Lässt sich Vertrauen organisieren?

Stefan Dinges, Medizinethiker und Klinischer Ethikberater am Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, lenkte den Blick auf die organisationale Dimension. Laut einer Umfrage 2025 haben 77 Prozent der Österreicher „großes Vertrauen“ in ihre behandelnden Ärzte. Doch nur 54 Prozent sind mit deren sozialer Kompetenz zufrieden.

In einer aktuellen Umfrage der Ärztekammer Österreich (Spitalsärzteumfrage 2025) gaben gleichzeitig 19 Prozent der Spitalsärzte an, „massiv unzufrieden“ mit ihrem Beruf zu sein. Nur 62 Prozent würden sich erneut für den Arztberuf entscheiden. Vertrauen im Gesundheitswesen braucht deshalb einen doppelten Blick – auf die Person und auf die Organisation. Es genügt nicht, dass einzelne Therapeuten vertrauenswürdig sind, wenn die Strukturen Misstrauen säen.

Doch wie kann man „Vertrauen organisieren“? Dinges nannte drei Bausteine der Vertrauenskultur, nämlich Professionalisierung, Transparenz und Beteiligung – nicht als Einbahnstraße von oben nach unten, sondern als Ko-Produktion. Die Organisation muss vorangehen durch fachliche Exzellenz, nachprüfbare Kommunikation und echte Beteiligungsmöglichkeiten.

Professionelle Nähe statt professioneller Distanz

Susanne Kränzle, Leiterin des Hospiz Esslingen und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands, stellte den Begriff der „professionellen Distanz“ grundsätzlich in Frage. Die landläufige Antwort auf die Frage „Wie kann man das nur aushalten?“ laute oft, dass man sich „abgrenzen“ und „auf Distanz halten“ müsse. Doch müssen Nähe und Professionalität immer ein Widerspruch sein? Oder gibt es Möglichkeiten, tragfähige, vertrauensvolle Beziehungen einzugehen und dabei in der eigenen Rolle zu bleiben?

„Beruflich Helfende haben ihren Beruf ja nicht gewählt, um in Distanz zu bleiben.“ Menschen seien in Krankheit und am Lebensende mehr auf Nähe, auf Mitmenschlichkeit angewiesen. Eine „Distanz zu einem Sterbenden ist unprofessionell“ „, betonte Kränzle. Sie plädierte für „professionelle Nähe“ und fragte, wie beruflich Helfende menschlich nahe und dabei professionell sein können.

Angstfrei arbeiten – aus Fehlern lernen

Primarius Rainer Heider, Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am BKH Kufstein und Risk Manager, sprach ein oft tabuisiertes Thema an: die Angst der Mitarbeitenden vor Fehlern und Schuldzuweisungen. Besonders in der Geburtshilfe, wo Sekunden entscheiden können, führt diese Angst zu enormem Druck.

Die Luftfahrt hat längst begriffen, dass Fehler nicht passieren, weil Einzelne versagen, sondern weil Systeme versagen. Heider zeigte, wie eine Kultur des Vertrauens entsteht, die es ermöglicht, aus Fehlern zu lernen, statt sie zu vertuschen – und damit Sicherheit für Patienten und Mitarbeitende gleichermaßen schafft. Insbesondere brauche es einen offenen Umgang mit sogenannten „Beinahe-Fehlern“, der es ermöglicht, präventiv Fehler zu vermeiden.

Best Practice: Vertrauen im Alltag stärken

Der Nachmittag zeigte konkrete Wege, wie Vertrauen in der Praxis gestärkt werden kann. Margarethe Lindl, Medizinstudentin kurz vor dem Abschluss, stellte das von IMABE initiierte Projekt Young MedEthics vor, das junge Menschen in Gesundheitsberufen ethisch stärkt und resilienter macht. Annibelle Call, Cancer Nurse in Wien, zeigte, wie offene Kommunikation über Palliative Care in der Onkologie Patienten Sicherheit gibt und Lebensqualität verbessert.

Karl Schwaiger, Pflegedirektor der Landesklinik Hallein und St. Veit und Obmann der Hospizbewegung Salzburg, berichtete anhand des ersten Tageshospizes im ländlichen Raum, das 2020 in Leogang eröffnet wurde, wie Hospize einen „Wendepunkt hin zum Leben“ eröffnen. Linda Eberle von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) und Daniel P. Gressl, Community Nurse zeigten, wie Community Nursing durch Nähe und kontinuierliche Präsenz Versorgungslücken schließt und Vertrauen schafft.

Hinweise

Die Vorträge des IMABE-Symposiums werden in der Zeitschrift Bio.Ethik.Praxis (Frühjahr 2026) als Tagungsband veröffentlicht. Demnächst werden sie auch in der IMABE-Audiothek zum Nachhören bereitgestellt.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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