Bioethik Aktuell

Deutscher Bundestag: Abstimmung zur Reform der „Sterbehilfe“ ist gescheitert

Keiner der beiden Gesetzentwürfe zur „Beihilfe zum Suizid“ erreicht die erforderliche Mehrheit

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Der Versuch, die Beihilfe zur Selbsttötung in Zukunft rechtlich zu regeln, ist dem Deutschen Bundestag am 6. Juli 2023 in namentlicher Abstimmung nicht gelungen. Im Vorfeld der Entscheidung gab es Kritik von Juristen, Ärzten, Apothekern und Patientenverbänden. Sie hatten zum Teil ein solches Gesetzesvorhaben generell in Frage gestellt. Am Vorabend der Abstimmung war eine Verfassungsklage wegen übereilter Gesetzgebungstätigkeit des Bundestages erfolgreich, was die vorgetragene Kritik auch an diesem Gesetzentwurf beförderte.

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In einer ersten Abstimmung wurde der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf des Abgeordneten Lars Castelucci (SPD) mit 304 Ja-Stimmen und 363 Nein-Stimmen (von 690) abgelehnt. Der zweite Entwurf um die Abgeordnete Katrin Helling-Plah (FDP) und Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), der ohne Berücksichtigung des Strafgesetzes auskam, erhielt 287 Ja- und 375 Nein-Stimmen. Die Abgeordneten waren vom Fraktionszwang entbunden und stimmten namentlich ab.

Politiker verschiedener Parteien unterstützten beide Gesetzesentwürfe

Der erste Gesetzentwurf der überparteilichen Gruppe um den SPD-Politiker Lars Castellucci (Drucksache 20/904, 7.3.2022) und dem CDU-Abgeordneten Ansgar Heveling wurde unter anderem von den CDU-Abgeordneten Hermann Gröhe, Serap Güler, Julia Klöckner, Wolfgang Schäuble und Jens Spahn unterstützt, von Grünen-Abgeordeten wie Katrin Göring-Eckart (Bündnis 90/Die Grünen) und Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sowie Abgeordneten der FDP und der Linkspartei. 

Grundsätzlich sollte die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ laut dieses Vorschlags erneut unter Strafe gestellt werden und nur unter strengen Bedingungen erlaubt sein. Verstöße sollten auch künftig mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden können. Nicht rechtswidrig sollte die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn die suizidwillige Person „volljährig und einsichtsfähig“ ist, sich mindestens zweimal von einer Fachärztin oder einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.

Der zweite Entwurf wollte ohne das Strafrecht auskommen

Den zweiten Gesetzentwurf legte eine Gruppe um Katrin Helling-Plahr von der FDP, Grünen-Politikerin Renate Künast und weiteren Parlamentariern von SPD und Linkspartei vor (Drucksache 20/2332, 21.6.2022). Das Recht auf Beihilfe zum Suizid sollte, so der Entwurf, grundsätzlich nicht im Strafrecht verankert sein. Der Entwurf wolle „das Recht auf einen selbstbestimmten Tod legislativ absichern und klarstellen, dass die Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist“, wie es in der Begründung hieß. Dazu solle der vom Bundesverfassungsgericht dargebotene Normierungsspielraum genutzt werden, „um Menschen, die ernstlich sterben möchten und diesen Wunsch frei und eigenverantwortlich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gebildet haben, ebenso wie Personen, die zur Hilfe bereit sind, einen klaren Rechtsrahmen zu bieten“.

Das Verfassungsgerichtsurteil enthält eine einseitige Definition von Menschenwürde

Anlass für diese Gesetzes-Initiative war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (Bioethik aktuell, 25.3.2020). Darin wurde das vom Bundestag am 6. November 2015 beschlossene Verbot (§ 217 Strafgesetzbuch) einer geschäftsmäßigen („auf Wiederholung angelegten“) Förderung der Selbsttötung aufgehoben und gleichzeitig ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben anerkannt. Begründet wurde dies im Urteil durch die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde, die vor allem als Entscheidungsautonomie des Einzelnen gedeutet wurde. Die eigenwillige Interpretation von Autonomie in der Begründung besagte, dass sie auch den Entschluss umfasse, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen und dafür ärztlich oder andere Hilfe und ein tödliches Mittel („sanfter Tod“) in Anspruch genommen werden darf.

Die Kritik im Vorfeld war laut und deutlich

Viele Fachleute hatten die Gesetzesentwürfe im Vorfeld als unnötig und wenig hilfreich eingeschätzt. Von ärztlicher Seite kamen Bedenken, dass sich Politiker nicht ausreichend mit der Zielgruppe eines solchen Gesetzes, vor allem mit psychisch Kranken, alleinlebenden Hochaltrigen und jungen Menschen in Lebenskrisen auseinandergesetzt hatten. Auch die damit verknüpfte Beratung dürfe, wenn sie ergebnisoffen sein soll, nicht von Institutionen angeboten werden, die einen assistierten Suizid durchführen.

Wie stellt man tatsächliche Autonomie des Einzelnen fest?

Juristen hatten argumentiert: Nur dort dürfe eine Rechtfertigung des assistierten Suizids zugelassen werden, wo die tatsächliche Autonomie des Einzelnen zuverlässig festgestellt ist, so etwa Ansgar Heveling (CDU/CSU). Beihilfe zur Selbsttötung sei etwas anderes als Hilfe und Beistand für Sterbenskranke, wie sie die Palliativmedizin schon anbiete. Sich das Leben zu nehmen, sei in aller Regel kein Ausdruck autonomer Selbstbestimmung, sondern meistens ein Akt der vollständigen Verzweiflung. Suizidwillige bräuchten deshalb keine staatlichen Angebote zum Sterben, sondern Menschen, die ihnen helfen, meinte Beatrix von Storch (AfD) in der Bundestagsdebatte. Die Menschen nicht vor sich selbst zu schützen, mahnte Helge Lindh (SPD) an. Ihr Unbehagen an einer staatlich finanzierten Suizidberatung brachte Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis90/Die Grünen) zum Ausdruck. Petra Sitte (Die Linke) meinte, dass es vor 2015 nie eine Regelung des Suizids gegeben habe, sondern dass dies Vereinen überlassen geblieben sei, die für das tödliche Mittel eine 4-stellige Summe kassieren.

Suizidprävention darf nicht vergessen werden – entsprechender Antrag wurde gestellt

Mehr als 40 Institution hatten im Vorfeld davor gewarnt, die Suizidprävention zu vergessen und stattdessen Wege zum Suizid zu bahnen. Etwa 10.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland durch Suizid, dreimal so viele Menschen wie im Straßenverkehr (Bioethik aktuell, 21.7.2022). Der Bundestag hatte deshalb an die beiden Gesetzentwürfe die Abstimmung über einen Initiativantrag zur Förderung der Suizidprävention angeschlossen, der Zustimmung fand.

Wird durch ein Gesetz der Suizid gefördert?

In der dritten Lesung wurde bei mehreren Rednern in der Debatte am 6. Juli das Risiko angedeutet, dass durch ein solches Gesetz auch eine Förderung von Suiziden erfolgen könnte, weil gesellschaftlicher Druck in Richtung Suizid aufgebaut wird. Dazu wurde in den Redebeiträgen auch auf Erfahrungen aus der Schweiz und Kanada zurückgegriffen. Nach den Erfahrungen in der Schweiz kommt es alle fünf Jahre zu einer Verdopplung der dort seit 20 Jahren möglichen Suizidbeihilfe (Bioethik aktuell, 7.6.2023).  Die Deutsche Apothekerkammer hatte sich im Juli 2020 dagegen ausgesprochen, dass ihr Versorgungsauftrag auch die Aushändigung von tödlichen wirkenden Mitteln umfasse (Bioethik aktuell, 8.7.2020). Die Bundesärztekammer hatte sich in einem Initiativantrag vom 23.11.2022 ablehnend zu dem Gesetzesvorhaben geäußert (Stellungnahme der Bundesärztekammer, 23.11.2022).

Große Mehrheit für Gesetz zur Suizidprävention

Nach den beiden Abstimmungen sprach sich der Bundestag mit großer Mehrheit für ein Gesetz zur Suizidprävention aus. 688 Abgeordnete stimmten für einen entsprechenden Antrag von zwei Gruppen von Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen (Bayrischer Rundfunk, 6.7.2023).

Darin fordern sie die Bundesregierung auf, im kommenden Jahr einen entsprechenden Entwurf und eine Strategie für die Suizidprävention vorzulegen. Die Regelung solle unter Einbeziehung etwa der Telefonseelsorge oder sozialpsychiatrischer Dienste einen bundesweiten Suizidpräventionsdienst etablieren.

Institut für Medizinische
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