Bioethik Aktuell

Die Menschenwürde achten: Was heißt das in der klinischen Praxis?

Am 10. September ist Welttag zur Suizidprävention

Lesezeit: 02:24 Minuten

Die Wahrung der Würde eines einzelnen Menschen besteht meist im Erweis von ausreichendem Respekt – auch in Situationen des Sterbens oder der extremen Hilfsbedürftigkeit. Palliativmediziner sehen sogar darin ein Mittel, den Wunsch Sterbenskranker nach einem Suizid zu verhindern.

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Wenn Patienten mit einer weit fortgeschrittenen schweren Erkrankung ihre Situation als nicht mehr erträglich empfinden, spielt das Gefühl, die eigene Würde zu verlieren eine große Rolle. Allein die Art des Umgangs des Arztes oder der pflegenden Personen mit den Patienten kann einen Beitrag zur Suizidprävention leisten, berichtet SpringerMedizin (online, 14.6.2022) vom diesjährigen Deutschen Internistenkongress.

Verschiedene Experten hatten sich dazu geäußert. Die Würde zu achten beginnt in kleinen, aber signifikanten Gesten und respektvollem Umgang mit dem Patienten. Palliativmediziner Martin Weber (Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz) erläuterte, was er unter respektvollem Verhalten versteht: Man sollte „den Patienten um Erlaubnis bitten, zur Untersuchung die Bettdecke aufzudecken“. Nach einer Untersuchung sollte man „erst weiterreden, bis der Patient wieder angezogen sei, so Weber. Wenig Verständnis zeigt der Arzt dafür, eine Visite durchzuführen, während der Kranke auf dem Toilettenstuhl sitzt – ein eher seltenes Phänomen im Krankenhaus, das aber in Pflegeheimen durchaus vorkomme. Durch Fragen wie „Wer sind die Menschen auf dem Foto auf Ihrem Nachttisch?“ oder „Was sind Ihre wichtigsten Leistungen, worauf sind Sie besonders stolz?“ oder „Was sind Ihre Hoffnungen und Wünsche für die Menschen, die Ihnen am Herzen liegen?“ zeigt man Interesse an der Person, um die man sich kümmert. So könnten Ärzte die Würde der Patienten stärken.

Patienten sind nie „austherapiert“

Christoph Ostgathe, Leiter der Palliativmedizin an der Uniklinik Erlangen, hält Therapiezielgespräche für wichtig: „Im Verlaufe der Erkrankung braucht es immer wieder den offenen und ehrlichen Austausch zu den Therapiezielen.“ Begriffe wie Therapieabbruch und Therapieverzicht müssen Ärzte dabei vermeiden, forderte er. Patienten sind demnach niemals „austherapiert“. Die Botschaft „Wir können nichts mehr für Sie tun“ sollte aus dem Repertoire gestrichen werden. „Wenn wir Behandlung als Beziehung verstehen, gibt es immer etwas zu tun“, sagte Ostgathe, der Präsident der Europäischen Gesellschaft für Palliativmedizin ist. „Wir umsorgen unsere Patienten bis zum Schluss.“

Finanzierung von flächendeckendem Palliativangebot weiterhin offen

Am 10. September ist der Weltag zur Suizidprävention. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland hat das Thema Suizidprävantion angesichts der legalen Möglichkeit, Beihilfe zum Suizid zu leisten, neue Brisanz gewonnen. In Österreich finden immer noch Verhandlungen darüber statt, wie die konkrete Finanzierung des Hospiz- und Palliativfonds, der im Februar 2022 in Österreich per Gesetz verankert wurde, zwischen den Beteiligten aussehen soll (Bioethik aktuell, 9.3.2022).

In Deutschland kritisiert Sozialforscher Reinhard Lindner, Mitglied des Leitungs­gremiums des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), dass die aktuell vorliegenden Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid „mit Suizidprävention wenig zu tun“ hätten. Beratungsangebote für suizidgefährdete Menschen und ihre Angehörigen dürften nicht schwieriger erreichbar sein als der Zugang zum assistierten Suizid (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online 5.9.2022). Im Juni 2022 hatten mehr als 40 Institutionen und medizinische und pflegerische Fachgesellschaften in Deutschland ein Suizidpräventionsgesetz angemahnt (Bioethik aktuell, 21.7.2022).

Institut für Medizinische
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