Embryo-Screening: Wenn Startups bestimmen, welches Leben lebenswert ist

Biotech-Firmen versprechen genetisch optimierte Kinder, Kritiker warnen vor Eugenik

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Milliardäre investieren in Unternehmen, die Krankheitsrisiken bei IVF-Embryonen analysieren. Eltern sollen in Zukunft nur noch das „beste“ Kind auswählen. Wissenschaftler warnen vor unseriösen Versprechen. Die Technologie wirft ethische Fragen auf: Wer darf leben – und wer nicht?

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Biotech-Startups, die mit Technologien wie CRISPR das Erbgut von Embryonen verändern wollen, erleben einen Aufschwung. Unternehmen wie Preventive – unterstützt von Tech-Milliardär Sam Altman (CEO von ChatGPT) – und Manhattan Genomics versprechen, durch Genom-Editing Krankheiten auszumerzen. In den USA ist das derzeit illegal. Preventive plant deshalb, die Forschung in Länder mit weniger strengen Vorschriften zu verlegen, etwa in die Vereinigten Arabischen Emirate. (The New York Post, 08.11.2025)

Doch bevor Genome editiert werden können, muss eine Voraussetzung erfüllt sein: Embryonen müssen zunächst gescreent und bewertet werden. Dieses Embryo-Screening ist – anders als Genom-Editing – bereits weit verbreitet, in vielen Ländern legal und wird von einer wachsenden Industrie angeboten.

Wissenschaftler warnen vor moderner Eugenik

Wissenschaftler und Ethiker reagieren besorgt auf diese Entwicklungen. Durch neue High-Tech-Verfahren – vom Screening bis zum Genom-Editing – erlebe gefährliches eugenisches Gedankengut eine moderne Renaissance, warnen Experten. (nrp, 06.08.2025) Bereits 2023 stellte die internationale Forschergemeinschaft beim Summit on Human Genome Editing klar: „Genom-Eingriffe in das menschliche Erbgut sind derzeit nicht zu akzeptieren.“ ( Bioethik aktuell, 04.05.2023) Doch Embryo-Screening als Vorstufe dieser Technologie ist längst Realität.

Orchid Health bietet Risiko-Scores für Embryonen

Das Silicon-Valley-Unternehmen Orchid Health ist eines von mehreren an der Börse notierten US-Unternehmen, das eine „polygene Risikobewertung“ für Embryonen anbietet. Zu den Investoren des Startups zählen unter anderem 23andMe- Mitgründerin Anne Wojcicki.

Orchid verspricht Eltern, die Wahrscheinlichkeit von diversen Krankheiten wie neurologischen Entwicklungsstörungen, pädiatrischem Krebs, Geburtsfehlern und sogar polygenetischen Neigungen mit Sicherheit feststellen zu können. Jeder Embryo erhält einen „Risiko-Score“ über seine genetischen Prädispositionen, der auf dem Smartphone für die Kunden abrufbar ist und mit einem „genetischen Berater“ besprochen werden kann.

Warum die Methode wissenschaftlich umstritten ist

In der Wissenschaft gelten derartige Tests als unseriös und unethisch, da sie der Komplexität der Krankheitsursachen und des individuellen Risikos nicht gerecht werden (Bioethik aktuell, 11.02.2022). Sie spiegeln eine falsche Sicherheit vor: Es entsteht der Eindruck, Eltern könnten neurologische Vielfalt „wegselektieren“. In Wirklichkeit geben diese Scores keine klinisch zuverlässige Vorhersage, sondern höchste grobe Wahrscheinlichkeiten mit enormen Unsicherheiten.

Orchid weist darauf hin, dass 30 Prozent der Autismusfälle genetisch erklärbar seien. Doch für die einzelnen Embryonen lässt sich daraus kaum ein verlässliches Risiko ableiten: Polygenetische Scores erklären nur einen winzigen Teil des Autismusrisikos. Ein Embryo mit „niedrigem Score“ kann dennoch Autismus entwickeln – und ein Embryo mit „hohem Score“ völlig gesund sein.

„Sex ist für Spaß, IVF ist für Babys“

Die Unternehmensgründerin von Orchid, Noor Siddiqui, träumt hingegen von einer Zukunft, in der Fortpflanzung durch IVF zur Norm wird. „Sex ist für Spaß, IVF und Screening ist für Babys“, sagt sie in einem New York Times-Interview (07.09.2025) . Embryonen zu screenen sei „die höchste Form von Liebe und Fürsorge“. Kinder dagegen „auf die altmodische Kunst“ zu bekommen, sei unverantwortlich, denn man würde auf gut Glück den genetischen Würfel rollen, so die Informatikerin.

Von der Option zum gesellschaftlichen Zwang

Diese Vision ist nicht neu: Bereits Carl Djerassi (1923–2015), Erfinder der „Pille“, sah die Zukunft der menschlichen Reproduktion in der Trennung von Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung. Die Fortpflanzung ins Labor zu verlegen sei positiv, denn das gäbe Eltern mehr Freiheit und Kontrolle.

Auch Robert Edwards (1925–2013), „Erfinder“ der künstlichen Befruchtung und Mitglied der Eugenic Society, setzte sich für genetische Selektion im Zuge der IVF ein: „Bald wird es eine Sünde für Eltern sein, ein Kind zu haben, das die schwere Last einer genetischen Krankheit trägt“, es werde die Zeit kommen, so Edwards, wo „wir die Qualität unserer Kinder zu prüfen haben“. Im Jahr 2010 erhielt der Brite den Nobelpreis. Die Selektion bestimmter Menschen in ihrem Anfangsstadium zählte für ihn als moralische Verpflichtung. (Bioethik aktuell, 11.02.2022)

„Es sollte um elterliche Wahl, elterliche Freiheit und elterliche Autonomie gehen“, betont Siddiqui gebenüber der New York Times. Die Kontrolle darüber, wer leben darf und wer nicht, sollen also Eltern übernehmen. Zugleich wird ihnen jedoch die Verantwortung aufgebürdet, nur noch gesunden Nachwuchs in die Welt zu setzen. Technologien, die anfangs als Option präsentiert werden, mutieren zum Druck und zu gesellschaftlichen Erwartungen. 

Millionen eingefrorene Embryonen ohne Zukunft

Siddiqui folgt einer widersprüchlichen moralischen Linie: Einerseits bezeichnet sie Embryonen als „wertvoll“. Andererseits befürwortet sie umfangreiche Tests und Selektionsverfahren, die zur Vernichtung von Embryonen führen.

Ihre Vision ist klar: Die Fortpflanzung der Zukunft soll ein rein technisch-medizinischer Prozess sein. Die Anzahl der durch IVF entstandenen Embryonen wird weiter steigen. Schätzungen gehen aktuell davon aus, dass allein in den USA mehr als 1,5 Millionen gefrorene Embryonen in Tiefkühltanks auf Vorrat liegen – doch niemand braucht diese Embryonen mehr. Je nach gesetzlicher Regelung werden sie für Forschungszwecke verwendet und im Zuge dessen vernichtet oder einfach verworfen. (Bioethik aktuell, 03.10.2022)

Natürlicher Verlust versus gezielte Selektion

Siddiqui setzt den natürlichen Verlust von Embryonen in frühen Schwangerschaftsphasen mit der Selektion durch Labormitarbeiter im Zuge der künstlichen Befruchtung gleich. Dies sei auch eine „natürliche Selektion“, nur eben sichtbar. Damit werden die moralischen Tatsachen verschleiert. Es ist bekannt, dass sich bei einer Frau nicht alle befruchteten Eizellen in die Gebärmutter einnisten. Das ist ein natürlicher, nicht kontrollierbarer Vorgang, für den niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die Selektion und Vernichtung von Embryonen sind hingegen absichtliche, geplante Handlungen, für die jemand moralische Verantwortung trägt. Die Absicht dahinter: die „genetisch stärksten“ Embryonen einpflanzen und die „genetisch schwächsten“ vernichten.

Schutz vor Krankheit oder Schutz vor kranken Menschen?

Die Rhetorik von Screening-Unternehmen wie Orchid ist entlarvend: Sie sprechen davon, dass Eltern ihre Kinder durch Screening-Technologien schützen würden. „Schutz“ heißt hier, dass nicht das Kind vor Krankheit geschützt werden soll, sondern Eltern und die Gesellschaft vor einem kranken Kind geschützt werden sollen. Denn Genom-Screenings zielen auf keine Therapie. Sie führen dazu, dass Kinder mit einem vorab definierten „Risk-Score“ gar nicht geboren werden. Sie werden also nicht geschützt, sondern vernichtet. Für Kinder, die ohnehin gesund sind, hätte der Test nichts an ihrem Genpool geändert – und hat sie demnach auch nicht „geschützt“.

2.500 Dollar pro Embryo: Genetische Zweiklassengesellschaft

Der Wunsch nach einem gesunden Kind ist an sich legitim. Doch der Weg führt über Selektion und Vernichtung anderer. Davon profitieren vor allem gewinnorientierte Unternehmen, die aus dieser Neuauflage von eugenischem Gedankengut Kapital schlagen. Für sie heiligt der Zweck die Mittel.

Alle, die reich genug sind, sich derartige Tests zu leisten – Orchids Screening kostet 2.500 US-Dollar pro Embryo – können sich auch einen Vorteil in der genetischen Lotterie verschaffen. Dieses Konzept läuft Gefahr, in sozialer Ungerechtigkeit und einer Zweiklassengesellschaft zu münden: die natürlich Geborenen und die Optimierten. (Bioethik aktuell, 27.05.2025)

Siddiqui fordert, dass IVF und Embryo-Screening in der Zukunft von Versicherungen übernommen werden. Dadurch könnte man es für alle leistbar machen und öffentliche Gelder für die Krankenversorgung einsparen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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