Bioethik aktuell

Kanada: Ärzte informieren über aktive Sterbehilfe vor Palliativangeboten

Aktive Sterbehilfe soll auch auf Minderjährige und psychische Erkrankte ausgeweitet werden

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In Ländern wie Kanada, in denen Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid seit knapp drei Jahren erlaubt sind, stellt sich die Frage: Ab wann genau dürfen Ärzte Tötung als Option medizinischer Leistungen anbieten? Medizinische Leitlinien schreiben vor, dass ein Arzt über Tötungs-Optionen erst informieren darf, wenn alle anderen Versorgungsoptionen ausgeschöpft sind. Im sog. MAiD-Gesetz (Medical Assistance in Dying), das seit 2015 in der Provinz Quebec und seit 2016 in ganz Kanada gilt, gibt es dazu keinerlei Regelungen.

Wie das in der Praxis läuft, untersuchte nun ein Team von kanadischen Bioethikern. Das Ergebnis ihrer im Journal of Medical Ethics (2018, 22. November, Pii: medethics-2018-104982) publizierten Studie zeigt: Zahlreiche Patienten hatten zum Zeitpunkt des Antrags auf Sterbehilfe noch keine angemessene palliative Versorgung. Zwischen dem MAiD-Antrag und dem Tötungstag lagen im Schnitt nur 6 Tage. In 25 Prozent der 80 untersuchten MAiD-Fälle wurde Palliative Care erst einen Tag vor oder nach dem Antrag angefordert, in 32 Prozent der Tötungs-Fälle hatten die Ärzte für ihre Patienten gerade einmal 7 oder noch weniger Tage an Palliativberatung vor dem MAiD-Antrag in Anspruch genommen.

Zwischen 2015 und 2018 haben sich alleine in der 8,4 Millionen Einwohner zählenden Provinz Quebec 1.664 Menschen mit „ärztlicher Hilfe“ das Leben genommen. Die Zahl stieg rasant von 53 pro Monat im Jahr 2017 auf monatlich 93 im Jahr 2018, ein Anstieg von 75 Prozent. Aus dem jüngsten Bericht des Parlaments von Quebec geht außerdem hervor, dass 10 Prozent der gemeldeten Euthanasie-Todesfälle nicht gemäß der gesetzlichen Vorschriften vollzogen wurden (vgl. LaPresse, online, 7.12.2018).

Die Debatte für eine weitere Aufweichung des Gesetzes in Kanada läuft: „Wenn Tötung noch vor jeder palliativen Versorgung angeboten wird, dann haben wir es mit einer Bankrotterklärung des ärztlichen Ethos zu tun“, kommentiert IMABE-Direktor Johannes Bonelli die Entwicklung in Kanada. Kanadische Gesundheitsökonomen hatten vorgerechnet, dass Euthanasie kostengünstiger als eine Behandlung am Lebensende sei (vgl. IMABE 02/2017: Euthanasie spart Geld im Gesundheitssystem).

Ein Expertengremium hat nun im Auftrag der kanadischen Regierung sein Votum hinsichtlich einer weiteren Liberalisierung des MAiD-Gesetzes abgegeben. Darin wird befürwortet, aktive Sterbehilfe auch für ältere Minderjährige und Menschen mit psychischen Erkrankungen zu öffnen sowie die Möglichkeit zu bieten, Vorausverfügungen über eine Tötungswunsch erstellen zu können, die eine aktuelle Zustimmung im Fall von Euthanasie ersetzen (vgl. Expert Panel: Medical Assistance in Dying, online, 12.12.2018).

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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