Bioethik aktuell

Ethik: Gewissensfreiheit im Gesundheitsbereich steht unter Druck

Mitwirkung an aktiver Sterbehilfe und Schwangerschaftsabbruch teils zwingend vorgeschrieben

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Die Debatte um die Gewissensfreiheit ist ein heikles, komplexes Thema. Ärzte und medizinisches Personal haben das Recht, aus Gewissensgründen gewisse Behandlungen zu verweigern. Dies zählt zu den Menschen- und Grundrechten eines freiheitlichen Rechtsstaates. Am medizinischen Sektor zeigen sich jedoch Tendenzen, den Gewissensvorbehalt einzuschränken (vgl. The Protection of Conscience Project).

John Olusegun Adenitire von der University of Cambridge kritisiert jüngst im Journal of Medical Ethics (doi:10.1136/medethics-2015-103222), dass selbst die British Medical Association (BMA) nicht mehr menschenrechtskonform den Gewissensvorbehalt verteidige. In Großbritannien hatte 2014 ein Beschluss des Obersten Gerichtshofes für eine breite Debatte gesorgt: Zwei Hebammen mit katholischen Werteüberzeugungen wurden verurteilt, weil sie aus Gewissensgründen nicht bereit waren, weder direkt bei Abtreibungen mitzuwirken, noch in der Vor- oder Nachbereitung. Dazu seien sie aber verpflichtet, so der Supreme Court in seinem Höchsturteil.

Die BMA-Leitlinien zum Gewissensvorbehalt anerkennt in ihren Leitlinien den Gewissensvorbehalt nur noch unter wenigen Umständen. Der Cambridge-Jurist Adenitire vertritt in einem pointierten Kommentar im Journal of Medical Ethics Blog (online, 31.3.2016) die Ansicht, dass die Europäische Menschenrechtskonvention offenbar derzeit nicht hoch im Kurs stehe. Dennoch müsse auch er als Nicht-Katholik, aber Verfechter des Rechtsstaates dafür eintreten, dass jedermann, „auch katholische Krankenschwestern“, sich am „Recht der Gewissenfreiheit erfreuen dürfen“, so der Rechtswissenschaftler.

In Belgien liegen neue Gesetze zur Ausweitung aktiver Sterbehilfe vor, darunter die Forderung nach der Abschaffung der institutionellen Freiheit, keine Euthanasie durchzuführen. Konkret geht es darum, dass z. B. ein Altenheim oder ein Krankenhaus seinen Ärzten nicht mehr verbieten kann, Euthanasie in den eigenen Räumlichkeiten durchzuführen. Jede Palliativstation würde damit für Patienten potentiell zu einer aktiven Sterbehilfe-Station. Und das wäre das Ende der Freiheit der privaten Krankenhausträger und Altenheime. Sie dürften nicht mehr nach eigenen - etwa christlichen - Werten ihre Häuser führen, kritisiert Susanne Kummer, Geschäftsführerin des Wissenschaftsinstituts IMABE in Wien.

In Kanada geht man noch einen Schritt weiter. Hier forderte das Parlament im Februar 2016 in einer Empfehlung dazu auf, dass Ärzte, die selbst keine Euthanasie durchführen, per Gesetz dazu verpflichtet werden sollen, Sterbewillige an Kollegen weiterzuvermitteln, die Tötungen auf Wunsch durchführen oder bei Selbsttötungen kooperieren. Außerdem sollen alle öffentlich geförderten Einrichtungen - auch konfessionelle - Töten auf Verlangen und assistierten Suizid selbst anbieten und durchführen und nicht bloß externe Anbieter ins Haus holen.

Im liberal-demokratischen Schweden wurde eine Hebamme entlassen, weil sie sich aus Gewissensgründen geweigert hatte, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Sie klagte, das Gericht im Kreis Jönköping gab am 12.11.2015 jedoch dem Krankenhaus recht (vgl. ausführliche Analyse in Diritti Comparati, online, 22.6.2015): Hebammen müssten auch bereit sein, bei Abtreibungen mitzuwirken, weil die Region verpflichtet sei, dafür zu sorgen, dass Frauen effektiven Zugang dazu hätten (Aftonbladet, online, 12.11.2015). Ellinor Grimmark entgegnete, dass sie „als Hebamme Leben schützen will und nicht töten“. Da sie aber unter diesen Umständen in Schweden keinen Job mehr fand, musste sie emigrieren und arbeitet heute als Hebamme in Norwegen.

Es muss ein Ausgleich gefunden werden zwischen der Autonomie des Patienten, dem persönlichen Recht auf Gewissensfreiheit des medizinischen Personals und dem Versorgungsauftrag des Gesundheitswesens, erinnert Ethikerin Kummer. „Dabei muss angesichts der Fälle aber die Grundfrage offen angesprochen und diskutiert werden, ob man rechtens davon sprechen kann, dass es sich bei aktiver Sterbehilfe oder Abtreibungen überhaupt um Heil- und nicht viel eher um Wunschbehandlungen handelt“, so die Bioethikerin. Immerhin habe das Europäische Parlament die Garantie auf Gewissensfreiheit im medizinischen Sektor in einer Resolution festgehalten (Resolution 1763 (2010)).

Institut für Medizinische
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