Bioethik aktuell

DACH-Experten stellen klar: „Es ist nicht Aufgabe einer Gesellschaft, den (assistierten) Suizid zu fördern“

Mehr als 40 Wissenschaftler und Institutionen unterzeichnen 12 Thesen zu Suizidprävention und assistiertem Suizid

Lesezeit: 03:23 Minuten

Ein interdisziplinärer Zusammenschluss von mehr als 30 Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz veröffentlichte ein gemeinsames Thesenpapier. In den „Schloss Hofener Thesen 2023 zu Assistiertem Suizid und Suizidprävention“ fordern die Unterzeichner dazu auf, mit „Fehlinformationen und Mythen“ aufzuräumen und den Stand der Wissenschaft zu berücksichtigen.

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In der öffentlichen Diskussion um den assistierten Suizid liege häufig ein „verkürztes Autonomieverständnis“ vor, wichtige Forschungsergebnisse und Erfahrungswerte aus der Suizidprävention und Palliativversorgung würden „weitgehend außer Acht“ gelassen, konstatieren die Mediziner, Therapeuten, Juristen, Ethiker und Theologen des D-A-C-H-Forum für Suizidprävention und assistierten Suizid. Es sei daher eine gesellschaftliche Aufklärung und Diskussion „dringend notwendig“, so die 34 Unterzeichnenden der Schloss Hofener Thesen 2023 zu Assistiertem Suizid und Suizidprävention. Aus Österreich firmieren unter anderen Andreas Heller (Universität Graz), Thomas Kapitany (Kriseninterventionszentrum Wien), Thomas Niederkrotenthaler (Medizinische Universität Wien), Susanne Kummer (IMABE), Christa Rados (Psychosoziales Therapiezentrum Kärnten) und Dietmar Weixler (Österreichische Palliativgesellschaft); aus Deutschland Claudia Bausewein (Deutsche Palliativgesellschaft), Christian Hillgruber (Universität Bonn), Ute Lewitzka (Uniklinikum Dresden), Barbara Schneider (LVR-Klinik Köln), Raymond Voltz (Unikklinikum Köln) und aus der Schweiz Raimund Klesse (Hippokratische Gesellschaft).

Erkenntnisse aus der Suizidforschung müssten Teil der Ausbildung sein

„Das Verhältnis einer Gesellschaft zum Suizid und der Umgang damit sind ein Maßstab für die Humanität des Umgangs miteinander, für die Achtung des menschlichen Lebens und die gelebte Solidarität ihrer Mitglieder“, heißt es weiter. Dies gelte für Menschen in Not, insbesondere für alte Menschen, Menschen mit schweren psychischen und körperlichen Beeinträchtigung.

Erkenntnisse aus der Suizidforschung müssen in allen Disziplinen, die mit Wünschen nach assistiertem Suizid konfrontiert werden, einfließen und obligatorische Ausbildungsinhalte werden. Zu den Forderungen der Experten zählt eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention sowie eines Rechtsanspruchs auf eine Hospiz- und Palliativversorgung.

Warnung vor sozialem und finanziellem Druck: „Hilfe zum Leben“ ermöglichen  

Die „Hilfe zum Leben“ habe klaren Vorrang vor einer Mitwirkung an Selbsttötungen. Daher brauche es verstärkt auch finanzielle Anstrengungen, um Suizidprävention und niederschwellige Kriseninterventionsangebote so bereitzustellen, dass jeder Mensch in einer suizidalen Krise eine „angemessene mitmenschliche und fachliche Unterstützung erhalten“ kann.

Die Experten warnen vor sozialem oder finanziellem Druck. Niemand dürfe genötigt, beeinflusst oder gedrängt werden, Angebote der Suizidassistenz zu nutzen, weil Unterstützung oder Hilfen nicht zur Verfügung stehen oder gar verweigert werden. „Es besteht die Gefahr, dass der assistierte Suizid mit dem Ziel verbunden wird, Kosten im Gesundheitswesen oder der Altersvorsorge zu senken, Angebote im Bereich der Betreuung alter Menschen oder der Palliativmedizin in Quantität und Qualität nicht auszubauen oder generell Maßnahmen der sozialen Sicherheit und Daseinsfürsorge einzuschränken“, so die Wissenschaftler.

Niemand ist verpflichtet, assistierte Suizide zuzulassen oder zu unterstützen

Der assistierte Suizid sei „keine ärztliche und keine pflegerische Aufgabe" betonen die Unterzeichner. Das Recht auf Gewissensfreiheit müsse auch weiterhin gewährleistet werden. Daher dürften „weder Gesundheitsberufe noch Institutionen des Gesundheits- und Sozialwesens dazu verpflichtet werden, assistierte Suizide zuzulassen oder zu unterstützen.“

Gesundheitsberufe hätten eine besondere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem einzelnen Individuum in Not. „Jegliche Vereinnahmung der Gesundheitsfachberufe zur Mitwirkung an assistierten Suiziden ist abzulehnen.“

Wichtige Fachgesellschaften unterstützen die „Schloss Hofener Thesen 2023“

Unterstützt werden die 12 Forderungen von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), dem Nationalen Suizidprogramm für Deutschland (NaSPro), dem Werner Felber Institut für Suizidprävention und interdisziplinäre Forschung im Gesundheitswesen, dem Deutschen Hospiz- und PalliativVerband (DHPV), der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT), der Österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS), der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), der Österreichischen Palliativgesellschaft (OGP), der AG Suizidalität und psychiatrisches Krankenhaus sowie der Hippokratischen Gesellschaft Schweiz.

Fachexperten werben für weitere Unterstützungen

Die Schloss Hofener Thesen 2023 zu Assistiertem Suizid und Suizidprävention können von weiteren Einzelunterzeichnern und Organisationen unterstützt werden: https://www.d-a-ch-forum.org/unterzeichnen/ 

Anfragen für Organisationen können je nach Land unter folgenden E-Mail Adressen eingesendet werden (Name, Vorname, Titel, Affiliation analog Thesen oder die Organisation mit der Bestätigung durch den Präsidenten):

Deutschland: Ute.Lewitzka(at)uniklinikum-dresden.de
Österreich:     thomas.kapitany(at)kriseninterventionszentrum.at
Schweiz:        r.klesse(at)bluewin.ch

 

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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