Bioethik aktuell

Suizidassistenz: Wo andere ‚mithelfen‘ dürfen, steigt die Zahl der Selbsttötungen

Die Legalisierung der „Sterbehilfe“ höhlt die Suizidprävention aus

Lesezeit: 02:26 Minuten

In der Debatte um den assistierten Suizid wird häufig behauptet, dass die Möglichkeit der legalen Beihilfe zur Selbsttötung die Anzahl der sogenannten „harten“, nicht-assistierten Suizide, reduzieren würde. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Anzahl der Suizide steigt sogar, wie eine aktuelle Studie aus Australien erneut belegt.

 

Suizide steigen, wo Sterbehilfe erlaubt ist
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Ein Vergleich der Suizidzahlen für das Jahr 2021 zwischen der Schweiz und Österreich, die ähnliche Einwohnerzahlen aufweisen, zeigt beispielsweise, dass die Anzahl nicht-assistierter Suizide in beiden Ländern bei etwa 1.000 Suiziden lag (Quellen: Bundesamt für Statistik, Bericht zu Suizid und Suizidprävention in Österreich). Allerdings kamen in der Schweiz noch rund 1.400 assistierte Suizide (Quelle: Bundesamt für Statistik) zusätzlich hinzu. Damit war die Gesamtzahl der Suizide bei Schweizern – assistierte wie nicht-assistierte – mehr als doppelt so hoch wie in Österreich. 

Dass Suizide insgesamt nach einer Legalisierung von „Sterbehilfe“ zunehmen, zeigt sich auch in anderen Ländern. Bereits 2022 zeigte eine Analyse von US-amerikanischen sowie europäischen Daten, dass die verfügbaren und gesetzlich gebilligten Optionen der Unterstützung zum Suizid und Tötung auf Wunsch (EAS) neue Anreize für Suizide setzen. Die Zahl der „harten“, ohne Beihilfe durchgeführten Suizide stieg gerade in jenen Ländern signifikant an, die davor assistierten Suizid oder Tötung auf Verlangen eingeführt hatten (Bioethik aktuell, 8.3.2022) . 

Bundesstaat Victoria: Mehr über 65-Jährige nehmen sich trotz Suizidassistenz „normal“ das Leben

Einen aktuellen Nachweis für den Anstieg nicht-assistierter Suizide nach der Legalisierung der Suizidbeihilfe liefert eine Studie aus dem australischen Bundesstaat Victoria. Dort wurde die legale Beteiligung von Dritten an Selbsttötungen im Jahr 2019 eingeführt. Die Befürworter brachten als wichtiges Argument für die Legalisierung ein, dass damit harte, brutale Suizide verhindert werden könnten, weil Betroffene stattdessen den „würdigen“ und „sanften“ assistierten Suizid wählen würden.

Wie eine im Journal of Ethics in Mental Health 2023 (2023, 11, 1-20, Publication Date: Dec 21, 2023) veröffentlichte Studie nun zeigt, kann sich diese Behauptung auf keine Fakten stützen. Im Gegenteil: Es stellt sich heraus, dass nicht-assistierte Suizide nicht nur nicht abgenommen haben, sondern seit der Einführung der Suizidbeihilfe insgesamt sogar angestiegen sind. Besonders bemerkbar war der Anstieg der "harten" Suizide bei den über 65-Jährigen – von 102 Fällen im Jahr 2018 auf 156 Fälle im Jahr 2022. Das ist ein Selbstmord pro Woche mehr. Dieser Anstieg war auch deutlich höher als in den Nachbar-Bundesstaaten, wo assistierter Suizid im Untersuchungszeitraum verboten war.

Kanada: Tötung wird eher nahegelegt als Therapie

Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist Kanada, wo das Angebot der „Sterbehilfe“ die Suizidraten nicht senkt. In dem nordamerikanischen Land ist die Anzahl der Tötungen auf Verlangen allein innerhalb des letzten Jahres um 30 Prozent auf 13.241 Fälle gestiegen. Aus Kanada erreichen die Medien auch regelmäßig Berichte von Menschen, die von staatlicher Seite zwar keine dringend benötigte medizinische oder soziale Unterstützung, jedoch rasch einen Termin für „medizinische Beihilfe zum Sterben“ (Medical Assistence in Dying, MAiD) bekommen (Bioethik aktuell, 6.9.2022). Dieses Schicksal traf zuletzt auch den 52-jährigen Dan Quayle, der an Speiseröhrenkrebs erkrankt war. Er wartete  zehn Wochen vergeblich auf eine Chemotherapie – und bat schließlich verzweifelt um eine Tötung. Diese wurde innerhalb von zwei Tagen gewährt und sofort vollzogen (National Post, 5.12.2023).

Institut für Medizinische
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